Wer auf das Jahr 2005 im Vatikan zurückblicken will, kann ein äußerst ereignisreiches
Jahr für die Kirche sehen. Und: Wer auf das Jahr 2005 zurückblicken will, der muss
vor allem die Zeit zwischen Mitte März und Mitte Mai des Jahres ansehen… Kommen Sie
mit auf eine kleine Zeitreise…
Es ist der späte
Nachmittag des 13. März, eines Sonntags, als Johannes Paul II. zum zweiten Mal in
weniger als einem Monat das Gemelli-Krankenhaus verlässt und in den Vatikan zurückkehrt.
Es ist die letzte kurze Reise eines Papstes, der aus Pilgerfahrten durch die ganze
Welt das entscheidende Merkmal seines Pontifikats gemacht hat. Karol Wojtyla war schon
in der Nacht des 1. Februar wegen Atembeschwerden ins Krankenhaus eingeliefert worden.
Er kehrt am Morgen des 24. Februar ins Spital zurück, und zwar mit einer schwierigeren
Diagnose, die am selben Abend noch einen Luftröhrenschnitt nötig macht, während dem
ihm auch ein Röhrchen eingesetzt wird, das es dem Patienten ermöglicht zu atmen. An
den folgenden Tagen spricht der Papst wieder, wenn auch nur sehr mühsam; wenige Stunden,
bevor er das Krankenhaus verlässt, segnet der Papst die Gläubigen von seinem Fenster
im zehnten Stock aus und grüßt sie:
„Liebe Brüder und Schwestern, danke für
euren Besuch. Ich grüße Wadowice! Ich grüße die Legionäre Christi. Allen einen schönen
Sonntag und eine gute Woche.“
Eine Woche später: Es ist Palmsonntag, und Kardinal
Camillo Ruini feiert auf dem Petersplatz die Messe zusammen mit den Jugendlichen Roms.
Der Papst zeigt sich am Fenster. Er spricht nicht, liest nicht einmal eine Segensformel,
beschränkt sich vielmehr darauf, mit einer Geste zu segnen und mit einem Olivenzweig
zu winken.
Karfreitag: Johannes Paul II. hätte am Kolosseum sein wollen, um
der Kreuzwegandacht vorzustehen. Es war einer der wichtigsten Termine für ihn. Bis
zum letzten Moment hatte er gehofft, dabei sein zu können. Aber sein Gesundheitszustand
erlaubt es ihm nicht, seine Wohnung zu verlassen. Die Lösung ist eine Videoschaltung:
Der Papst verfolgt den Kreuzweg von seiner Privatkapelle aus und wird immer nur von
hinten gezeigt. Die kurze Botschaft des Papstes wird von Kardinalvikar Camillo
Ruini verlesen:
„Auch ich opfere meine Leiden auf, damit sich der Plan Gottes
erfülle und sein Wort zu den Völkern gehe. Ich bin all jenen nahe, die in diesem Moment
von Leiden geprüft sind. Ich bete für einen jeden von ihnen.”
Den Liturgien
des österlichen Triduums stehen verschiedene Kardinäle vor. Die Osternacht zelebriert
der Dekan des Kardinalskollegiums, Joseph Ratzinger.
Für den Ostersonntag
ist vorgesehen, dass sich Johannes Paul II. am Fester seiner Wohnung zeigt, um den
Segen „Urbi et Orbi“ zu spenden. Der Petersplatz ist voll mit Menschen. Mit der Stola
über den Schultern erscheint er sehr leidend und von den Schmerzen gezeichnet. Im
Moment des Segens bemüht sich der Papst sichtlich, die lateinische Segensformel auszusprechen,
aber er kann nicht sprechen, und man hört nur ein krächzendes Atmen.
Nun ist
es allen offensichtlich: Der Gesundheitszustand des Papstes verschlimmert sich zusehends.
Am
Mittwoch, dem 30. März zeigt sich Johannes Paul II. zum letzten Mal am Fenster seines
Arbeitszimmers. Dem Papst geht es sehr schlecht, aber er besteht darauf, am Tag, der
normalerweise der Generalaudienz gewidmet ist, die Gläubigen zu grüßen. Der Papst
sieht noch leidender aus, oft fasst er sich an den Kopf, immer wieder verzieht er
das Gesicht vor Schmerz. Er grüßt und segnet mit Gesten, aber es gelingt ihm nicht,
auch nur ein Wort zu sagen. Es ist der letzte öffentliche Auftritt von Papst Johannes
Paul II., der letzte Kontakt mit den Gläubigen.
