Hier die Ansprache Papst Benedikt XVI. an die österreichischen Bischöfe im Wortlaut:
Sehr geehrter Herr Kardinal! Liebe Brüder im Bischofsamt! Der Besuch
der Hirten der Kirche in Österreich an den Gräbern der hl. Apostel Petrus und Paulus
ist ein Fixpunkt und eine Zeit der Vergewisserung in der Ausübung dieses verantwortungsvollen
Amtes. So heiße ich Euch, liebe Brüder, anläßlich Eures Ad-limina-Besuches
mit großer Freude hier im Apostolischen Palast willkommen. Eure Pilgerfahrt festigt
Eure Bande mit dem Nachfolger Petri und läßt Euch zugleich die Gemeinschaft der Weltkirche
an ihrem Zentrum neu erfahren. Gerade während der Ereignisse der letzten Monate haben
wir die Lebendigkeit der Kirche in ihrer ganzen Frische und in ihrer weltumspannenden,
missionarischen Energie von neuem erleben dürfen, insbesondere während des XX. Weltjugendtags
im August dieses Jahres in Köln. Auch wenn nicht immer derselbe geistliche Schwung
in der Kirche sichtbar ist, den Gott uns in diesen besonderen Stunden seiner Gnade
erfahren ließ, wissen wir, daß die Verheißung unseres göttlichen Herrn und Meisters
alle Zeiten und alle Räume umfaßt: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende
der Welt“ (Mt 28, 18). Und wir wissen, daß diese lebendige Gegenwart des auferstandenen
Herrn in seiner Kirche gewährleistet und gleichsam aktualisiert wird durch die sakramentale
Feier seines Opfers, durch die Kommunion, in der wir seinen heiligen Leib und sein
Blut empfangen, und durch die stete, in der Anbetung gegebene Erfahrung seiner realen
Gegenwart unter dem Schleier der heiligen Zeichen. Das soeben mit der Bischofssynode
abgeschlossene „Jahr der Eucharistie“ hat den Gläubigen vor Augen führen wollen, wo
der eigentliche Quell des Lebens und der Sendung der Kirche liegt, und welcher der
wahre Gipfel ist, dem alle unsere Bemühungen zustreben müssen, um die Menschen zu
ihrem Erlöser zu führen und sie in ihm mit dem Dreifaltigen Gott zu versöhnen. Vor
dem Hintergrund dieser Erfahrungen gilt es nun, gelassen und zuversichtlich die Lage
der österreichischen Diözesen gemeinsam zu analysieren, um die neuralgischen Punkte
zu erkennen, an denen vornehmlich Euer Einsatz zum Heil und Nutzen der Herde gefordert
ist, „in der Euch der Heilige Geist zu Bischöfen bestellt hat, damit Ihr als Hirten
für die Kirche Gottes sorgt, die er sich durch das Blut seines eigenen Sohnes erworben
hat“ (Apg 20, 28). In der Gewißheit der Gegenwart des Herrn blicken wir mutig
der Realität ins Auge, ohne daß jener gläubige Optimismus, von dem wir jederzeit getragen
sein müssen, ein Hindernis dafür darstellen könnte, zur gebotenen Stunde die Dinge
in aller Sachlichkeit und ohne Schönfärberei beim Namen zu nennen. Schmerzliche
Tatsachen liegen da offen zutage: Der für Europa zur Zeit immer noch signifikante
Säkularisierungsprozeß hat auch an den Toren des katholischen Österreich nicht haltgemacht.
Die Identifikation mit der Lehre der Kirche schwindet bei vielen Gläubigen und damit
löst sich das Glaubenswissen auf und die Ehrfurcht vor den Geboten Gottes nimmt ab.
