2005-10-09 16:00:17

Vatikan: Kardinal von Galen seliggesprochen


Bei einem festlichen Gottesdienst im Petersdom ist der frühere Bischof von Münster, Kardinal Clemens August Graf von Galen, seliggesprochen worden. Papst Benedikt XVI. würdigte den neuen Seligen als „Zeugen des Glaubens, der in finsterer Zeit das Licht der Wahrheit aufgerichtet und den Mut des Widerstands gegen die Tyrannei gezeigt hat“. Die „Einsicht in einer Zeit, in der gescheite Leute der Verblendung verfielen“, die „Kraft zum Widerstand, in einem Augenblick, in dem auch starke Menschen sich schwach und feige gezeigt haben“, habe von Galen aus seinem katholischen Glauben geschöpft.

Von Galen habe „im Namen Gottes die neuheidnische Ideologie des Nationalsozialismus“ verurteilt. Er habe die Freiheit der Kirche und die auf schwerwiegende Weise verletzten Menschenrechte verteidigt, indem er Juden und schwache Menschen schützte, „die das Regime als auszumerzenden Abfall ansah“, sagte Benedikt im Anschluss an die Seligsprechung beim Angelus-Gebet.

Mehrere Tausend Pilger waren aus Deutschland zur Seligsprechung des als Symbol für aufrechten Glauben und Widerstand gegen die herrschende politische Macht bekannten „Löwen von Münster“ nach Rom gekommen. Sie brachen in tosenden Applaus aus, als der Präfekt der Selig- und Heiligsprechungskongregation, Kardinal Josè Saraiva Martins im Auftrag des Papstes die Seligsprechung vornahm. In seiner Predigt sagte der Kardinal: "In der Kirche Santa Maria dell' Anima, der deutschen
Nationalkirche hier in Rom, befindet sich das Grab von Papst
Hadrian VI., dessen Name auch deshalb in die Geschichte einging,
weil er durch viele Jahrhunderte der letzte nicht-italienische
Papst war. Auf seinem Grabmal kann man folgende Inschrift lesen:
«Wie viel hängt davon ab, in welche Zeiten die Tugend auch des
besten Mannes fällt.» Diese Grabinschrift, die sich zunächst
negativ auf die widrigen Zeitverhältnisse bezieht, in denen
Hadrian VI. lebte, enthält zugleich eine sehr positive Wertung
der herausragenden Tugenden, die ihn gerade in den ungünstigen
Verhältnissen seiner Zeit auszeichneten.

Nun, wenn es in der berühmten Gestalt des Kardinals Clemens
August von Galen, des Bischofs von Münster, dessen Seligsprechung
uns heute mit Freude erfüllt, eine Dominante gibt, dann ist es
jene, die Tugenden eines Christen und eines Oberhirten in
hervorragender und heroischer Weise in einer für die Kirche und
für das deutsche Volk so schwierigen Zeit gelebt zu haben.
Deutschland befand sich damals unter der Herrschaft des
Nationalsozialismus. Die Diözese Münster darf sich rühmen, einen
Oberhirten auf dem Bischofsstuhl des heiligen Ludgerus gehabt zu
haben, der so unerschrocken der menschenverachtenden Ideologie
und der Todesmaschinerie des nationalsozialistischen Staates
entgegen trat, dass es ihm den Titel «Der Löwe von Münster»
eintrug.

Clemens August von Galen wurde am 16. März 1878 auf der
Wasserburg Dinklage im Oldenburger Münsterland geboren. In
ländlicher Umgebung wuchs er in einer großen Familie auf, die
geprägt war von den kirchlichen und sozialen Verhältnissen seiner
Zeit. Nach Schulbesuch und Studium wurde er 1904 zum Priester
geweiht. Die ersten zwei Jahre war er Domvikar und Sekretär
seines Onkels, des Weihbischofs Maximilian Gereon von Galen. Eine
der größten Zäsuren in seinem Leben war wohl die Versetzung nach
Berlin. 23 Jahre verbrachte er dort; es war die schwere Zeit des
Ersten Weltkriegs und der Wirren der Weimarer Republik mit ihren
folgenschweren sozialen Auswirkungen. 1929 wurde er Pfarrer an
St. Lamberti in Münster. Die zweite noch größere Zäsur in seinem
Leben war die unerwartete Ernennung zum Bischof von Münster im
Herbst 1933. Galen war einer der bekanntesten
Vertreter des kirchlichen Widerstandes gegen das
nationalsozialistische Unrechtsregime. Wenn wir uns fragen, woher
ihm die Kühnheit kam, den Nationalsozialisten offen zu
widerstehen, mit klarer Argumentation gegen ihre Verletzung der
grundlegenden Menschenrechte aufzutreten und diese Anklage
durchzuhalten, finden wir drei Faktoren, die seine starke
Persönlichkeit als Mensch, als Gläubiger und als Bischof geformt
haben.

