2006-01-31 10:30:07

Dossier: Comeback des Religiösen? Von P. Eberhard v. Gemmingen SJ


Kommt das Religiöse zurück - in Deutschland, in Europa, in der Welt? Erlauben Sie mir, dass ich mit einem längeren Zitat aus einem Roman beginne. Den Autor werde ich Ihnen nachher nennen. Die Szene soll uns ein wenig in die Fragestellung und ihre Dramatik einführen.
Der Roman beginnt so:
„Papst Sing-Hua I. hatte seine Residenz in der koreanischen Hauptstadt in einem 50-stöckigen Hochhaus. Korea war zu drei viertel katholisch. Die Sprache der katholischen Welt war chinesisch, obwohl Korea der Hauptstützpunkt der katholischen Kirche geworden war. Die meisten Katholiken wohnten jetzt in Korea, China, Vietnam, in Indonesien, ziemlich viele auch in Burma, in der Mongolei. Es gab große katholische Inseln auch in Afrika, vor allem im Kongo, in Uganda, in Kenia, Tansania und in den Kleinstaaten Westafrikas. Europa spielte für die katholische Kirche keine Rolle mehr. Die Katholiken Europas hatten sich in den Jahren von 2005 bis 2025 durch interne Auseinandersetzungen, Selbstzweifel und Kindermangel praktisch selbst aufgegeben und aufgelöst. Daher war im Jahr 2015 erstmals ein Afrikaner zum Papst gewählt worden. Der aber konnte sich gegen den moralischen Druck aus Ostasien nicht mehr durchsetzen, und so wählten die mehrheitlich asiatischen Kardinäle im Jahr 2023 einen Koreaner zu ihrem Oberhaupt. Und so blieb das Papstamt denn bis zum Jahr 2075 in koreanischer Hand.
Der Blick zurück auf die Metastasen der Kirche in Europa war so entsetzlich, dass die aus Ostasien stammenden Katholiken froh waren, ihren eigenen Weg der Nachfolge Christi gefunden zu haben. Vietnam war sogar zu 80 Prozent christlich, vermutlich als Folge der harten Religionsverfolgung in der Zeit des kommunistischen Regimes. Die Kommunisten trieben die vietnamesische Bevölkerung praktisch in die Arme der katholischen Kirche. Auch einige reformierte Gemeinschaften waren damals stark gewachsen, doch der eindeutige Sieger blieb die Kirche unter dem Papst. Noch heute schwören die vietnamesischen Katholiken auf Rom, obwohl der frühere Sitz der Päpste in Rom längst zu einem UNESCO-Museum geworden war.
Freilich darf hier nicht verschwiegen werden, dass auf Wunsch der UNO in den so genannten europäischen Schutzgebieten noch christliche Inseln künstlich am Leben gehalten werden. Die Kulturethnologen wollen in ihnen erforschen, wie sich traditionelle Gesellschaften erhalten. Doch davon erst später.
Die Gesamtzahl aller Katholiken weltweit hatte sich im Jahr 2075 auf rund eine halbe Milliarde eingependelt. Die katholische Kirche war also eine Minderheit geworden. Ihre Stärke bezog sie in Ostasiens teilweise aus ihrer kulturellen Nähe zum wieder auferstandenen Konfuzianismus. Die moralische und gesellschaftliche Ordnung der Konfuzianer und der Katholiken berührten sich in vielen Punkten. Wichtig waren ihnen Disziplin, Rücksichtnahme, Solidarität, Respekt vor der Autorität. Beiden kulturellen Gruppen lag am Herzen, dass die Rechte des Einzelnen und die Rechte der Gemeinschaft in ein ausgewogenes Verhältnis kamen. Der extreme Individualismus hatte Europa und die europäischen Kirchen zerstört, und die Christen Asiens wussten, was sie vermeiden mussten.
An einem Dienstagmorgen kam der Archivar der päpstlichen Kurie in Seoul etwas aufgeregt zum Papst. Es platzte förmlich aus ihm heraus: „Heiliger Vater, wir haben in einem Washingtoner Archiv den Bericht eines aufmerksamen Beobachter des mongolischen Geheimdienstes gefunden, in dem dieser minutiös die Auflösung der katholischen Kirche in Europa schildert. Der Bericht stammt aus dem Jahr 2045, also vor jetzt 30 Jahren, greift aber weit in die Vergangenheit zurück, beginnend mit der Wahl Papst Benedikts im Frühjahr 2005.
Kardinal Ratzinger, der scharfe Beobachter hatte in vielen Schriften bereits auf die Auflösungserscheinungen der westlichen Kultur hingewiesen und vor falscher Liberalisierung gewarnt. Von vielen war er als Fundamentalist bezeichnet worden. Dieses Schimpfwort war geeignet, seine Autorität zu untergraben, was mit Hilfe der kirchenkritischen und gewinnorientierten Medien auch leicht gelang. Die verschiedenen Bevölkerungen Europas waren auch durch raffinierte psychologische Bearbeitung und Mangel an Kriegen bereits so unkritisch geworden, dass sie die Wirklichkeit kaum noch interessierte. Persönliche Freiheitsrechte, materielle Ausstattung, Zukunftssicherung waren so dominant, dass der Sinn für Solidarität, Gerechtigkeit, Zucht und Maß völlig verloren gegangen waren. Freilich gab es kleine Inseln, in denen die Welt – wie man damals sagte – noch in Ordnung war. Aus ihnen wurden später im deutschen Sprachraum der „Austro-Zoo“, der „Teutonen-Zoo“ und der „Helveten-Zoo“. Die Bewohner dieser Human-Biotope wurden zwar von den übrigen Bevölkerungen als Fundis belächelt. Die von den Chinesen und Indern dominierte UNO und UNESCO legten jedoch größten Wert auf die Erhaltung dieser Schutzzonen, um an ihnen zu studieren, wie humanes Leben vor der Einführung der obligat gewordenen künstlichen Befruchtung sich entwickelte.
