2005-12-29 17:22:11

Jahresrückblick 2005


Wer auf das Jahr 2005 im Vatikan zurückblicken will, kann ein äußerst ereignisreiches Jahr für die Kirche sehen. Und: Wer auf das Jahr 2005 zurückblicken will, der muss vor allem die Zeit zwischen Mitte März und Mitte Mai des Jahres ansehen… Kommen Sie mit auf eine kleine Zeitreise…

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Es ist der späte Nachmittag des 13. März, eines Sonntags, als Johannes Paul II. zum zweiten Mal in weniger als einem Monat das Gemelli-Krankenhaus verlässt und in den Vatikan zurückkehrt. Es ist die letzte kurze Reise eines Papstes, der aus Pilgerfahrten durch die ganze Welt das entscheidende Merkmal seines Pontifikats gemacht hat. Karol Wojtyla war schon in der Nacht des 1. Februar wegen Atembeschwerden ins Krankenhaus eingeliefert worden. Er kehrt am Morgen des 24. Februar ins Spital zurück, und zwar mit einer schwierigeren Diagnose, die am selben Abend noch einen Luftröhrenschnitt nötig macht, während dem ihm auch ein Röhrchen eingesetzt wird, das es dem Patienten ermöglicht zu atmen. An den folgenden Tagen spricht der Papst wieder, wenn auch nur sehr mühsam; wenige Stunden, bevor er das Krankenhaus verlässt, segnet der Papst die Gläubigen von seinem Fenster im zehnten Stock aus und grüßt sie:

„Liebe Brüder und Schwestern, danke für euren Besuch. Ich grüße Wadowice! Ich grüße die Legionäre Christi. Allen einen schönen Sonntag und eine gute Woche.“

Eine Woche später: Es ist Palmsonntag, und Kardinal Camillo Ruini feiert auf dem Petersplatz die Messe zusammen mit den Jugendlichen Roms. Der Papst zeigt sich am Fenster. Er spricht nicht, liest nicht einmal eine Segensformel, beschränkt sich vielmehr darauf, mit einer Geste zu segnen und mit einem Olivenzweig zu winken.

Karfreitag: Johannes Paul II. hätte am Kolosseum sein wollen, um der Kreuzwegandacht vorzustehen. Es war einer der wichtigsten Termine für ihn. Bis zum letzten Moment hatte er gehofft, dabei sein zu können. Aber sein Gesundheitszustand erlaubt es ihm nicht, seine Wohnung zu verlassen. Die Lösung ist eine Videoschaltung: Der Papst verfolgt den Kreuzweg von seiner Privatkapelle aus und wird immer nur von hinten gezeigt.
Die kurze Botschaft des Papstes wird von Kardinalvikar Camillo Ruini verlesen:

„Auch ich opfere meine Leiden auf, damit sich der Plan Gottes erfülle und sein Wort zu den Völkern gehe. Ich bin all jenen nahe, die in diesem Moment von Leiden geprüft sind. Ich bete für einen jeden von ihnen.”

Den Liturgien des österlichen Triduums stehen verschiedene Kardinäle vor. Die Osternacht zelebriert der Dekan des Kardinalskollegiums, Joseph Ratzinger.

Für den Ostersonntag ist vorgesehen, dass sich Johannes Paul II. am Fester seiner Wohnung zeigt, um den Segen „Urbi et Orbi“ zu spenden. Der Petersplatz ist voll mit Menschen. Mit der Stola über den Schultern erscheint er sehr leidend und von den Schmerzen gezeichnet. Im Moment des Segens bemüht sich der Papst sichtlich, die lateinische Segensformel auszusprechen, aber er kann nicht sprechen, und man hört nur ein krächzendes Atmen.

Nun ist es allen offensichtlich: Der Gesundheitszustand des Papstes verschlimmert sich zusehends.

Am Mittwoch, dem 30. März zeigt sich Johannes Paul II. zum letzten Mal am Fenster seines Arbeitszimmers. Dem Papst geht es sehr schlecht, aber er besteht darauf, am Tag, der normalerweise der Generalaudienz gewidmet ist, die Gläubigen zu grüßen. Der Papst sieht noch leidender aus, oft fasst er sich an den Kopf, immer wieder verzieht er das Gesicht vor Schmerz. Er grüßt und segnet mit Gesten, aber es gelingt ihm nicht, auch nur ein Wort zu sagen. Es ist der letzte öffentliche Auftritt von Papst Johannes Paul II., der letzte Kontakt mit den Gläubigen.

