Die Vatikan-Medien rehabilitieren Hans Küng: Zum ersten Mal seit dem Entzug der Lehrerlaubnis
für Küng im Jahr 1979 hat Radio Vatikan den Tübinger Theologen und Leiter der Stiftung
"Weltethos" zum Interview gebeten. Im Gespräch mit P. Eberhard v. Gemmingen, dem
Leiter der deutschsprachigen Abteilung von Radio Vatikan, erzählt Küng von seinem
spektakulären Treffen mit Papst Benedikt am vergangenen Wochenende. Kernaussagen:
"Unsere Anliegen decken sich jetzt" - "Papst hat Kommuniqué selbst geschrieben" -
"Auch über Einheitsübersetzung und Abendmahlgemeinschaft gesprochen" - "Aufatmen,
dass so etwas Positives heute möglich ist" - Neues Verfahren an Glaubenskongregation
"kommt für mich nicht in Frage".
Das Interview wird von Radio Vatikan
am Sonntag, dem 2. Oktober 2005, als "Interview der Woche" ausgestrahlt. Hier der
volle Text des Gesprächs (Fragen: P. Eberhard v. Gemmingen):
Wie ist das, wenn
man einen alten Kollegen, den Sie von Münster nach Tübingen gezogen haben, unter so
veränderten Umständen wiedersieht? War das sehr herzlich, oder etwas steif, etwas
seltsam?
"Nein, es war gleich von Anfang an herzlich. Das war nicht selbstverständlich.
Der Papst sagte gleich: "Wir haben uns ja 1983 zum letzten Mal gesehen." Das ist ja
immerhin lange her, es war drei Jahre nach dem Eingriff damals, der vatikanischen
Intervention - damals war es ziemlich steif, jedenfalls im Sinn von "Keine Freiheit
im Denken", so wie es jetzt war. Es war, hatte ich empfunden, kein eigentliches Verstehen
zwischen uns da. Diesmal war es von Anfang an umgekehrt."
Lag das vielleicht
auch daran, dass er jetzt Papst, also der Chef ist und jetzt selbst den Ton angeben
kann?
"Ich glaube, das macht viel aus. Ich habe gestern Abend für die hohen
Finanzchefs der Konzerne da bei Frankfurt geredet - da kam einer zu mir und sagte:
Ja, das ist natürlich schon so, wenn einer von uns als Finanzchef CEO wird, also Chef
des Ganzen, dann ist eine ganz andere Perspektive gefordert. Dann sieht man plötzlich
mehr nach außen, dann merkt man, dass man nicht einfach nur kontrollieren darf, jetzt
muß man Impulse geben. Ich glaube also, dass das einen großen Unterschied macht. Der
Papst ist jetzt nicht mehr der Glaubenshüter, der vor allem schaut, ob da die Disziplin
eingehalten wird innerhalb der Kirche; er ist konfrontiert mit den großen Problemen
der Welt, und da ist es ja in etwa natürlich... Ich bin ja schon immer an den Fronten
der Welt gestanden, darf ich sagen, und seit dem römischen Eingriff mehr denn je,
und es decken sich jetzt natürlich die Anliegen in bezug auf Weltreligionen, Weltfrieden,
Weltethos und vieles andere."
Sie haben die umstrittene Frage der Unfehlbarkeit
ausgeklammert; wird das denn später irgendwann einmal aufgegriffen? Haben Sie da etwas
ausgemacht?
"Nein, da haben wir gar nichts ausgemacht. Davon haben wir überhaupt
nicht geredet. Ich glaube, es hat viel geholfen - hat mir der Papst auch selbst geschrieben
-, dass ich von Anfang an sagte: Ich komme nicht, um zu bitten, mir die Missio Canonica
zurückzugeben. Nicht nur, weil ich Emeritus bin und sie gar nicht brauche, sondern
auch, weil ich seit dem Missio-Entzug gezeigt habe, dass ich als katholischer Theologe
in der Welt anerkannt bin auch ohne diese Missio und ich gar keine Absicht habe, da
nun etwas zurückzufordern. Und dann das Zweite noch dazu: Wir haben beide im Einverständnis
gesagt, es hat keinen Zweck, bei dieser Gelegenheit - das steht auch ausdrücklich
im Kommuniqué - jetzt über die Lehrfragen zu disputieren, die zwischen mir und dem
Lehramt umstritten sind. Das ist nicht der Rahmen dafür. Dann müßte man wieder so
ein Verfahren eingehen durch die Glaubenskongregation - das kommt ja für mich unter
den gegebenen Umständen nicht in Frage."
