"Warum gibt es nicht mehr gute Nachrichten? Warum haben wir uns ganz auf die schlechten
Katastrophen-Nachrichten eingelassen?" Das fragt der bekannte Menschenrechtler Rupert
Neudeck, Gründer des Hilfswerks Cap Anamur, in einem Gastbeitrag für Radio Vatikan.
Am Beispiel der Unruhen in französischen Vorstädten zeigt der langjährige Journalist
Neudeck, dass die Medien sich heute zu schnell auf Unglücksmeldungen konzentrieren.
"So würde ich, wenn ich in Europa was zu sagen hätte oder wenn ich Nachrichten im
Fernsehen bestimmen dürfte, ich würde immer auch in Frankreich, in Italien oder in
Spanien eine Ortschaft bringen, die sich auszeichnet durch eine vorbildliche und
erfreuliche Arbeit und ein wunderbares Zusammenleben verschiedener Nationalitäten.
So wie Menschen und Mitglieder einer Familie, wie Kinder in der Schule Ermutigung
und Motivation brauchen, so auch das Publikum der Fernsehzuschauer und der Staatsbürger.
Wir werden unsere Zukunft nicht allein mit dem bisherigen Prinzip des Journalismus
schaffen. Wir werden es nur schaffen, wenn wir uns ganz besonders bemühen, die Zukunftsweisenden,
Mut- und Freude machenden Nachrichten neben denen zu veröffentlichen, die uns jeden
Tag erreichen und uns die Lust am Zusammenleben nehmen sollen."
Und hier der
komplette Text des Beitrags von Rupert Neudeck:
Warum gibt es nicht mehr gute
Nachrichten? Warum haben wir uns ganz auf die schlechten Katastrophen-Nachrichten
eingelassen? Warum sind gute Nachrichten nur noch der statistisch-demoskopische Abgesang
der schlechten? So wird uns zum Beispiel an einem Morgen in diesen Wochen gesagt:
Die jugendlichen Unruhen in Frankreich halten nicht mehr in der Stärke wie zuvor an.
Es wurde heute Nacht n u r noch 159 Autos abgefackelt und abgebrannt. Das ist ein
makabrer Trost. Für den Ort, an dem das geschah, ist das immer noch eine volle Katastrophe.
Für die Autobesitzer doch wohl auch, oder? Weil damit in Europa mit jedem Auto, das
auf diese Weise einfach plattgemacht wurde, eine große Versicherungs-Studie beginnt. Die
Geschichten, die alle auch möglich sind, erzählt zu werden: Es gibt besonders preiswürdige
Städte, in denen Ausländer ganz besonders gut als Bürger eingegliedert sind. Es gibt
besondere Gruppen, die besonders gut sich im Gesamt der zunächst fremden Gesellschaft
eingefunden haben.
Ich lebe hier in einer Stadt, die ganz stolz darauf ist
und auch eine Auskunft darüber geben kann, dass Bürger aus 103 Nationen in ihr wohnen,
leben, schlafen, agieren, arbeiten. Das ist die kleine 70.000 Seelen Gemeinde Troisdorf
am Rhein. In dieser Gemeinde sind besonders große und schöne Initiativen zur Eingliederung
gefördert worden, die auch schon dazu geführt haben, dass es hier kein Gegenüber mehr
gibt, sondern ein großes Miteinander. Diese Stadt hat sich ausgezeichnet dadurch,
dass sie von vornherein Vietnamesen aufnehmen wollte. Vietnamesen, die seinerzeit
bar jeder Überlebenschance sich einfach auf das Südchinesische Meer in kleinen winzigen
und völlig unzureichend ausgerüsteten Fischer und Flussbooten auf das Meer wagten,
die bekamen bei uns automatisch Asyl. Großzügigkeit, eine Kategorie, die man sonst
nicht mit irgendeiner Verwaltung und einem Rechtstitel zusammenbringt, war angesagt.
Heute ist die Gemeinde noch stolz darauf, und feiert alle drei Jahre mit den Vietnamesen
in der ganzen Bundesrepublik ihr großes Jahresfest in dem großen Bürgerhaus in Troisdorf.