Am selben Vormittag kündigt der Leiter des Pressesaals des Heiligen Stuhls an, dass von diesem Tag an der Papst mit einer Magensonde durch die Nase ernährt werden wird. Am Mittwochabend verschlechtert sich der Gesundheitszustand Johannes Pauls. Am Morgen des 31. März 2005 hat er, während er mit seinen Sekretären die Heilige Messe konzelebriert, mehrmals Zitteranfälle. Außerdem hat er hohes Fieber.

Die Agonie Karol Wojtylas geht den ganzen Freitag weiter: Am Abend versammelt sich eine große Menge auf dem Petersplatz, um zu beten.

Der Körper Karol Wojtylas ist von der Infektion geschwächt; die Heilmittel und wiederholten Transfusionen können nichts mehr ändern. Die Agonie verlängert sich über den ganzen 2. April, während sich unter den Fenstern der Papstwohnung eine große Menge versammelt – die meisten sind Jugendliche –, um zu beten.

Um 21 Uhr 37 am Samstag, dem 2. April, stirbt Johannes Paul II. Eine Nachricht, die die Welt schon erwartet hatte, an die sie sich aber nicht gewöhnen wollte – nach fast 27 Jahren seines Pontifikats. In seinem Zimmer brannte während seines Todeskampfs – einem polnischen Brauch gemäß – eine Kerze.

Die Ankündigung gibt wenige Minuten später der Substitut, Erzbischof Leonardo Sandri, auf dem Petersplatz:

„Meine lieben Schwestern und Brüder, um 21 Uhr 37 ist unser geliebter Heiliger Vater Johannes Paul II. ins Haus des Vaters heimgekehrt. Beten wir für ihn!“

Nach dem Ritus der Feststellung des Todes wird der Leichnam des Papstes in die Sala Clementina gebracht, wo er zum ersten Mal aufgebahrt wird. Es ist der erste Sonntag der Osterzeit, der Sonntag der Göttlichen Barmherzigkeit.
Auf dem Petersplatz feiert Kardinal Angelo Sodano eine Messe für Papst Johannes Paul II. Er ist der erste, der ihn in der Predigt „Johannes Paul den Großen“ nennen wird.

Am Montag, dem 4. April, wird der Leichnam in die Petersbasilika überführt, wo er für die Verehrung durch die Gläubigen aufgebahrt bleiben wird.
Die Übertragung des Leichnams verfolgen unzählige Menschen auf dem Petersplatz, sowie über Radio und Fernsehen.

In Rom ereignet sich in dieser Woche etwas Unvorhersehbares und Undenkbares: Hunderttauende Menschen kommen in die Ewige Stadt, um Johannes Paul II. die Ehre zu erweisen. Sie ziehen – meist für nur wenige Sekunden – vor dem kleinen Katafalk vorbei. Bis zu 18 Stunden muss man anstehen, um die Basilika betreten zu können.
Das vatikanische Fernsehen CTV macht die längste Live-Übertagung in der Geschichte des Fernsehens: Rund um die Uhr kann man die Menschen, die am Leichnam Johannes Pauls vorbeiziehen, im Fernsehen beobachten.

Es ist der 8. April 2005. Kurz bevor die feierliche Totenliturgie für den Papst beginnt, wird der Leichnam in einen hellen Zypressensarg gelegt. Der Privatsekretär des Papstes verhüllt bewegt zusammen mit dem päpstlichen Zeremonienmeister das Gesicht des Papstes. Ein kurzes Gebet wird gesprochen: „Sein Gesicht, das unserem Anblick entzogen wird, möge deine Schönheit betrachten…“

Im Sarg liegt nun auch das Rogitum, ein Dokument, das das Pontifikat Johannes Pauls zusammenfasst.

Das Requiem für Papst Johannes Paul II. wird von 160 Kardinälen gefeiert – und der Feier steht der Dekan des Kardinalskollegiums, Joseph Ratzinger, vor. Besonders beeindruckend: Der Wind, der in den Seiten des Evangelienbuches auf dem Sarg spielt und das Buch letztlich schließt. Großes Schweigen macht sich breit, als Kardinal Ratzinger mit vor Rührung brüchiger Stimme mit seiner Predigt beginnt.

