Frankreich: Brennende Vorstädte, enttäuschte und gewaltbereite Jugendliche
Trotz der Ankündigung der französischen Regierung, mit aller Härte gegen die Randalierer
vorzugehen, sind die Krawalle in der zehnten Nacht noch stärker geworden. Im ganzen
Land gingen laut Polizeiangaben 1295 Fahrzeuge in Flammen auf. Mehr als 300 Unruhestifter
- meist Jugendliche bzw. Heranwachsende - wurden festgenommen. Stefan Sellinger, Pfarrer
für die deutschsprachige Gemeinde in Paris erzählte im Gespräch mit Radio Vatikan,
"dass
offensichtlich gewaltbereite Gruppen, die Situation gerade ausnützen, um ihre Agressionen
loszuwerden oder um Ärger zu machen. Es werden bereits die Feuerwehrleute angegriffen,
die zum Löschen ausgerückt sind. Oft kommen kleine Gruppen kurz her, zünden was an
und verschwinden wieder. "
Nicht nur Autos, auch ein Kindergarten wurde
angezündet, eine Grundschule, eine Filiale einer Fastfoodkette. Erstmals war heute
Nacht auch das Zentrum von Paris betroffen. Bis jetzt brannte es nur in den Vorstädten,
dem sogenannten Banlieue. Städte, die auch sozial Brennpunkte sind - in einem Ausmaß,
das für Deutschland unverstellbar ist: Hochhausviertel vom Reisbrett, Menschen aus
allen Kontinenten und bis zu 175 verschiedenen Nationen, eine Arbeitslosenrate von
40 Prozent.
"Viele, die dort wohnen, sagen gar nicht, dass sie dort
wohnen. Dort leben auch sehr viele, die immigriert sind, oft illegal eingewandert
sind. Jeder vierte Jugendliche ist arbeitslos. Ich weiß, dass 'echo catholique', das
ist vergleichbar mit unserer deutschen Caritas, dass die sich gemeldet haben, enorm
Vorschläge machen und sagen, dass es an der Zeit ist, dass hier endlich mit sozialen
Maßnahmen eingegriffen wird."
Auslöser der Krawalle war der Tod zweier
Jugendlicher in der Pariser Vorstadt Clichy-sous-Bois am Donnerstag vorvergangener
Woche gewesen. Die Jungen aus dem Maghreb hatten sich offenbar vor der Polizei in
einem Transformatorenhäuschen versteckt und waren dort durch Stromschläge ums Leben
genommen. Innenminister Nicolas Sarkozy hatte unter anderem angekündigt, die Problemviertel
mit einem "Hochdruckreiniger" von dem "Gesindel" zu säubern. Eine von vielen Äußerungen,
"die mit Sicherheit nicht sehr glücklich war, das wird ja auch sehr
massiv kritisiert. Er hat dadurch etwas losgetreten und diese Lawine, die losgetreten
ist, die steckt wahrscheinlich schon länger in den Menschen, und die nutzen die Situation
gerade - finde ich - ziemlich aus. Wie man das regulieren kann, das ist sehr schwierig."
Unterdessen
haben die französischen Bischöfe bei ihrer Herbstvollversammlung in Lourdes ihre tiefe
Besorgnis über die Ausschreitungen in den Vororten von Paris und anderen Großstädten
geäußert.
Der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Erzbischof Jean-Pierre Ricard, betonte, man
müsse sich fragen, was diese "Spirale der Gewalt" verursacht habe. Repression und
kollektive Furcht seien aber keine entsprechende Antwort auf diese "dramatischen gesellschaftlichen
Spannungen".