Über diese wenigen Anmerkungen hinaus muß ich hier, liebe Mitbrüder im Bischofsamt,
nicht im einzelnen an die zahlreichen kritischen Bereiche des gesellschaftlichen Lebens
im allgemeinen und der kirchlichen Situation im besonderen erinnern. Ich weiß, daß
diese ständig Gegenstand Eurer wachen Hirtensorge sind. Ich teile Eure Sorgen um die
Kirche in Eurem Land. Doch was können wir tun? Gibt es ein Heilmittel, das Gott für
die Kirche in unserer Zeit bereithält, damit sie sich mutig den Herausforderungen
stellen kann, denen sie auf ihrem Weg im dritten christlichen Jahrtausend begegnet?
Zweifellos bedarf es einerseits des klaren, mutigen und begeisterten Bekenntnisses
des Glaubens an Jesus Christus, der auch hier und heute in seiner Kirche lebt und
in dem die ihrem Wesen nach auf Gott ausgerichtete menschliche Seele allein ihr Glück
finden kann. Andererseits sind es die vielen kleinen und großen missionarischen Maßnahmen,
die wir setzen müssen, um eine „Trendwende“ herbeizuführen. Was das Bekenntnis
des Glaubens anbelangt, so gehört dieses, wie Ihr wißt, zu den ersten Pflichten des
Bischofs. „Ich habe mich der Pflicht nicht entzogen“, sagt der heilige Paulus in Milet
zu den Hirten der Kirche von Ephesus, „euch den ganzen Willen Gottes zu verkünden“
(Apg 20, 27). Es ist wahr, daß wir Bischöfe mit Bedacht handeln müssen. Aber
solche Umsicht darf uns nicht daran hindern, Gottes Wort in aller Klarheit darzulegen
– auch jene Punkte, die man meist weniger gern hört oder die mit Sicherheit Reaktionen
des Protestes, mitunter auch Spott und Hohn hervorrufen. Ihr, liebe Brüder im Hirtenamt,
wißt es selbst am besten: Es gibt Themen – im Bereich der Glaubenswahrheit und vor
allem im Bereich der Sittenlehre –, die in Euren Diözesen in Katechese und Verkündigung
nicht ausreichend präsent sind, die manchmal, zum Beispiel in der pfarrlichen oder
verbandlichen Jugendpastoral, gar nicht oder nicht eindeutig im Sinn der Kirche zur
Sprache kommen. Das ist Gott sei Dank nicht überall der Fall. Aber vielleicht fürchten
die mit der Verkündigung Beauftragten hier und da, die Menschen könnten sich abwenden,
wenn klar gesprochen wird. Dabei lehrt die Erfahrung beinah überall, daß genau das
Gegenteil wahr ist. Macht Euch keine Illusionen. Eine katholische Glaubensunterweisung,
die verstümmelt angeboten wird, ist ein Widerspruch in sich und kann auf die Dauer
nicht fruchtbar sein. Die Verkündigung des Reiches Gottes geht immer Hand in Hand
mit der Forderung nach Umkehr und ebenso mit der Liebe, die Mut macht, die den Weg
weist, die begreifen lehrt, daß mit Gottes Gnade auch das scheinbar Unmögliche möglich
ist. Überlegt, in welcher Form nach und nach der Religionsunterricht, die Katechese
auf den verschiedenen Ebenen und die Predigt in dieser Hinsicht verbessert, vertieft
und sozusagen vervollständigt werden können. Nützt dabei bitte mit allem Eifer das
Kompendium und den Katechismus der Katholischen Kirche selbst. Sorgt
dafür, daß alle Priester und Katecheten dieses Werkzeug verwenden, daß es in den Pfarren,
Verbänden und Bewegungen erklärt, in Glaubensrunden besprochen und in den Familien
als wichtige Lektüre zur Hand genommen wird. Gebt in den Ungewißheiten dieser Zeit
und Gesellschaft den Menschen die Gewißheit des unverkürzten Glaubens der Kirche.
