"Historisch“ sagt
der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz. Einen "Durchbruch“ nennt der Vorsitzende
der Rabbinerkonferenz das Ereignis: Erstmals seit dem zweiten Weltkrieg haben sich
in Berlin Vertreter von katholischer und evangelischer Kirche mit in Deutschland tätigen
Rabbinern getroffen. Der Anlass: die Woche der Brüderlichkeit. Veranstalter: Der Koordinierungsrat
der 83 deutschen Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit. Der Ehrengast,
eigens angereist aus Rom: Kardinal Walter Kasper, Präsident des Päpstlichen Einheitsrats
und im Vatikan der verantwortliche Mann für den Kontakt zum Judentum. Ein Hörstück
von Birgit Pottler:
"Der Papstbesuch hat einiges aufgerissen. Der Papstbesuch
in der Synagoge in Köln.“ Das sagt Norbert Hofmann, Mitarbeiter am Einheitsrat
in Rom. Er ist selbst Fachmann für die jüdisch-christlichen Beziehungen und hat Kardinal
Kasper nach Berlin begleitet. Kasper wolle im Gespräch mit den Rabbinern jetzt "nacharbeiten
und den jüdisch-katholischen Dialog in Deutschland zu promovieren versuchen, zu bestärken,
dass die Zusammenarbeit weiter und tiefer gehen kann."
Am 19. August hatte
Papst Benedikt XVI. die Synagoge von Köln besucht, ein deutscher Papst in einer deutschen
Synagoge, nicht nur die deutschen Juden hatten bei seinen Worten den Atem angehalten.
Hier Auszüge aus der Ansprache: "Schalom lêchém! Es war mir ein tiefes Anliegen,
anlässlich meines ersten Besuches in Deutschland nach der Wahl zum Nachfolger Petri
der Jüdischen Gemeinde von Köln und den Vertretern des deutschen Judentums zu begegnen.
[...] Sowohl die Juden als auch die Christen erkennen in Abraham ihren Vater im Glauben
(vgl. Gal 3,7; Röm 4,11f) und berufen sich auf die Lehren Moses und der Propheten.
Die Spiritualität der Juden wird wie die der Christen aus den Psalmen gespeist. Mit
dem Apostel Paulus sind die Christen überzeugt, dass "Gnade und Berufung, die Gott
gewährt, unwiderruflich sind" (Röm 11,29; vgl. 9, 6.11; 11,1f). In Anbetracht der
jüdischen Wurzeln des Christentums (vgl. Röm 11,16-24) hat mein verehrter Vorgänger
in Bestätigung eines Urteils der deutschen Bischöfe gesagt: "Wer Jesus Christus begegnet,
begegnet dem Judentum" (Insegnamenti, Bd. III/2, 1980, S. 1272; deutsche Übersetzung
in: Die Kirchen und das Judentum. Dokumente von 1945-1985, Paderborn/München 1989,
S. 74). [...] Schließlich sollte unser Blick nicht nur zurück in die Geschichte gehen,
er sollte ebenso vorwärts auf die heutigen und morgigen Aufgaben gerichtet sein. Unser
reiches gemeinsames Erbe und unsere an wachsendem Vertrauen orientierten geschwisterlichen
Beziehungen verpflichten uns, gemeinsam ein noch einhelligeres Zeugnis zu geben und
praktisch zusammenzuarbeiten in der Verteidigung und Förderung der Menschenrechte
und der Heiligkeit des menschlichen Lebens, für die Werte der Familie, für soziale
Gerechtigkeit und für den Frieden in der Welt. [...] Die Erwachsenen tragen die Verantwortung,
den jungen Menschen die Fackel der Hoffnung weiterzureichen, die Juden wie Christen
von Gott geschenkt worden ist, damit die Mächte des Bösen "nie wieder" die Herrschaft
erlangen und die künftigen Generationen mit Gottes Hilfe eine gerechtere und friedvollere
Welt errichten können, in der alle Menschen das gleiche Bürgerrecht besitzen."