„Wir können sicher sein, dass unser geliebter Papst jetzt am Fenster des Vaterhauses steht, uns sieht und uns segnet. Ja, segnen Sie uns, Heiliger Vater.“

Der Sarg, der von den päpstlichen Trägern auf die Schultern genommen wird und dem die „päpstliche Familie“ folgt, erreicht den Petersdom, um dann zu den Gräbern gebracht zu werden.

In den neun Tagen bis zum 16. April werden die „Novendialen“ gefeiert, Messfeiern für den verstorbenen Papst, die verschiedene Kardinäle und Erzbischöfe zelebrieren. Außerdem treffen sich die Kardinäle täglich zu Versammlungen, in denen sie zuerst die Beerdigung für Johannes Paul organisiert haben und nun über den Zustand der Kirche beraten und das Konklave vorbereiten. Es ist das erste Mal, dass die Kardinäle für diese Wahl nicht mehr um die Sixtinische Kapelle herum nächtigen, sondern im Gästehaus Santa Marta untergebracht sind.

Am Sonntag, dem 17. April, wird der Konklavebereich ringsum mit Siegeln versehen.

Am Montag, dem 18. April, wird – wenige Stunden bevor das Konklave für die Wahl des 264. Nachfolger Petris offiziell beginnt, in der Peterskirche die Messe Pro eligendo Pontifice gefeiert – Hauptzelebrant ist Kardinaldekan Joseph Ratzinger.

Am Nachmittag des 18. April ziehen die 115 wahlberechtigten Kardinäle zum Gesang des „Veni Creator“ in Prozession in die Sixtinische Kapelle ein. Einer nach dem anderen gehen die Papstwähler zum Evangelium und mit der rechten Hand auf dem heiligen Buch schwören sie, das Geheimnis über all das zu bewahren, was im Konklave geschieht, aber auch „treu das munus Petrinum des Hirten der Weltkirche“ zu erfüllen.

Montagabend kurz nach acht Uhr kommen aus dem Schornstein der Sixtinischen Kapelle die ersten Rauchwolken. Der Rauch ist schwarz, der Wahlgang ist, wie es zu erwarten gewesen war, ohne Ergebnis.

Am Morgen des 19. April wächst die Spannung, und eine große Menge von Gläubigen läuft auf dem Petersplatz zusammen, um dort den Rauch zu erwarten. Um 11 Uhr 50 kommt zum zweiten Mal Rauch aus dem Kamin der Sixtinischen Kapelle – und er ist wieder schwarz. Also haben auch die beiden Wahlgänge am Vormittag zu keinem Ergebnis geführt.

Die Wahl des 264. Nachfolgers Petri geschieht am Nachmittag des 19. April. Das zweite Mal erwartet man heute gegen 20 Uhr Rauch aus dem Kamin. Aber gegen alle Erwartungen beginnen um 17 Uhr 50 dünne weiße Schwaden aus dem Kamin der Sixtinischen Kapelle aufzusteigen.

Es gibt keinen Zweifel mehr: Der Papst ist gewählt! Die Entscheidung geschah in Rekordzeit: Nur vier Wahlgänge, so wie damals im August 1978 für Papst Johannes Paul I. Nur einmal haben es die Kardinäle im vergangenen Jahrhundert noch schneller gemacht: Im März 1939 für Papst Pius XII., der nach nur drei Abstimmungen gewählt wurde.

Endlich schiebt sich der Vorhang zur in der zentralen Loggia des Petersdomes zur Seite. Es ist Aufgabe des Kardinalprotodiakons, des Chilenen Jorge Arturo Medina Estevez, den Namen des Gewählten zu verkünden. Er tritt auf den Balkon und spricht die berühmte Formel… Habemus Papam…

Der neue Papst ist Kardinal Joseph Ratzinger, der sich den Namen Benedikt gegeben hat. Zum ersten Mal tritt er kurz darauf vor die Menschen. Ratzinger ist freudestrahlend. Aus den langen Ärmeln des Chorrocks schauen die schwarzen Manschetten des Hemds hervor, das der neue Papst als Kardinal angezogen hatte.

