Vatikan: "Orientierungen für eine Pastoral der Zigeuner". Volltext.
Päpstlicher Rat der Seelsorge für Migranten und Menschen unterwegs: "Orientierungen
für eine Pastoral der Zigeuner". Vatikan 2005.
VORSTELLUNG
Mit der
Apostolischen Konstitution Pastor Bonus1, übertrug Johannes Paul II. dem
Päpstlichen Rat der Seelsorge für die Migranten und Menschen unterwegs die Aufgabe,
“sich dafür einzusetzen, dass in den Ortskirchen eine angemessene und wirksame spirituelle
Betreuung angeboten wird, falls nötig auch mit zweckmäßigen Pastoralstrukturen und
zwar für die Flüchtlinge und Vertriebenen, für die Migranten, die Nomaden und für
die Zirkusleute". Die Kirche ist also der Ansicht, dass die Zigeuner eine spezifische
Seelsorge brauchen, die auf ihre Evangelisierung und menschliche Förderung hinzielt. Wenn
wir – was die Ausführung dieser Aufgabe betrifft, – nur die jüngste Vergangenheit
betrachten, wollen wir an den V. Weltkongress über Zigeuner-Seelsorge2
erinnern, der 2003 in Budapest stattgefunden hat und von unserem Dikasterium organisiert
worden war. Er war eine Gelegenheit, die theologischen und ekklesiologischen Aspekte
dieses Amtes zu erweitern und zu vertiefen. Nach diesem Kongress sind die Lineamenta
des hier vorgestellten Dokumentes durch die Hände von Fachleuten gegangen, einschließlich
auch einiger Zigeuner, Mitarbeiter in der Pastoral, Bischöfe und natürlich auch unserer
Mitglieder und Konsultoren haben sie durchgesehen. Zum Schluss haben auch die verschiedenen
Dikasterien der Römischen Kurie den Text lesen und ihre Bemerkungen machen können,
um so diese spezifische Pastoral in einen erweiterten Rahmen der universellen Aufgabe
der Kirche zu stellen. Schon seit dem Anfang der Aufgabe der Neuevangelisierung
war es klar, dass man diese Orientierungen brauchte. Doch nur jetzt ist die Zeit für
diese Veröffentlichung reif. Das Dokument wendet sich jedoch nicht nur an diejenigen
– Zigeuner und Nicht-Zigeuner -, die mit diesem spezifischen Gebiet befasst sind,
sondern auch an die ganze Kirche (vgl. Orientierungen 4). Obwohl das Dokument
sich auf die Zigeuner bezieht (Roma, Sinti, Manouches, Kalós, Zigeuner, Yéniches usw.),
ist es aber auch mutatis mutandis für andere Nomandengruppen gültig, die ähnliche
Lebenssituationen mit ihnen teilen. Jedenfalls ist das Nomadensein nicht die einzige
Charakteristik der Zigeuner, auch weil viele von ihnen permanent oder auch nur teilweise
sesshaft sind. Man muss bei ihnen in der Tat die ethnische Verschiedenheit, die Kultur
und die antiken Traditionen berücksichtigen. So können also die Hirten der Ortskirchen
der Nationen, in denen die Zigeuner leben, eine seelsorgerische Inspiration in diesen
Orientierungen finden und sie an die Umstände, die Erfordernisse und die Notwendigkeiten
jeder Gruppe anpassen (ebd. 5). Andererseits möchten
wir daran erinnern, dass es viele Zeichen einer positiven Entwicklung in der traditionellen
Lebens- und Denkart der Zigeuner gibt, wie der wachsende Wunsch, sich zu bilden, eine
Berufsausbildung zu erlangen, das größere soziale und politische Bewusstsein, was
sich in der Gründung von Vereinigungen und auch politischen Parteien ausdrückt, und
in einigen Ländern im Mitmachen in den örtlichen und nationalen Verwaltungen. Auch
die steigende Zahl der Frauen im sozialen und zivilen Leben, die größere Zahl der
Berufungen zum Ständigen Diakonat, zum Priester, zum religiösen Leben, usw., sind
Ausdruck dieser Wandlung. Hier ist es tröstend, an den Beitrag zur sozialen Förderung
und zur spezifischen Seelsorge zu denken, der in den letzten Jahrzehnten von der Katholischen
Kirche, besonders dank der Anregungen Pauls VI. und Johannes Pauls II. geleistet wurde.
Gewiss kann man von einem gemeinschaftlichen Stolz sprechen, der die Zigeuner erfüllte,
als sie am 4. Mai l997 der Seligsprechung von Ceferino Jiménez Malla3,
dem spanischen Märtyrer beiwohnen konnten, dem ersten Zigeuner in der Geschichte der
Kirche, der zur Ehre der Altäre erhoben wurde (ebd. 21). “Von der Geburt bis zum
Tod ist die Situation eines jeden Individuums die des homo viator“4 – das
bekräftigte der Diener Gottes Johannes Paul II. -, und es ist gleichsam - das anerkennen
wir – ein bildlicher Ausdruck der Lebensart der Zigeuner. Und trotzdem herrscht Gleichgültigkeit
und Widerstand ihnen gegenüber. Es geht von den gewöhnlichen Vorurteilen zu Zeichen
der Ablehnung, und bei denen, die davon Zeugen sind, entsteht meist keinerlei Reaktion
oder Zurechtweisung. Dies hat zu unbeschreiblichen Leiden geführt und war Anlass zu
Verfolgungen, besonders im vorigen Jahrhundert. Diese Situation sollte die Gewissen
aufrütteln und Solidarität für diese Bevölkerung wecken. Die Kirche anerkennt ihr
Recht auf eine eigene Identität, und sie setzt sich für eine größere Gerechtigkeit
ihnen gegenüber ein, indem sie selbst der Kultur und der gesunden Traditionen Achtung
entgegenbringt. Rechte und Pflichten sind jedoch eng miteinander verbunden, und so
haben auch die Zigeuner den anderen Völkern gegenüber Pflichten zu beachten. Diese
Orientierungen sind Ausdruck der Sorge der Kirche für die Zigeuner, die eine spezifische
Seelsorge brauchen, eine Seelsorge, die ihre Kultur achtet, die aber vom österlichen
Geheimnis des Todes und der Auferstehung durchdrungen sein muss. Das gilt im Übringen
für alle Kulturen. Die universelle Geschichte der Evangelisierung stellt klar heraus,
dass die Verbreitung der christlichen Botschaft immer mit einem Prozess der Läuterung
der Kulturen einherging, gleich einer notwenige Erhebung. Eine uneingeschränkte Verteidigung
aller Ausdrücke der Zigeuner-Kultur ohne die erforderliche Unterscheidung und die
entsprechende evangelische Beurteilung ist nicht von Hilfe. Läuterung aber heißt nicht
Unterhöhlung, sondern eine gewisse Integration mit der umgebenden Kultur: es geht
hier um einen interkulturellen Prozess (ebd. 39). So führt also die Versöhnung und
die Vereinigung zwischen Zigeunern und Nicht-Zigeunern zu einer legitimen kulturellen
Wechselbeziehung. Erziehung, Berufsausbildung, persönliche Initiativen und Verantwortung
sind außerdem unentbehrliche Faktoren einer echten Lebensqualität für die Zigeuner,
und Elemente einer menschlichen Reife und Förderung. In den Zigeunergemeinden müsste
ebenfalls die rechtliche Gleichstellung von Mann und Frau gefördert, und jede Form
der Diskriminierung abgeschafft werden; das verlangt weiter die Achtung der Würde
der Frau, die Erhebung der weiblichen Kultur und die soziale Förderung, ohne dem starken
Familiensinn unter den Zigeunern Abbruch zu tun (ebd. 41). Deshalb ist jeder Versuch
der Assimilation ihrer Kultur, oder ihrer Auflösung in der Mehrheitskultur zu verwerfen
(ebd. 53). In diesem Zusammenhang macht das Dokument darauf aufmerksam, dass wenn
die Inangriffnahme von Plänen zur menschlichen Förderung in erster Linie der Verantwortung
des Staates obliegen, es doch zweckmäßig oder sogar notwendig sein könnte, die Kirche
in diese konkreten Initiativen einzubinden, und den Zigeunern als Protagonisten Raum
zu geben. Es kommt hingegen der grundlegenden Mission der Kirche zu, die öffentlichen
Instanzen über die Situation der Entbehrungen dieser Bevölkerung zu informieren, indem
man sich vor Augen hält, dass “die Entwicklung eines Volkes weder vom Geld noch von
materieller Hilfe oder technischen Strukturen abhängt, sondern von der Bewusstseinsbildung,
der Reife seiner Mentalität und seiner Sitten. Der Mensch ist die Hauptperson der
Entwicklung, nicht Geld oder Technik“5 (ebd. 56) Auf die Evangelisierung
der Zigeuner zurückkommend, so erscheint sie in den Orientierungen als Mission der
ganzen Kirche, denn kein Christ dürfte angesichts der Situation der Ausgrenzung innerhalb
der kirchlichen Gemeinschaft gleichgültig bleiben. Die Zigeunerseelsorge erfordert
eben wegen ihrer Besonderheit eine gründliche und aufmerksame Ausbildung derjenigen,
die in direkter Weise damit befasst sind, während die christliche Gemeinde ein Verhalten
der Aufnahmebereitschaft zeigen muss (ebd. 57). Diese Verbindung von Besonderheit
und Universalität zeigt sich als grundlegend. Das Wort Gottes wird leichter aufgenommen,
wenn Personen es verkünden, die ihrer täglichen Lebenssituation Solidarität gezeigt
haben. Es ist wichtig, dass die Katechese einen Dialog vorsieht, der es den Zigeunern
ermöglicht, darzulegen, wie sie ihr Verhältnis mit Gott empfinden und leben. Deshalb
sollten liturgische Texte, Gebetbücher und die Bibel in die Sprache übersetzt werden,
die von den verschiedenen ethnischen Volksgruppen in den einzelnen Regionen benutzt
wird. Ähnlich kann auch die Musik – die von den Zigeunern geschätzt und ausgeführt
wird – ein äußerst wertvoller Beitrag für die Seelsorge sein, die also gefördert und
in den Treffen wie in den liturgischen Feiern entwickelt werden sollte. Dasselbe gilt
auch für die audiovisuellen Mittel der modernen Technik (ebd. 60 und 61). Aus
den Orientierungen geht auch hervor, dass die Wallfahrten einen besonders wichtigen
Platz einnehmen im Leben der Zigeuner, denn sie sind eine vorzügliche Gelegenheit
für Familientreffen. Oft sind die “Heiligen Stätten“, Ziel der Wallfahrten, eng mit
der Geschichte der Familie verbunden. So wird ein Ereignis, ein Gelübde, ein Weg
des Gebetes gelebt, wie eine Begegnung mit dem “Gott des (ihres) Heiligen“, wodurch
auch die Treue der Gruppe gefestigt wird. Die Wallfahrten bieten darüber hinaus dem
Teilnehmenden eine Erfahrung der Katholizität, die von dem “Heiligen“ zu Christus
und zur Kirche führt (ebd. 70). Bedenkt man endlich auch die Gefahr – was leider
durch bedauerliche Begebenheiten bestätigt wird – dass die Zigeuner Opfer der Sekten
werden, so gibt das Dokument der Überzeugung Ausdruck, dass die neuen kirchlichen
Bewegungen eine besondere Rolle in dieser spezifischen Pastoral übernehmen könnten.
Mit ihrem ausgeprägter Gemeinschaftssinn und ihrer Offenheit, ihrer Bereitschaft und
der besonderen Herzlichkeit ihrer Mitglieder könnten sie in der Tat konkrete Aufnahme
bieten und auch die Evangelisierung fördern. In diesem Sinn können die katholischen
Zigeuner-Vereinigungen – die nationalen wie auch die internationalen – eine besondere
Rolle übernehmen, jedoch unter Wahrung eines konstanten Kontaktes und enger Verbindung
mit den Ortsgeistlichen und dem Päpstlichen Rat der Seelsorge für die Migranten und
Menschen unterwegs (ebd. 77 und 78). Mögen diese Orientierungen den Erwartungen
all derer entsprechen, die die Herausgabe eines Dokumentes wünschten für eine Gesamt-Pastoral
hinsichtlich des Auftrags zum Wohle unserer Nomanden-Brüder und –Schwestern.
Stephen
Fumio Kardinal Hamao Präsident + Agostino Marchetto Titular-Erzbischof
von Astigi Sekretär
VORWORT
Die Mission, mit der Christus die
Kirche beauftragt hat, richtet sich an „alle Menschen und Völker“, „um sie durch das
Zeugnis des Lebens, die Verkündigung, die Sakramente und die übrigen Mitteilungsweisen
der Gnade zum Glauben, zur Freiheit und zum Frieden Christi zu führen“ (AG). Diese
Universalität der Mission drängt die Kirche dazu, auch die geographisch am weitesten
entfernt liegenden Völker zu erreichen und sich auch um jene zu kümmern, die, obwohl
sie in Ländern mit alter christlicher Tradition leben, das Evangelium noch nicht angenommen
oder nur teilweise empfangen haben oder die jedenfalls noch nicht vollständig Teil
der kirchlichen Gemeinschaft geworden sind.
Hierzu gehört
sicher auch ein großer Teil des Zigeunervolkes, das seit Jahrhunderten in traditionell
christlichem Gebiet lebt, aber oft ausgegrenzt ist. Gezeichnet vom Leiden, von Diskriminierung
und häufig auch von Verfolgung, sind sie jedoch nicht von Gott verlassen worden, der
„will, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen“
(1 Tim 2,4). Die göttliche Vorsehung hat in der Tat besonders in den letzten Jahrzehnten
ein wachsendes Interesse an dieser Bevölkerung geweckt und sie hat die Herzen und
den Geist vieler Menschen, die in der Seelsorge tätig sind, bewegt, die sich somit
großzügig ihrer Evangelisierung gewidmet haben, allerdings nicht ohne dadurch ihrerseits
auf relatives Unverständnis zu stoßen.
Diese Aufmerksamkeit hat sich
nach und nach in den Gebieten, die von den Zigeunern bewohnt werden, weiter ausgebreitet
und in zunehmendem Maße die Hirten der Teilkirchen einbezogen und in der Folge auf
nationaler Ebene und innerhalb der Bistümer organisiert. Viele internationale Kongresse
sind einberufen worden, um sich mit der Pastoral zum Wohle der Zigeuner zu befassen
und sie zu fördern, während ihnen auch in zivilem Bereich eine verstärkte Aufmerksamkeit
zugewandt wurde. So hat sich eine seelsorgerische Situation ergeben, die zweifelsohne
eingebunden ist in den missionarischen Eifer der Kirchen, und der sie, angespornt
von Gottes Geist, eine entscheidende Wendung geben möchte, indem sie sich dafür einsetzt,
sie aufrichtig zu unterstützen, zu fördern und ihr die materiellen, personellen und
geistlichen Mittel zu geben, die erforderlich sind.
Aus der praktizierten
pastoralen Aktion und aus dem Austausch von Erfahrungen und Ideen, hat sich schließlich
eine Gesamtheit von Haltungen und zu erreichenden Zielen, von Schwierigkeiten, die
es zu überwinden gilt und von Mitteln, die erforderlich sind, herausgeschält, die
zusammen ein instrumentum laboris ergeben, das der Päpstliche Rat der Seelsorge für
die Migranten und die Menschen unterwegs redigiert hat. Zu diesem Arbeitsinstrument
sind Meinungen und Beiträge vonseiten verschiedener Personen, die in der Seelsorge
und für die Evangelisierung des Zigeunervolkes tätig sind, erbeten worden, die den
Text entschieden bereichert und auch verändert haben. Nach einer letzten langen Sondierung
haben wir die endgültige Fassung in Angriff genommen, wobei wir auch den kirchlichen
Instanzen, die nicht unmittelbar beteiligt sind, Rechnung getragen haben, um so die
Seelsorge für die Zigeuner in einem möglichst weit gefassten Rahmen innerhalb der
universellen Mission der Kirche in angemessener Weise einzuordnen.
Mit der Veröffentlichung dieses Dokuments möchten wir also ohne jede Zurückhaltung
den Einsatz der Kirche zugunsten dieses Volkes bestätigen. Es werden dabei auch neue
Wege vorgeschlagen, die im Schoße der nationalen Gesellschaften und ihrer Teilkirchen
zu entwickeln sind, um unsere Gemeinden diesen Brüdern zu öffnen. Das vorliegende
Dokument markiert daher einen wichtigen Punkt in der Geschichte dieser Evangelisierung
und der menschlichen Förderung zugunsten der Zigeuner, nach ihrer Begegnung mit Papst
Paul VI. in Pomezia.6
Es wendet sich also nicht nur an die
Seelsorger und die in einer spezifischen Pastoral Tätigen, sondern zugleich an die
ganze christliche Gemeinschaft – die in diesem Zusammenhang nicht gleichgültig bleiben
darf – sowie an die Zigeuner selbst. Da der Weg der vollen Gemeinschaft zwischen Zigeunern
und Nichtzigeunern eben erst begonnen hat oder sogar in vielen Ländern erst noch eingeschlagen
werden muss, ist von allen eine große Umkehr in den Herzen und im Geiste, aber auch
in den Einstellungen erforderlich: dieses ist der wichtigste Antrieb zur einer solchen
Gemeinschaft, im Bewußtsein, dass an der Wurzel jeder Situation, in der Zurückweisung
und Ungerechtigkeit zum Tragen kommen, die schmerzhafte Realität der Sünde zu finden
ist.