Am selben Vormittag kündigt
der Leiter des Pressesaals des Heiligen Stuhls an, dass von diesem Tag an der Papst
mit einer Magensonde durch die Nase ernährt werden wird. Am Mittwochabend verschlechtert
sich der Gesundheitszustand Johannes Pauls. Am Morgen des 31. März 2005 hat er, während
er mit seinen Sekretären die Heilige Messe konzelebriert, mehrmals Zitteranfälle.
Außerdem hat er hohes Fieber.
Die Agonie Karol Wojtylas geht den ganzen Freitag
weiter: Am Abend versammelt sich eine große Menge auf dem Petersplatz, um zu beten.
Der
Körper Karol Wojtylas ist von der Infektion geschwächt; die Heilmittel und wiederholten
Transfusionen können nichts mehr ändern. Die Agonie verlängert sich über den ganzen
2. April, während sich unter den Fenstern der Papstwohnung eine große Menge versammelt
– die meisten sind Jugendliche –, um zu beten.
Um 21 Uhr 37 am Samstag, dem
2. April, stirbt Johannes Paul II. Eine Nachricht, die die Welt schon erwartet hatte,
an die sie sich aber nicht gewöhnen wollte – nach fast 27 Jahren seines Pontifikats.
In seinem Zimmer brannte während seines Todeskampfs – einem polnischen Brauch gemäß
– eine Kerze.
Die Ankündigung gibt wenige Minuten später der Substitut, Erzbischof
Leonardo Sandri, auf dem Petersplatz:
„Meine lieben Schwestern und Brüder,
um 21 Uhr 37 ist unser geliebter Heiliger Vater Johannes Paul II. ins Haus des Vaters
heimgekehrt. Beten wir für ihn!“
Nach dem Ritus der Feststellung des Todes
wird der Leichnam des Papstes in die Sala Clementina gebracht, wo er zum ersten Mal
aufgebahrt wird. Es ist der erste Sonntag der Osterzeit, der Sonntag der Göttlichen
Barmherzigkeit. Auf dem Petersplatz feiert Kardinal Angelo Sodano eine Messe für
Papst Johannes Paul II. Er ist der erste, der ihn in der Predigt „Johannes Paul den
Großen“ nennen wird.
Am Montag, dem 4. April, wird der Leichnam in die Petersbasilika
überführt, wo er für die Verehrung durch die Gläubigen aufgebahrt bleiben wird. Die
Übertragung des Leichnams verfolgen unzählige Menschen auf dem Petersplatz, sowie
über Radio und Fernsehen.
In Rom ereignet sich in dieser Woche etwas Unvorhersehbares
und Undenkbares: Hunderttauende Menschen kommen in die Ewige Stadt, um Johannes Paul
II. die Ehre zu erweisen. Sie ziehen – meist für nur wenige Sekunden – vor dem kleinen
Katafalk vorbei. Bis zu 18 Stunden muss man anstehen, um die Basilika betreten zu
können. Das vatikanische Fernsehen CTV macht die längste Live-Übertagung in der
Geschichte des Fernsehens: Rund um die Uhr kann man die Menschen, die am Leichnam
Johannes Pauls vorbeiziehen, im Fernsehen beobachten.
Es ist der 8. April
2005. Kurz bevor die feierliche Totenliturgie für den Papst beginnt, wird der Leichnam
in einen hellen Zypressensarg gelegt. Der Privatsekretär des Papstes verhüllt bewegt
zusammen mit dem päpstlichen Zeremonienmeister das Gesicht des Papstes. Ein kurzes
Gebet wird gesprochen: „Sein Gesicht, das unserem Anblick entzogen wird, möge deine
Schönheit betrachten…“
Im Sarg liegt nun auch das Rogitum, ein Dokument, das
das Pontifikat Johannes Pauls zusammenfasst.
Das Requiem für Papst Johannes
Paul II. wird von 160 Kardinälen gefeiert – und der Feier steht der Dekan des Kardinalskollegiums,
Joseph Ratzinger, vor. Besonders beeindruckend: Der Wind, der in den Seiten des Evangelienbuches
auf dem Sarg spielt und das Buch letztlich schließt. Großes Schweigen macht sich breit,
als Kardinal Ratzinger mit vor Rührung brüchiger Stimme mit seiner Predigt beginnt.