Papst Benedikt gewann zwar im Lauf seiner 12-jährigen Amtszeit weltweit hohe Autorität, seine Stimme wurde gehört, er wurde geehrt und anerkannt. Es gab aber in der katholischen Kirche vor allem in den nördlichen Ländern am Atlantik sehr viele Kräfte, die den Ernst der kirchlichen Lage nicht erkannten und meinten, mit theologischen und vor allem moraltheologischen Änderungen der Kirche aufhelfen zu können. Man sprach von Liberalisierung der Sexualmoral, von der Öffnung der Kirche für künstliche Befruchtung, von der Abschaffung des Pflichtzölibats der Priester, von der Einladung an Nichtkatholiken zur Eucharistie, von Interkommunion und Interzelebration, von der Aufwertung der Frauen in der Kirche und ihrer Zulassung zum Priestertum. Es waren nicht die Schlechtesten, die diese Themen immer wieder zur Sprache brachten. Sie übersahen dabei aber, dass die Existenz der Kirche in Europa überhaupt auf dem Spiele stand. Schon zu Benedikts Zeiten sagten nüchterne Beobachter voraus, dass ums Jahr 2050 nur noch 10 Prozent aller Europäer getauft sein würden und gleichzeitig die eigentlich europäisch denkende Bevölkerung von 350 Millionen auf 100 Millionen zurückgehen würde. Es war ums Jahr 2005 abzusehen, dass Europa rein zahlenmäßig gegenüber den Chinesen und Indern zu einer lächerlichen Minderheit absinken würde. Auch Benedikt wurde nicht müde, auf diese Entwicklung hinzuweisen. Schon mit der Wahl seines Namens zeigte er, dass ihm Europa ans Herz gewachsen war. Benedikt hatte vor dem Mythos der Wissenschaft eindringlich gewarnt. Aber seine Macht war begrenzt, die Blindheit der breiten Bevölkerung war bereits so groß, sodass der Absturz Europas kam wie er kommen musste. Religion war ein privater Bereich, der von den Politikern, von Kultur- und Medienschaffenden belächelt wurde. Vor allem die Wirtschaftsinteressierten hatten es geschafft, das kritische Denken fast ganz auszuschalten.
Das war in Europa das Ende der öffentlichen Religion. Dazu hatte das, was die Öffentlichkeit Wissenschaft nannte, erheblich beigetragen. Die chemische Industrie überzeugte die Bevölkerung davon, dass Krankheiten durch Selektion der Embryos weitgehend verhindert werden konnten. Daher verabschiedeten die verbliebenen europäischen Parlamente Gesetze, wonach die Bürger nur noch durch künstliche Befruchtung zur Welt kommen durften. Embryonen wurden durch von staatlichen Ämtern auf Krankheiten untersucht und bei Krankheit entsorgt. Auf ungeschütztem Geschlechtsverkehr standen höchste Gefängnisstrafen, weil durch ihn ständig Krankheiten und Seuchen übertragen werden konnten. Videoüberwachungen in allen Wohnungen und öffentlichen Räumen konnten von den Bürgern nicht abgeschaltet werden.
In einigen Regionen Europas gab es heftigen Widerstand, während andere schon seit langem so liberal waren, dass die Maßnahmen sofort griffen. Widerständig zeigten sich natürlich Polen, Kroatien und die Slovakei, in Deutschland waren es Oberschwaben, Westfalen, Teile von Südbayern, in Österreich Tirol und Vorarlberg, in der Schweiz die Kantone Uri und Unterwalden. Heftigen Widerstand gab es wie zu erwarten in Sizilien und Sardinien, in manchen Teilen Irlands, in gewissen Regionen Frankreichs. Die UNO war hier erstaunlich effizient und entschied, man solle aus den genannten Regionen „Schutzzonen“ machen, an denen Ethnologen studieren konnten, wie die dortigen Gesellschaften sich mit der traditionellen Zeugungsmethode entwickeln würden, wie viele und welche Krankheiten auftauchen und wie man sie in den Zonen bekämpfen würde. Bald wurden für sie im Volksmund eben „Human-Zoo“ genannt. Sie waren mit Stacheldraht umgeben, Kommunikation zwischen denen drinnen und draußen war streng verboten. In diesen Zonen war natürlich auch Religion weiterhin erlaubt und sogar erwünscht. Die Ethnologen suchten Populationen, die man vergleichen konnte.
Der Verfall der Kirchen in Europa hatte einen gesellschaftlichen Hintergrund, der hier nur in groben Skizzen nachgezeichnet werden soll. Die Hauptkrisenherde waren der Bereich der Bildung und der Gesundheitspflege. Der Stand der Bildung war in den ersten Jahrzehnten des 21.Jahrhunderts rapide gesunken. Zwar lernten Schüler und Studenten noch die technischen Fähigkeiten, um mit den neusten Computern umgehen zu können. Doch die Grundfähigkeiten schwanden immer weiter dahin: Rechtschreibung, Satzbau, Rechnen, Mathematik, Logik, Grundkenntnisse in Literatur, Geschichte und Geographie – hier waren teilweise die USA vorausgegangen. Die Schulbehörden verzichteten schrittweise in allen Ländern Europas auf Prüfungen. Alle Schüler besuchten nach der Mittelschule die Universitäten. Nur die Intelligentesten lernten Handwerke.
Zur Gesundheitspflege waren die wichtigsten Schritte: nur auf Krankheiten geprüfte Embryonen durften implantiert werden. Auf Verstöße standen höchste Strafen. Europa hatte einen Zehnjahresplan zur Abschaffung der Krankenhäuser. Denn Krankheit war gesellschaftlich geächtet. Durch eine langfristige, von Psychologen erarbeitete Medienkampagne war die Bevölkerung davon überzeugt, dass Kranksein unanständig und für die Gesellschaft schädlich ist. Kranke siechten in ihren Wohnungen dahin, bis sie qualvoll starben. Sie mussten heimlich beigesetzt werden.“

Hier breche ich die Lektüre dieses schrecklichen Romans ab. Ich erlaube mir zu sagen, dass ich der Autor der Schrift bin. Sie wird wohl nie veröffentlicht werden.