Eingedenk der Tatsache, dass das Volk der Zigeuner zutiefst
gezeichnet ist durch die Andersartigkeit, ist es Aufgabe der Ortskirchen, die Kriterien,
Hinweise und Vorschläge, die hier erwähnt werden, der konkreten Situation in dem jeweiligen
Ort und zu dem jeweiligen Zeitpunkt anzupassen. Auf der Erkenntnisebene muss man sodann
mit großer Vorsicht vorgehen, um nicht eine Realität zu uniformieren, die ihrem Charakter
nach sehr mannigfach ist. Auch wenn wir in diesem Dokument vom Volk der Zigeuner sprechen,
so meinen wir immer die Völker der Zigeuner, die sich aus verschiedenen ethnischen
Gruppen zusammensetzen. Konsequenterweise müsste man also gewohnheitsmäßig den Plural
benutzen, wenn man von der Sprache, der Tradition und den anderen Elementen spricht,
die die Identität der Zigeuner ausmachen, aber das ist nicht möglich und könnte am
Ende sogar vereinfachend wirken, denn es gibt in der Tat auch allen gemeinsame Elemente,
die zusammen eine besondere Wesensart (Weltanschauung) schaffen und die Grundlage
dieser Identität bilden.
Um diese Völker in ihrer Gesamtheit hier zu
bezeichnen, werden wir jedoch den Ausdruck „Zigeuner“ verwenden, der es erlaubt, von
der Gesamtheit unserer reisenden oder sesshaften Brüder unter Respekt auf ihre Person
und ihre Kultur zu sprechen. Nur darf man dabei nicht vergessen, dass die zugrunde
liegende konkrete Wirklichkeit kein homogenes Ganzes bildet, sondern verschiedene
Gruppen oder Ethnien, wie Roma, Sinti, Manouches, Kalós, Zigeuner, Yéniches, usw.
zusammenfasst. Viele von ihnen ziehen es tatsächlich vor, mit dem Namen ihrer Volksgruppe
bezeichnet zu werden. Mit dem Wort „gağé“ (Singular gağó) bezeichnet man hingegen
diejenigen, die nicht zu ihnen gehören. Deshalb benutzen auch wir hier dieses Wort
ohne jegliche Diskriminierung.
6. Man muss schließlich auch darauf hinweisen,
dass in einigen Ländern zahlreiche Nomaden leben, deren Herkunft auf umherziehende
Hirten-, Fischer und Jägergruppen und andere (zum Beispiel auch die "Travellers")
zurückgeht, weshalb ihre Lebensweise und ihre anthropologischen Eigenschaften sich
von denen der Zigeunervölker im eigentlichen Sinn unterscheiden. Doch die Ortskirchen
der Länder, in denen es Nomaden gibt, können sich trotzdem von den vorliegenden Orientierungen
für die Seelsorge inspirieren lassen, die selbstverständlich den Umständen, Notwendigkeiten
und Bedürfnissen der einzelnen Nomadengruppen angepasst werden müssen.
I.
KAPITEL NICHT SO GUT BEKANNTE VÖLKER, OFT AUSGEGRENZT
Ein langer Weg
Die Zigeuner sind ein „Volk in Bewegung“, deren Weltanschauung ihren Ursprung
in der Nomadenkultur hat. Aus einer Situation der Sesshaftigkeit heraus ist diese
Art, die Welt zu betrachten, in ihren Grundlagen schwer zu begreifen ist. Die Welt
der Zigeuner bewegt sich in großen Zügen noch immer entlang der mündlichen Tradition;
ihre Kultur ist nicht schriftlich überliefert und es gibt keine Erinnerungen an ihrer
Wanderungen. Die Gefahr besteht, dass man sie zu der klassischen Kategorie der Migranten
zählt, zu denen sie jedoch nicht gehören. Die Zeugnisse über ihre Herkunft und ihre
Wanderungen kommen von außerhalb und sind fragmentarisch, und nur in jüngster Zeit
sind die Zigeuner Objekt von Studien geworden. Ihre weit in die Geschichte zurückreichende
Abneigung gegen Volkszählungen – die so oft das Vorspiel von Deportationen waren –
und die dagegen systematische Feststellung, dass auch die sesshaft gewordenen Zigeuner
in der Regel in ihrer Eigenschaft als Zigeuner von den Volkszählungen ausgeschlossen
sind, machen es schwierig, Angaben zu ihrer Anzahl und ihrer geographischen Verteilung
zu machen.
Man kann außerdem feststellen, dass die Zigeunerbevölkerung,
dank der großen Familien, ständig zunimmt, auch wenn es eine gewisse Tendenz dazu
gibt, dass die Zahl der eigentlichen Mitglieder abnimmt.
Die Gemeinschaften
werden zudem durch die Tatsache gekennzeichnet, dass sie sich in heruntergekommenen
Stadtteilen niederlassen oder auf unbebauten Grundstücken, in den bidonvilles oder
an Stellplätzen, die nicht ausgestattet sind, oder in Zonen am Rand der Städte und
Dörfer der gağé. Familien, die über mehr finanzielle Mittel verfügen lassen sich auf
gekauftem Grund nieder, wo sie mit ihren Wohnwagen „ihre Zelte“ aufschlagen. Dann
sind da noch die sesshaft gewordenen, die sich mit ihrer besseren Bildung und einem
Schulabschluss gut in die Gesellschaft eingliedern können. Heutzutage beobachten
wir außerdem eine neue Form der Migration, die der Zigeuner, die aus den ärmeren Ländern
Mitteleuropas und des Balkans in die industrialisierteren Länder kommen. Dort stoßen
sie auf eine ablehnende Haltung von Seiten der Einwohner, Verwirrung bei den öffentlichen
Behörden und eine zurückhaltende Aufnahme oder gar Zurückweisung auch vonseiten der
westlichen Zigeunerbrüder. Jedoch gibt es heute mehr Bereitschaft zur Aufnahme als
in der Vergangenheit und eine größere soziale Sensibilität seitens der öffentlichen
Behörden.
Die Ablehnung: Gegensätze von Kulturen
9. Die Prädisposition
zur Wanderschaft betrifft die Gesamtheit dieser Bevölkerung und sie besteht als Mentalität
auch bei jenen weiter, die schon seit geraumer Zeit sesshaft geworden sind. Letztere
machen tatsächlich den größeren Teil aus. Diese Lebensweise, die von Natur her legitim
ist, ist jedoch auf zum Teil heftige Zurückweisung der Gesellschaft gestoßen. Dies
gilt auch heute noch und in vielen Ländern äußert sich das in einem nachhaltigen Unverständnis,
das durch die mangelnde Kenntnis ihrer Eigenarten und ihrer Geschichte noch vertieft
wird. Obwohl sie die Staatsangehörigkeit jener Länder haben, in denen sie sich
niedergelassen haben, werden sie in Wirklichkeit oft als Bürger zweiter Klasse betrachtet
und behandelt. Die Klischees, mit denen sie klassifiziert werden, werden als offensichtliche
Wahrheiten angenommen und diese andauernde Unkenntnis oder Unwissenheit nährt eine
latente und gefährliche Zurückweisung, so behindern und verfälschen sie den nötigen
Dialog der nationalen Ethnien. 10. Da sie als schädliche Fremde und unersättliche
Bettler betrachtet werden, hat die öffentliche Meinung häufig ein Verbot des Nomadentums
und seine Abschaffung gefordert. Im Laufe der Geschichte hat dies bei den Regierenden
zu Konsequenzen, nämlich zu Verfolgungen geführt, die dann fast als hygienische Maßnahme
gerechtfertigt wurden. Die Geschichte dieser Bevölkerungen wird so in trauriger Weise
immer wieder unterteilt durch Momente, in denen körperliche Bestrafung, Zuchthaus
und Kerker, Deportation, erzwungene Sesshaftmachung, Sklaverei und andere Maßnahmen
geeignet schienen, sie schließlich zu vernichten.
11. Die Verfolgung der
Zigeuner geschahen darüber hinaus zu einem großen Teil zeitgleich zu der Entstehung
der großen Nationalstaaten. Das 20. Jahrhundert brachte dann zudem die Rassenverfolgungen,
deren Opfer die Zigeuner zusammen mit den Juden wurden. Ihre Deportation in Konzentrationslager,
die physische Vernichtung von Tausenden und aber Tausenden hat im Allgemeinen nur
isoliert Protest hervorgerufen. In jüngerer Vergangenheit hat auch die politische
Instabilität in vielen Ländern schwer auf den Zigeunern gelastet. Beweis hierfür ist
der Balkankrieg, der unter dramatischen Bedingungen gezeigt hat, dass diese Bevölkerung
nach wie vor von einem großen Teil der Mitbürger abgelehnt wird. In verschiedenen
Nationen wurden auch physische Gewalttätigkeiten ihnen gegenüber verübt, die von Neuem,
ein tragischer Teufelskreis, Unverständnis und Gewalt hervorbringen.
Eine besondere
Mentalität
12. Die Identität der Zigeuner ist nicht leicht zu durchschauen,
zweifelsohne, weil sie dynamisch und zugleich fließend ist und weil sie in den gestörten
Beziehungen zwischen den Zigeunern und den gağé sichtbar wird. Man kann nicht einmal
mit Sicherheit auf ein präzises und klar erkennbares Territorium ihrer Vorfahren zurückgreifen,
weder gestern noch heute, wo dieses Volk seine Wurzeln hat. Es gibt nicht einmal eine
allgemein gültige und relativ uniforme ethnische Einheit, von der aus man auf die
Ursprünge dieser Bevölkerung schließen könnte. Doch es ist trotzdem korrekt, festzustellen,
dass es eine Reihe von Elementen gibt, die insgesamt betrachtet in gewisser Weise
eine charakteristische Wesensart ausmachen, die vielleicht nicht in Regeln zu fassen
und auch nicht klar zu umreißen ist, die stattdessen vielleicht eher als Mentalität
und grundlegende Einstellung begriffen werden muss. Man kann festhalten, dass
sie sich in erster Linie in einer Tendenz zum Wandern und zum Unterwegssein ausdrückt,
die der gağó, auch wenn er Migrant ist, nicht besitzt. Der gağó wird vorübergehend
seine Heimat verlassen, wenn er an einem anderen Ort, den er für günstiger hält, die
Grundlagen für seine Existenz schaffen will. Im Allgemeinen hat er aber keine Neigung,
diese Erfahrung der Entwurzelung und der Wanderung zu wiederholen. Der Zigeuner dagegen
ist in seinem Innersten stets bereit zu reisen.
13. Dies trifft nach wie
vor zu, auch wenn – wie bereits angedeutet – die Zigeuner heute zu einem großen Teil
sesshaft oder halb sesshaft sind. Diese neuen Lebensformen haben bei den Zigeunern
keinen Einfluss darauf, dass sie sich selbst auch weiter als unterschiedlich von den
gağé wahrnehmen. Ihre Furcht, von ihnen absorbiert zu werden, davor, sich von der
eigenen Identität zu lösen, bestärkt ihren Widerstand gegen eine Assimilierung, aber
in einem gewissen Sinne auch ihren Widerstand gegen eine Integration. Die lange
Geschichte ihrer Isolation und des Zusammenstoßes mit der sie umgebenden Kultur, die
erlittenen Verfolgungen und das dauernde Unverständnis von Seiten der gağé haben Spuren
in der Identität der Zigeuner hinterlassen, die sich in Misstrauen gegenüber den Andern
ausdrücken sowie einer Neigung dazu, sich in sich selbst zu verschließen, in dem Bewusstsein,
dass sie nur auf ihre eigene Kraft zählen können, wollen sie inmitten einer feindlichen
Gesellschaft überleben.
Im Mittelpunkt des Lebens steht für
das Zigeunervolk in jedem Falle die Familie. Zigeuner sein bedeutet, in bestimmender
Weise in der Familie verwurzelt zu sein, wo das kollektive Bewusstsein und die kollektive
Erinnerung jeden Einzelnen formen und den jungen Menschen erziehen kann, auch wenn
er mitten in der Welt der gağé lebt, einer Welt die ihn umgibt und doch zugleich auf
Abstand hält. Die Alten der Familie sind daher hoch angesehen und werden verehrt,
denn sie verfügen über die Kenntnisse des Lebens. Die Verstorbenen der Familie bleiben
noch lange in Erinnerung und in gewisser Weise bleibt ihre Anwesenheit immer lebendig.
Bei den Zigeunern wird zudem die „erweiterte Familie“ verehrt, die sich aus einem
Netzwerk aus verschiedenen, miteinander verwandten Familien zusammensetzt, was zu
einer Einstellung großer Solidarität und der Gastfreundschaft führt, insbesondere
gegenüber den Mitgliedern der eigenen Volksgruppe.
Der Wille frei
zu sein und frei zu bleiben, über Raum und Zeit zu verfügen, um sich selbst in der
eigenen Familie und der eigenen Volksgruppe zu realisieren, ist darum in der Mentalität
der Zigeuner tief verwurzelt. Der Wunsch nach Freiheit und ihr hoher Stellenwert
als grundlegende Voraussetzung der Existenz, können in der Tat als ein Mittelpunkt
in ihrer Weltanschauung betrachtet werden.
15. Die Religiosität ist ebenfalls
von großer Bedeutung für die Identität dieser Völker. Ihre Beziehung zu Gott wird
als selbstverständlich betrachtet und äußert sich in einer gefühlsbetonten und unmittelbaren
Beziehung zum Allmächtigen, der für das Familienleben sorgt und es schützt, insbesondere
in den schmerzvollen und beunruhigenden Momenten des Lebens. Diese Religiosität wird
gewohnheitsmäßig mit eingebracht in die meist verbreitetste Religion oder Konfession
des Landes, in dem die Zigeuner leben, sei dies nun die lutherische, die reformierte,
die katholische, die orthodoxe, die moslemische oder eine andere Religion, oft ohne
allzu sehr nach den Unterschieden zwischen ihnen zu fragen.
Eine große Veränderung
16. Im
Laufe des 20. Jahrhunderts hat sich die Tendenz zur Sesshaftwerdung noch verstärkt
und in vielen Gegenden hat dies den Schulbesuch der Kinder erleichtert und erreicht,
dass der Teil der Zigeunerbevölkerung, die lesen und schreiben kann, steigt. Dies
hatte auch einen verstärkten Kontakt mit der Welt der gağé zur Folge, der dazu beitrug,
dass die Zigeuner sich in zunehmendem Maße auch die neuen technischen Mittel unserer
zeitgenössischen Gesellschaft aneigneten. Denken wir nur an den Motortransport, das
Fernsehen, sogar die telematische Kommunikation, die Informatik usw. Das paradoxe
Ergebnis bestand darin, dass der Übergang vom traditionellen Wagen zu einem vom Automobil
gezogenen Wohnwagen das Phänomen der Halbsesshaftigkeit verstärkt hat. Das Auto bietet
die Möglichkeit, lange Strecken ungehindert auch im Laufe eines einzigen Tages zurückzulegen,
ohne dass Frau und Kinder dem Familienoberhaupt oder den Männern, die ihrer Berufstätigkeit
nachgehen, notwendigerweise folgen müssen. Für die Kinder, die aus Familien stammen,
wo die Eltern die Entwicklung der Welt verstanden haben, weil sie selbst darunter
gelitten haben, als Analphabeten unterlegen zu sein, bietet ein längerer Aufenthalt
den Kindern außerdem die Möglichkeit, regelmäßig die Schule zu besuchen. In einigen
Ländern erlebt man nun eine recht weitgehende Eingliederung der Zigeuner in Tätigkeitsbereichen,
die bislang nur den gağé vorbehalten waren, insbesondere auf künstlerischem Gebiet.
Außerdem sind sogar Eheschließungen zwischen Zigeunern und gağé häufiger geworden
und auch auf dem Gebiet der Frauenförderung kann man wichtige Veränderungen feststellen,
auch wenn noch viel zu tun bleibt auf dem Weg zu einer der Würde des Mannes entsprechenden
Würde der Frau.
Trotz der Spannungen, die manchmal zwischen
den verschiedenen Gruppen zu beobachten sind, und obwohl sie nicht daran gewöhnt sind,
ihre eigenen Kräfte zu mobilisieren und zu vereinen, um ein Ziel schließlich mit Ausdauer
und Zielstrebigkeit zu erreichen, so haben die Zigeuner doch in einigen Ländern Vereinigungen
gegründet im Hinblick auf kollektive Verhandlungen zu ihren Gunsten. Nicht selten
sieht man auch, dass ihre Freunde unter den gağé, ihnen ihre Fähigkeiten zur Verfügung
stellen, damit sie ihre Stimme hören lassen und ihre Zukunft selbst in die Hand nehmen
können. Diese Vereinigungen reagieren immer gağé erfolgreicher auf die Gesetzgebungen,
die ihre Bewegungsfreiheit einschränken oder die ihre Identität ignorieren und so
ihre legitimen Rechte beschneiden. Einen solchen Zusammenschluss zu Vereinigungen
findet man natürlich nicht überall in gleicher Stärke, aber die Bewegung ist vorhanden,
sie nimmt zu und verlangt nach Unterstützung.
