Nach jahrelangem Bürgerkrieg hat sich eine überwältigende Mehrheit der Algerier für
eine nationale Versöhnung mit islamischen Fundamentalisten und eine Amnestie ausgesprochen.
In einem entsprechenden Referendum hätten 97,43 Prozent mit "Ja" gestimmt, sagte Innenminister
Noureddine Zerhouni. Die Beteiligung habe bei knapp 80 Prozent gelegen. In dem sogenannten
"schwarzen Jahrzehnt" seit der Annullierung der Parlamentswahl des Jahres 1992 wurden
nach Schätzungen etwa 150.000 Menschen getötet. Wir haben Rafael Deillon vom Orden
der Weißen Väter nach der Bedeutung des Referendums gefragt: "Die Leute sind
es so leid! All das, was in den vergangenen mehr als zehn Jahren passiert ist. Deshalb
haben die allermeisten Menschen mit "Ja" gestimmt. Man kann nach einer solch schrecklichen
Zeit gar nicht anders als für Frieden und Wiederversöhnung zu sein. Die Fragen aber,
die tief in den Herzen der Menschen stehen, sind ´Warum? Wer? Wie?` Ganz sicher kann
man diese Fragen nicht mit einem solchen Referendum einfach ruhig stellen. Natürlich
ist es ein wichtiger Schritt hin zu Frieden. Für die Leute ist ein Schritt auf die
Erfüllung einer Hoffnung, an die sie sich zehn Jahre lang geklammert haben: Dass es
morgen besser wird." Wir haben Rafael Deillon auch gefragt, wie er die Chancen
einschätzt, dass wirklich ein Gleichgewicht zwischen Vergebung und Gerechtigkeit
erreicht werden kann: "Das ist sehr schwer. Menschen, deren Angehörige ermordet
wurden oder verschwunden sind, sollten erfahren warum. In Südafrika hat etwa es zwar
auch eine Amnestie gegeben, aber die Schuldigen mussten sich dennoch vor Gerichten
zu ihren Taten bekennen. Etwas Vergleichbares gab es hier bei uns noch nicht. Ich
kann mir also nicht richtig vorstellen wie das gehen soll: Da haben die Angehörigen
von Opfern auf einmal Gesichter vor sich und sie werden sich fragen: "Diese Leute
bitten um Vergebung. Gut, aber wie sollen wir ihnen verzeihen, wenn sie sich nie selbst
ihre Schuld einegstanden haben?" (rv 30.09.05 hr)