 Unsere Frage also:
Gibt es ein religiöses Erwachen? Gibt es in Deutschland und darüber hinaus eine neue Suche junger Menschen nach Religion, Glaube, gar eine Frage nach der Kirche?
Woher kommt eigentlich die Frage?
Wir wollen uns ihr stellen. Woher kommt aber eigentlich die Frage? Ich möchte versuchen, die Gründe kurz zu nennen.
Denken wir an den Strom von Menschen, die sofort nach der Nachricht vom Tod von Papst Johannes Paul II. nach Rom gefahren sind, um ihm die letzte Ehre zu erweisen. Viele von ihnen waren um die 20 Jahre alt.
Man bedenke: sie mussten von jetzt auf nachher ihre Koffer packen, ihren Arbeitgeber anrufen, dass sie fehlen, mussten den Familienmitgliedern bescheid geben – dann ein Zug oder einen Flug buchen und weg. Sie hatten in Rom vermutlich keine Unterkunft, wussten nicht, wo sie ihr Haupt hinlegen wollten. Es war also schon ein bisschen mehr als pure Abenteuerlust.
Freilich so ganz überraschend war der Tod des 84-jährigen ja nicht. Man wusste von Radio und Fernsehen, dass er mit dem Tode rang. Also, man konnte sich ein bisschen darauf vorbereiten. Aber die Menschen wussten ja vermutlich auch nicht frühzeitig, dass der Leichnam des Papstes einige Tage in St. Peter aufgebahrt sein würde und dass man an ihm vorbeiziehen konnte. Sie wussten sicher auch nicht, dass man dazu im besten Fall vier Stunden, im schlechten Fall 12 Stunden anstehen musste und dass es dabei für römische Verhältnisse bitter kalt sein würde.
Also: ich wage: hinter diesem Sturm auf Rom stand wesentlich mehr Ernst als bei manchem Papstbesuch. Denn erinnern wir uns: Jeder Papstbesuch war natürlich auch ein kleines Happening, ein event. Man trifft Gleichgesinnte, kommt von zuhause weg – ein wichtiges Argument für junge Leute! – man erlebt etwas, wovon alle sprechen. Also ich würde Papstbesuche als Ausdruck religiöser Suche nicht überbewerten, wohl aber den Drang, den toten Papst zu sehen und zu ehren. Dahinter stand schon – m. E. – eine religiöse Suche. Denn er war ja sichtbar ein Mann Gottes, ein Zeuge, Mahner, Prophet. „Prophet“ hatten ihn zwei italienische Journalisten schon zu seinen Lebenszeit genannt.

Warum fragen wir nach religiösem Erwachen, neuer religiöser Suche? Weil wir den Zug zum Papst gesehen haben und nicht vergessen sollten. Wenn ich persönlich Unterhaltungssendungen am Fernsehen sehe, denke ich manchmal an die Schlange, die sich tagelang nach St. Peter wälzte. Dann muss man sich fragen: sind die Menschen vielleicht doch ganz anders als es uns die Unterhaltungsindustrie vormacht. Vielleicht sind viele Menschen doch ganz anders als es auf den ersten Blick wirkt. Diese Frage sollten wir nicht vergessen.
Und dann der Weltjugendtag in Köln. Kaum zu glauben: in dem mehr oder weniger heidnischen oder gottfernen Deutschland sind hunderttausende von jungen Leuten unterwegs zu Kirchen, zum Beten, zum Beichten, zum Austausch über religiöse Fragen, um Katechesen von Bischöfen zu hören, keine Unterhaltungs-shows. Katechesen von Bischöfen aus aller Welt.
Gut – viele von diesen jungen Leuten kamen aus frommen Ländern – oder eben aus Ländern, in denen der Glaube noch lebendiger ist: aus Polen, Kroatien, auch Italien, Spanien, Portugal. Aber nach Angaben des Bundes der deutschen katholischen Jugend kamen auch rund 100.000 deutsche Jugendliche. Das sei die größte Ansammlung deutscher katholischer Jugendlicher in der Geschichte des Landes gewesen. So viele hätte man noch nie zusammen bekommen.
Was hat sie angezogen? Das „weg von zuhause!“? Die Lust, junge Leute aus anderen Ländern zu treffen? Der Kölner Dom, das Abenteuer? – Ich denke, ihr Verhalten in Köln hat gezeigt, dass auch hier wesentlich mehr dahinter war. Denn sie waren nicht nur fröhlich und manchmal ausgelassen, nein, sie waren auch unglaublich geduldig. Sie sind stundenlang angestanden, um in Kölner Dom hineinzukommen – das stand für alle auf dem Programm, um zu den Katechesen zu kommen, um dann aufs Marienfeld hinaus zu kommen, und natürlich um den Papst zu sehen.
Ist der Wunsch, den Papst zu sehen, eine religiöse Sache? Man möchte zweifeln. Hat dieser Wunsch etwas mit Gott zu tun?