18. Doch ist diese
Entwicklung noch in einem Anfangsstadium und sie ist von Land zu Land sehr unterschiedlich,
das heißt die allgemeine Situation der Zigeuner, die von Jahrhunderten der Isolierung
gekennzeichnet ist, ist verglichen mit den großen Veränderungen der Gesellschaft der
gağé im letzten Jahrhundert noch erheblich im Rückstand. Dies bringt schwerwiegende
Konsequenzen im wirtschaftlichen Bereich und auf dem Gebiet der Arbeit mit sich. So
bot in der Vergangenheit eine vorwiegend landwirtschaftlich geprägte Gesellschaft
den Zigeunern dank ihrer Tätigkeit im Bereich der Pferdezucht, der Metallbearbeitung,
des Kleinhandwerks, der Musik und des reisenden Schauspiels die Möglichkeit einer
gewissen Art der Symbiose zwischen der Zigeuner-Gesellschaft und der Gesellschaft
der gağé. Heute dagegen lässt die technisch-industrielle Verwandlung der Gastgesellschaft
ihnen wenig Raum und sie sind gezwungen, ihre traditionellen Berufe, die längst überflüssig
geworden sind, aufzugeben und sie müssen sich die Mittel zu ihrem Unterhalt mit Tätigkeiten
verdienen, die nicht viel einbringen und am Rande oder wohl auch jenseits der Legalität
liegen.
19. Auch sollte der Einfluss in Richtung einer zunehmenden Verweltlichung,
der von der Gesellschaft der gağé ausgehend auch in der Zigeuner-Gesellschaft immer
stärker wird, nicht unterschätzt werden. Die traditionelle Religiosität befindet
sich zunehmend unter dem starken Druck einer Kultur, die Gott den Rücken zuwendet
oder ihn leugnet, und wenn sie in der christlichen Gemeinschaft keine Aufnahme findet,
wird die Zigeunerbevölkerung leicht eine Beute der Sekten oder der sogenannten „neuen
religiösen Bewegungen“. Dies bedeutet einen weiteren, dringenden Appell, unsere Arme
einem Volk zu öffnen, dass trotz allem den Wunsch in sich trägt, Gott zu begegnen. Darüber
hinaus stellt die heutige Vergötterung des Wohlstands vorwiegend unter den gağé sicher
nicht gerade einen Anreiz dazu dar, die eigene Bequemlichkeit aufzugeben, um diesen
unseren Brüdern entgegen zu gehen, die sich erst noch aus ihrer Armut und ihrer Isolierung
befreien müssen, um einen Platz in unserer modernen Gesellschaft zu finden.
Eine
Realität, die anfragt
20. All dies macht die Gleichgültigkeit oder die Opposition
gegenüber den Zigeunern besonders schmerzhaft. Nur allmählich und sehr langsam haben
sich einige Gemeinden, viel zu wenige noch, geöffnet und sie aufgenommen, zu wenige,
als dass die Zigeuner das mütterliche und brüderliche Gesicht der Kirche entdecken
könnten. Die Zeichen der Zurückweisung bestehen also nach wie vor und sie leben fort,
im Allgemeinen ohne bei denen, die davon Zeuge werden, Protestreaktionen hervorzurufen.
Stattdessen sollte diese Situation das Gewissen der Katholiken wachrütteln und Gefühle
der Solidarität diesem Volk gegenüber wecken. Die Kirche fühlt sich deswegen dazu
berufen, die Rolle der Zigeuner im Laufe der Geschichte anzuerkennen und sich den
Fragen dieser Kultur zu stellen. Sie muss ihr Recht anerkennen, „zusammen leben zu
wollen“, und so eine Mobilisierung für größere Gerechtigkeit ihnen gegenüber im gegenseitigen
Respekt der Kulturen in Gang bringen und unterstützen, wobei sie auf die Erwartungen
dieses Volkes, dass auf der Suche nach dem Herrn ist, antwortet, indem sie seine Schritte
auf die Spuren Christi lenkt.
II. KAPITEL DIE SORGE DER KIRCHE
21. Man
darf jedoch nicht vergessen, dass seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts es seitens
der Seelsorger eine zunehmende Annäherung an die Zigeuner gegeben hat, wobei in einigen
Ländern eine systematische Pastoral für dieses Volk entwickelt wurde. Das Zweite Vatikanische
Konzil hat darüber hinaus die Bischöfe aufgerufen „ihre Sorge besonders jenen Gläubigen
zu widmen, die wegen ihrer besonderen Lebensbedingungen aus der allgemeinen ordentlichen
Hirtensorge der Pfarrer nicht hinreichend Nutzen ziehen können oder sie vollständig
entbehren.“ Und unter diesen Gläubigen werden auch „die Nomaden“ genannt (CD 18).
Ein derartiges besonderes Interesse wurde von Papst Paul VI. bekräftigt, als er sich
anlässlich des berühmten, bereits erwähnten Treffens in Pomezia an die Zigeuner wandte
und bestätigte: „Ihr seid im Herzen der Kirche!“ Die christliche Würde unter ihren
Lebensbedingungen hat dann eine besondere Anerkennung gefunden durch die Seligsprechung
von Ceferino Jiménez Malla, (1861-1936), "El Pelé“ genannt, einem spanischen Zigeuner,
der zur Nomadengruppe der Kaló gehört. Der Weg der Evangelisierung, einer wahren
Versöhnung und einer Gemeinschaft zwischen Zigeunern und gağé kann jedoch nur von
der Betrachtung der Bibel ausgehen, in deren Lichte auch die Welt der Zigeuner ein
eigenes christliches Verständnis findet. Von unserer Seite ist an diesem Punkt daher
eine aufmerksame Lektüre der Heiligen Schrift erforderlich, damit sie uns zu einer
rechten Einordnung der Pastoral der Zigeuner im Rahmen der Mission der Kirche führt.
Der
Bund Gottes und das Unterwegssein der Menschen
Die Figur des
Hirten und seines Lebens in fast ständigem Unterwegssein, findet einen vorzüglichen
Platz in der biblischen Offenbarung. An den Ursprüngen des Volkes Israel zeichnet
sich die Figur Abrahams ab, und er erhält dies als ersten Hinweis Gottes: „Zieh weg
aus deinem Land, von deiner Verwandtschaft und aus deinem Vaterhaus in das Land, das
ich dir zeigen werde...“ (Gen 11,2). Und Abraham „zog weg, ohne zu wissen, wohin er
kommen würde“ (Hebr 11,8) und von da an war sein Leben gezeichnet von einem ständigen
Ortswechsel „von einem Lagerplatz zum andern“ (Gen 13,3), er „wohnte ... in Zelten“
(Hebr 11,9), als Fremder (vgl. Gen 17,8), und war sich bewusst, dass auch seine unmittelbaren
Nachkommen „als Fremde in einem Land leben“ würden, „das ihnen nicht gehört“ (Gen
15,13). In der Bestätigung des Bundes Gottes mit Abraham findet sich das Bild des
Menschen unterwegs als besondere Auszeichnung für die menschliche Gegenseite: „Geh
deinen Weg vor mir, und sei rechtschaffen!“ (Gen 17,1).
23. Das
auserwählte Volk wurde später der Führung Moses’ anvertraut, der sich weigerte „als
er herangewachsen war, Sohn einer Tochter des Pharaos genannt zu werden; lieber wollte
er sich zusammen mit dem Volk Gottes misshandeln lassen, als flüchtigen Genuss von
der Sünde zu haben“ (Hebr 11,24-25). Moses bekam vom Herrn den Auftrag, die Israeliten
aus der Sklaverei Ägyptens zu befreien, um sie in das verheißene Land zu führen und
dies geschah in einem langen Wandern, während dem sie „umherirrten in der Wüste, im
Ödland und den Weg zur wohnlichen Stadt nicht fanden“ (Ps 107,4). Vor diesem Hintergrund
des Wanderns kommt die Bestätigung des Bundes Gottes mit seinem Volk auf dem Berg
Sinai. Er wird von nun an dargestellt durch die Lade, die die Symbole des Bundes enthält,
die Bundeslade, die mit dem Volk bewegt und es auf seinem Weg in das Verheißene Land
begleitet. Unter diesen Bedingungen finden die Israeliten in jedem Fall, auch wenn
Hunger und Durst sie befallen, auch wenn Feindschaft und Zurückweisung vonseiten der
sie umgebenden Völker sie treffen, den Schutz Gottes und sie werden sein auserwähltes
Volk sein. Daran wird man sich immer erinnern und in den Psalmen wird es mit den Worten
besungen: „Gott, als du deinem Volk voranzogst, als du die Wüste durchschrittest,
da bebte die Erde, da ergossen sich die Himmel vor Gott, vor Gott, dem Herrn vom Sinai,
vor Israels Gott“ (Ps 68,8-9). Die Sehnsucht nach jener Zeit, die die Seele Israels
geprägt hat wird für immer in der Folgezeit in lebendiger Erinnerung behalten und
an sie wird in den Pilgerfahrten erinnert, die die Juden in jene Stadt machen sollten,
in deren Tempel die Bundeslade aufbewahrt wurde.
24. Die Wanderung ist zudem
ein Wesenszug in der Einstellung aller Menschen in ihrer Beziehung zu Gott. Den Psalmen
zufolge ist der Mensch „ohne Tadel“, der „seine Vorschriften befolgt“, der „auf seinen
Wegen geht“ (Ps 119,1-3), „im Haus meiner Pilgerschaft“ (Ps 119,54): „Der makellos
lebt“ (Ps 15,2) wird erfahren, dass Gott „sein Verlangen stillt“ und ihn „auf rechten
Pfaden leitet.“ (Ps 23,3) In diesem Sinne erinnert auch Paulus daran, dass „wir fern
vom Herrn in der Fremde leben, solange wir in diesem Leib zu Hause sind“ (2 Kor 5,6). Auch
das Geheimnis Christi wird in der Heiligen Schrift als ein Exodus dargestellt, der
des Sohnes vom Vater, in die Welt, und seine Heimkehrt zum Vater. Das irdische Leben
Jesu ist schon von Beginn an gekennzeichnet durch die Wanderung, als er vor der Verfolgung
des Herodes nach Ägypten fliehen muss und dann nach Nazareth zurückkehrt. Das Evangelium
des Lukas spricht zudem von seinen jährlichen Pilgerfahrten zum Tempel nach Jerusalem
(vgl. Lk 2,41) und seine gesamte öffentliche Tätigkeit vollzieht sich auf der Wanderung
von einem Gebiet ins andere bis es soweit kommt, dass er sagt: „Der Menschensohn aber
hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann“ (Mt 8,20). Und sogar das Ostergeheimnis
selbst wird im Evangelium des Johannes eingeführt mit den Worten: „...dass seine Stunde
gekommen war, um aus dieser Welt zum Vater hinüberzugehen“ (Joh 13,1). Jesus war sich
bewusst, dass er „von Gott gekommen war und zu Gott zurückkehrte“ (vgl. Joh 13,3).
Durch diesen Exodus des Sohnes, der vom Vater durch den Heiligen Geistes ausgesandt
wurde, wird auch der Mensch aufgefordert, sich in einem „Osterexodus“ auf den Weg
zum Vater zu machen.
25. Der Exodus ist noch nicht abgeschlossen, da „die Geschichte
der Kirche das lebendige Tagebuch einer nie beendeten Pilgerfahrt ist“ (IM 7). In
der Fortsetzung der Tradition des Alten Testaments und des Lebens Christi der „das
Werk der Erlösung in Armut und Verfolgung vollbrachte“, ist daher auch die Kirche,
das pilgernde Gottesvolk auf dem Weg zum Vater, „berufen, den gleichen Weg einzuschlagen,
um die Heilsfrucht den Menschen mitzuteilen“ (LG 8). So wird auch „das neue Israel,
das auf der Suche nach der kommenden und bleibenden Stadt in der gegenwärtigen Weltzeit
einherzieht (vgl. Hebr 13,14)“ (LG 9), „und auf ihrem Weg zwischen Prüfungen und Trübsal7
wird die Kirche durch die Kraft, der ihr vom Herrn verheißenen Gnade Gottes, gestärkt“
(LG 9). Die Kirche beweist schließlich eine Mobilität, bezeugt durch ihr eschatologisches
Wesen, welches die Spannung in Richtung auf das Eschaton ihrer Vollendung speist.
So ist auch die Situation des einzelnen Christen folglich wie eine große Wallfahrt
zum Reich Gottes; „Von der Geburt bis zum Tod ist der Zustand jedes Einzelnen der
ganz besondere des 'homo viator' “ (IM 7). Das Leben unterwegs und die christliche
Perspektive
26. Daraus ergibt sich, dass die Tatsache des Unterwegsseins,
sei es in seiner objektiven Realisierung, sei es als Weltanschauung zu einer ständigen
Erinnerung daran wird, dass wir „hier keine Stadt haben, die bestehen bleibt, sondern
wir suchen die künftige“ (Hebr 13,14). Sie stellt sich als ein kirchliches Zeichen
dar, dass fest in der biblischen Offenbarung verankert ist und in der lebendigen Struktur
der Kirche seine unterschiedlichen Daseinsformen findet. Zu diesen gehört ganz sicher
jene, die durch das Leben der Zigeuner verkörpert wird, sowohl in seinen mannigfachen
historischen Daseinsformen, wie auch in den heutigen Umständen.
27. Unter
den Werten, die in gewisser Hinsicht ihren Lebensstil bestimmen, fallen sofort jene
ins Auge, die denen in den oben genannten biblischen Zitaten am ähnlichsten sind.
Gezeichnet von der Verfolgung, vom Exil, von der Nicht-Aufnahme oder gar der Zurückweisung,
dem Leiden und der Diskriminierung hat sich die Geschichte der Zigeuner wie ein ständiges
Unterwegssein geformt. Das unterscheidet die Zigeuner von den andern. Diese Tatsache
bewahrt sie in ihrer Nomadentradition, einer Tradition, die sich im Allgemeinen nicht
von den Einflüssen der sie umgebenden Umwelt mitreißen lässt. So hat sich eine ganz
selbständige Identität herausgebildet, zu der eine eigene Kultur, eigene Sprachen,
eine eigene Religiosität und eigene Gewohnheiten gehören und ein starkes Bewusstsein,
zu einem bestimmten Volk zu gehören mit den entsprechenden Bindungen zu den übrigen
Mitgliedern. Dank der Zigeuner und ihren Traditionen wird die Menschheit daher um
einen wahren kulturellen Schatz bereichert, der vor allem durch das Nomadenleben überliefert
wird. Tatsächlich „ist ihre Weisheit in keinem Buch geschrieben, aber deswegen ist
sie nicht weniger bedeutsam“.8
28. Oft von den Menschen, aber nicht
von Gott verlassen, haben die Zigeuner ihr Vertrauen in die Vorsehung gesetzt, und
zwar mit einer solch tiefen Überzeugung, dass man dies als einen zu ihrer „Natur“
gehörigen Teil betrachten kann. Das Leben der Zigeuner ist im Grunde ein lebendiges
Zeugnis einer inneren Freiheit angesichts der Zwänge des Konsumismus und der falschen
Sicherheiten, die auf der angeblichen Unabhängigkeit des Menschen von fremder Hilfe
basieren. Und man sollte auch die Volksweisheit nicht vergessen, die sagt: „Hilf dir
selbst, so hilft dir Gott.“ Ihre Wanderung ist in jedem Fall ein symbolischer
und ständiger Aufruf zum Weg des Lebens hin zur Ewigkeit. Das heißt, sie leben auf
ganz besondere Weise das, was die ganze Kirche leben sollte, nämlich immerzu auf dem
Weg in ein anderes Vaterland zu sein, das wahre, einzige Vaterland, auch wenn jeder
einzelne sich in der täglichen Arbeit und den täglichen Pflichten einsetzen muss.
Die
Katholizität der Kirche und die Pastoral für die Zigeuner
29. Daraus müsste
ein besonderer Eifer der Kirche in der Fürsorge für diese Bevölkerung folgen. Als
besondere Gruppe des pilgernden Gottesvolkes verdienen sie tatsächlich ein besonderes
pastorales Verhalten und eine Anerkennung ihrer Werte. Aber darüber hinaus wird die
Pastoral als ein Erfordernis, das der Katholizität der Kirche und ihrer Mission innewohnt,
angerufen und gefordert. Mit Christus nämlich, von dem sie ausgeht, verschwindet jede
Art der Diskriminierung. Er „ist unser Friede, er der aus beiden ein einziges Volk
gemacht hat, indem er die trennende Wand der Feindschaft niedergerissen hat, ....
um in sich aus den beiden einen einzigen, neuen Menschen zu schaffen. Er stiftete
Frieden und versöhnte die beiden durch das Kreuz mit Gott in einem einzigen Leib.
Er hat in seiner Person die Feindschaft getötet“ (vgl. Eph 2,14-16).