„Nach einem großen Papst Johannes Paul II. haben die Herrn Kardinäle mich gewählt, einen einfachen und bescheidenen Arbeiter im Weinberg des Herrn.
Mich tröstet die Tatsache, daß der Herr auch mit ungenügenden Werkzeugen zu arbeiten und zu wirken weiß. Vor allem vertraue ich mich euren Gebeten an.
In der Freude des auferstandenen Herrn und im Vertrauen auf seine immerwährende Hilfe gehen wir voran. Der Herr wird uns helfen, und Maria, seine allerseligste Mutter, steht uns zur Seite. Danke.”

Am folgenden Morgen konzelebriert der Papst mit den Kardinälen, die ihn gewählt haben, die heilige Messe in der Sixtinischen Kapelle. Und er hält – auf Latein – seine erste Ansprache.

Nun beginnt für Benedikt XVI. der Alltag. Er besucht noch einmal seine alte Wohnung, grüßt seine ehemaligen Nachbarn. Und er ist dabei, als die Siegel der Päpstlichen Wohnung gebrochen werden. Auch seine ehemaligen Mitarbeiter in der Glaubenskongregation besucht er.
Er trifft sich mit allen Kardinälen, auch jenen, die nicht mehr an der Wahl teilnehmen durften.

Am Sonntag, dem 24. April beginnt Benedikt XVI. feierlich sein Pontifikat – und zwar mit einer beeindruckenden Zeremonie auf dem Petersplatz.

Der Papst bekommt in dieser Feier petrinische Pallium um die Schultern gelegt, und außerdem steckt er sich den Fischerring, seinen Siegelring, an den Finger.

Am folgenden Vormittag empfängt der neue Papst die Pilger aus seiner Heimat, die zu seiner Amtseinführung gekommen sind. In seiner Muttersprache erzählt er ihnen von seinen Gefühlen, mit der er die Wahl erlebt hat…

Als langsam der Gang der Abstimmungen mich erkennen ließ, daß sozusagen das Fallbeil auf mich herabfallen würde, war mir ganz schwindelig zumute. Ich hatte geglaubt, mein Lebenswerk getan zu haben und nun auf einen ruhigen Ausklang meiner Tage hoffen zu dürfen. Ich habe mit tiefer Überzeugung zum Herrn gesagt: Tu mir dies nicht an! Du hast Jüngere und Bessere, die mit ganz anderem Elan und mit ganz anderer Kraft an diese große Aufgabe herantreten können.

Und daran anschließend besucht er die drei anderen römischen Basiliken, zuerst Sankt Paul vor den Mauern, wo der Apostel Paulus beerdigt ist, und dann die Lateransbasilika, wo er sich zum ersten Mal auf den Bischofsstuhl des Bischofs von Rom setzt.
Nach den ersten ereignisreichen Wochen und den außergewöhnlichen Gesten, die den Beginn der Sendung des Bischofs von Rom kennzeichnen, nimmt das Pontifikat Benedikts XVI. jenen Lauf wieder auf, der mit Johannes Paul II. unterbrochen worden war: Das Angelusgebet, bei dem immer unvorstellbar viele Menschen anwesend sind, die Mittwochsaudienzen, Begegnungen mit Vertretern anderer Religionen, Apostolische Reisen.
Er besucht im August Deutschland, wo er am Weltjugendtag junge Menschen aus allen Kontinenten trifft. Er begegnet Juden und Vertretern anderer Religionen. Schlagzeilen machen aber auch seine Begegnung mit den Traditionalisten der Piusbruderschaft oder mit dem Kirchenkritiker Hans Küng. Besonders harmonische Bilder kann die Welt von seinem Urlaub aus den italienischen Alpen sehen. Außerdem verlassen einige Dokumente den Schreibtisch des Papstes: Die Kurzfassung des Katechismus der katholischen Kirche, eine Instruktion über den Umgang mit homosexuellen Priesteramtskandidaten oder die Botschaft zum Weltfriedenstag zum 1. Januar. An Weihnachten richtet er zum ersten Mal seine Weihnachtsbotschaft an die ganze Welt. Mögen noch viele folgen…

(rv 28. 12. 05 lw)







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