Es gab ja ein großes Presseecho. Wie
haben diese Reaktionen in den Zeitungen auf Sie gewirkt - vor allem auch nachdenklichere
Aussagen? War das für Sie besonders interessant oder auch fragwürdig?
"Zunächst
einmal war es mir ein Anlaß großer Freude; die Zeitungen haben das ja - mit einer
Ausnahme, der FAZ, die mir nicht wohlgesonnen ist - in Deutschland alles auf der Titelseite
gebracht. Hier in Tübingen z.B. ist zweifellos große Freude in den akademischen Kreisen,
aber auch sonst in der Bevölkerung. Die Presse hat ja im allgemeinen sehr, sehr positiv
reagiert. Und was mich eigentlich besonders beeindruckt hat: Es sind sehr viele emotionale
Zuschriften gekommen, und auch am Telefon: Leute die sagen, Ach bin ich froh!, auch
Leute, die mir gar nicht bekannt waren und die auch nicht unbedingt kirchlich besonders
engagiert sind... Es war allgemein so ein Aufatmen, dass so etwas Positives überhaupt
in unserer Zeit, wo in der Politik so vieles schiefgeht, möglich ist."
Noch
einmal gefragt: Geht`s jetzt nach diesem Treffen irgendwie weiter? Es könnte ja auch
sein, dass jetzt andere Theologen, die mit dem Lehramt irgendwelche Schwierigkeiten
haben oder hatten, zum Papst gehen wollen - ist darüber irgendwie gesprochen worden?
"Nein,
darüber ist nicht gesprochen worden. Ich habe mich auch sehr beschränkt in all dem,
was man nun so sagen kann. Wir haben allerdings - das darf ich ruhig sagen - auch
über das Problem der Bibelübersetzung in Deutschland geredet, und am Rand auch über
Abendmahlsgemeinschaft. Aber das waren nicht die eigentlichen Themen. Was mir viel
wichtiger war: Ich kam gerade von der "Accademia Europea", der wichtigen Versammlung
von Physikern, Naturwissenschaftlern und Philosophen in Potsdam, und es hat den Papst
brennend interessiert, dass man fähig ist, als Theologe - und er sagte, glaube ich,
dass man da ja ziemlich oft allein ist - auf gleichem Niveau mit diesen Größen der
Physik reden darf. Dem Papst ist außerordentlich daran gelegen, dass man mit der Naturwissenschaft
wieder in ein konstruktives Gespräch eintritt. Er hat mir sehr gedankt für das Buch,
das ich ihm zugeschickt hatte und das er schon genau angeschaut hatte, "Der Anfang
aller Dinge" über Naturwissenschaft und Religion; er sieht, dass das sehr, sehr wichtig
ist. Mich hat das besonders gefreut - das ist ja auch im Kommuniqué ein eigener Punkt
geworden."
Kann man sagen: Was Sie beide besonders verbindet, ist der Umgang
mit den Zeitfragen, also Religion und Wissenschaft, aber auch Religion-Ideologien,
Religion und andere Religionen?
"Ja. Das kommt ja auch im Kommuniqué zum Ausdruck,
das übrigens Papst Benedikt selber formuliert hat, es ist von ihm formuliert worden
auf Grund dessen, was wir disputiert haben; ich habe das nochmal approbieren dürfen...
Aber er selber hat es ja herausgestellt, heißt es da, dass es bei dem Projekt Weltethos
keineswegs um eine abstrakte intellektuelle Konstruktion geht, sondern vielmehr die
moralischen Werte, in denen die großen Religionen der Welt bei allen Unterschieden
konvergieren und die sich von ihrer überzeugenden Sinnhaftigkeit her auch der säkularen
Vernunft als gültige Maßstäbe zeigen können. Was dahintersteht, darf ich Ihnen sagen,
ist: Ihm liegt sehr daran, dass natürlich das Weltethos in den Religionen selber verwurzelt
ist. Da waren wir auch ganz einer Meinung. Aber er hat mir auch zugestimmt, als ich
ihm sagte: Sie wissen ja, dass nicht nur in den neuen Bundesländern, sondern überhaupt
in der westlichen Welt viele natürlich nicht mehr im christlichen Glauben verwurzelt
sind. Da sagte er: Ja, selbstverständlich - auch mit denen müssen wir reden, das ist
ganz ganz wichtig. Und deswegen diese Formulierung, die da sogar zwei-, dreimal vorkommt,
die säkulare Vernunft."
Am Rand des Interviews erzählte Prof. Küng: "Wir haben
auch öfters gelacht. Er hat auch gemeint: Tübingen sei wohl immer noch die einzige
Universitätsstadt ohne D-Zug-Anschluss..."