30. In
der Kirche als Instrument der Mission des Herrn, der in ihr weiter gegenwärtig ist,
werden „alle Menschen zum neuen Gottesvolk gerufen“ (LG 13). Die Kirche ist berufen,
gegenwärtig zu sein, denn „in allen Völkern der Erde wohnt also dieses eine Gottesvolk,
da es aus ihnen allen seine Bürger nimmt, Bürger eines Reiches, freilich nicht irdischer,
sondern himmlischer Natur“ (LG 13). In ihr muss jedermann Aufnahme finden: es gibt
keinen Platz für Ausgrenzungen, für Fremdheit. In besonderer Weise aber wendet sich
die Kirche „den Armen und Leidenden (zu), und gibt sich mit Freuden für sie hin (vgl.
2. Kor 12,15). Sie nimmt an ihren Freuden und Schmerzen teil; sie weiß um die Erwartungen
und die Rätsel des Lebens, sie leidet mit in den Ängsten des Todes“ (AG 12).
31. Die
Katholizität der Kirche ist nicht nur extensiv, auch wenn sie dazu aufgerufen ist,
jeden einzelnen Menschen, gleich welcher Art, zu erreichen. Sie ist zugleich im Innern
und mit Nachdruck qualitativ orientiert, das heißt, sie besitzt die Fähigkeit, die
verschiedenen Kulturen zu durchdringen und sich die Ängste und Hoffnungen aller Völker
zu eigen zu machen, sodass sie evangelisiert und sich zugleich an den mannigfachen
kulturellen Schätzen der Menschheit bereichert. Das Evangelium, eines und einzige,
muss also in angemessener Weise verkündet werden und dabei die unterschiedlichen Kulturen
und Traditionen berücksichtigen, und zwar „mit dem gleichen Antrieb, wie sich Christus
selbst in der Menschwerdung von der konkreten sozialen und kulturellen Welt der Menschen
einschließen ließ, unter denen er lebte“ (AG 10).
32. Eine solche Verwurzelung
der Katholizität macht aus jeder möglichen Form der Diskriminierung bei der Ausübung
ihrer Mission einen Verrat der eigenen kirchlichen Identität. Auf den Spuren ihres
Gründers – dem Gesandten Gottes, der kam „um den Armen eine gute Nachricht zu bringen;
um den Gefangenen die Entlassung zu verkünden / und den Blinden das Augenlicht; um
die Zerschlagenen in Freiheit zu setzen und ein Gnadenjahr des Herrn auszurufen“ (Lk
4,18-19) – sucht die Kirche also geeignetere Mittel, um den Zigeunern das Evangelium
auf lebendige und kraftvolle Weise zu verkünden. Es handelt sich um eine neue Evangelisierung,
zu der uns der Heilige Vater Johannes Paul II. immer wieder aufgefordert hat.
33. Aus
der katholischen Dimension der Mission quillt nämlich die kirchliche Fähigkeit hervor,
die nötigen Hilfsmittel zu entwickeln, um den vielfältigen sozialen Formen Rechnung
zu tragen, in denen die menschliche Gemeinschaft ihr Leben organisiert. Auf diese
Weise steht die Erlösung allen zur Verfügung. Eingedenk der Warnung von Paulus: „Weh
mir, wenn ich das Evangelium nicht verkündete!“ (1 Kor 9,16), spart die Kirche weder
Mittel noch Mühen, um tatsächlich alle Menschen zu erreichen. Es ist eine Geschichte,
die geprägt ist von Initiativen und Kreativität, um die Verkündigung einprägsamer
zu gestalten, wobei häufig eine Mentalität und Strukturen herausgefordert werden,
die mit der Zeit veraltet sind. Die derzeitige Situation der Zigeuner, die den
schwindelerregenden Veränderungen der heutigen Gesellschaft, dem ungebändigten Materialismus
und falschen Behauptungen, die sich aber auf das Transzendente berufen, ausgeliefert
sind, verlangt einen dringenden Anstoß zum seelsorgerischen Handeln, um zu verhindern,
dass sie sich statisch in sich selbst verschließen, bei Sekten Zuflucht suchen oder
ihren religiösen Reichtum verlieren, der aufgesogen wird von einem Materialismus,
der jeden Ruf zum Göttlichen erstickt.
III. KAPITEL EVANGELISIERUNG
UND INKULTURATION
34. Angesichts der ersehnten neuen Evangelisierung, der Versöhnung
und der Gemeinschaftlichkeit zwischen Zigeunern und gağé, muss man die „Andersartigkeit
der Zigeuner“ in angemessener Form aufwerten und ihr Vorhandensein voll anerkennen,
ohne jedoch die Brücken zu einer Begegnung mit der Kultur der gağé abzubrechen. Ein
gesundes und gerechtes Gleichgewicht bei dieser Aufwertung ist nämlich unerlässlich,
wenn die Beziehung zwischen Evangelisierung, Inkulturation und der menschlichen Förderung
in korrekter Form aufgebaut werden soll. Eine auf Inkulturation gerichtete Evangelisierung
Damit die Erlösung den ganzen Menschen erreicht, darf die Evangelisierung
sicher die Aspekte der Kultur, der Sprache, der Traditionen, der Kunst und so weiter,
die die Menschen und die Völker in ihrer Ganzheit ausmachen, nicht ausklammern. Wenn
die Kirche oder das Gottesvolk sie dagegen berücksichtigt, entzieht es „nichts dem
zeitlichen Wohl irgendeines Volkes. Vielmehr fördert und übernimmt es Anlagen, Fähigkeiten
und Sitten der Völker, soweit sie gut sind. Bei dieser Übernahme reinigt, kräftigt
und hebt es sie aber auch“ (LG 13). Der im eigentlichen Sinne katholische Geist der
Evangelisierung führt zudem zu einer gegenseitigen Bereicherung, denn: „Kraft dieser
Katholizität bringen die einzelnen Teile ihre eigenen Gaben den übrigen Teilen und
der ganzen Kirche hinzu, so dass das Ganze und die einzelnen Teile zunehmen aus allen,
die Gemeinschaft miteinander halten und zur Fülle in Einheit zusammenwirken“ (LG 13).
Einige Richtlinien zur Belebung der Seelsorge mit den Zigeunern werden
also aus dieser Perspektive erst angemessen und verständlich, das heißt, es geht nicht
nur um das Akzeptieren ihres legitimen Anspruchs auf eine spezifische Identität und
des Rechts, als Zigeuner innerhalb des lebendigen Gewebes der staatsbürgerlichen und
kirchlichen Gesellschaft ihren Platz zu finden, sondern auch um die aufrichtige Wertschätzung
– affektiv und effektiv – der authentischen Werte ihrer Tradition, die nicht nur respektiert,
sondern auch verteidigt werden müssen. Und mehr noch, aus dieser soteriologischen
Perspektive muss man das Innere der Kultur dieser Bevölkerung betrachten und zwar
nicht als eine neutrale Realität, sondern als ein Element, das in den göttlichen Erlösungsplan
zu integrieren ist.
Die Besonderheit der Weltanschauung
der Zigeuner und ihre besondere Lebensform sind nicht leicht vergleichbar mit anderen
gesellschaftlichen Realitäten der Menschen. Die Realität der Zigeuner gehört also
ganz und gar zu jenen Situationen, für die die Kirche als Experte für Humanität in
der missionarischen Praxis das Axiom angewendet hat, demzufolge „jeder der genannten
Bedingungen bzw. Stadien eigene Wirkformen und geeignete Mittel entsprechen müssen“
(AG 6). Eine besondere seelsorgerische Assistenz für die Zigeuner, die sich nicht
auf die simple Lösung reduziert, sie einfach dazu zu drängen, sich in der Gesamtheit
der übrigen Gläubigen zu „integrieren“, ist demnach erforderlich und angemessen. Sie
muss vor allem auf ihre Evangelisierung und ihre Förderung gerichtet sein.
Man
muss der Tatsache Rechnung tragen, das die normale und territoriale Struktur der Kirche
für die Seelsorge es dieser Bevölkerung in der Regel nicht gestattet, sich wirkungsvoll
und auf Dauer in das kirchliche Leben und die kirchliche Gemeinschaft einzufügen.
Aus diesem Grunde ist ein sorgfältiges Abwägen nötig, um ein gerechtes Gleichgewicht
in der Anpassung der ordentlichen Grundlagen der Seelsorge an die Besonderheiten zu
finden, die jede einzelne Situation erfordert.
38. In der Besonderheit
der Kultur der Zigeuner liegt der Grund, weshalb eine Evangelisierung „von außen“
nicht für sie geeignet ist und leicht als Aufdringlichkeit empfunden wird. Angetrieben
von der wahren Katholizität muss die Kirche in einem gewissen Sinne selbst zum “Zigeuner“
unter den Zigeunern werden, damit diese ihrerseits voll am Leben der Kirche teilnehmen
können. Wir müssen also in die Seelsorge eine Einstellung mitbringen, die geprägt
ist von Gemeinsamkeit und Freundschaft, weshalb es für die spezifischen Seelsorgehelfer
wichtig ist, sich auf die Lebensform der Zigeuner einzulassen und ihre Situation zumindest
für eine gewisse Zeit mit ihnen zu teilen. Für sie gilt darum in ganz besonderer Weise
das, was die Kirche von denen fordert, die in den Missionsgebieten tätig sind, das
heißt, „dass sie die Menschen, unter denen sie leben und mit denen sie umgehen, kennen
müssen; in aufrichtigem und geduldigem Zwiegespräch sollen sie lernen, was für Reichtümer
der freigebige Gott unter den Völkern verteilt hat“ (AG 11).
Reinigung,
Erhebung und Vollendung der Kultur der Zigeuner in Christus
Eine
echte Begegnung zwischen Evangelium und Zigeunerkultur kann jedoch nicht unterschiedslos
jeden Aspekt dieser Kultur gutheißen. Die universelle Geschichte der Evangelisierung
bezeugt in der Tat, dass die Verbreitung der christlichen Botschaft immer begleitet
wurde von einem Prozess der Reinigung der Kulturen, an die sie sich richtete: eine
Reinigung, die als ein Aspekt betrachtet werden muss, der für ihre christliche Erhebung
nötig ist. Es darf daher nicht verwundern, wenn neben der „Annahme“ einer solchen
Kultur, die Kirche die Pastoral auch dahingehend ausrichtet, die Aspekte zu überwinden,
die aus einer christlichen Sichtweise des Lebens nicht gebilligt werden können oder
die in der einen oder anderen Weise ein Hindernis auf dem Weg zur Versöhnung zwischen
den Zigeunern und den gağé darstellen könnten. Eine minimalistische Haltung diesen
Hindernissen gegenüber oder eine bedingungslose Verteidigung von allem, was es in
der Tradition der Zigeuner gibt, ohne die gebührenden Unterscheidungen zu treffen
und die entsprechenden evangelischen Urteile zu fällen, kann daher der Sache der Evangelisierung
selbst nicht förderlich sein.
Vor diesem
Hintergrund muss man darauf hinweisen, dass die Bewahrung der eigenen Traditionen
nicht zu einem Alibi werden darf, um eine Haltung der Verschlossenheit zu rechtfertigen,
die sich auch gegenüber den positiven Fortschritten in der Gesellschaft der gağé verschließt.
Die Versöhnung und die Gemeinschaftlichkeit zwischen Zigeunern und gağé meint also
auch eine legitime Interaktion zwischen den Kulturen und in diesem Prozess muss die
Initiative auch von den Zigeunern ausgehen. Man muss hier zur Kenntnis nehmen, dass
die allgemeine Beschaffenheit der Gesellschaft derzeit jenen Kulturen, die vom zentralen
Entwicklungsfluss abgeschnitten sind, die erforderlichen Fortschritte nicht gestattet.
Auch wenn es natürlich viele Situationen sozialer Ungerechtigkeit gibt, die letztendlich
ihre Ursache in der Sünde haben, so muss man doch gleichzeitig festhalten, dass die
Situationen sozialer Unterentwicklung nicht immer Folge des bösen Willens der übrigen
sozialen Schichten sind, sondern oft Ergebnis der sozialen Struktur selbst, die Integration
als Bedingung für Fortschritt voraussetzt.
41. Die Notwendigkeit einer
Erziehung, einer beruflichen Qualifikation, der Eigeninitiative und der persönlichen
Verantwortung als unerlässliche Bedingung für einen Aufstieg zu einer zumindest achtbaren
Lebensqualität ist ebenfalls ein typischer Zug der modernen Gesellschaft. Dies sind
die Werte, die vor allem von den Eltern geschätzt und gefördert werden. Ein großer
Teil der Bevölkerung der Zigeuner schleppt noch immer ein Erbe mit sich herum, dem
dieses Bewusstsein auch als Folge ihrer Isolierung abgeht. Auch wenn man sie deswegen
oft nicht verurteilen kann und darf, so muss man diesen Mangel jedoch vor allem im
Hinblick auf die kommenden Generationen überwinden. Die Gleichberechtigung von
Mann und Frau muss in diesem Zusammenhang unbedingt gefördert und jede Form ungerechter
Diskriminierung muss abgeschafft werden. Dies bedeutet übrigens nicht, die Familienstruktur
auf den Kopf zu stellen, wie es leider geschieht, wenn diese Gleichheit falsch verstanden
wird, und der Unterschied zwischen Mann und Frau in einer Kultur der Gegenseitigkeit
nicht akzeptiert wird. Sie erfordert jedoch die Achtung vor der Würde der Frau, die
Erhebung der weiblichen Kultur, ihre gesellschaftliche Förderung usw.
42. Der
bei den Zigeunern so stark ausgeprägte Familiensinn darf zudem nicht zulassen, dass
persönliche oder kollektive Beleidigungen, die eine Person empfangen hat, zu einem
andauernden Groll führen, der von Generation zu Generation weiter gegeben wird und
im Laufe der Zeit Feindschaft zwischen Familien und/oder Volksgruppen fortsetzt. Ehrlichkeit
und Rechtschaffenheit im Bereich der Arbeit sind ebenfalls bürgerliche und christliche
Werte, die niemals missachtet werden dürfen. Tätigkeiten, die „leichtes Geld“ am
Rande, oder gar außerhalb der Legalität produzieren, müssen daher unbedingt aufgegeben
werden. Man muss den erheblichen Schaden zur Kenntnis nehmen, der bei der benachbarten
Bevölkerung der Zigeuner, wie auch bei ihnen selbst verursacht wird, was nur dazu
beiträgt, die Vorurteile der gağé ihnen gegenüber zu verstärken.
Kulturelle
Interaktion
Die Reinigung der Kultur der Zigeuner darf nicht
zu ihrer Aushöhlung führen. Zugleich mit der Achtung und der Wertschätzung ihrer legitimen
Werte, muss also der Prozess zu ihrer Integration im Schoße der Kultur der sie umgebenden
Gesellschaft nachdrücklich beschleunigt werden. Das setzt allerdings eine Bereitschaft
zur Aufnahme vonseiten dieser Gesellschaft voraus. Christliche Nächstenliebe ebenso
wie die Notwendigkeit eines zivilen Lebens müssen uns dazu bringen, die Tatsache der
Nicht-Begegnung oder des Zusammenstoßes zwischen den Kulturen der Zigeuner und der
gağé unbedingt zu überwinden. Dies erfordert eine tiefgehende Veränderung der Mentalität,
sei es im kirchlichen Bereich, sei es in der bürgerlichen Gesellschaft.
44. In
diesem Prozess spielt zudem die Erziehung, die in den Schulen der gağé erteilt wird,
eine entscheidende Rolle. Die normalen Schulbücher liefern häufig ein historisches
und soziologisches Bild der Bevölkerung der Zigeuner, das den ganzen Berg an Vorurteilen
geerbt hat, der von Generation zu Generation weiter gegeben worden ist, und so tragen
sie weiter zu der allgemeinen misstrauischen Haltung bei. In ähnlicher Weise informieren
die Massenmedien das breite Publikum nur selten über die positiven Werte der Kultur
der Zigeuner, sehr viel häufiger werden negative Nachrichten verbreitet, die dazu
beitragen, ihren Ruf noch weiter zu schädigen. Der eifrige Einsatz für den Schutz
von Minderheiten, der in unserer Zeit immer stärker wird, müsste daher auch in diesen
Bereichen aktiv werden, ohne jede Form der Diskriminierung. In diesem Fall muss das,
was für alle Minderheiten gilt, auch auf die Zigeuner angewendet werden. Es bleibt
daher viel Arbeit für eine zunehmende Öffnung und mehr Information zu tun, wollen
wir das Misstrauen aus den Seelen tilgen, dass von einer unkritischen Literatur, die
traurigerweise in unserer Gesellschaft sehr verbreitet ist, unterstützt wird, die
die ablehnende Haltung noch weiter stärkt.