Ich würde so sagen: Zunächst - die allermeisten Jugendlichen haben kaum einen Unterschied gemacht zwischen Johannes Paul II. und Benedikt. Für sie war es einfach der Papst, der Mann in weiß. Der Mann in weiß ist – so meine Meinung – schon einfach ein Repräsentant, ein Vertreter Gottes. Ältere mögen darüber schmunzeln. Ich denke, für viele Jugendliche war und ist der Mann in weiß ein Mann Gottes. Daher hat der Wunsch, den Papst nicht nur am Fernsehen zu sehen, sondern in Wirklichkeit, etwas mit Gott, etwas mit Religion zu tun. Natürlich macht es auch Spaß, dabei die anderen, Menschen aus vielen Länden zu sehen, Gleichgesinnte aus fernen Ländern kennen zu lernen, Adressen auszutauschen. Aber das kann man auch anderswo, das kann man auch am Rheinufer mit einer Flasche Bier in der Hand. Sie blieben aber nicht am Rheinufer liegen, sondern kamen zum Gottesdienst aufs Marienfeld. Und es lagen nachher keine Bierflaschen herum und vermutlich auch nicht viele Kondome, denn sonst hätte man das in den Zeitungen mehr gelesen. Sicher gab es auch gebrauchte Kondome, aber nicht die Masse. Gottlob gibt’s die freie Presse, die sich zunächst mal um die liegen gebliebenen Kondome kümmert.
Warum erzähle ich dies alles?
Damit wir uns an die Frage herantasten, ob es eine neue religiöse Suche gibt.
Man kann jedenfalls den Eindruck haben, dass sich hier etwas bewegt.

Warum aber bewegt uns diese Frage?
Ich vermute, die Beweggründe, nach der Religiosität der Jugend zu fragen, ist recht unterschiedlich. Je nachdem, wer die Frage stellt: Kirchliche orientierte Eltern - Pädagogen, die um die Formkraft der Religion wissen - Politiker, die sich dafür interessieren, wie man Menschen anspricht und sie gewinnt - Missionare, die einfach nur Gott verkünden wollen - Kirchenleute, die sich Sorgen darüber machen, ob die Gemeinschaft hält.
Warum bewegt uns die Frage nach der Suche Jugendlicher nach Gott und Religion?
Manche von uns mögen die Erfahrung gemacht haben, wie sehr religiöser Glaube sie trägt – nicht nur in schweren Stunden, sondern auch im normalen Alltag. Denn jeder Alltag hat seine Schwierigkeiten. Und der glaubende Mensch erfährt, dass ihm sein Glaube hilft. Er wünscht das auch für Jugendliche, für die eigenen Kinder.
Menschen, die in geschichtlichen Kategorien denken, werden auf die Bedeutung von Religion und Glaube im Lauf der Geschichte verweisen. Johannes Paul II. gehörte zu diesen Menschen. Für ihn war Europa als Kultur-Kontinent ohne das Christentum nicht vorstellbar. Zu diesen gehöre auch ich. Ich behaupte schon jetzt: Wenn Europa seine christlichen Wurzeln als Wurzeln seiner Kultur und Zivilisation ganz vergessen sollte, dann hat Europa sich selbst und seine Weltgeltung aufgegeben. Mit Wirtschaft allein macht man weder Kultur, noch Zivilisation. Geschichtsbewusste Menschen werden sagen: ohne Religion keine Kultur.
Missionare sind – wenn es richtig läuft – Menschen, die Gott in ihrem Herzen als Schatz erfahren haben und diesen Schatz weiterreichen wollen. Für sie ist es zweitrangig, ob Religion auch Nutzen in der Welt hat oder nicht. Sie können nicht leben ohne von ihrem Schatz zu sprechen. Wehe wenn ich nicht verkünde – sagte Paulus.
Kirchenleute sehen – neben allem eben genannten – dass der Fortbestand der Kirche als Gesellschafts- und Kulturgut eben auch davon abhängt, ob diese Gemeinschaft nur ein winziges Rinnsal ist oder eine gesellschaftsprägende Einrichtung, die den Menschen hilft. Wer soll die Kirchen erhalten, wenn niemand mehr reingeht, wenn man sie nicht mehr braucht. Auch Nicht-Kirchgänger protestieren, wenn Kirchen umgewidmet werden.
Und Politiker wollen wissen, ob Menschen auch mit religiösen Motiven angesprochen werden können oder ob sie Religion eher abstößt. Politiker sehen Kirche entweder als Hilfe, als Gefährte oder eben als Hindernis, als Feind. Denn: Ebenso wie Politiker das Gemeinwesen und seine Geschichte lenken wollen, so wollen es auch Kirchenleute.
Wie also steht es um die religiöse Suche der jungen Menschen heute?