Die Klarheit und Schönheit des katholischen Glaubens sind es, die das Leben der Menschen
auch heute hell machen! Dies wird besonders dann der Fall sein, wenn er von begeisterten
und begeisternden Zeugen vorgelegt wird. Das klare, öffentliche, beherzte Zeugnis
der Bischöfe, an dem sich alle Gläubigen und vornehmlich die Priester, denen Eure
besondere Zuwendung gilt, orientieren können und das allen Mut gibt, den Glauben durch
das eigene Verhalten zu bekräftigen, muß von vielen, oft scheinbar kleinen und nicht
unbedingt publikumswirksamen Maßnahmen begleitet sein. Manches ist getan worden, um
die missionarische Gesinnung der Christen in Euren Diözesen neu zu wecken. Ich denke
in diesem Zusammenhang beispielsweise an die herausragende Stadtmission in Wien und
natürlich an den Mitteleuropäischen Katholikentag, der ein großartiges Zeugnis des
völkerverbindenden katholischen Glaubens vor der europäischen Öffentlichkeit war.
Vieles muß noch getan werden, damit die Kirche in Österreich ihrem missionarischen
Auftrag noch besser gerecht wird. In Wirklichkeit sind es oft die Maßnahmen der ordentlichen
Leitungsgewalt, wie z.B. kluge und richtige Personalentscheidungen, die die Situation
nachhaltig verbessern. Ob es um den Besuch der Sonntagsmesse geht oder um den Empfang
des Bußsakramentes – wie oft sind das Beispiel und das ermunternde Wort von entscheidender
Bedeutung! Es ist das Gebot der Liebe, das uns dazu drängt, dem Nächsten nicht bloß
diesen oder jenen sozialen Dienst zu erweisen, sondern ihm zu helfen, das höchste
Gut zu erlangen – die beständige Hinwendung zum lebendigen Gott, die Gemeinschaft
mit Jesus Christus, die Entdeckung der eigenen Berufung zur Heiligkeit, die Offenheit
für den Willen Gottes, die Freude eines Lebens, das in gewissem Sinn das Glück der
Ewigkeit schon vorwegnimmt! Liebe Mitbrüder im Bischofsamt! Zahlreiche positive
Gegebenheiten des kirchlichen Lebens – ich möchte hier nur beispielhaft die Übung
und Wiederentdeckung der eucharistischen Anbetung in den Pfarren und die Treue vieler
einzelner und Gemeinschaften zum Rosenkranzgebet nennen – und die weitgehend gute
Zusammenarbeit zwischen Staat und Kirche zum Segen der Menschen prägen das Bild der
Kirche Österreichs ebenso wie die Fülle der kulturellen Reichtümer der durch und durch
christlichen Geschichte Eures von Gott so vielfach gesegneten Landes. An vielen Ansatzpunkten
kann sich der Funke christlichen Eifers neu entzünden. Nützt alle diese Gaben, wo
Ihr nur könnt, aber gebt Euch nicht mit einer äußerlichen Religiosität zufrieden.
Gott genügt es nicht, daß sein Volk ihn mit den Lippen ehrt – er will unser Herz.
Und er schenkt uns seine Gnade, wenn wir uns nicht selbst von ihm entfernen oder gar
trennen. Ich weiß sehr gut um Euer hingebungsvolles Mühen und um das so vieler Priester,
Diakone, Ordensleute und Laien; und ich bin sicher, daß der Herr Eure Treue und Euren
Eifer mit Seinem göttlichen Segen begleitet und lohnen wird. Die Magna Mater Austriæ,
die gütige Gnadenmutter von Mariazell und hohe Schutzfrau Österreichs, deren Heiligtum
mir so lieb geworden ist, kann Euch und den Gläubigen in Eurem Land die Kraft und
Ausdauer erwirken, um das große Werk einer authentischen Erneuerung des Glaubenslebens
in Eurer Heimat in Treue zu den universalkirchlichen Vorgaben mutig und vertrauensvoll
fortzusetzen. Auf ihre Fürsprache erteile ich Euch allen für die Aufgaben Eures Hirtendienstes
sowie auch allen Gläubigen in Österreich von Herzen den Apostolischen Segen. Aus dem
Vatikan, am 5. November 2005