IV. KAPITEL EVANGELISIERUNG
UND MENSCHLICHE FÖRDERUNG
Die Einheit der Menschheitsfamilie
45. In
Adam hat sich Gott als Schöpfer zu erkennen gegeben, Vater aller Männer und Frauen,
die eine einzige Familie bilden, die ganze Menschheit. Jeder Mensch wurde als Abbild
Gottes geschaffen (Gen 1, 27-28) solidarisch mit den andern. Die Beziehung Gottes
mit den Menschen bleibt also, auch wenn sie unglücklicherweise nicht anerkannt wird,
lebensnotwendig und bildet die Grundlage der Würde der menschlichen Person. Im
Geschenk des Lebens beweist Gott unaufhörlich seine Schöpferliebe, so wie Christus
der ganzen Menschheit durch seine Worte und seine Taten, durch sein Leiden und seine
Auferstehung, die aktuelle Präsenz dieser Schöpferliebe enthüllt, die auch Erlösung
ist. Auf diese Weise ist die Menschheit, die sich zusammensetzt aus Söhnen und Töchtern
Gottes, aus Brüdern und Schwestern im Sohn Gottes, dazu berufen in einer einzigen
Familie zusammen zu leben, die sich an den Gaben der Einzelnen und an den Besonderheiten
eines jeden Volkes bereichert. Alle sind dazu aufgefordert, eine brüderliche Menschheit
zu erbauen, sind dazu berufen zu bezeugen, dass das Reich Gottes schon gegenwärtig
ist in der Person des Auferstandenen und in seiner Kirche, seinem Anfang und Keim
(vgl. LG 5).
Die menschlichen und bürgerlichen Rechte der Zigeuner
Die Einheit der Menschenfamilie zeigt sich auch in der Anerkennung der
Würde und der Freiheit jedes Einzelnen, verbunden in Solidarität mit allen, unabhängig
von Rasse, Herkunft oder Religion. Der Mensch ist auch unendlich wertvoll, da Christus
sein Leben für jeden hingegeben hat. Er ist der Erstgeborene dieser neuen Menschheit,
die vom Vater unendlich geliebt wird. Nach dem Triumph der Auferstehung, die den Tod
und den Tod des Hasses besiegelt, hat er seinen Heiligen Geist gesandt, den Geist
der Wahrheit und der Liebe, den Geist der Freiheit und des Friedens, der uns mit dem
Feind aussöhnt, uns aus der Gleichgültigkeit reißt und uns zum Nächsten aller Mitglieder
der Menschenfamilie macht.
Jeder Mensch ist einzig
und unersetzlich und daher berufen seine Fähigkeiten zu nutzen, sich unter Ausübung
seiner Rechte und Pflichten weiter zu entwickeln und von seiner Arbeit und in gegenseitiger
Achtung zu leben. Damit dies zum täglichen Leben wird, muss jede persönliche oder
kollektive Entscheidung von dem Menschen in seinen Beziehungen zu den andern ausgehen
und dabei den Lebensbedingungen politischer und wirtschaftlicher Art Rechnung tragen.
Der Vorrang der Nächstenliebe, den Christus verkündet und vorgelebt hat, muss die
Christen dazu führen, jeden Menschen bedingungslos zu lieben und mit IHM den Platz
des Dieners einzunehmen. So hat ER, ohne jede Gewalt das Machtstreben bekämpft, das
vor allem die Schwächsten unter unseren Brüdern bis zur Vernichtung unterwirft.
48. Die
Aufgabe, die es zu lösen gilt, damit die Zigeuner, die besonders verwundbar sind,
sich selbst als Mitglieder der Menschenfamilie betrachten und als solche akzeptiert
werden, ist groß und dringlich. Zum wahren und dauerhaften Frieden, der sie als Wiederspiegelung
der “göttlichen Familie“ (der Allerheiligsten Dreifaltigkeit) kennzeichnen sollte,
gelangt man nur im Rahmen von Gerechtigkeit und Entwicklung. Unter der Zigeunerbevölkerung
soll also die Würde gewahrt und ihre kollektive Identität geschützt werden, und ihre
Initiativen sollten in Richtung auf diese Entwicklung gefördert9 und ihre
Rechte verteidigt werden.
Eine besondere Minderheit unter den Minderheiten
Um die häufig dramatische Geschichte dieser Bevölkerung wirklich zu verstehen,
muss man nicht nur ihre Situation als Minderheit innerhalb der Gesellschaft zur Kenntnis
nehmen, sondern auch ihre Besonderheiten gegenüber anderen Minderheiten. Die Besonderheit
besteht darin, dass die Zigeuner eine Minderheit ohne Herkunftsland und Staat bilden
und daher keine Hilfe von dort bekommen können. Dieses Fehlen von politischen Garantien
und bürgerlichem Schutz macht das Leben der Zigeuner sehr kritisch. Während die Ankunft
anderer Bevölkerungen auf der Suche nach Zuflucht und Sicherheit eine gewisse Zahl
von Personen mobilisiert hat, hat die Ankunft der Zigeuner im Allgemeinen nur Reaktionen
der Zurückweisung provoziert. Und doch beweisen ihre Flüchtlingsströme klar und deutlich,
dass auch sie aus armen Ländern stammen, wo zudem ihre Diskriminierung oft von wiederholten
Gewaltaktionen begleitet wird. Dieser Situation kann nur abgeholfen werden, wenn die
Regierungen zusammen eine gemeinsame, von allen geteilte, internationale Politik beginnen,
um die Zigeuner aus dem Elend und der Zurückweisung zu befreien.
50. Dies
alles erfordert vor allem das Eingreifen der internationalen Organismen zugunsten
dieser Bevölkerung. Desgleichen müssen die nationalen Regierungen diese Minderheit
unter den Minderheiten schützen und sie anerkennen; sie müssen dazu beitragen, die
noch immer verbreiteten rassistischen und fremdenfeindlichen Ereignisse auszutilgen
und die Diskriminierung im Bereich der Arbeit, im Hinblick auf die Wohnsituation und
den Zugang zur Ausbildung abschaffen. Auch die Kirche ist dazu berufen, durch den
Päpstlichen Rat der Seelsorge für die Migranten und Menschen unterwegs, durch die
Vertreter und die Beobachter des Heiligen Stuhls bei den internationalen Gremien und
durch die kirchlichen Behörden der verschiedenen Nationen einzugreifen, damit die
Entscheidungen der internationalen und nationalen Organismen zugunsten der Zigeuner
auch bei den örtlichen Institutionen durchgesetzt und im täglichen Leben sichtbar
werden.
Bedingungen für eine vollständige Entwicklung
Die
schulische Bildung ist grundlegende und unabdingbare Voraussetzung für die Entwicklung.
Während nun in der Vergangenheit eine systematische Bildung der jungen Generationen
durch die Lebensweise der Zigeuner, die sie hauptsächlich unterwegs sah, sehr erschwert
wurde, liegen die Hindernisse, die heute zu überwinden sind, in erster Linie in der
Art der erteilten Ausbildung. Ihre Integration – wenn dies möglich ist – in den normalen
Erziehungsprozess trägt dazu bei, mögliche Mängel zu überwinden. Wenn die Halbsesshaftigkeit
oder das zeitweise Reisen eine systematische normale Erziehung unmöglich machen, dann
müssen die vereinten Bemühungen von den Regierungen, den Vereinigungen der Zigeuner
und auch der Kirche dafür sorgen, dass eine Ausbildung der Kinder der Zigeuner in
irgend einer anderen Weise gewährleistet ist.
52. Analog ist es erforderlich,
an all die anderen Entwicklungselemente zu denken, die auch den Zigeunern zur Verfügung
stehen sollten, wie zum Beispiel die Berufsausbildung der Jugendlichen, der Zugang
zur medizinischen Versorgung, eine akzeptable Wohnsituation, Sozialfürsorge usw. Wenn
jedoch die Geschichte der Zigeuner nicht berücksichtigt wird, neigt das Eingreifen
der Gesellschaft dazu, von der Idee einer sozialen Abweichung auszugehen, die überwunden
werden muss. Die Zigeuner werden dann leicht als asozial betrachtet, die man so bald
wie möglich wieder in den Schoß der Mehrheitsgesellschaft zurückführen muss. Dadurch
aber würde die Diskriminierung, die die Zigeuner Jahrhunderte lang erlitten haben,
negiert und es gäbe keine Anerkennung der Besonderheit ihrer Kultur. Stattdessen
muss die Achtung vor dem Menschen im Mittelpunkt stehen, auch dann, wenn er als Kollektiv
auftritt; insbesondere aber sicher dann, wenn seine Lebensbedingungen ihn verwundbar
gemacht haben. Daraus folgen einige Kriterien, die zu beachten sind, wenn es darum
geht, Entwicklungsprojekte in der Gemeinschaft der Zigeuner einzuleiten. Wenn
die Zigeuner systematisch in die Rolle derer gedrängt werden, die auf Hilfe angewiesen
sind, wird das Ziel schon im Ansatz verfehlt. Zweifelsohne werden ihre Lebensbedingungen
oft umfassende Hilfe der Wohlfahrt nötig machen, doch muss eine echte Förderung weit
darüber hinausgehen, damit die Zigeuner schließlich die Verantwortung für die zu ihrer
Entwicklung nötigen Mittel übernehmen.
53. Will man die Entwicklung in die
Wege leiten, ist auch ein ausreichendes Verständnis für den Unterschied zwischen den
Begriffen Integration und Assimilation erforderlich. Die Integration muss unbedingt
gefördert werden. Ihr Ziel ist die volle Integrierung des Lebens und der Traditionen
der Zigeuner in die Gesamtheit der übrigen Kulturen unter Achtung der eigenen. Mit
Nachdruck zurückgewiesen werden müssen dagegen die Versuche der Assimilation, das
heißt Versuche, die zu einer Vernichtung der Kultur der Zigeuner führen, weil ihre
Kultur in der Mehrheitskultur aufgelöst wird. Ein Zigeuner, der in der Welt der gağé
integriert ist, muss auch weiterhin er selbst sein und seine eigene Identität bewahren. Darüber
hinaus ist eine Kenntnis der Situation der Gemeinschaften von innen her erforderlich.
Nur allzu oft hingegen laufen die öffentlichen Instanzen Gefahr, weil sie unter dem
Druck unmenschlicher Ereignisse stehen, die die öffentliche Meinung in Erregung bringen,
oder durch das Eingreifen der Zigeuner Vereinigungen und Personen, welche die unmenschlichen
Lebensbedingungen dieser Familien anklagen, übereilte Entscheidungen darüber zu treffen,
welche Maßnahmen zu ergreifen sind. Stattdessen muss man ernsthaft und in Übereinstimmung
mit den Betroffenen arbeiten, ohne ihre Lebensweise, ihre Traditionen und die Besonderheit
der Arbeit der Zigeuner außer Acht zu lassen.
54. Vor diesem Hintergrund kommt
der Bildung von Zigeuner-Vereinigungen als nützlicher und sichtbarer Gesprächspartner
bei der Planung von Wegen der Entwicklung besondere Bedeutung zu. Diesen Vereinigungen
muss man helfen, ihre Initiativen mit Kompetenz und Ernsthaftigkeit zu entwickeln,
wollen sie die ganze Bevölkerung vertreten und von den Behörden bei der Erarbeitung
von Projekten auf lange Sicht gehört werden, die darauf hinzielen, die Wohnsituation,
die Stellplätze, den Schulbesuch und die Lebensbedingungen der Sesshaften, der Halbsesshaften
und der Wandernden zu verbessern
Die christliche Sicht der Förderung
Auch wenn die Einleitung von konkreten Projekten zur menschlichen Förderung
in erster Linie Aufgabe des Staates ist, kann es angebracht oder sogar nötig sein,
dass kirchliche Institutionen bei diesbezüglichen konkreten Initiativen beteiligt
sind und dabei den Zigeunern selbst als den Protagonisten Raum gibt. Doch ist es eher
im Sinne der eigentlichen Mission der Kirche, die öffentlichen Einrichtungen auf die
schwierige Situation dieser Bevölkerung aufmerksam zu machen.
56. Man
darf auch nicht vergessen, dass „die Entwicklung eines Volkes weder vom Geld noch
von materieller Hilfe oder technischen Strukturen abhängt, sondern von der Bewusstseinsbildung,
der Reife seiner Mentalität und seiner Sitten. Der Mensch ist die Hauptperson der
Entwicklung, nicht Geld oder Technik“ (RM 58).
V. KAPITEL BESONDERE ASPEKTE DER PASTORAL FÜR DIE ZIGEUNER
57. Die
Evangelisierung der Zigeuner ist Aufgabe der ganzen Kirche, denn kein Christ dürfte
solchen Situationen der Ausgrenzung und der Entfernung aus der kirchlichen Gemeinschaft
gegenüber gleichgültig bleiben. Auch wenn die Pastoral für die Zigeuner ihre Besonderheiten
hat und jene, die sich mit ihr befassen, eine sorgfältige und besondere Ausbildung
benötigen, so muss eine Haltung der Aufnahmebereitschaft doch von der gesamten christlichen
Gemeinde gezeigt werden. Das gesamte Gottesvolk muss jedoch empfindsamer werden, wenn
die Feindschaft, die Zurückweisung und die Gleichgültigkeit nicht nur überwunden werden
soll, sondern in eine deutlich offene und positive Einstellung gegenüber unseren Zigeunerbrüdern
und -schwestern, verwandelt werden soll.
Spezifische Aspekte der Zigeunerseelsorge
Der anthropologischen Dimension kommt besondere Bedeutung für einen richtigen
Ansatz in der Pastoral zu, denn die Zigeuner sind besonders empfänglich für die „sensitive“
Wirkung eines Ereignisses, besonders dann, wenn dieses den familiären Bereich betrifft.
Ihre Beziehung zur Geschichte bleibt im Grunde immer gefühlsbetont. Ihre Bezugspunkte
in Raum und Zeit werden in der Tat nicht durch die Geographie bestimmt oder von den
Daten des Kalenders, sondern vielmehr von der gefühlsmäßigen Intensität eines Treffens,
einer Arbeit, eines Unfalls oder eines Festes. Ihre Reaktionen sind meist unmittelbar
und werden eher von intuitiven Kriterien als von theoretischen Überlegungen geleitet.
Dies alles erfordert ein großes Unterscheidungsvermögen und Fähigkeiten zur Einsicht,
Initiative und Kreativität im Aufbau der seelsorgerischen Tätigkeit.
Annäherung
und Arten der Kommunikation
59. Aufgrund der besonderen Weltanschauung der
Zigeuner wird die Seelsorge wirksamer sein, wenn sie sich im Rahmen kleinerer Gruppen
abspielt. Hier ist es einfacher, die Erfahrung des Glaubens zu personalisieren und
miteinander zu teilen. Hier nimmt man an den gleichen Ereignissen teil, die im Licht
des Evangeliums betrachtet werden und man erzählt einander die einzigartigen Erfahrungen
der Begegnung mit dem Herrn. In solchen Gruppen begegnen die Zigeuner sich selbst
und ihrer eigenen Kultur und ihre Verantwortung als „Protagonisten“ und als Laien
wird geschätzt. Eine entpersönlichende Anonymität nimmt hingegen der Seelsorge einen
großen Teil ihrer Potentialität.
Das Wort Gottes, das
den Zigeuner in den verschiedenen Bereichen der pastoralen Tätigkeit verkündet wird,
wird von ihnen eher aufgenommen, wenn es von jemandem verkündet wird, der sich ganz
konkret solidarisch mit ihnen und mit den Ereignissen in ihrem Leben gezeigt hat.
Im konkreten Bereich der Katechese erweist es sich zudem als wichtig, einen Dialog
vorzusehen, der den Zigeunern die Möglichkeit bietet, darzustellen wie sie Gott wahrnehmen
und wie sie ihre Beziehung zu Gott leben. Die gelebten Situationen sagen oft mehr
als ein Übermaß an Ideen, zwischen denen sie Gefahr laufen, sich zu verlieren.
61. Darüber hinaus muss man die Zweckmäßigkeit abwägen, vielleicht Texte der Liturgie,
der Bibel oder auch Gebetbücher in eine Sprache zu übersetzen, die von den verschiedenen
Volksgruppen in den einzelnen Regionen benutzt wird. Ähnlich ist die Benutzung der
Musik - die von den Zigeunern so sehr geschätzt und oft ausgeführt wird -, bei den
seelsorgerischen Treffen und in den liturgischen Feiern ein wertvoller Beitrag, den
man fördern und weiter entwickeln sollte. Da die Zigeuner über ein außerordentlich
stark ausgeprägtes visuelles Gedächtnis verfügen, kann didaktisches Material auf Papier
und als Video, mit einprägsamen Fotos und in der ganzen Vielfalt, wie die neuen Technologien
sie ermöglichen, eine wertvolle Hilfe bieten, vielleicht sogar unverzichtbar sein,
wenn sie der Mentalität der Zigeuner entsprechend angepasst sind.
Die sakramentale
Seelsorge
Die Bitte um die Sakramente vonseiten der Familien
reiht sich ein in den Rahmen der wechselseitigen Beziehung zwischen Kirche und Zigeuner.