Wir sind bei der zentralen Frage angelangt. Ich habe versucht, wissenschaftliche Daten herauszufinden, bin aber nicht sehr fündig geworden. Es gibt Daten, aber nicht gerade sehr viel.
Immerhin gab es kleinere Untersuchungen. (Ich bin kein Soziologe und mache hier vielleicht auch Interpretationsfehler)
Zunächst: Die Shell-Jugendstudie 2002 stellte im Großen und Ganzen fest: die meisten Jugendlichen in Deutschland wollen arbeiten, wollen beruflich erfolgreich sein. Sie interessieren sich wesentlich weniger für Politik als ihre Eltern. Sie sind strebsam. Also in großen Linien eine Trendwende: nicht mehr Protest und Bequemlichkeit, sondern Fleiß, Aufstieg. Allerdings – weniger erfreulich: nur 34 Prozent der westdeutschen Jugendlichen glauben an Gott, im Osten sind es sogar nur 15 Prozent.
Heute stellen verschiedene Soziologen vor allem Sinnsuche fest. Religion ist auch Antwort auf den Frage nach dem Sinn: Der Hamburger Gesellschaftsforscher Horst Opaschowski stellt fest: Die Jugend ist auf der Suche – doch nicht nach schnellem Geld oder dem angesagten Livestile. Damit zusammen hängt ein Comeback von lange abhanden geglaubten Werten wie Familie, Freundschaft, Geborgenheit und sozialer Verantwortung. Opaschowski schreibt wörtlich „Diese Jugendlichen sind Trendpioniere für ein neues Lebensgefühl und für sie gehört auch die Religion wieder dazu.“ Er spricht von einer Generation von Sinnsuchern. Er schreibt, die jugendlichen Massen vor dem toten Papst hätten ihn nicht überrascht.
Jeanette Huber vom Zukunftsinstitut in Wien meint: Als Werteinstanz und Lebenshelfer sei die Kirche gefragt. Wörtlich „Alle Anbieter von Wertesystemen haben Konjunktur. Die Kirche, aber auch der Spiritualismus, die Natur und werthaltige Marken“ Gemeinschaft ist ein Boom-Wert nach Ansicht des Wiener Zukunftsinstituts. Die Kirche schaffe es auch immer wieder Gemeinschaftserfahrungen zu vermitteln – nicht nur bei Kirchentagen, sondern auch an Weihnachten und etwa beim toten Papst.
Opaschowski meint: Mit dem 11. September sei die Spaßgesellschaft endgültig vorbei gewesen. Das Datum sei ein Wendepunkt in der Gesellschaft. Die Werte Sport, Hobby, Urlaub seien von 1980 bis 2000 ständig gestiegen, dann aber plötzlich nicht mehr, sondern schwach gefallen.
Es ist ja bekannt, dass seit einigen Jahren immer wieder festgestellt wird: Menschen machen sich heute ihre Religion selbst. Ein wenig Christentum, ein wenig Buddhismus, ein wenig Magie. Verschiedenes, je nach Geschmack und Bedürfnis! Dies ist nach Opaschowski zu Ende. Die Bastelexistenz habe ausgedient, bei der man sich den Wertecocktail selbst gemixt habe. Und: Kirche sei zukunftsfähig. Die Kirche bietet nach ihm eine Sinnantwort mit sozialem Hintergrund. Das sei die richtige Mischung, die heute von vielen – gerade jungen - Menschen gesucht werde. Sinn und Soziales.
Der Soziologe Klaus Hurrelmann von der Universität Bielefeld warnt einerseits, aufgrund des Weltjugendtages von einem Revival der Religiosität zu sprechen. Andererseits meint er, durch den Papstbesuch habe sich verändert, dass Jugendliche es wagen, von ihrer Religiosität zu sprechen, sich dazu zu bekennen. Dadurch könne sich der Kreis derer, die mit Religion in Berührung kommen, wieder weiten. Hurrelmann hatte die Shell-Studie ausgewertet. Damals schon statuierte er, dass Jugendliche sich zwar politisch nur wenig interessieren, sich aber dennoch ehrenamtlich gut engagieren. Im persönlichen Lebensumfeld sei jeder Dritte regelmäßig aktiv. Rund 40 Prozent der Jugendlichen engagierten sich gelegentlich ehrenamtlich. Wichtig sei dabei die Frage nach einer sinnvollen Freizeitgestaltung. Viele wollen einfach die Welt ein bisschen besser machen. Soweit Hurrelmann.
Es gibt auch eine Umfrage des Forsa-Instituts im Auftrag der Zeitschrift Neon. Nach ihr glaubt mehr als ein Drittel junger Menschen zwischen 18 und 30 Jahren nicht an ein Leben nach dem Tod. Sie glauben, dass mit dem Tod „Leere eintritt“ – oder eben „nichts passiert.“ Ebenso ein Drittel glaubt, dass der Mensch in anderer Form weiterlebt. Ein Viertel glaubt, dass es ein wirkliches Leben im Jenseits gibt. 13 Prozent sagen eine Wiedergeburt voraus. Der Kommentator dieser Umfrage meint: wenn man Jugendliche auf dem Weltjugendtag gefragt hätte, dann hätte man vermutlich ein anderes Ergebnis erhalten. Allensbach befragte Katholiken, ob Kirche in die heutige Zeit passe. 1999 meinten mehr als die Hälfte „Nein“ sie passt nicht, heute sind fast zwei Drittel der Ansicht sie passe. Soweit ein paar Ergebnisse von jüngsten Meinungsumfragen. Die neue Sinnsuche führt aber nicht gleich in die Kirchen. Es ist zu früh, um von einer wirklich langfristigen Neubelebung von Glaube und Kirche zu sprechen.

Warum bewundern junge Leute den verstorbenen Papst?
Und noch die Spezialfrage: Warum bewundern viele junge Menschen den Papst?
Und: Die Kirchen – jedenfalls in Deutschland, wo vieles gut organisierst ist – leiden unter der Ablehnung von Großorganisationen wie die Parteien, die Vereine, Verbände und Gewerkschaften. Das ist seit langem bekannt. Vor 100 Jahren schossen die Vereine wie Pilze über Nacht aus dem Boden, die Menschen schlossen sich zusammen, um gemeinsam stark zu sein und weil es schön war, mit Gleichgesinnten zusammen zu sein. Heute genießt man Gemeinschaft, will sich aber nicht binden, vor allem nicht längerfristig. Das Singledasein hat Konjunktur.
Erlauben Sie mir, Ihnen meine Meinung dazu holzschnittartig zu sagen: Weil sie in ihm einen Mann Gottes sehen, weil er sich dadurch von vielen anderen unterscheidet. Auch im Dalai Lama sehen viele Menschen in der Welt einen Mann Gottes. Weitere Menschen Gottes mögen sein Mutter Teresa, Martin Luther King, Mahatma Gandhi.
Die Jugend der Welt spürt, dass er sich nicht nach Zustimmung oder Ablehnung richtet, sondern seine Überzeugungen vorträgt, auch wenn er weiß, dass sie von vielen abgelehnt werden. Die Jugend der Welt spürt, dass er echt und glaubwürdig ist, dass er sagt, was er denkt und denkt, was er sagt und dass er sich damit von vielen anderen Personen in der Öffentlichkeit wohltuend unterscheidet. Wer das beobachtet, kann schlussfolgern: Echtheit, Wahrhaftigkeit, Glaubwürdigkeit haben noch nicht ausgedient, man kann damit vielleicht nicht leicht Wahlen gewinnen, aber man kann Einfluss ausüben, geschichtlichen Einfluss ausüben.