Applaus
brandete in Köln auf, nicht enden wollender Applaus als Papst Benedikt und der Kölner
Rabbi sich die Hand reichten, lange und fest. Am Ende des Treffens in Berlin nun eine
Umarmung zwischen dem Vatikan-Vertreter Walter Kasper und Henry Brand, dem Vorsitzenden
der Rabbinerkonferenz. Der ist bewegt, es war schließlich "das erste Mal, dass
so ein hoher Vertreter nach Deutschland kommt, Ausgangspunkt des Holocaust, um sich
hier mit den Rabbinern, also den geistlichen Führern der jüdischen Gemeinden zu treffen
und über Versöhnung und Zusammenarbeit zu sprechen. Das hätte es vor etlichen Jahren
nicht geben können.“ Kardinal Karl Lehmann war nahezu euphorisch; "ein tief
greifender Wendepunkt in der 2000-jährigen Geschichte“ sein Fazit. "Wenn alles
gut geht, ist das so etwas wie ein Startschuss für regelmäßige Begegnungen in der
Zukunft.“ Kontakte zwischen Christen und Juden hat es schon lange gegeben,
doch die Bischofskonferenz diskutierte und plante bislang nur gemeinsam mit dem Zentralrat
der Juden in Deutschland. Doch, so Lehmann: "Da geht’s aber eben sehr stark um
politische Motive." Bislang hatten Juden und Christen vor allem die gemeinsame
Verantwortung für Frieden und Gerechtigkeit betont. "Zugleich ist es ein altes
Bedürfnis auch von uns, dass wir etwas stärker Beziehungen haben zur Gemeinschaft
der in Deutschland tätigen Rabbiner." Und damit heißt das Ziel: Dialog auf theologischer
Ebene, Diskurs in Glaubensfragen, nicht nur in Sachen Soziallehre. Der deutsche
Ökumenebischof, Gerhard-Ludwig Müller, setzt nach Berlin eine klare Priorität: "Natürlich
haben wir schon lange auch international eine Zusammenarbeit zwischen Juden und Christen
gerade wenn es um Katastrophen geht oder Hilfen in armen Ländern. Aber es ist natürlich
gerade wegen dieser besonderen Nähe und inneren Beziehung von Judentum und Christentum
gerade über das Alte Testament, das Gottesverständnis, die Heilsgeschichte doch auch
angebracht, dass jetzt nach 2000 Jahren gemeinsamer, manchmal auch konträrer Geschichte,
wir uns auf der dialogischen Ebene miteinander verständigen und auch hier jetzt in
einen Austausch kommen. Voraussetzung ist natürlich, dass man über die andere Seite
eine gute Information hat.“
Um das zu erreichen sollen die deutschen theologischen
Fakultäten künftig Grundlagen des Judentums vermitteln. Umgekehrt soll auf dem Lehrplan
der Rabbinerschulen in Israel, den Vereinigten Staaten oder anderswo "Einführung ins
Christentum“ stehen. Denn: "Die Religionen im Allgemeinen kennen sich nicht so
gut, als sie vielleicht sollten.“ Das sagt Daniel Katz, Rabbiner in Duisburg-Mühlheim-Oberhausen.
Und das Unwissen über die andere Religion finge schon bei den Feiertagen an: "Ich
glaube, die eine Religion versteht nicht immer, wann feiert die andere. Das ist vielleicht
für Christen selbstverständlich, dass Ostern ein heiliger Tag ist. Und umgekehrt:
Wir feiern Pessach und kein Christ hat eine Ahnung, warum wir an diesem Tag nicht
arbeiten.“ Natürlich gibt es Gemeinsamkeiten in den jeweiligen Glaubens- oder
Schriftlehren. Aber da ergeben sich in der Praxis schon die nächsten Schwierigkeiten,
sagt der Rabbi: "Die Person von Jesus hat viel damit zu tun. Ganz zentral ist sie
bei den Christen, bei den Juden spielt sie gar keine Rolle. Außer dass Jesus Jude
war. Das ist nicht immer selbstverständlich, dass man weiß, wie mit ihm umzugehen