Die Zigeuner wenden sich meistens an den Rašaj (Priester) oder an die Arbeitsgruppe
der Pfarrgemeinde, die sich ihnen gegenüber offen und aufnahmebereit gezeigt hat,
zweifelsohne auch deswegen, weil sie mit ihren Mitgliedern auch schmerzhafte und gefahrvolle
Erlebnisse geteilt hat. Bevor man jedoch eine übereilte Antwort gibt, muss man sich
Klarheit verschaffen über die Art der Beziehung, die zwischen der Zigeuner-Familie
und der örtlichen christlichen Gemeinde besteht. Diese Einschätzung ist wichtig, um
festzustellen, ob die Bitte aufrichtig ist und das muss seinen Niederschlag finden
in der Vorbereitung auf das Sakrament und seine Verleihung.
Um die Taufe wird am häufigsten gebeten. Man muss jedoch eine spirituelle Begleitung
der Familie und des Täuflings vorsehen, damit man die ganze Spannbreite der christlichen
Initiation vervollständigen kann. Die Antwort, die bei der ersten Bitte um die Taufe
gegeben wird, wird jedoch entscheidend sein und Auswirkungen auf die Zukunft, auf
das ganzes Leben haben.
Das vorbereitende Gespräch vor der Feier der Taufe
muss in jedem Fall von dem täglichen Leben der Zigeuner ausgehen, sonst läuft man
Gefahr, sich einer religiösen Sprache zu bedienen, die parallel zu ihrem Leben verläuft
und die sie nur äußerlich übernehmen. Pate und Patin müssen sorgfältig gewählt werden,
denn diese ihre Rolle schließt ihre Verpflichtung ein, eine besondere und dauernde
Beziehung mit der Familie zu unterhalten. Aus diesem Grund ist ihre Anwesenheit bei
den Vorbereitungen sehr willkommen, auch wenn dies nicht immer einfach zu erreichen
ist.
64. Zu vermeiden sind also einerseits Taufen ohne eine angemessene Vorbereitung,
andererseits das Stellen von Bedingungen, die für die gağé gelten, als wären die Zigeuner
normale Mitglieder der Territorialgemeinde. Wenn der Zelebrant nicht über eine spezifische
Ausbildung einer für die Zigeuner angemessenen Katechese verfügt, wird er sich am
besten mit dem nächst lebenden Zigeunerseelsorger beraten. Während der Feier ist dann
besonders auf die Sprache zu achten, damit man den Glauben der Eltern, des Paten und
der Patin und der gesamten anwesenden Familie nährt und entwickelt. Nicht alle Worte,
denen sich ein gağó bedienen kann, sind für einen Zigeuner verständlich. Die benutzten
Bilder haben nicht dieselbe Wirkung in einer anderen Betrachtung der Welt. In jedem
Fall sollte die Taufe in Anwesenheit des gesamten Gottesvolkes gefeiert werden. Wie
dies für alle anderen Katholiken gilt, wird auch die Zigeuner-Familie in ihrer Andersartigkeit
an der Vorbereitung und an der Feier selbst beteiligt. Auf diese Weise kann man zu
einer Erfahrung der Katholizität gelangen, die eine neue Beziehung zwischen den Zigeunern
und den gağé einleitet, dies um so mehr, wenn Beziehungen, die angelegentlich der
Vorbereitung begonnen wurden, anschließend aufrecht erhalten werden, indem man das
Leben der Zigeuner teilt.
Von besonderer Wichtigkeit für die
Jugendlichen ist die Vorbereitung auf die Firmung, denn dieses Sakrament kennen Zigeunergemeinden
praktisch nicht. Die Vorbereitung erlaubt hier, nach dem Katechumen-Modell die vor
der christlichen Initiation bestehenden Mängel aufzuarbeiten und die Jugendlichen
zu einer freien und verantwortungsbewussten Zugehörigkeit zur Kirche zu erziehen.
Die Firmung leitet den Getauften zur vollen Teilnahme am Leben des Geistes, zur Gotteserfahrung
und zum Zeugnis des Glaubens, und enthüllt ihm die Bedeutung seiner Zugehörigkeit
zur Kirche und seiner missionarischen Verantwortung. In gleicher Weise erscheint es
wichtig, das andere „Subjekt“ des Sakramentes hervorzuheben, nämlich die Gemeinde,
die in einer die Generationen einschließenden Weise mit einbezogen werden sollte,
damit sie anlässlich der Feier „ihrer Firmlinge“ auch selbst die Gnade eines neuen
Pfingstfestes leben kann und durch den Hauch des Geistes in ihrer christlichen Berufung
und ihrer evangelisierenden Mission bestätigt wird.
Quelle und Höhepunkt der Gemeinschaft in Christus und mit der Kirche ist die Eucharistie,
Gedächtnis des Todes und der Auferstehung des Herrn, Sakrament, dessen Bedeutung noch
nicht in seiner ganzen Fülle von den Zigeunern erkannt wird. Es findet jedoch einen
wichtigen Niederschlag in der Tradition einiger Zigeunergruppen, die heiligen Mahle
betreffend, die im allgemeinen zu Ehren der heiligen Beschützer der Familien oder
für den Frieden der Verstorbenen gehalten werden. Hierbei lobt man Gott für die erhaltene
Gnade und man teilt das Mahl, zuerst das Brot und den Wein, die oft vom Vater der
Gastfamilie gesegnet werden. Diese Mahlgemeinschaft, in der die Zigeuner ihre Zugehörigkeit
zur eigenen Gemeinde bestätigen kann durchdrungen werden durch einen ständigen Bezug
auf Gott, Quelle aller Güter, die dem Leben Sinn und Wert geben. So wird dies ein
Ausgangspunkt für eine progressive Einführung in die christliche Gemeinde, die im
Gebet versammelt ist. Das geschieht vor allem in der eucharistischen Liturgie, wo
das Sakrament kundgetan und gefeiert werden kann, als Teilhabe am selben Brot des
Lebens, am Tisch des Herrn, in der Begegnung mit dem österlichen Geheimnis, gefeiert
in der Eucharistie, im Gedächtnis an Christus, der sich für uns hingegeben hat. Wir
erwidern es, indem wir uns selbst Gott hingeben und uns dem Nächsten in Liebe schenken.
Das Sakrament der Buße und Versöhnung, obwohl fern von der sakramentalen
Form, findet doch einen präzisen Bezug sowohl im Brauch der Zigeuner, stets und auch
öffentlich Gott um Verzeihung zu bitten für die persönlichen Vergehen, wie auch in
der Auffassung und im Verhalten, mit denen die Tradition die Versöhnung regelt, wenn
ein Mitglied wieder in die Gemeinschaft aufgenommen wird, welches als „unrein“ erklärt
wurde und wegen schwerer Verletzung des ethischen Kodex ausgeschlossen war. Hier wird
das Sakrament sichtbares Zeichen eines Prozesses der Umkehr, bei dem auf der einen
Seite es Jesus ist, der durch das Amt der Kirche die barmherzige Verzeihung des Vaters
schenkt, untrennbar gebunden an die Aussöhnung mit den Brüdern, auf der anderen Seite
ist es die menschliche Antwort, getragen von der Gnade des Geistes, die sich dem echten
moralischen Gewissen, in der radikalen Zustimmung an Gott, öffnet.
Im Hinblick auf die Eheschließung ist zu beachten, dass sie fest in
der Kultur und der Tradition der Zigeuner verankert ist, wobei das Ritual in
den Gruppen, denen sie jeweils angehören unterschiedlich ist, die Substanz aber gleich
bleibt. Vor der Gemeinschaft, die die Gültigkeit dieser Vereinigung anerkannt, übernehmen
die beiden Partner alle ehelichen Rechte und Pflichten als dauerhaften status wodurch
die ethischen und natürlichen Werte – Freiheit, Treue, Unauflöslichkeit und Fruchtbarkeit
- im Wesentlichen gewährleitstet sind. Die eheliche Vereinigung wird hier als ganz
und gar verschieden von einer einfachen sexuellen Union verstanden und bedeutet daher
ein außerordentliches Ereignis, dass sich der katholischen Auffassung der Ehe annähert,
weshalb es für die Getauften eine wichtige Grundlage des künftigen Sakramentes ist,
dessen “Form“ von der Kirche verlangt wird. Die Familie, Herz und Fundament der Kultur
und der sozialen Struktur der Zigeuner, erneuert im Sakrament, wird fruchtbares Erdreich
für die Bildung kleiner christlicher Gemeinschaften im Hinblick auf die stufenweise
und volle Teilnahme am Leben der Kirche in der Verschiedenheit der Charismen und Ämter.
Die Krankensalbung ist ein Sakrament, welches nicht nur nicht praktiziert
sondern auch als sakramentales Zeichen Christi und Gebet der ganzen Kirche für den
Kranken missverstanden wird. Die Ablehnung dieses Sakramentes ist an die falsche
Überzeugung gebunden, dass es mit dem Sterben verbunden ist. Daher eine Notwendigkeit
der Evangelisierung des Leidens, in dem der Kranke, vereint mit Christus, der die
menschlichen Leiden auf sich genommen hat (vgl. Mt 8,17) seine Gebrechen als vertrauensvolle
Hingabe an Gott Vater lebt und auch als großherzige Öffnung der Solidarität mit den
andern Leidenden. So macht er sich bereit, das Geschenk der Genesung anzunehmen, das
Gott im Grunde seiner Seele wirken und auf seinen Körper ausstrahlen kann. Das Sakrament
kann einen wirksamen Ausgangspunkt finden in der großen Sorge um die Kranken und besonders
um die Sterbenden, die vom Krankenhaus „nach Hause“ geholt werden, damit sie die Liebe
und die Zärtlichkeit der Familie und der Gemeinschaft fühlen können.
Die
Liturgie für die Verstorbenen, die inständig erbeten wird aus Angst, der Verstorbene
könne sich nicht in der rechten Weise geehrt fühlen, sollte den traditionellen Totenkult,
der in allen Gruppen obwohl mit unterschiedlichen Formen, gemeinschaftlich mit großem
Pathos und Freigiebigkeit vollzogen wird, reinigen und im Licht des österlichen Geheimnisses
vervollkommnen. Die Wallfahrten
70. Die Wallfahrten sind ein Ausdruck
der Frömmigkeit, den die Zigeuner sehr schätzen. Sie bieten ihren Familien nämlich
beliebte Möglichkeiten zur Begegnung. Häufig sind zudem die „heiligen Orte“ der Begegnung
mit dem oder der „Heiligen“ eng verbunden mit der Geschichte der Familie. Ein Ereignis,
ein Gelübde, ein Weg des Gebets, die erlebt werden wie ein persönliches Treffen mit
dem „Gott des oder der Heiligen“, festigen die Grundlage für die Treue einer Zigeuner-Gruppe.
Wenn die Kirche durch die Anwesenheit von Kaplänen, von Ordensleuten und Laien das
Gebet der Zigeuner teilt und es versteht, wenn sie ihre Taufen feiert und einer Eheschließung
ihren Segen gibt, dann wird die Wallfahrt die Teilnehmer auf die Erfahrung einer Katholizität
vorbereiten, die von dem oder der “Heiligen“ zur Person Christi und zu kirchlichen
Verbindungen mit den gağé führt. Auch die Taufen, die an diesen Wallfahrtsorten
vorbereitet werden, können mit größerer Tiefe und Aufrichtigkeit gefeiert werden,
denn die Orte sind den Zigeunern selbst vertrauter und von ihnen selbst schon vor
langer Zeit gewählt worden. Bei diesen Gelegenheiten wird es auch möglich sein, den
Glauben an Christus durch eine für die Erwachsenen angemessene Katechese zu vertiefen,
indem man von ihrer Religiosität ausgeht.
71. Auch der Kreuzweg, der besonders
während der Wallfahrt immer wieder gebetet wird, wird meistens sehr geschätzt. Er
wird erlebt wie eine Bußfeier, die die Zigeuner selbst ohne größere Schwierigkeiten
mitgestalten können. Die Stationen des Kreuzweges sprechen zu ihnen in besonderer
Weise, denn sie erinnern sie an die Leiden des Lebens und fordern sie auf, sich für
eine Versöhnung zwischen den gağé und den Zigeunern einzusetzen. Auch die fromme Verrichtung
des Rosenkranzes ist Teil des betenden Pilgerns. Die Anwesenheit von Geistlichen,
Ordensleuten und Laien, die für einige Tage mit ihnen leben, bietet zudem die Möglichkeit
zu einer Reihe von unterschiedlichen Versammlungen und Gesprächen, bei denen die Zigeuner
das Wort ergreifen und ihren Glauben bezeugen, der sich aus dem gemeinsamen Evangelium
speist. Bei diesen Gelegenheiten bieten sich ebenfalls Möglichkeiten zu Kontakten
zu den gağé, Gläubige oder Nicht-Gläubige, die häufig den negativen Eindruck der Zigeuner
in der öffentlichen Meinung positiv verändern und verallgemeinernde Vorurteile über
sie zerstören.
72. Man sollte alle möglichen Arten von Wallfahrten fördern,
besonders aber jene die internationale Bedeutung haben, denn in ihnen ist es leichter,
die Katholizität zu erfahren. Es müssen aber auch die regionalen Wallfahrten entsprechend
unterstützt werden, die für die ärmeren Familien erreichbarer sind. Auch wenn diese
weniger bekannten Wallfahrten normalerweise keine bildende Funktion haben, so können
sie doch die Freude am Evangelium vermitteln und den Glauben im Menschen bestärken.
Sie bieten zudem eine günstige Gelegenheit, um die großen Pilgerreisen durch die Zeugenaussagen
der Familien, die an ihnen schon teilgenommen und dabei unvergessliche Momente und
neue Begegnungen erlebt haben, anzubieten.
73. Schließlich ist es auch wichtig,
das die Gemeinde, die verantwortlich für einen Wallfahrtsort ist, der allen offen
steht, die Pilgerfahrt selbst mit der Gemeinde der Zigeuner abspricht und Kontakt
aufnimmt mit einem Verantwortlichen der entsprechenden Arbeitsgruppe für die Pastoral,
vor allem wenn man in loco nicht an ihre Kultur und ihre Traditionen gewöhnt ist.
Auf diese Weise kann man auch mögliche Reaktionen der Bewohner der Stadt oder des
Ortes, in dem sich das Heiligtum befindet, oder in der Nachbarschaft beobachten, um
die dortige Stimmung festzustellen und mögliche Eingriffe abzusprechen. Wenn man den
Ereignissen nicht zuvorkommt, kann die Unterbringung der Familien oder das Aufstellen
der Wohnmobile nämlich Spannungen hervorrufen, deren negative Erinnerung lange im
Gedächtnis bleiben wird.
Die Herausforderungen an die Zigeunerseelsorge
Übergang von Verdächtigungen zum Vertrauen
Die Tatsache,
sich mit Liebe und mit dem Wunsch, die Frohe Botschaft zu verkünden, bei den Zigeunern
vorstellt, ist allein nicht ausreichend, um zwischen ihnen und einem Träger der Pastoral,
der gağó ist, ein Vertrauensverhältnis zu schaffen, denn die Geschichte hat ihr Gewicht
und nach so viel erlittenem Unrecht, bleibt die Zigeuner-Bevölkerung misstrauisch
gegenüber den Initiativen, mit denen - wer auch immer - in ihre Welt einzudringen
versucht. Diese erste Haltung kann nur durch konkrete Beweise der Solidarität überwunden
werden oder vielleicht, indem man ihr Leben mit ihnen teilt.
Jede Bezeugung
und jeder Akt gegenseitiger Vergebung bestärken dann das Vertrauen und die Solidarität,
wodurch sie den Aufbau positiver Beziehungen zwischen den Zigeunern und den gağé fördern.
Hier mögen die Worte Gehör finden, die der Heilige Vater Johannes Paul II., am 12.
März 2000 an die Gläubigen richtete, als er um Vergebung für die Verfehlungen bat,
welche die Mitglieder der Kirche im Laufe der Geschichte den Zigeunern angetan haben
bat. 10
Von den verschiedenen Glaubensrichtungen zum Glauben
75. So
wie auch bei den gağé gibt es viele Zigeuner, die getauft, aber nicht evangelisiert
sind. Allein „der Glaube an Gott“ reicht nach der Sicht des christlichen Glaubens
nicht aus, denn man muss zu einer aufrichtigen Aufnahme Jesu Christi und seiner Botschaft
bei sich gelangen. Der Übergang vom Volksglauben zum Glauben kann unter Umständen
eingeleitet werden durch eine Art Katechumenenkurs, der die Getauften erneut zu der
freudigen Begegnung mit der Person des Herrn führt. Diese Bemühungen um eine Reife
im Glauben sollte die abwegige Leichtgläubigkeit, die häufig zur Ausübung der Chiromantie
und ganz allgemein zum Aberglauben führt ausmerzen. Ebenso müssen falsche Überzeugungen
über die Bedeutung der Liturgie überwunden werden. Vor diesem Hintergrund sollten
Bitten um die Sakramente, die von falschen und nicht vollständigen Absichten geleitet
werden auf das richtige Gleis zurückgeführt werden; dies gilt zum Beispiel für den
Wunsch nach körperlichem Wohlbefinden des Kindes.