Diese drei Faktoren sind Familie, Glaube und Politik; vergessen
wir dabei aber nie, dass die Grundhaltung des Seligen aus seinen
tief greifenden christlichen Tugenden hervorging.

Clemens August stammte aus einer großen, traditionsreichen, mit
Kirche und öffentlichem Leben gleichermaßen verbundenen Familie.
Der Vater interessierte sich für die öffentlichen
Angelegenheiten, die Mutter pflegte den familiären Zusammenhalt;
dieser familiäre Kontext bot Clemens August und seinen
Geschwistern eine Sicherheit und Lebensgrundlage, die ihn später
recht unvermutet weit über sich selbst und die Tradition seines
Umfelds hinauswachsen ließ. Das Leben der Familie von Galen war
traditionell sehr auf die öffentliche Verantwortung für die
Mitmenschen in Kirche und Gesellschaft ausgerichtet. Am
Familientisch auf der Burg Dinklage wurde nicht nur das familiäre
Gespräch und das Rosenkranzgebet gepflegt, sondern auch über
Politik gesprochen, wozu die Tätigkeit des Vaters als
Reichstagsabgeordneter in Berlin ständig Anlass bot.

Ohne Zweifel konnte Bischof von Galen das, was er tat, nur tun
auf Grund einer tiefen und zugleich sehr schlichten
Spiritualität, die ganz offensichtlich in der Eucharistie und in
der Marienverehrung wurzelte.

Gewissermaßen als Gegenprogramm zu den schrillen Tönen der
Marschmusik und den hohlen Phrasen, die aus den Lautsprechern von
den Rednertribünen schallten, setzte er auf die Verehrung der
heiligen Eucharistie, auf die stille betrachtende Anbetung des
zum Brot gewordenen Herrn. Vor dem scheinbar wehrlosen und so
unauffälligen Herrn, sakramental gegenwärtig im eucharistischen
Brot, fand er die Kraft und die Nahrung, die allein bleibende
Erfüllung der Lebenssehnsucht des Menschen sein kann. Die
einigende Kraft im geistlichen Leben des neuen Seligen war sein
tiefer, lebendiger Glaube, lebendig durch die Liebe, mit der er
sich allen, besonders den Leidenden, zuwandte. Seine vom
Evangelium inspirierte Spiritualität verlieh ihm auch in seiner
öffentlichen Tätigkeit Transparenz. All seine Handlungen und all
seine Tugenden gingen aus seinem gelebten Glauben hervor.

Schon seit Beginn seiner pastoralen Tätigkeit in Münster hatte
Bischof von Galen die menschenverachtende S-Ideologie entlarvt.
Mitten in der Kriegszeit im Sommer 1941 übte er besonders scharfe
Kritik in drei Predigten vom Juli und August jenes Jahres, die
berühmt geworden sind: Er protestierte gegen die erzwungene
Schließung von Klöstern und gegen die Verhaftung von
Ordensleuten. Mit Vehemenz sprach er sich gegen die Deportation
und Vernichtung von menschlichem Leben aus, das vom Regime als
«lebensunwert» bezeichnet wurde. Das Leben geistig behinderter
Menschen. Die feurigen Worte des Bischofs trafen die
Todesmaschinerie des Nationalsozialismus bis ins Mark.

Seine klaren Argumente versetzten die Machthaber in Wut und
zugleich in Ratlosigkeit, da sie auf Grund des großen Ansehens
des seligen Bischofs von Münster nicht wagten, ihn zu verhaften
oder umzubringen.

Nicht angeborener Mut, nicht übertriebene Verwegenheit, sondern
allein ein tiefes Verantwortungsgefühl und der klare Blick für
Recht und Unrecht haben Bischof Clemens August dazu bringen
können, diese Worte auszusprechen. Sie sind eine Einladung, über
die Strahlkraft seines Glaubenszeugnisses nachzudenken; die
Einladung, seinem Beispiel zu folgen, gilt uns, die wir in Zeiten
leben, die vielleicht weniger bedrohlich zu sein scheinen, die
aber nicht weniger problematisch sind, was die Wertung
menschlichen Lebens angeht.

Rückschauend auf diese Ereignisse sagte Kardinal von Galen im
März 1946: «Der liebe Gott hatte mir eine Stellung gegeben, die
es mir zur Pflicht machte, das Schwarze schwarz und das Weiße
weiß zu nennen, wie es in der Bischofsweihe heißt. Ich wusste,
ich durfte sprechen für Tausende, die mit mir der festen
Überzeugung waren, dass nur auf dem Boden des Christentums auch
unser deutsches Volk zum Glück, zur wahren Einigkeit und zu einer
gesegneten Zukunft gelangen konnte.»