Die Grundtendenzen: Religion und Säkularisierung

 Bei unserer Frage nach neuer Religiosität, muss man natürlich ein wenig in die Weite und Ferne schauen. Ich fand einen wichtigen Aufsatz in der Neuen Züricher Zeitung. Hier schreibt eine Christel Gärtner folgendes: Jahrelang haben Sozialwissenschaftler geglaubt, dass Kirchen und Religionen untergehen je mehr eine Gesellschaft säkularisiert sei. Dann kam die Kritik an der Säkularisierungsthese, man sprach von der Renaissance der Religiösen. Die Vertreter der Säkularisierungsthese gingen mit Max Weber davon aus, dass Religion und Moderne in einem Spannungsverhältnis stehen und sich wechselseitig ausschließen. Das heißt: entweder modern oder religiös. Mit der Säkularisierung schwinde Religion ganz. Die Kritiker dieser Ansicht sagten: Wohl wird Kirche immer schwächer und bedeutungsloser, nicht aber Religion als solche. Sie bleibt. Aber sie wandelt sich. Religion findet nicht mehr in den überkommenen religiösen und kirchlichen Formen statt, sondern in neuen, anderen. Das heißt Religion wird privatisiert und individualisiert. Seither besteht ein Streit zwischen den Fachleuten: soll man von Säkularisierung, von religiöser Transformation oder von Rückkehr der Religion sprechen.

Darf ich hier nun einflechten, was Fachleute längst wissen, was ich aber bei Kardinal Joseph Ratzinger gut zusammengefasst fand: Und zwar in dem kleinen Bändchen: Werte in Zeiten des Umbruchs, erschienen vor seiner Wahl Anfang 2005:
Er schreibt (Seite 79):
„Über die mögliche Zukunft Europas gibt es zwei gegensätzliche Diagnosen. Da ist auf der einen Seite die These von Oswald Spengler, der für die großen Kulturgestalten eine Art von naturgesetzlichem Verlauf glaubte, feststellen zu können: es gibt den Augenblick der Geburt, den allmählichen Aufstieg, die Blütezeit einer Kultur, ihr langsames Ermüden, Altern und den Tod. Spengler belegt seine These eindrucksvoll aus der Geschichte der Kulturen, in der man dieses Verlaufsgesetz nachzeichnen kann. Seine These war, dass das Abendland in seiner Spätphase angelangt sei, die allen Beschwörungen zum Trotz unausweichlich auf den Tod des kulturellen Kontinents hinausläuft. Natürlich kann er seine Gaben an eine neue aufsteigende Kultur weiterreichen, wie es in früheren Untergängen geschehen ist, aber als dieses Subjekt habe er seine Lebenszeit hinter sich.“ Soweit Ratzinger und er schreibt weiter:
„Diese biologistisch gebrandmarkte These hat zwischen den beiden Weltkriegen besonders im katholischen Raum leidenschaftliche Bestreiter gefunden. Eindrucksvoll ist ihr auch Arnold Toynbee entgegengetreten – freilich mit Postulaten, die heute wenig Gehör finden. Toynbee stellte die Differenz zwischen materiell-technischem Fortschritt einerseits, wirklichem Fortschritt andererseits heraus, den er als Vergeistigung definiert. Er räumt ein, dass sich das Abendland – die westliche Welt – in einer Krise befindet, deren Ursache er im Abfall von der Religion zum Kult der Technik, der Nation und des Militarismus sieht. Die Krise heißt für ihn letztlich: Säkularismus. Wenn man die Ursache der Krise kennt, kann man auch den Weg der Heilung angeben. Das religiöse Moment muss neu eingeführt werden, wozu für ihn das Erbe aller Kulturen gehört, besonders aber das, was vom „abendländischen Christentum übrig geblieben ist.“ Der biologistischen tritt hier eine voluntaristische Sicht entgegen, die auf die Kraft schöpferischer Minderheiten und herausragender Persönlichkeiten setzt.

Es stellt sich die Frage: ist die Diagnose richtig? Und wenn: liegt es in unserer Macht, das religiöse Moment neu einzuführen, in einer Synthese aus Restchristentum und religiösem Menschheitserbe? Letztlich bleibt die Frage zwischen Spengler und Toynbee offen, weil wir nicht in die Zukunft schauen können. Aber unabhängig davon stellt sich die Aufgabe, nach dem zu fragen, was Zukunft gewähren kann und was die innere Identität Europas in allen geschichtlichen Metamorphosen weiterzuführen vermag.“ Soweit Kardinal Ratzinger, jetzt Papst Benedikt.

Was ist Europa, was sind die Grundpfeiler Europas?