Kirchlichkeit, Ökumene und
inter-religiöser Dialog
76. Ein reifer Glaube ist auch ein kirchlicher Glaube,
der fest verankert im Schoße der Kirche gelebt wird. Während der Kontakt mit Mitgliedern
anderer christlicher Konfessionen und anderer Religionen eine Gelegenheit zur Bereicherung
darstellen könnte, ist ein Wechsel der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kirche und
christlichen Gemeinde sicher dem Wachsen des Glaubens nicht förderlich, weil zwischen
diesen und der katholischen Kirche wichtige Verschiedenheiten, nicht nur geschichtlicher,
soziologischer, psychologischer und kultureller Natur, sondern vor allem in der Auslegungen
der offenbarten Wahrheit (vgl. UR 19). So sollte auch vermieden werden, gleichzeitig
zwei oder mehr Kirchen zu besuchen, was eine anormale Spaltung zwischen dem Glaube
und seiner Feier im Gottesdienst bedeuten würde.
77. Darüber hinaus muss man
sorgfältig unterscheiden zwischen den christlichen Konfessionen, den Sekten und den
„neuen religiösen Bewegungen“. Letztere können unter Umständen für die angeborene
Religiosität der Zigeuner sehr anziehend sein – manchmal sogar mit Methoden, die von
nicht evangelischer Proselytenmacherei durchdrungen sind -, aber sie bilden keine
echte kirchliche Realität. Man muss daher alles tun, um zu verhindern, dass die Zigeuner
den Sekten in die Falle gehen. Wir müssen jedenfalls zur Kenntnis nehmen, dass
die häufigen Wanderungsbewegungen der Zigeuner sie in Kontakt bringen mit gağé und
mit anderen Zigeuner, die anderen Konfessionen und Religionen angehören und von daher
ergibt sich die Notwendigkeit, die Pastoral in einer wahren ökumenischen und inter-religiösen
Perspektive zu gestalten, was sowohl bei der Art, wie die evangelische Botschaft dargestellt
wird, wie auch in der Beziehung zu den Verantwortlichen der anderen Konfessionen und
Religionen zu beachten ist.
Eine besondere Rolle könnte
daher in dieser spezifischen Pastoral den neuen kirchlichen Bewegungen zukommen, die
der Heilige Geist ins Leben ruft. Mit einem Gespür für die Dimension der Gemeinschaft,
für die Öffnung und die Bereitschaft ihrer Mitglieder und die ihnen eigene Herzlichkeit,
könnten sie tatsächlich einen konkreten Ort für die emotionale Ausdrucksform der Religiosität
der Zigeuner bieten und zugleich in einer wechselseitigen Beziehung ihre bessere Evangelisierung
fördern.
In jedem Fall wäre es nutzbringend, eine besondere Form der
Seelsorge für die Zigeuner zu schaffen, einen Raum für die internationalen und/oder
nationalen Katholischen Vereinigungen, die jedoch je nach den Umständen mit dem Päpstlichen
Rat der Seelsorge für die Migranten und Menschen unterwegs, mit den Ortskirchen oder
der nationalen Direktion, die sich mit den Nomaden befasst, in einer ständigen Beziehung
der Kommunion und der Zusammenarbeit stehen.
Die Säkularisierung
79. Wir
stellen fest, dass die allgemeine Säkularisierung in vielen modernen Gesellschaften
immer mehr auch die Zigeuner mitreißt, insbesondere jene, die stärker in die Welt
der gağé integriert sind. Die Besonderheit dieses Zusammenstoßes mit der Säkularisierung
besteht darin, dass sie „weniger darauf vorbereitet“ sind, weil ihre Situation getrennt
vom Rest der Gesellschaft sie bislang vor dieser Gefahr bewahrt hatte. Nun aber trifft
sie der Zusammenstoß besonders heftig. Die Säkularisierung wirkt sich ganz besonders
in der Welt der Jugendlichen aus, die von den angebotenen falschen Perspektiven leichter
angezogen werden und dies auf Kosten der Religiosität, die sie innerhalb der Familie
leben. Die jungen Leute haben immer häufiger Kontakt mit jungen gağé, die oft keinerlei
religiöses Interesse äußern, und sie wecken bei ihnen Fragen, die ihre Eltern ignoriert
haben. Die Eltern sind nicht sehr darauf vorbereitet, auf Fragen zu antworten, die
sie selbst sich ihrerseits nie gestellt hatten, denn bisher war Gott „offensichtlich“.
Aus diesem Grunde ist eine Pastoral für die jugendlichen Zigeuner dringend geboten,
die mit Vorrang vorzubereiten ist.
VI. KAPITEL DIE STRUKTUREN
UND MITARBEITER IN DER PASTORAL
80. Unbeschadet des absoluten Vorrangs der
Nächstenliebe, die in den Menschen und in den Institutionen den Wunsch weckt, für
jeden einzelnen Menschen und jede Gemeinschaft, auch die der Zigeuner, die volle Gemeinschaft
mit Christus zu befürworten, so müssen wir also überlegen, welches die geeigneten
Strukturen sind, um die Pastoral dort einzuleiten, wo sie noch nicht begonnen hat
oder auch für eine Verbesserung der Pastoral für die Zigeuner zu sorgen. Eingedenk
der Tatsache, dass wir einer komplexen und vielgestaltigen Realität gegenüber stehen
und dass die Situation in den einzelnen Teilkirchen auch sehr unterschiedlich ist,
müssen die allgemeinen Kriterien, die wir im Folgenden darlegen, den konkreten lokalen
Umständen mit den geeigneten Maßnahmen angepasst werden. Darüber hinaus ist zu unterscheiden
zwischen dem, was auf lokaler Ebene durchgeführt wird und dem, was sich über eine
ganze Nation oder Region oder gar auf die universelle Kirche erstreckt, auch wenn
dabei die entsprechenden Koordination und die erforderliche hierarchische Communio
sehr gepflegt werden muss.
Der Päpstliche Rat der Seelsorge für die Migranten
und Menschen unterwegs
Papst Johannes Paul II. hat in der Apostolischen
Konstitution Pastor Bonus11, vom 28. Juni 1988, dem Päpstlichen Rat der
Seelsorge für die Migranten und die Menschen unterwegs die Aufgabe anvertraut „die
pastorale Sorge der Kirche auf die besonderen Bedürfnisse derjenigen zu wenden, die
ihr Heimatland verlassen haben, oder kein Heimatland haben; gleichzeitig bemüht er
sich, mit der nötigen Aufmerksamkeit die Fragen zu verfolgen, die mit dieser Problematik
verbunden sind“ (Art.149). Er „setzt sich dafür ein, dass in den Ortskirchen eine
angemessene und wirksame spirituelle Betreuung angeboten wird, falls nötig auch mit
zweckmäßigen Pastoral-Strukturen, und zwar für die Flüchtlinge und Vertriebenen, für
die Migranten, die Nomaden und für die Zirkusleute“ (Art.150 § 1). Dieses Dikasterium
ist daher ein neuer Ausdruck der Fürsorge, die die Kirche in den vergangenen Jahrzehnten
durch die Schaffung aufeinanderfolgender Organe und Büros stets bewiesen hat, die
im Innern der Römischen Kurie tätig waren.
82. Die konkrete Durchsetzung
des ihm anvertrauten Auftrags erfolgt in der täglichen Arbeit der Belebung, Förderung
und Koordinierung der Pastoral, wie auch durch die Anwesenheit bei den verschiedenen
Tätigkeiten des Apostolats der Nomaden. Der Päpstliche Rat wendet sich also an die
Bischofskonferenzen, an die entsprechenden hierarchischen Strukturen der katholischen
Ostkirchen – unter voller Beachtung der Kompetenz der entsprechenden Kongregation
- und an die regionalen und kontinentalen Verbände sowie auch an einzelne Bistümer/Eparchien,
um zu der konkreten Umsetzung dieser Seelsorge anzuregen. Um zudem die Verbreitung
und den Austausch von konkreten Erfahrungen in den einzelnen Teilkirchen zu fördern,
organisiert das Dikasterium selbst internationale Kongresse, Treffen und Seminare
und nimmt soweit möglich auch an jenen teil, die andere Institutionen einberufen.
Darüber hinaus unterhält er Kontakte mit verschiedenen internationalen Einrichtungen,
die sich der menschlichen Förderung und der Seelsorge der Nomaden widmen.
Die
Bischofskonferenzen und die entsprechenden hierarchischen Strukturen der katholischen
Ostkirchen
83. Eingedenk des besonderen Charakters der Seelsorge für die Zigeuner,
kommt ihr in der nationalen Bischofskonferenz des Landes, in dem die Zigeuner wohnen,
und in den entsprechenden hierarchischen Strukturen der katholischen Ostkirchen eine
besondere Rolle zu, welche durch die bei ihnen eingerichtete Kommission für die Seelsorge
der Migranten und Menschen unterwegs wahrgenommen wird, mit besonderer Aufmerksamkeit
für die spezifischen Bedürfnisse der Zigeuner. Bei der Verteilung des verfügbaren
Personals und der Mittel, muss die Bischofskonferenz und die entsprechende hierarchische
Struktur der katholischen Ostkirchen darauf achten, dass die Seelsorge der Zigeuner
keine Diskriminierung erleidet, sondern einen gerechten Anteil im Vergleich zu den
anderen Minderheiten erhält. Zu den Aufgaben der entsprechenden Kommission gehört
nicht nur die Koordinierung der lokalen Instanzen, sondern auch die Bemühungen, die
es zum Ziel haben, die Gläubigen und die Seelsorger für die Situation der Zigeuner
zu sensibilisieren. Die Bischöfe werden also dieser Seelsorge besondere Beachtung
schenken während ihren Sitzungen der ständigen Fortbildungstreffen (vgl. PG 24). Außerdem
ist es erforderlich innerhalb der Kirche und in den christlichen Gemeinden die Informationsvermittlung
zu fördern und durchzuführen, die von den Seelsorgern gemeinsam unterstützt werden
muss, auch wenn der Bischöfliche Promotor – oder wer an seiner Statt – einen Sonderauftrag
erhält, den er jedenfalls nicht alleine ausführen kann. Eingedenk der geographischen
Verteilung der Bevölkerung der Zigeuner könnte eine gewisse Koordinierung der Pastoral
auf regionaler oder kontinentaler, wie auch nationaler Ebene angebracht sein.
Die
Bischöfe und die Zigeunerseelsorge
Aus der Beziehung wechselseitiger
Immanenz zwischen der universalen Kirche und den einzelnen Teilkirchen (vgl. LG 13)12
ergibt sich eine Katholizität, die die beiden kirchlichen Dimensionen verbindet und
formt. Das heißt, jede einzelne Teilkirche ist in sich katholisch, mit einer Katholizität,
die sich in einer herzlichen Communio ausdrückt. Dies ist die Kirche, „welche in allen
Sprachen spricht, in der Liebe alle Sprachen versteht und umfängt und so die babylonische
Zerstreuung überwindet“ (AG 4). Sie berührt, durchdringt und nimmt die Verschiedenheit
der Menschen in die katholische Fülle auf (vgl. AG 6).
Die
Aufgabe der Bischöfe besteht also darin, die Einheit der Teilkirchen, in der Mission,
zu verstärken und zu erhalten, und dabei jede menschliche Erfahrung, die der religiösen
und transzendenten Dimension offen steht, anzuerkennen und aufzuwerten, mit besonderer
Fürsorge für jene Gläubigen, die am Rande der Gesellschaft leben. Die Zigeuner-Minderheit
muss ihre besondere seelsorgerische Aufmerksamkeit auf sich ziehen, jedoch dabei vermeiden,
dass der „internationale“ Charakter dieser Bevölkerung dazu führt, dass sie auf lokaler
oder regionaler Ebene nicht beachtet wird.
Als Bewahrer
der Communio schlechthin müssen sich also die Bischöfe konkret darum bemühen, die
Einheit und die Identität der Zigeuner zu schützen, wie auch die Einheit zwischen
ihnen und der autochthonen kirchlichen Identität. Wenn sie ihre Identität nicht respektiert,
könnte die Teilkirche nämlich nicht einmal ihre eigene wahre Einheit aufbauen. Desgleichen
ist es ein Bedürfnis der kirchlichen Gemeinschaft, dass die Zigeuner die Ortskirche,
in der sie sich aufhalten, als die ihrige betrachten. So werden also die Priester
dieses Gefühlt zu stimulieren versuchen. Ein praktischer Ausdruck dieser kirchlichen
Communio ist bestimmt der aufrichtige und echte Dialog zwischen den verschiedenen
autochthonen fest bestehenden Gemeinden und den Zigeunern. Es ist wiederum Aufgabe
der Bischöfe diese Kommunikation eben unter voller Beachtung der Werte und der Kultur
und der Identität jedes einzelnen zu fördern und zu erleichtern.
Mögliche
seelsorgerische Strukturen mit Personaljurisdiktion
Die Besonderheit
der Pastoral für die Zigeuner ist derart, dass die Teilkirche oder Ortskirche sich
außer Stande sieht und nicht über die Möglichkeiten verfügt, – vor allem, weil geeignete
Seelsorger fehlen – um ihr gerecht zu werden. Es muss daher auch an die Möglichkeit
gedacht werden, eine Leitung auf inter-diözesaner oder nationaler/synodaler Ebene
zu schaffen, die der Bischofskonferenz oder der entsprechenden hierarchischen Struktur
der katholischen Ostkirchen unterstellt ist und die sich im weitesten Sinne des Wortes
mit der angemessenen Verteilung der Mittel befasst, mit der Vorbereitung der in der
Seelsorge Tätigen, der Koordinierung der Beziehungen zu ähnlichen Einrichtungen in
anderen Ländern usw. Zu diesem Zweck könnte eine pastorale Leitungseinheit, nützlich
oder sogar notwendig sein, welche die Arbeit und die Bedingungen, unter denen die
Kapläne und die anderen Seelsorger arbeiten, aufmerksam verfolgt, ungeschadet der
Gewalt der Diözesanbischöfe.
88. Die Ausmaße des „Phänomens Zigeuner“
und seine Besonderheiten machen eine wirksame seelsorgerische Antwort, die sich ganz
auf die Einrichtung der diözesanen oder inter-diözesanen Kaplaneien stützt, nicht
immer leicht. Eine umfassende und dauerhafte Lösung, die sicherer ist und über die
nötige Autonomie verfügt – immer in harmonischer Übereinstimmung mit den lokalen kirchlichen
Autoritäten – könnte im Rahmen der pastoralen Strukturen zu finden sein, die von der
Rechtsprechung und in der Praxis der Kirche vorgesehen sind.13
Der
Bischöfliche Promotor
89. Es ist notwendig, dass innerhalb der in Frage kommenden
Bischofskonferenzen oder der entsprechenden hierarchischen Strukturen der katholischen
Ostkirchen ein “Bischof Promotor“ für die Pastoral der Zigeuner ernannt wird. Es wäre
wünschenswert, dass dieser über Seelsorgeerfahrungen bei dieser Bevölkerung verfügt,
jedenfalls muss er über eine ausreichende persönliche Bildung verfügen, um die Besonderheit
der Welt der Zigeuner zu durchdringen und zu verstehen, da diese nicht mit dem übereinstimmt,
was über sie allgemein gesagt und angenommen wird. Selbstverständlich muss der Bischöfliche
Promotor engen Kontakt mit der nationalen Arbeitsgruppe unterhalten und er wird die
Sichtweise der universellen Kirche in Bezug auf die Ortskirche des Landes, in dem
die Zigeuner leben, dort einbringen, um so angesichts ihrer fließenden Beziehung zu
der Gesellschaft und der Kirche die allgemeine Dimension bewusst zu machen. Er muss
sich den Zigeunern gegenüber als ganz besonders aufmerksam erweisen und die Tätigkeit
der Kapläne und der Pfarrer zu ihren Gunsten unterstützen. Es ist außerdem notwendig,
die Bischöfe über die Anwesenheit der Zigeuner in ihren Diözesen/Eparchien zu informieren
– und umgekehrt - und sie vielleicht darum zu bitten, einen Geistlichen, eine Ordensfrau
oder einen Laien frei zu stellen, eine Person also, die den Auftrag erhält, die Sorge
um die Evangelisierung der Zigeuner wach zu halten. In jenen Ländern, in denen die
Zigeuner-Bevölkerung zahlreich und weiter anwachsend ist, muss es eine vorrangige
Aufgabe sein, auf nationaler/synodaler, regionaler Ebene, oder im Bereich einer spezifischen
Kirche sui iuris eine Struktur für die Pastoral zu schaffen oder die bereits bestehende
zu verstärken. Die nationale Leitung
90. Auch wenn die nationalen Kaplaneien
oder ähnliche Einrichtungen nicht immer einheitlich organisiert sind, gibt es im allgemeinen
einen National-Direktor, dem vielleicht ein oder zwei Assistenten zur Seite stehen,
je nach der Größe der Zigeuner-Bevölkerung und dem geographischen Gebiet, in dem sie
sich aufhält. Nationale Begegnungen oder ähnliche Treffen, an denen die Zigeuner,
Priester, Ordensleute und Laien-gağé teilnehmen, bieten die Möglichkeit, die großen
Probleme zu behandeln, die diese Bevölkerung betreffen, Vorschläge einzubringen für
den seelsorglichen Einsatz der Kirche. Bei diesen Gelegenheiten ist die Anwesenheit
des Bischöflichen Promotors unerlässlich. Tragende Säule jeder Tätigkeit muss es sein,
die Zigeuner nach und nach dahin zu führen, dass sie selbst in erster Linie Verantwortung
für ihr Schicksal übernehmen. Der National-Direktor oder eine gleichbedeutende Person
sollte ein Mensch mit einer guten Kenntnis der Zigeuner-Bevölkerung sein und mit einer
internationalen Sichtweise, er sollte über Erfahrungen mit der Arbeit vor Ort verfügen
und Erfahrung mit Arbeitsgruppen haben.