Liebe deutsche Pilgerinnen und Pilger, voll Dankbarkeit können
wir auf diese große Gestalt Eures Landes schauen. Der selige
Bischof Clemens August hat erkannt, wer unser Gott ist und auf
ihn seine ganze Hoffnung gesetzt (vgl. Jes 25,9). Er hat sich in
seinem Hirtendienst zuerst als Pfarrer und dann als Bischof nicht
geschont: er «wusste Entbehrungen zu ertragen» (Phil 4,19) und
war bereit, sein Leben hinzugeben für den Dienst am Menschen.
Seiner Verantwortung vor Gott war er sich voll bewusst. Deswegen
hat der Herr ihn «aus dem Reichtum seiner Herrlichkeit» beschenkt
(Phil 4,19), von dem uns der heilige Paulus im Brief an die
Philipper spricht, den wir gerade gehört haben. Im Glauben sind
wir davon überzeugt, dass er berufen und auserwählt ist, am
himmlischen Hochzeitsmahl in der Vollendung der göttlichen
Herrlichkeit teilzunehmen. Dieses himmlische Hochzeitsmahl wird
uns durch das wunderbare Gleichnis Jesu vor Augen gestellt, das
uns vom heutigen Evangelium verkündet wird (Mt 22,1-14).

Der Diözese Münster möchte ich gratulieren: Genau in dem Jahr, in
dem sie ihrer Gründung vor nunmehr zwölf Jahrhunderten gedenkt,
kann sie mit Freude und Stolz diese Seligsprechung hier, am Grab
des Apostels Petrus, feiern. Damit legt sie gleichsam ihre
eigenen apostolischen Wurzeln tiefer und verankert sich noch mehr
im Lehramt des Stellvertreters Christi, heute von Gottes Gnaden
Benedikt XVI. Möge der neue Selige der Diözese Münster Ermutigung
schenken, sein reiches und immer zeitgemäßes Erbe wach zu halten
und für die Menschen von heute fruchtbar zu machen. Auf die
Fürsprache des neuen Seligen segne der Herr die Diözese Münster
und die ganze Kirche in Deutschland."

Aufgabe des Münsteraner Bischofs Reinhard Lettmann war es, den neuen Seligen vorzustellen. Er hielt sich bei seiner Ansprache nicht an ein vorgeschriebenes Redemanuskript: "Wir hören noch den Nachklang des Beifalls, der aufbrauste, als Bischof Clemens August nach vorne trat, um aus der Hand des Papstes Pius XII. die Würde und Bürde des Kardinals zu empfangen. Augenzeugen haben mir berichtet, dass immer wieder gerufen wurde, „il leone di Münster“ – der Löwe von Münster. Er wurde 1878 auf der Burg Dinklage im oldenburgischen Teil unseres Bistums Münster geboren. Er wuchs auf in einer großen gläubigen Familie, entschied sich, Priester zu werden und konnte 1904 das Sakrament der Priesterweihe empfangen. Die längsten Jahre seines priesterlichen Dienstes war er in der Gemeindeseelsorge tätig. 23 Jahre in Berlin, 4 Jahre in Münster, dann wählte ihn das Domkapitel von Münster zum Bischof. Seine Bischofszeit fiel in die Zeit des Nationalsozialismus. Von Beginn an hat er unerschrocken die menschenverachtende Ideologie des Nationalsozialismus entlarvt. 1946 wurde er zum Kardinal ernannt, wenige Tage nach seiner Rückkehr nach Münster ist er gestorben. In der Apostelgeschichte heißt es von den Aposteln, sie verkündigten das Evangelium mit Freimut. Der biblische Begriff der Freimut kennt zwei Richtungen: Das frohe, gläubige Stehen vor Gott, als von Christus erlöste Menschen. Das zeigte sich in seiner tiefen Frömmigkeit. Dieses Fundament hat es ihm möglich gemacht, mit allem Freimut die menschenverachtende Ideologie des Nationalsozialismus zu entlarven. Weit über Deutschland hinaus wurde er bekannt durch die drei großen Predigten im Sommer 1941, als das deutsche Reich auf dem Höhepunkt seiner macht stand. Diese Predigten wurden in aller Welt verbreitet. Unser verstorbener Heiliger Vater, Johannes Paul II., hat mir erzählt, dass auch er in Krakau als junger Student diese Predigten gelesen hat und auch weiter verbreitet hat. Freimut, das gläubige Stehen vor Gott; Freimut, das Evangelium zu verkünden, auch gegen alle Widerstände. Er war Bischof in einer apokalyptischen Zeit. Der Kardinal hat festgehalten an der Treue zu Christus und an den Geboten Gottes. Das ist seine Botschaft für uns: Haltet fest an der Treue zu Christus, ohne den Glauben zu verwässern und ihm Profil zu nehmen. Und haltet fest an den Zehn Geboten, sie sind die Grundlage für ein Zusammenleben der Menschen in Menschlichkeit."
(09.10.05 bg)








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