Die Zukunft ist offen. Wir wissen nicht, ob die Kultur und Zivilisation des Abendlandes untergeht. Ob der Islam, China oder die USA die Oberhand gewinnen werden – oder ob sich Europa findet, Religion und Christentum sich wandeln und neue Kraft gewinnen. Christen haben zwar die Verheißung Jesu, dass die Kirche nicht untergeht. Aber nirgends steht geschrieben, dass nicht eine christlich geprägte Kultur untergeht. Wir haben – leider meist vergessene – Beispiele: Die Türkei, alias Kleinasien und Syrien waren einmal weitgehend christlich. Ebenso Nordafrika. All das wurde durch den Islam weggefegt. Nirgends steht geschrieben, dass wir nicht Teilnehmer und Zuschauer vom Drama des Endes Europas sind, trotz allem Lärm aus Brüssel. Denn: Wo kein Geist ist, da ist letztlich kein Leben, keine Zukunft. Aber Brüssel ist auch nicht berufen, Geist zu produzieren. Brüssel zeigt nur, was wir sind. Wenn Konrad Adenauer, Robert Schumann und Alcide De Gasperri das heutige Europa sähen, würden sie vermutlich weinen: „Das haben wir nicht gemeint.“ Würden sie sagen. „Ein Europa, in dem der Schutz des Lebens, der Familie, der Ehe, der Schwachen derart ausgehöhlt ist. Ein Europa, in dem die ganze Tradition der Rechtsgeschichte so untergegangen ist, hat keine Zukunft. Unser Europa war das Gegenteil.“ So würden sie meines Erachtens sagen.
Ich persönlich vertrete die Ansicht, wenn ein Gemeinwesen, unser Europa, nicht auf unantastbaren Grundwerten aufgebaut ist, die letztlich transzendent begründet sind, dann steht es auf sehr wackeligen Füßen. Wenn alles nur von demokratischen Mehrheiten abhängt, wenn die Mehrheit auch über das Lebensrecht von Ungeborenen, Siechen, Sterbenden, Behinderten, Unnützen entscheiden kann, dann hat sich eine solche Zivilisation schon das Grab gegraben. Es muss Prinzipien geben, die nicht angetastet werden dürfen. Wehe wenn eines Tages die Persönlichkeitsrechte von 49 Prozent der Bevölkerung durch 51 Prozent der Mitbürger bestimmt werden können. Man kann keine Kultur auf pure rechtliche Übereinkunft, auf pure Mehrheiten aufbauen. Unantastbare Überzeugungen, wie sie nach dem zweiten Weltkrieg in das deutsche Grundgesetz geschrieben wurden, sind unabdingbar.
Papst Benedikt sprach einmal von der Diktatur des Relativismus. Er meint damit, dass alles letztlich durch die Mehrheit entschieden werden kann. Z.B. ob Menschen über 60 oder über 70 oder über 80 zuviel Belastung für die Gesellschaft sind und ihnen daher zur Selbsttötung verholfen werden muss. Wer sich nicht selbst entfernt, soll wissen, dass er stört. Das wird ihm oder ihr helfen. Eine Gesellschaft, die demokratisch darüber abstimmt, dass es neben der Ehe gleichwertige Gesellschaftsformen gibt, ist in einen Relativismus verfallen, der ihr Grab ist. Es darf nicht über alles abgestimmt werden. Eine Verfassung ist eine Verfassung. Das Volk das seine Verfassung aushöhlt, schaufelt sich selbst ihr Grab. Vor 200 Jahren sind Menschen dafür gestorben, eine Verfassung zu bekommen, um das Fürstenrecht zu brechen. An die Stelle der Fürsten sind heute die Lobbys und die Mehrheiten getreten.
Ratzinger spricht auch von einem eigenartigen Selbsthass Europas gegen sich selbst. Er sagt: Gottlob respektieren, achten und schätzen gebildete Europäer den Buddhismus und Hinduismus, auch Judentum und Islam. Die europäische Religion, das Christentum aber wird hauptsächlich kritisiert. Gebetsmühlenartig werden Kreuzzüge, Ketzerverfolgung, Hexenverbrennung und Inquisition als Gründe gegen das Christentum vorgetragen. Nur die jahrhundertealten Sünden der Kirche wreden aufgezählt, und im Übrigen darf das, was Christen heilig ist, mit Hohn und Spott übergossen werden. Das sei Freiheit der Kunst.
Das Christentum Europas hat aber auch Dante, Shakespeare, Michelangelo, Mozart und Einstein hervorgebracht. Davon wird kaum gesprochen. Sie seien nur Nebenprodukte, die auch ohne christliches Europa entstanden. Ich sage: ohne den Humus der abendländisch-christlichen Kultur hätte Europa nicht das Kulturgut hervorgebracht, um das uns Afrika, Asien und Amerika beneiden. Wir müssen es nur selbst wertschätzen und uns gegen die Fehlinterpreten wehren.

Gibt es in Europa ein neues religiöses Aufblühen oder nicht?

Wir mussten einen weiten Weg gehen, um zu unserer Frage zurückzukehren. Denn auch wenn es ein paar religiöse Blütchen auf der europäischen Wiese gibt, so dürfen wir uns doch nichts vormachen, uns nicht Sand in die Augen streuten. Die Situation ist meines Erachtens dramatisch. Auch wenn es religiöse Blüten gibt, wir dürfen uns nicht zurücklehnen und uns freuen. Es geht um mehr.

Ich neige zu Toynbee. Wenn wir die Dramatik der Situation erkennen, ist uns noch zu helfen. Wir dürfen nur nicht die Augen schließen vor der Dramatik. Wir dürfen nicht Zuschauer sein. Und wir müssen für uns selbst die richtigen Maßstäbe haben.
Was sind die richtigen Maßstäbe? Die Verfassung kennen und auf ihre Einhaltung achten, auch wenn es weh tut. Sich nicht einlullen lassen von spitzfindigen Interpretationen, sondern erkennen, wenn wir an der Nase herumgeführt werden. Als Politiker Standpunkte vertreten, auch wenn dies zwischenzeitlich Stimmen kostet. In Jahrzehnten oder Jahrhunderten denken – und nicht in Wahlperioden.
Hierzu nur Stichworte: Heute sind wir stolz auf Widerständler gegen Hitler und Stalin, auch wenn sie unmittelbar politisch nichts erreicht haben. Ich wünsche mir Parlamentarier, die auf ihre politische Karriere für längere oder kürzere Zeit zu verzichten, weil es ihnen ihre Überzeugungen gebieten. Wenn wir wenigstens einige solche Politiker hätten, würden junge Leute wieder zu Politikern aufschauen. Ich weiß, dass Politik Pragmatik ist, die Kunst des Möglichen, aber es gibt Prinzipien, die halten müssen, auch wenn es weh tut. Heute schämen wir uns der Politiker, die meinten, mit Hitler hoch zu kommen. Heute freuen wir uns über Politiker, die Widerstand leisteten oder ausgewandert sind. Wir schämen uns der Mitmacher.