„Wir
können sicher sein, dass unser geliebter Papst jetzt am Fenster des Vaterhauses steht,
uns sieht und uns segnet. Ja, segnen Sie uns, Heiliger Vater.“
Der Sarg, der
von den päpstlichen Trägern auf die Schultern genommen wird und dem die „päpstliche
Familie“ folgt, erreicht den Petersdom, um dann zu den Gräbern gebracht zu werden.
In
den neun Tagen bis zum 16. April werden die „Novendialen“ gefeiert, Messfeiern für
den verstorbenen Papst, die verschiedene Kardinäle und Erzbischöfe zelebrieren. Außerdem
treffen sich die Kardinäle täglich zu Versammlungen, in denen sie zuerst die Beerdigung
für Johannes Paul organisiert haben und nun über den Zustand der Kirche beraten und
das Konklave vorbereiten. Es ist das erste Mal, dass die Kardinäle für diese Wahl
nicht mehr um die Sixtinische Kapelle herum nächtigen, sondern im Gästehaus Santa
Marta untergebracht sind.
Am Sonntag, dem 17. April, wird der Konklavebereich
ringsum mit Siegeln versehen.
Am Montag, dem 18. April, wird – wenige Stunden
bevor das Konklave für die Wahl des 264. Nachfolger Petris offiziell beginnt, in der
Peterskirche die Messe Pro eligendo Pontifice gefeiert – Hauptzelebrant ist Kardinaldekan
Joseph Ratzinger.
Am Nachmittag des 18. April ziehen die 115 wahlberechtigten
Kardinäle zum Gesang des „Veni Creator“ in Prozession in die Sixtinische Kapelle ein.
Einer nach dem anderen gehen die Papstwähler zum Evangelium und mit der rechten Hand
auf dem heiligen Buch schwören sie, das Geheimnis über all das zu bewahren, was im
Konklave geschieht, aber auch „treu das munus Petrinum des Hirten der Weltkirche“
zu erfüllen.
Montagabend kurz nach acht Uhr kommen aus dem Schornstein der
Sixtinischen Kapelle die ersten Rauchwolken. Der Rauch ist schwarz, der Wahlgang ist,
wie es zu erwarten gewesen war, ohne Ergebnis.
Am Morgen des 19. April wächst
die Spannung, und eine große Menge von Gläubigen läuft auf dem Petersplatz zusammen,
um dort den Rauch zu erwarten. Um 11 Uhr 50 kommt zum zweiten Mal Rauch aus dem Kamin
der Sixtinischen Kapelle – und er ist wieder schwarz. Also haben auch die beiden Wahlgänge
am Vormittag zu keinem Ergebnis geführt.
Die Wahl des 264. Nachfolgers Petri
geschieht am Nachmittag des 19. April. Das zweite Mal erwartet man heute gegen 20
Uhr Rauch aus dem Kamin. Aber gegen alle Erwartungen beginnen um 17 Uhr 50 dünne weiße
Schwaden aus dem Kamin der Sixtinischen Kapelle aufzusteigen.
Es gibt keinen
Zweifel mehr: Der Papst ist gewählt! Die Entscheidung geschah in Rekordzeit: Nur vier
Wahlgänge, so wie damals im August 1978 für Papst Johannes Paul I. Nur einmal haben
es die Kardinäle im vergangenen Jahrhundert noch schneller gemacht: Im März 1939 für
Papst Pius XII., der nach nur drei Abstimmungen gewählt wurde.
Endlich schiebt
sich der Vorhang zur in der zentralen Loggia des Petersdomes zur Seite. Es ist Aufgabe
des Kardinalprotodiakons, des Chilenen Jorge Arturo Medina Estevez, den Namen des
Gewählten zu verkünden. Er tritt auf den Balkon und spricht die berühmte Formel… Habemus
Papam…
Der neue Papst ist Kardinal Joseph Ratzinger, der sich den Namen Benedikt
gegeben hat. Zum ersten Mal tritt er kurz darauf vor die Menschen. Ratzinger ist freudestrahlend.