91. Der National-Direktor oder ein
Gleichrangiger ermutigt die Schaffung – wenn dies nötig ist - von regionalen Arbeitsgruppen,
um die gemeinsamen Erfahrungen mit den Zigeunern zu analysieren, sei es im Hinblick
auf größere Gerechtigkeit ihnen gegenüber wie auch im Hinblick auf die Qualität und
die Kontinuität des religiösen Beistandes und der Katechese. Es werden darum jährlichen
Zusammenkünfte zur Ausbildung der Kapläne, der Ordensleute und der Laien vorgeschlagen.
Man muss auch Zeiträume organisieren, in denen man bei Zigeuner-Familien und Zigeuner-Gemeinden
lebt, um von innen her ihre Mentalität, das ganze Netz ihrer Beziehungen, die relative
Armut, die vorhandenen Qualitäten und Mängel zu verstehen. Dies ist oft eine schwierige
Erfahrung, aber sie ist notwendig und bereichert. Entsprechend kann die Nationalleitung
oder eine ihr gleichbedeutende Einrichtung die Schaffung von „Glaubensschulen“ für
die Zigeuner-Paare und Zigeuner-Familien unterstützen, die berufen sind in konkreterer
Form zur christlichen Animierung in ihren Gemeinden beizutragen. Die Kaplaneien/Missionen
92. Mit dem Ziel, niemanden von der Gemeinschaft des Glaubens und den Sakramenten
auszuschließen, gibt es eine inzwischen bewährte Erfahrung, die den pastoralen Strukturen,
die auf territorialer Basis organisiert sind – in der Regel die Pfarrgemeinden –
andere Strukturen an die Seite zu stellen, die sich an verschiedene Kategorien von
Menschen richten, die einer besonderen Seelsorge bedürfen. So finden wir in der Kirche
Kaplaneien/Missionen für die Migranten, die Flüchtlinge, die Universitätsstudenten,
die Kranken in den Krankenhäusern, für die Strafgefangenen, für die Welt des Sports,
der Unterhaltung usw. Vor diesem Hintergrund findet die Kaplanei ihren Platz, die
eine besondere Art der Pastoral für die Zigeuner durchführt und mit allen erforderlichen
Mitteln ausgestattet ist, um ihrer Mission nachzukommen.
Die Kapläne/Missionare
Für die Ausübung der spezifischen Seelsorge der Zigeunern ist eine besondere
Vorbereitung nötig, die von dem bischöflichen Promotor geleitet wird und sich an die
nationale oder ähnliche Direktion richtet, in Zusammenarbeit mit den Diözesan/Eparchial-Bischöfen.
Für diese Aufgabe der Ausbildung der Geistlichen für die Welt der Zigeuner ist eine
nationale oder gleichbedeutende Arbeitsgruppe erforderlich, die gut vorbereitet und
effizient ist. In jeder Diözese sollte es eine Anzahl von Kaplänen geben, die proportional
ist zu der Anwesenheit der Zigeunerbevölkerung in loco. Die Pastoral für die Zigeuner
sieht natürlich auch die Beteiligung der Ortspfarrer vor, die nicht die gesamte Last
der apostolischen Arbeit auf die Schultern der Kapläne/Missionare dieser spezifischen
Pastoral abwälzen dürfen. Zwischen ihnen und den Pfarrern muss sich jedoch ein intensiver
Synergismus und ein Geist der Zusammenarbeit entwickeln. Es ist Aufgabe der Pfarrer
die Aufmerksamkeit der Pfarrgemeinde auf die Zigeuner zu lenken und sich bei ihrem
Dienst an ihnen vom Kaplan/Missionar helfen zu lassen, wie es in diesem Paragraph
dargestellt ist.
94. Da sich der Dienst der Kapläne/Missionare bei
den Zigeunern als eine besonders schwierige Aufgabe darstellt, müssen die Priester,
die für diese Aufgabe bestimmt sind, Hilfe bekommen und ermutigt werden. Empfohlen
wird daher, die territoriale und die personelle Seelsorge aufeinander abzustimmen.
Und es ist erwünscht, dass Pfarrer und Kapläne/Missionare, die mit dieser Seelsorge
betraut sind, einen der Arbeit förderlichen Dialog suchen und unterhalten. Ebenso
ist es wichtig, dass in den Seminaren und den Ausbildungsstätten für die Ordensleute
in den betroffenen Ländern zumindest einige Grundlagen der Pastoral für die Zigeuner
vermittelt wird.
95. Das Dekret der Päpstlichen Kommission für Migranten-Seelsorge
und Tourismus, vom 19. März 1982, bringt eine Aufzählung von sieben besonderen Vollmachten,
welche den Seelsorgern einiger Gruppen von Gläubigen verliehen wurden. Unter ihnen
stehen auch die Nomadenseelsorger (Vollmachten, die sich auch auf den Priester ausdehnte,
der in Abwesenheit oder Verhinderung des Seelsorgers als sein Vertreter ernannt wurde).
Es muss berücksichtigt werden, dass, als dieses Dekret erlassen wurde, außer
dem Codex des kanonischen Rechts von 1917, die Instruktion De pastorali migratorum
cura der Kongregation für die Bischöfe in Kraft war, herausgegeben am 22. August 1969,
wo die Nr. 36, § 2 vorsah, dass das Ernennungsreskript des Seelsorgers von der Kongregation
für die Bischöfe ausgestellt wird. Um jedenfalls die Vollmachten der Kapläne,
die sich der Zigeunerseelsorge annehmen zu berücksichtigen, muss man sich nicht nur
die Disziplin des neuen Codex von 1983 und den der CCEO hinsichtlich der einzelnen
Materien, auf die sich die Vollmacht bezieht vor Augen halten, sondern vor allem die
Tatsache, dass die Kapläne vom zuständigen Ortsordinarius/Hierarchen ernannt werden,
wie zum Beispiel gemäß Canon 565 (CIC) und Canon 585 (CCEO). So beziehen sich also
die Vollmachten auf eine gewisse Diözese/Eparchie, mit Ausnahme der Vollmacht, die
Beichte zu hören, die normaler Weise ubique terrarum gegeben ist.14 Es
bliebe also alleine noch die Vollmacht, das Allerheiligste in einem Wohnwagen aufzubewahren,
wenn auch hier die Anordnungen des Can 934 dem Ortsordinarius viel größere Handlungsvollmacht
einräumt, als Can 1265 des Codex von 1917 vorsah. Jedenfalls kann der Päpstliche Rat
der Seelsorge für die Migranten und Menschen unterwegs unter gewissen Bedingungen
solchen Strafnachlass gewähren.
die mitarbeiter in der pastoral im dienste
der zigeuner-gemeinden
Die Mitarbeiter in der Pastoral sind
Männer, Frauen, Zigeuner-Paare oder gağé-Paare, Laien, Ordensleute oder Geistliche,
die dazu berufen sind, mit einer klaren Verantwortung und möglicherweise mit einem
„Missionsauftrag“ des Bischofs oder wer sonst Träger der zu diesem Zweck errichteten
seelsorgerischen Struktur ist, in den Dienst für die Zigeuner zu treten. Es kommt
dem Diözesanbischof oder dem Ortshierarchen zu, den verlangten Dienst zu definieren
und anzuerkennen, wobei er dafür Sorge trägt, die erforderliche Ausbildung der nationalen,
synodalen oder regionalen Arbeitsgruppe anzuvertrauen, die vom Bischöflichen Promotor
geleitet wird.
97. Was die Bildung angeht, so ist im allgemeinen
daran zu erinnern, dass ein Pastoral- Mitarbeiter, der dauerhafte seelsorgerische
Verbindungen mit Zigeuner-Familien unterhält, von der territorialen Gemeinde nicht
ohne Weiteres anerkannt wird, während es auch wahr ist, dass er nicht direkt von den
Zigeunern selbst akzeptiert wird. Deshalb muss er seine Kontakte verstärken, um ihre
Geschichte und ihre Situationen kennen zu lernen. Es ist außerdem wichtig, das Beziehungsnetz
innerhalb eines Zigeuner-Bezirks oder auf einem Stellplatz zu kennen. Die Mitarbeiter
in der Pastoral müssen sich also darum bemühen, eine Diskussionsgruppe zu gründen,
an der Zigeuner teilnehmen, was vor allem zu Beginn nicht leicht zu erreichen ist.
Nicht wenige Mitarbeiter in der Pastoral ermüden dagegen schnell und verlieren den
Mut, weil sie alleine da stehen bei der Analyse ihrer Erfahrungen und alles tragen
müssen. Auf der Grenzlinie zwischen verschiedenen kulturellen Welten, müssen sie sich
darum darauf verlassen können, dass eine aufnahmebereite christliche Gemeinschaft
hinter ihnen steht, die auch durch ihre Mithilfe versucht, den Zigeunern entgegen
zu gehen und gemeinsam fortzuschreiten, damit die verkündete universelle christliche
Brüderlichkeit Wirklichkeit wird.
Die Brückengemeinden
98. In solchen
Situationen, erprobter, objektiver Schwierigkeit, haben sich die sogenannten Brückengemeinden,
die aus Pastoral-Mitarbeitern gağé bestehen, welche das Leben der Zigeuner-Gemeinde
teilen, als ein wirksamer Ausdruck der organischer Einheit erwiesen und sollten daher
gefördert werden. Tatsächlich zeigt es sich, dass das tägliche Leben mit ihnen teilen
mehr zählt als viele Worte. Es erweist sich sogar als unerlässlich, damit auch die
christlichen Gemeinden sich von den negativen Vorurteilen und von den verallgemeinernden
Verurteilungen befreien wollen und bereit sind, die Zigeuner zu treffen. Das Einschreiten
des Bischöflichen Promotors und des Diözesan/Eparchialbischofs in diesem Gebiet ist
besonders entscheidend, damit diese Brückengemeinden unterstützt und gefördert werden
und nicht gleichzeitig eine bequeme Entschuldigung für das Desinteresse der anderen
Christen werden. Aus demselben Grund werden auch der Bischöfliche Promotor und der
Diözesan-Ordinarius oder der Hierarch systematisch über die Arbeit der Brückengemeinden
informiert werden.
Zigeuner als Mitarbeiter in der pastoral
99. Aus
einer solchen, gut angelegten Pastoral müssten als natürliches Ergebnis, in den Reihen
der Zigeuner ein „Protagonismus“ erstehen. Sie müssen zu Aposteln ihrer selbst werden.
Auch auf diese Weise fänden dann die Worte von Papst Paul VI. Erfüllung, der - allerdings
in einem anderen Zusammenhang - feststellte: „Das christliche 'Mysterium' muss im
Geiste eures Volkes heranreifen, damit seine ursprüngliche Stimme heller und freier
in den harmonischen Chor der Stimmen der universellen Kirche mit einstimmt“.15 Im Allgemeinen ziehen die Laien aus dem Volk der Zigeuner, die in der Pastoral
tätig sind, eine nicht definitive und erneuerbare Aufgabe vor. Ihr Leben hängt stärker
als das anderer Menschen von den Wechselfällen des Lebens ab. Wenn zum Beispiel die
Armut einiger Familienmitglieder unerträglich wird, ist es ihnen unmöglich, ihrer
Verantwortung nachzukommen, denn die Dringlichkeit der Überlebensfrage erfordert ihren
ganzen Einsatz. Darüber hinaus kann die geringe Aufnahmebereitschaft dieser Umwelt
dazu führen, dass der Laie, wenn er als einer von den gağé gesandten angesehen wird,
ihn dazu veranlassen kann, auf seinen Dienst zu verzichten, denn seine Tätigkeit könnte
sonst dazu führen, dass er aus seiner Ursprungsgemeinde ausgeschlossen wird.
100.
Die Ausbildung von Laien-Zigeunern für pastorale Aufgaben ist jedoch unbedingt vorrangig
und verpflichtend für die Zukunft der Kirche. Es ist keine einfache Aufgabe, denn
sie setzt immer eine persönliche Beziehung zu einem Priester, einer Ordensfrau oder
einem Laien voraus, die gewohnheitsmäßig in Kontakt mit einer oder mehreren Zigeuner-Familien
leben, denen die Bereitschaft und die Großzügigkeit zum Beispiel einer Person oder
eines in ihrer Umgebung beliebten Paares aufgefallen ist, deren Einfluss spürbar ist.
Doch darf dieses Paares nicht ausgebildet werden, indem man es von der Familie trennt.
Deren Reaktionen und deren Bewusstwerdungsprozess müssen stattdessen kontinuierlich
beobachtet werden. Die Ausbildung muss gemeinsam mit andern Personen oder Paaren aus
den Reihen der Zigeuner erfolgen, die der Einladung gefolgt sind. Die animierende
Gruppe muss sich ihrerseits regelmäßig die Frage nach den Entwicklungen innerhalb
der Gruppe und ihren Auswirkungen auf die Umgebung der Zigeuner stellen. Die Erfahrungen
mit der Katholizität werden dabei helfen, festzustellen, ob die Zigeuner gerne das
Wort ergreifen und ob sie dabei immer intensiver die Erfahrung machen, dass der Glaube
eine persönliche Beziehung zu Christus bedeutet, eine selbstlose Liebe zu allen Menschen.
Auch die christliche Gemeinde, welche die animierende Gruppe begleitet, muss sich
die Frage nach der Qualität der Aufnahme dieser Gruppe und nach ihrer jeweiligen Erwartung
stellen. Die Initiative muss darum wechselseitig sein und Quelle einer gemeinsamen
christlichen Erfahrung in Worten und unter Lebensbedingungen, an die Laien normalerweise
nicht gewöhnt sind.
101. Im Innern dieses "Protagonismus“ muss das Gebet zum
Heiligen Geist aufsteigen, damit er bei den Zigeunern zahlreiche Berufungen zum Priester
oder zum Ordensleben erweckt, die nötig sind, damit man von einer wahren implantatio
Ecclesiae (Einpflanzung der Kirche) in einem Zigeunerumfeld sprechen kann. Es gilt,
in angemessener Weise auf eine Förderung der Berufungen hinzuarbeiten, eingedenk der
Tatsache, dass „die Kirche in einer menschlichen Gemeinschaft tiefere Wurzeln schlägt,
wenn die verschiedenen Gemeinden der Gläubigen aus ihren Reihen ihre eigenen Diener
des Heiles erhalten“ (AG 16).
ZUM ABSCHLUSS UNSER WUNSCH
Es
ist zu hoffen, dass diese "Orientierungen“ dem Wunsch vieler entsprechen, die in ihrem
Dienst zugunsten der Nomaden, die unsere Brüder und Schwestern sind, immer wirksamere
pastorale Anweisungen zu erhalten wünschen. Für die Kirche bedeutet die Aufnahme der
Zigeuner bestimmt eine Herausforderung. Die fast überall verbreitete Anwesenheit der
Nomaden ist für uns zugleich eine ständige Aufforderung, unsere irdische Pilgerfahrt
im Glauben zu leben, Nächstenliebe und christliche Communio zu praktizieren, um jede
Gleichgültigkeit und Feindseligkeit ihnen gegenüber zu überwinden. In seinem Apostolischen
Schreiben Nuovo Millennio Ineunte hat uns Papst Johannes Paul II. in der Tat dazu
aufgefordert, „eine Spiritualität der Communio“16 zu fördern, was vor allem
bedeutet, die Freuden und die Leiden des andern zu teilen, seine Wünsche zu erahnen
und sich der Bedürfnisse eines jeden anzunehmen, um ihm schließlich eine echte und
wahre Freundschaft anzubieten.17
Rom, am Sitz des Päpstlichen
Rates der Seelsorge für die Migranten und Menschen unterwegs, am 8. Dezember 2005,
am Fest der Unbefleckten Empfängnis Mariens.
Stephen Fumio
Kardinal Hamao Präsident
+ Agostino Marchetto Titular-Erzbischof
von Astigi
AAS Acta Apostolicae Sedis AG II. Vatikanisches
Konzil, Dekret über die Missionstätigkeit der Kirche Ad Gentes CCEO Codex Canonum
Ecclesiarum Orientalium CD II. Vatikanisches Konzil, Dekret über die Hirtenaufgabe
der Bischöfe Christus Dominus CIC Codex Juris Canonici IM Johannes Paul II.,
Eröffnungsbulle zum Großen Jubiläum des Jahres 2000 Incarnationis Mysterium LG
II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen Gentium PG
Johannes Paul II., Nachsynodales Apostolisches Schreiben über den Bischof als Diener
Pastores gregis PL Patrologia Latina, Migne RM Johannes Paul II., Enzyklika
über die fortdauernde Gültigkeit des Missionarischen Auftrags Redemptoris Missio UR II.
Vatikanisches Konzil, Dekret über den Ökumenismus Unitatis Redintegratio