Der Patriarch von Venedig lädt Kirchenleute dazu ein, dem zeitgenössischen Kino “
positiv kritisch“ gegenüber zu stehen. Dahingehend äußerte sich Kardinal Angelo Scola
am Rand der Filmfestspiele, die gerade in der Lagunenstadt über die Bühne gehen. „Wir
beobachten heute eine radikale Veränderung der Art und Weise, in der die Menschen
ihre Beziehungen untereinander leben, also von allem, was mit Zuneigung und Liebe
zu tun hat. Hier ist ein regelrechter Umsturz im Gang – man kann ihn sogar mit dem
vergleichen, was sich ereignete, als die Erkenntnisse von Galileo Galilei in die bis
dahin bekannte Wissenschaft förmlich einschlugen. So ein Umsturz führt zu Widersprüchen,
Spannungen, Brüchen, zu Unsicherheit. Nun hat das Kino mit seiner mächtigen Bildersprache
die Möglichkeit, diesen Umsturz zu interpretieren. Daher sollten die Kirchenleute
das Kino mit Aufmerksamkeit verfolgen, das heißt objektiv und positiv kritisch. Eine
echte Kritik besteht aus zwei Phasen: einer Phase des Zuhörens und Sich-Aneignens,
und eine spätere Phase der Bewertung und des freien Urteils.“ Kardinal Scola überreichte
gestern dem polnischen Regissseur Jerzy Stuhr den Robert-Bresson-Preis, der alljährlich
von Rai Cinema und Medusa für von "Aufrichtigkeit und Intensität" geprägte Arbeiten
vergeben wird. Im vergangenen Jahr hatte der deutsche Regisseur Wim Wenders die Auszeichnung
aus den Händen des Kardinals entgegen genommen. (rv 08.09.05 gs)