"Was war denn das Ergebnis des Konzils? Wurde es richtig rezipiert? Was war bei dieser
Rezeption gut, was ungenügend oder falsch? Und was bleibt noch zu tun? Niemand
kann leugnen, dass in großen Teilen der Kirche die Umsetzung des Konzils eher schwierig
verlaufen ist. Warum? Naja, es hängt alles von der richtigen Interpretation des Konzils
ab oder - wie wir heute sagen würden - von seiner richtigen Hermeneutik. Die Probleme
der Rezeption des Konzils rühren daher, dass zwei verschiedene Hermeneutiken im Widerstreit
miteinander lagen. Die eine führte zu Verwirrung, die andere brachte - im Stillen,
aber immer sichtbarer - ihre Früchte. Die eine Interpretation sieht das Konzil als
Diskontinuität und Bruch - sie konnte sich die Sympathie der Massenmedien und eines
Teils der modernen Theologie sichern, setzt aber die Texte des Konzils und einen angeblichen
"Geist" des Konzils in Gegensatz zu einander und riskiert, zu einem Bruch zwischen
vor- und nachkonziliarer Kirche zu führen. Die andere ist die Hermeneutik der Reform,
der Erneuerung in der Kontinuität der Kirche, so wie Johannes XXIII. und Paul VI.
sie wollten. Das Konzil hatte mit Blick auf die Welt drei große Themenkreise zu
beantworten: Es galt, die Beziehung zwischen Glauben und modernen Wissenschaften neu
zu definieren; es galt, die Beziehungen der Kirche zum modernen Staat zu definieren;
und es gab die Problematik der religiösen Toleranz. Vor allem galt es, nach den Nazi-Verbrechen
und mit Blick auf eine lange, schwierige Geschichte die Beziehung zum Glauben Israels
neu zu bewerten. In all diesen Punkten, die letztlich zusammengehören, wollte das
Konzil Neuerung in Kontinuität. Die Kirche ist, vor wie nach dem Konzil, ein und
dieselbe: die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche auf dem Weg durch
die Zeit. Wenn wir das Zweite Vatikanum mit der richtigen Hermeneutik lesen und rezipieren,
kann es immer mehr eine große Kraftquelle sein für die immer notwendige Erneuerung
der Kirche. Zum Schluß sollte ich vielleicht noch an den 19. April dieses Jahres
erinnern, als die Kardinäle mich zu meinem Schrecken zum Nachfolger Johannes Pauls
II. wählten. Sowas hätte ich mir nie als meine Berufung vorgestellt; ich konnte nur
mit großem Gottvertrauen "Ja" sagen. Ich danke allen, die mich mit soviel Vertrauen,
Güte und Verständnis aufnehmen und mich jeden Tag mit ihrem Gebet begleiten." (rv
22.12.05 sk)