Der neue Selige - Clemens August Graf von Galen, der Löwe von Münster
Kardinal Clemens August Graf von Galen wird am 9. Oktober 2005 selig gesprochen. Das
hat Papst Benedikt XVI. im vergangenen Juli entschieden. Der 'Löwe von Münster' wird
an diesem Tag als einziger in Rom zur Ehre der Altäre erhoben. Das ist ungewöhnlich.
Vermutlich hat der Papst gezielt das Datum ausgewählt: die Seligsprechung dieser herausragenden
Gestalt erfolgt
nämlich während der Weltbischofssynode in Rom. Bei der Bekanntgabe
läuteten als Zeichen der Freude die Glocken des St. Paulus-Domes zu Münster. Ein Höhepunkt,
eine Sternstunde für das Bistum Münster, das in diesem Jahr sein 1.200 Jubiläum feiert.
Warum
eigentlich 'Löwe von Münster?' Wird da nicht jemand allzu simpel in ein Heldenklischee
gepreßt? Wer die Biografie von Galens in ihrer Entwicklung betrachtet, wird die Botschaft
seiner Seligsprechung verstehen, die sowohl für die heutige Kirche insgesamt als auch
für die Christen in aller Welt zum Modell der Nachfolge werden kann. Diese Botschaft
lautet: 'Ein ganz durchschnittlicher Zeitgenosse mit ganz normalen Geistesgaben ist
plötzlich über sich hinausgewachsen. Ein adeliger Bischof entwickelt sich zum kritischen
Beobachter der Zeit und löst sich aus eingefahrenen Bahnen. Ein durchschnittlicher
Kanzelredner wird zum mutigen, feurigen Prediger, dessen Stimme weit über Westfalen,
weit über Deutschland hinaus in der
ganzen Welt zu hören war und gehört wurde.
Ein Mensch, der noch jede staatliche Gewalt als von Gott kommend verstand, wird zum
Widerständler gegen einen Staat, den er als Unrechtsregime erkennt und entlarvt und
gegen dessen Morde an unschuldigen Menschen er - oft einsam und allein - öffentlich
protestiert. Ein Verteidiger rein kirchlicher Interessen entwickelt sich zum Anwalt
der fundamentalen Rechte aller Menschen.' Das war der Löwe von Münster. '
Herkunft Clemens
August Graf von Galen wurde am 16. März 1878 als Spross eines uralten Adelsgeschlechts
auf Burg Dinklage im Oldenburger Münsterland geboren. Am Gymnasium 'Antonianum' in
Vechta bestand er die Reifeprüfung und studierte in Freiburg in der Schweiz, Innsbruck
und Münster Philosophie und Theologie. 1904 empfing er im St. Paulus-Dom zu Münster
die Priesterweihe. Anschließend war er Kaplan an St. Matthias sowie Kolping-Kurat
an St. Clemens Maria Hofbauer in Berlin, anschließend Pfarrer im Berliner Stadtteil
Schöneberg. 1929 berief ihn sein Bischof zurück in sein Heimatbistum als Pfarrer an
der Stadtkirche St. Lamberti. Am 5. September 1933 ernannte ihn Papst Pius XI. zum
71. Bischof von Münster.
1933 ein Schicksalsjahr für Deutschland, für
Europa, für die Welt. Hitler war an die Macht gekommen. Es ist die herausragende Leistung
Clemens August Graf von Galens, relativ schnell das wahre Gesicht des Nationalsozialismus
und seine verderbenbringenden Tendenzen für die Kirche und für Deutschland erkannt
zu haben und dann immer wieder ohne Rücksicht auf Menschenlob und Menschenfurcht seine
Meinung zu verkünden. Ohne Rücksicht auch auf das
eigene Schicksal, denn der
Bischof war sich von Anfang an klar darüber, dass er, vor allem nach den großen, berühmt
gewordenen Predigten gegen die Euthanasie und gegen die Schließung der Klöster mit
Verhaftung und Hinrichtung rechnen mußte. Niemand kann ermessen, welche innere Not
er in den Tagen und Nächten vor seinen Bekennerpredigten durchlitt, welche seelischen
Belastungen er im Zwiespalt zwischen Patriotismus, Glaubenstreue und Rücksichtsnahme
auf die ihm anvertrauten Gläubigen tragen mußte, als er erkannte, dass die NS-Machthaber
ihn selbst aus politischen Erwägungen schonten, aber Priester und Ordensleute an seiner
Stelle inhaftierten, quälten und ermordeten.
Widerstand
Seine
drei großen Predigten hielt er zur Zeit der größten Triumphe des Naziregimes, als
es fast ganz Europa erobert hatte und gerade in einem Siegeszug ohnegleichen in die
Sowjetunion einmarschiert war. Es wäre jedoch falsch nur diese, schnell in ganz Deutschland
un in aller Welt verbreiteten Predigten als Maßstab für das mutige Wirken des Bischofs
anzusehen. Bischof Clemens August hat sich, ebenso wie viele andere katholischen Persönlichkeiten
keineswegs ausschließlich für die Belange der Kirche eingesetzt, wie heute nicht selten
der Kirche vorgeworfen wird, sondern von Anfang an gegen die Verleztung der Menschenrechte
und Menschenwürde, ebenso auch gegen die Blut-und Rassentheorie und damit gegen die
Judenverfolgung gewandt. Er hat lange darunter gelitten, dass manche Bischöfe nicht
so
konsequent wie er öffentlich gegen die Irrlehren der Nazis Stellung bezogen.