ist.“
10 Jahre lang hatten Juden wie Christen auf dieses Treffen hingearbeitet.
Und auch in Zukunft wird der die Straße des Dialogs wohl nicht gerade auf der Überholspur
zu erreichen sein. Einerseits will gut Ding, also gerade auch eine theologische Diskussion,
Weile haben, andererseits haben die jüdischen Gemeinden weniger Personal, sind noch
immer im Wachsen, teilweise auch im Aufbau durch die Zuwanderer aus der ehemaligen
Sowjetunion. Und da müssen die Jüdischen Gemeinden oft selbst erst einmal die Grundlagen
ihrer Religion vermitteln.
Dialog mit der katholischen Kirche kann auf
Dauer nicht funktionieren, ohne den Papst einzubinden. Auch deswegen ist der Duisburger
Rabbiner Katz froh, dass ein Vatikanvertreter da ist. Der soll dem Papst von der Situation
in Deutschland berichten und ihn zu neuen Schritten anregen. "Das ist auch ein
wichtiger Unterschied, zwischen katholischen Christen und Juden: dass es einen Papst
gibt. Bei den Juden ist jeder Rabbiner autonom.“
Kardinal Kasper betonte:
"Wir brauchen einander und die Welt braucht uns. Die christlichen Kirchen hätten umgedacht,
sich auf ihre jüdischen Wurzeln besonnen und sie neu entdeckt. Dass der Chef-Ökumeniker
des Vatikans ein Deutscher ist, kommt dem Dialog dabei nur entgegen, meint Bischof
Müller: "Da wir ja gerade in Deutschland diese besondere Beziehung haben
von Juden und Deutschen. Im Dritten Reich waren die meisten Deutschen Christen, so
dass diese Dimension des Holocausts und der belasteten Geschichte in der christlich-jüdischen
Beziehung in Mitteleuropa natürlich auch zur Sprache kommt. Aber er hat eigens betont,
dass wir eben nicht nur die Vergangenheit aufarbeiten wollen, sondern dass wir die
Aufgabe haben, in die Zukunft hineinzugehen und zwar gemeinsam. Wir stehen doch auch
vor den großen Herausforderungen der Säkularisierung, die die theistischen Religionen
insgesamt betrifft. Hier wäre es ganz gut, wenn wir, so weit es möglich ist, an einem
Strang ziehen.“
Natürlich sprachen Christen und Juden in Berlin auch über
den Kontakt zum Islam. Doch ein Trialog zwischen den drei Schriftreligionen sei erst
einmal nicht geplant, betont Müller: "Christentum und Judentum stehen sich viel
näher, wenn man in der Einheit der Heilsgeschichte denkt, während im Islam das Gottes-
und Offenbarungsverständnis verschieden sind. Aber auch aufgrund der politischen und
gesellschaftlichen Hintergründe ist es nicht so einfach, diesen Dialog in einen Trialog
übergehen zu lassen. Wir haben als katholische bzw. evangelische Kirche einen Dialog
mit dem Islam oder einzelnen verschiedenen Gruppen. Auch die Juden haben bestimmte
Formen der Begegnungen mit islamischen Vertretern. Was das Spätere bringen wird, wissen
wir jetzt noch nicht, aber wir wollen jetzt erst einmal in diesem Dialog anfangen." Und
da ist Rabbiner Brand guter Dinge. Bislang hätte die Geschichte mehr getrennt als
der Glaube: "Ich hoffe, das klingt nicht banal: Ich würde sagen, weiter so!“ Angesichts
von Terror und Extremismus sollten Christen und Juden "Schulter an Schulter stehen“,
sagt Brand. Und an die Adresse des Kardinals aus Rom: "Ich habe das Gefühl, dass Sie
uns dieses Mal nicht allein lassen werden.“