Aus den langen Ärmeln des Chorrocks schauen die schwarzen Manschetten des Hemds hervor,
das der neue Papst als Kardinal angezogen hatte.
„Nach einem großen Papst
Johannes Paul II. haben die Herrn Kardinäle mich gewählt, einen einfachen und bescheidenen
Arbeiter im Weinberg des Herrn. Mich tröstet die Tatsache, daß der Herr auch mit
ungenügenden Werkzeugen zu arbeiten und zu wirken weiß. Vor allem vertraue ich mich
euren Gebeten an. In der Freude des auferstandenen Herrn und im Vertrauen auf
seine immerwährende Hilfe gehen wir voran. Der Herr wird uns helfen, und Maria, seine
allerseligste Mutter, steht uns zur Seite. Danke.”
Am folgenden Morgen konzelebriert
der Papst mit den Kardinälen, die ihn gewählt haben, die heilige Messe in der Sixtinischen
Kapelle. Und er hält – auf Latein – seine erste Ansprache.
Nun beginnt für
Benedikt XVI. der Alltag. Er besucht noch einmal seine alte Wohnung, grüßt seine ehemaligen
Nachbarn. Und er ist dabei, als die Siegel der Päpstlichen Wohnung gebrochen werden.
Auch seine ehemaligen Mitarbeiter in der Glaubenskongregation besucht er. Er trifft
sich mit allen Kardinälen, auch jenen, die nicht mehr an der Wahl teilnehmen durften.
Am
Sonntag, dem 24. April beginnt Benedikt XVI. feierlich sein Pontifikat – und zwar
mit einer beeindruckenden Zeremonie auf dem Petersplatz.
Der Papst bekommt
in dieser Feier petrinische Pallium um die Schultern gelegt, und außerdem steckt er
sich den Fischerring, seinen Siegelring, an den Finger.
Am folgenden Vormittag
empfängt der neue Papst die Pilger aus seiner Heimat, die zu seiner Amtseinführung
gekommen sind. In seiner Muttersprache erzählt er ihnen von seinen Gefühlen, mit der
er die Wahl erlebt hat…
Als langsam der Gang der Abstimmungen mich erkennen
ließ, daß sozusagen das Fallbeil auf mich herabfallen würde, war mir ganz schwindelig
zumute. Ich hatte geglaubt, mein Lebenswerk getan zu haben und nun auf einen ruhigen
Ausklang meiner Tage hoffen zu dürfen. Ich habe mit tiefer Überzeugung zum Herrn gesagt:
Tu mir dies nicht an! Du hast Jüngere und Bessere, die mit ganz anderem Elan und mit
ganz anderer Kraft an diese große Aufgabe herantreten können.
Und daran anschließend
besucht er die drei anderen römischen Basiliken, zuerst Sankt Paul vor den Mauern,
wo der Apostel Paulus beerdigt ist, und dann die Lateransbasilika, wo er sich zum
ersten Mal auf den Bischofsstuhl des Bischofs von Rom setzt. Nach den ersten ereignisreichen
Wochen und den außergewöhnlichen Gesten, die den Beginn der Sendung des Bischofs von
Rom kennzeichnen, nimmt das Pontifikat Benedikts XVI. jenen Lauf wieder auf, der mit
Johannes Paul II. unterbrochen worden war: Das Angelusgebet, bei dem immer unvorstellbar
viele Menschen anwesend sind, die Mittwochsaudienzen, Begegnungen mit Vertretern anderer
Religionen, Apostolische Reisen. Er besucht im August Deutschland, wo er am Weltjugendtag
junge Menschen aus allen Kontinenten trifft. Er begegnet Juden und Vertretern anderer
Religionen. Schlagzeilen machen aber auch seine Begegnung mit den Traditionalisten
der Piusbruderschaft oder mit dem Kirchenkritiker Hans Küng. Besonders harmonische
Bilder kann die Welt von seinem Urlaub aus den italienischen Alpen sehen. Außerdem
verlassen einige Dokumente den Schreibtisch des Papstes: Die Kurzfassung des Katechismus
der katholischen Kirche, eine Instruktion über den Umgang mit homosexuellen Priesteramtskandidaten
oder die Botschaft zum Weltfriedenstag zum 1. Januar. An Weihnachten richtet er zum
ersten Mal seine Weihnachtsbotschaft an die ganze Welt. Mögen noch viele folgen…