Dieses riesengroße Haus ist wohl nie so gut und bis an die Nähte ausgenutzt und besucht,
wie bei dem Jahrestreffen der geflohenen Vietnamesen.
Das gilt für die Bundesrepublik
insgesamt. Die ca. 30.000 Vietnamesen haben sich zu den Lieblingen Deutschlands entwickelt.
Ganz gleich, ob sie als Buddhisten oder als Christen hier zu uns gekommen sind, sie
sind in einer Weise bei uns willkommen, die man anderen Nationalitäten auch wünscht.
Die Vietnamesen, das muss man sagen, haben sich diesen Ruf durch harte Arbeit verdient.
Sie haben vom ersten Moment an gewusst: Sie müssen - wenn sie in Deutschland leben
und arbeiten und Bürger werden wollen - die neue schwere Sprache des Gastlandes lernen.
Dadurch, dass sie das geschafft haben und mit einem Vietnamesen es nie geschehen kann,
was mit den vielen Türken geschieht, sind sie beliebt. Mit Türkischen Eltern kann
es geschehen, dass man weder mit dem Vater noch mit der Mutter der Kinder, die auf
irgendeine Schule gehen, deutsch sprechen kann, weil sie in ihren alten Herkunftssprachen
weiter verbiestert und vergattert sind.
Der Aufstand in Frankreich war übrigens
nicht in dem Sinne, wie wir das in Europa verstehen, ein Jugendlichen Aufstand. Dafür
fehlten für europäische Verhältnisse bei den Jugendlichen die Mädchen. Die Neuzuwanderer
kommen aus Familien, in denen Männer als Patriarchen herrschen. Vielleicht war der
Aufstand in Frankreich auch ein Wut Aufstand gegen das Patriarchat. Aber er war auf
jeden Fall eine Gewalttätigkeit und Kriminalität einer männlichen Jugend, die völlig
an den Rändern der Gesellschaft sitzt. Und nichts weiter im Kopf hat als Gewalt,
Zerstörung, Vandalismus.
Die Gemeinde in Troisdorf hat ein Fluchtboot der vietnamesischen
Boots-Flüchtlinge in der Mitte aufgestellt, in der jeder noch einmal sich an die große
Zeit erinnern kann, in der die Deutschen als freie Bürger in der Lage und bereit waren,
eine solche Aktion zu finanzieren. In meiner Kirchengemeinde in Troisdorf gab
es zu Anfang der Zeit, in der Vietnamesen als Katholiken in der Gemeinde lebten, eine
schöne Einrichtung, die der damalige katholische Pfarrer eingeführt hatte. Das Evangelium
wurde am Sonntag erst deutsch der Gemeinde vorgetragen, dann auf vietnamesisch von
einem Vietnamesen rezitiert. Da das Vietnamesische als Sprache für den Deutschen die
Qualität des Gesangs auf grund der vielen Lauthöhenunterschiede bei der Aussprache
der Vokale hat, war das immer ein besonderes Erlebnis bei der Sonntagsmesse.
So
würde ich, wenn ich in Europa was zu sagen hätte oder wenn ich Nachrichten im Fernsehen
bestimmen dürfte, ich würde immer auch in Frankreich, in Italien oder in Spanien
eine Ortschaft bringen, die sich auszeichnet durch eine vorbildliche und erfreuliche
Arbeit und ein wunderbares Zusammenleben verschiedener Nationalitäten. So wie Menschen
und Mitglieder einer Familie, wie Kinder in der Schule Ermutigung und Motivation brauchen,
so auch das Publikum der Fernsehzuschauer und der Staatsbürger. Wir werden unsere
Zukunft nicht allein mit dem bisherigen Prinzip des Journalismus schaffen. Wir werden
es nur schaffen, wenn wir uns ganz besonders bemühen, die Zukunftsweisenden, Mut-
und Freude machenden Nachrichten neben denen zu veröffentlichen, die uns jeden Tag
erreichen und uns die Lust am Zusammenleben nehmen sollen.