Der römische Oberrabbiner
hat Papst Benedikt XVI. zu einem Besuch in die Synagoge am Tiberufer eingeladen -
Neuauflage der historischen Visite Johannes Pauls 1986, also vor zwanzig Jahren, in
dem jüdischen Bethaus von Rom. Wie ist das Verhältnis von Papst Benedikt zum Judentum?
Eine kleine Recherche...
Hinweis: In unserem Audio-Dossier hören Sie eine Ansprache
von Papst Benedikt an den römischen Oberrabbiner, historische Töne vom Besuch Johannes
Pauls II. in der Synagoge von Rom 1986, Erinnerungen der jüdischen Theologin Ruth
Lapide an mehrere Päpste und historische Töne vom Besuch Papst Benedikts in der Synagoge
von Köln 2005.
1947: Zwei Jahre nach dem Ende von Krieg und Holocaust nimmt
der junge Joseph Ratzinger in München das Theologiestudium auf. Es ist hier, in der
Vorlesung von Professor Friedrich Stummer, dass ihm das Thema Judentum naherückt.
"So ist mir", schreibt er selbst in seiner Autobiografie, "das Alte Testament kostbar
geworden und nahe gekommen." Er sei damals "zu der Einsicht gekommen, dass das Judentum
und der im Neuen Testament umschriebene christliche Glaube zwei Weisen der Aneignung
der Schriften Israels sind, die beide letzten Endes von der Stellungnahme zur Gestalt
Jesu von Nazareth her bestimmt werden. Die Schrift, die wir heute Altes Testament
nennen, steht von sich aus auf beide Wege hin offen." Es ist ein hochgradig theologischer
Ansatz, von dem aus Ratzinger das Judentum "entdeckt". Nicht wie Karol Wojtyla über
Schulfreunde auf seinem Dorf, sondern über die Beschäftigung mit der Bibel. Kernfrage
des neuen Papstes: In welchem Verhältnis stehen das Alte und das Neue Testament zueinander? Seine
Antwort läßt an Deutlichkeit nicht zu wünschen übrig: Ohne das Alte Testament gibt
es „keinen Zugang zu Jesus“; und das Wort Jesu, dass „das Heil von den Juden“ kommt,
gilt darum noch heute. Allerdings hat sich der neue Papst die berühmte Formel
seines Vorgängers, die Juden seien „unsere älteren Brüder“, nicht zu eigen gemacht.
Als Theologe nämlich sieht er genauer hin – und hält das heutige Judentum und das
Christentum eher für Zwillinge, weil sie nämlich zeitgleich aus der gemeinsamen Wurzel,
dem Judentum des Alten Testaments, hervorgegangen sind. Weitere klare Aussagen
des neuen Papstes, der als Professor und Kardinal viel über das Thema Judentum geschrieben
hat: Eine „jüdische Kollektivschuld“ am Tod Jesu gibt es nicht. „Juden und Christen
sollten sich in einer tiefen inneren Versöhnung gegenseitig annehmen“, ohne von ihrem
Glauben abzusehen, „sondern aus der Tiefe des Glaubens selbst heraus“. Das heißt für
ihn auch: Christen dürfen ihren jüdischen Gesprächspartnern Jesus als den schon gekommenen
Messias „nicht aufnötigen“, sondern müssten in dieser Hinsicht „an der Geduld Gottes
teilhaben“. „Ganz offenkundig“ scheint es dem Papst zu sein, dass die Entwicklung
der Menschheit auf geheimnisvolle Weise mit der Entwicklung des jüdischen Volkes zusammenhängt.
Das Phänomen, dass Israel in Zerstreuung und Zerstörung über zweitausend Jahre seine
Religion und „sich selbst behält“, zeigt für ihn, wie er wörtlich meint, „dass hier
etwas anderes am Werk ist“. Die Heilsgeschichte Gottes mit den Juden, sein Bund mit
dem jüdischen Volk, ist also nicht überholt und nicht an ein Ende gekommen. Ein
gutes Verhältnis zum Judentum liegt dem deutschen Pontifex besonders am Herzen. Seinen
ersten Brief als Papst schrieb er an den römischen Oberrabbiner, und bei seiner ersten
Pastoralreise nach Deutschland besuchte er in Köln auch eine Synagoge, um dort Johannes
Paul II. zu zitieren - mit den Worten: „Wer Jesus Christus begegnet, begegnet dem
Judentum.“. Alles spricht dafür, dass sich die Beziehungen zwischen katholischer Kirche
und dem Judentum unter dem neuen Pontifikat eher noch verbessern und vertiefen. Übrigens
hat sich Benedikt XVI. auch immer - zuletzt in seiner Neujahrsrede vor Diplomaten
im Januar - eindeutig zum Existenzrecht Israels bekannt. (rv 19.01.06 sk)
Literatur
Joseph
Kard. Ratzinger, Die Vielfalt der Religionen und der Eine Bund. Hagen 1998. Joseph
Kard. Ratzinger: Gott und die Welt. Ein Gespräch mit Peter Seewald. Stuttgart/München
2000. Ss. 125 ff.