Der Erfolg seiner Predigten gab ihm recht. Sie hatten eine unvorstellbare Resonanz
in weiten Kreisen des In-und Auslands, führten tatsächlich zur Zurücknahme der Euthanasiemaßnahmen
und verunsicherten die Nazis dermaßen, dass sie gegen den Bischof nicht einzuschreiten
wagten, sondern die
Vernichtung der Kirche auf die Zeit nach dem 'Endsieg'
verschoben. Nach dem Kriege sei es ohnehin kinderleicht, den Kirchen das Rückgrat
zu brechen und den Bischof von Münster zu beseitigen. Unter den Reaktionen auf
die Predigten verdient der Brief der Dichterin Ricarda Huch besondere Erwähnung, weil
sie das Empfinden von Millionen von Menschen ausdrückte: 'Erfahren zu müssen, dass
unserem Volk das Rechtsgefühl zu fehlen scheint, war wohl das bitterste, was die letzten
Jahre uns gebracht haben. Die dadurch verdüsterte Stimmung erhellte sich, als Sie,
hochverehrter Herr Bischof, dem triumphierenden Unrecht sich entgegen stellten und
öffentlich
für die Verunrechteten eintraten. Das Bewußtsein, den Forderungen
des Gewissens Genüge getan zu haben, ist mehr wert als Beifall der Menschen. Nicht
um Sie zu stärken, schreibe ich Ihnen, sondern weil ich annehme, es sei Ihnen erfreulich
zu wissen, dass es viele gibt, die sich Ihnen vom Herzen verbunden fühlen. Ich bitte
Sie, mich als die Stimme der vielen zu betrachten, die Ihnen ergeben sind'.
Hirtenbrief
Unter
aktiver Beteiligung von Galens verabschiedeten die deutschen Bischöfe im September
1943 - vielleicht zu spät - ein aufrüttelndes Hirtenwort, das dem Beispiel des Bischofs
von Münster folgte und sich mit aller Schärfe gegen die Rechtsverletzungen gegenüber
Menschen jeden Glaubens und jeder Rasse aussprach und auch die Judenverfolgung mit
einbezog.
'Keine irdische Macht darf das Leben eines Unschuldigen frevelhaft
verletzten und vernichten.....Tötung ist in sich schlecht, auch wenn die angeblich
im Interesse des Geimeinwohls verübt würde an schuld- und wehrlosen Geistesschwachen
und Geisteskranken, an unheilbar Siechen und tödlich Verlezten, an erblich Belasteten
und lebensuntüchtigen Neugeborenen,
an unschuldigen Geiseln und entwaffneten
Kriegs-oder Strafgefangenene, an Menschen fremder Rasse und Abstammung.....'
Was
wäre geschehen, so muß man heute fragen, wenn ein derartiger Hirtenbrief in den ersten
Jahren des Dritten Reiches verkündet worden wäre? Wenn die Bischöfe bereits gegen
die Nürnberger Rassengestzgebung des Jahres 1935 gegen die Fiffamierung der Juden,
gegen die Schrecken der 'Reichskristallnacht' 1938 aufgetreten wären? Was wäre geschehen,
wennn der
Mut des 'Löwen von Münster' den gesamten Episkopat frühzeitig aktiviert
und zu schörften Protest geführt hätte? Diese Fragen lassen sich aus der Rückschau
auf die damalige Zeit naturgemäß nicht zufriedenstellend beantworten, da auch die
Bischöfe zunächst in die Irre geführt wurden, und erst langsam erkannten, welchen
Ungeist das Dritte Reich verkörperte. Kardinal
Papst Pius XII.,
der wie von Galen die These der deutschen Kollektivschuld ablehnte, verlieh Bischof
Clemens August den Kardinalstitel, weil er in ihm das 'andere Deutschland' ehren wollte.
Pacelli, dem später ganz zu Unrecht vorgeworfen wurde, er habe 'nichts' zur Rettung
der Juden getan, kannte von Galen aus seiner Zeit als Nuntius in Berlin sehr gut.
'Il tedesco', wie Pius XII; bereits als Kardinalstaatssekrtär genannt wurde, hatte
den Bischof von Münster im Namen von Pius XI. aus gutem Grund nach Rom rufen lassen,
als 1938 das Rundschreiben zur Lage in Deutschland verfasst werden sollte. Bischof
von Galen bezweifelte schon damals ob papiererne
Verlautbarungspolitik allein
in Berlin etwas bewirken könne. Von Galen sollte - wie in vielem Recht behalten -
und ging unbeirrbar seinen Weg. Es war ein Weg, der mit Martyrium und KZ hätte enden
können. Von Galen hatte jeden Tag damit gerechnet. 'Eure Treue hat es verhindert'
rief er seinen Diözesanen nach der Kardinalsernnneung bei Rückkehr aus Rom am 16.
März tief
bewegt zu.
Sechs Tage später war Bischof von Galen
tot. Der 'Löwe von Münster' starb am 22. März 1946 an den Folgen eines Blinddarmdurchbruchs.
Er war 68 Jahre alt.
Ein Großer seiner Zeit hatte den Nationalsozialisten in
Partei und Staat die Stirn geboten. Er war bereit gewesen, sein Lebens aufs Spiel
zu setzen für die als richtig erkannten Grundsätze und Werte. Er sprach da, wo andere
schwiegen.