Können sich heute Politiker schämen, dass sie schweigen oder mitmachen bei Fragen, die in der Verfassung wohl anders gesehen wurden?
Können nur Papst und Roger Schütz für religiöses Erwachen helfen?
Wir können helfen. Ich nenne die meines Erachtens wichtigsten Bereiche.

Familien: Eltern sollten feste Überzeugungen haben und sie leben. Wenn bei ihnen reiner Pragmatismus und Relativismus herrscht, werden auch ihre Kinder Relativisten, denen nichts wichtig und nichts heilige ist. Eltern müssen Zeit haben für ihre Kinder. Das kostet Kraft und Nerven, aber es rächt sich, wenn die Eltern keine Zeit haben für Kinderfragen, Kinderspiele. Eltern sollten auch Platz haben für ihre Kinder. Eltern sollten ihren Kindern auch Antwort geben können, wenn sie Fragen stellen, die mit Religion und Christentum zu tun haben. Z.B. warum wird der Mann am Kreuz dargestellt und an der Wand aufgehängt? Wozu braucht man Kirchen und warum haben sie Türme. Warum ist am Sonntag arbeitsfrei und schulfrei. Und: wer der Mann in weißem Gewand.
Schulen: Lehrer sollten nicht nur unterrichten, sondern auch erziehen. In der Schule sollte man auch lernen, wie man mit einander lebt, warum es Regeln und Gebote gibt. Und wo die Gebote herkommen, warum man einander nicht umbringen oder belügen soll. Wenn Kinder in der Schule vom Christentum nichts hören, dann haben die Deutsch-, die Geschichts- und die Sprachenlehrer versagt. Man kann unsere Kultur nicht ohne Christentum verstehen.
Kirchen: natürlich happert es auch in den Kirchen. Priester sollen Gottesmänner sein, sie sollen Jesus Christus verkünden und sonst nichts. Alle Christen sollen Zeugen des Glaubens sein. Im Gottesdienst soll Platz auch für Nicht-Grauhaarige sein.
Medien: Kürzlich hat eine Untersuchung festgestellt, dass die Kirchen in den Medien unterrepräsentiert sind. Sie kämen nicht nach der Größe ihrer Mitgliederzahlen vor. Ich denke, alle Medien-Nutzer sind ein wenig schuld daran, wenn in den Medien Nebensächliches und rein Unterhaltendes zu viel Platz hat, und Wichtiges untergeht. Die Medien sprechen von einem deutschern Entführten 100 mal mehr als von 1000 Gefangene in Guantanamo. Das ist schlecht. Ein Streit um den Gaspreis wird ausführlicher behandelt als die ernstere Frage des Energiekonsums, des Energieverbrauchs, der Abhängigkeit. Die Krawatte des Politikers und die Frisur der Kanzlerin spielen leider eine größere Rolle als die Leistung einer Partei durch viele Jahre. Sind wir so dumm? Es hapert gewaltig im Medienwald.
Parteien: Wenn ich eine Wahlrede halten würde, würde ich sagen: Schaut nicht auf gutes Aussehen und Redegewandtheit, schaut nicht einmal auf ein Parteiprogramm, es sei denn sehr gründlich, schaut darauf, was eine Partei die letzten 10 Jahr getan hat, dann wählt. Erfolg für die Menschen muss belohnt werden, nicht schöne Papiere und schöne Kleider.

Mit Gott hat das Leben einen Sinn

Ich komme zum Schluss: Jugend sucht offenbar wieder mehr als früher Religion, Glaube und sogar Kirche. Wir freuen uns darüber. Wir dürfen aber nicht nur Zuschauer bleiben. Denn dabei steht mehr auf dem Spiel als ein paar Papstbesuche oder ein paar mehr oder weniger gefüllte Kirchen. Dabei steht die Zukunft unseres alten Europa auf dem Spiel. Nicht nur der Islam steht vor der Haustür, auch China und Indien stehen in den Startlöchern. Ja – sie sind bereits heimlich-still und leise nach Afrika, Asien und Amerika gesprungen. Mit harter Arbeit und in ihrer Art zu denken, zu handeln, die nicht immer den europäischen Grundwerten entsprechen. Große europäische Heilige, die den Kontinent geprägt haben wie Benedikt, Franz von Assisi, Ignatius von Loyola, aber auch Personen wie Edith Stein, Clemens August von Galen, Dietrich Bonhoeffer würden uns vielleicht fragen: verspielt ihr gerade das, wofür wir gestorben sind? Auch Martin Luther und andere die ihr Leben für die Reform der Kirche eingesetzt haben, würden uns vielleicht kritisch fragen, ob uns die Auszehrung von Glaube und Kirche vielleicht doch zu gleichgültig sind. Ähnlich Persönlichkeiten wie Lessing und Schiller, die im Zug der Aufklärung gegen Fürstenherrlichkeit und für Menschenrechte, Grundwerte, Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz gekämpft haben und teilweise dafür gestorben sind. Würden diese Aufklärer uns vielleicht kritisch bitten: tut die Augen auf, verspielt nicht das beste Erbe Europas. Schaut auf die Jugend, die die Krankheit der Zeit feinfühliger erkennt: sie zeigt euch: O h n e Gott kann man zwar leben und überleben. Aber m i t Gott lebt man besser, mit Gott hat das Leben einen Sinn.








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