2005-09-04 16:36:32

Deutschland: Östlichster Bischof gegen Ostwahlkampf


Deutschland steckt im Wahlkampffieber. Die vorgezogenen Bundestagswahlen stehen unmittelbar bevor, heute Abend liefern sich Bundeskanzler Gerhard Schröder und Oppositionsführerin Angela Merkel das Fernseh-Duell. Der Osten der Republik war und ist immer wieder Wahlkampfthema. Über die anstehenden Probleme haben wir daher mit dem Görlitzer Bischof Rudolf Müller gesprochen, Oberhirte im östlichsten Bistum der Bundesrepublik. „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute..." so beginnt der Wahlaufruf der deutschen Bischöfe. Bei den Freuden muss Müller ein wenig nachdenken, aber es gibt sie, sagt er...:

"...dass wir in einem relativen Wohlstand - auch hier im Osten - leben, dass wir - und das ist es ganz besonders - jetzt in einer offenen Welt leben, die keine unüberwindbaren Grenzen hat, dass wir die Welt kennenlernen, nicht nur durch Reisen, sondern auch durch die Medien, und natürlich, dass wir in einem freiheitlichen Rechtsstaat leben. Bei den Ängsten möchte ich sagen: Wir teilen sie natürlich mit allen anderen Gebieten in Deutschland, wobei gerade bei uns im Osten die Arbeitslosigkeit immens hoch ist, mehr als 20, 25 Prozent, manchmal noch darüber. Das mach wirklich die Hauptsorge aus, vor allem weil für morgen und übermorgen noch kaum Hoffnung besteht, dass sich das einmal ändern könnte. Deswegen empfinde ich es auch immer als belastend, wenn ich als Bischof jungen Leuten bei der Firmung die Hände auflege und die mir dann sagen, in ein paar Monaten muss ich von hier weg, denn ich finde sonst keine Ausbildungsstätte."

Polen hat gerade das Solidarnosc-Jubiläum gefeiert. Wie groß ist dagegen die Enttäuschung von oder nach der Wende? Können Sie Unterschiede zu Ihren polnischen Nachbarn erkennen?
 
"Die Polen schütteln immer wieder den Kopf, weil sie sagen, 'Leute, ihr habt doch viel günstigere Bedingungen, dadurch dass ihr zum westlichen Deutschland gekommen seid und damit alle Hilfen von dort bekommt, die wir erst mühsam erbitten müssen'. Ich möchte so sagen: Natürlich gibt es unter der Bevölkerung hier Enttäuschung und Unzufriedenheiten, die aber - und das wird immer deutlich - gelenkt werden und forciert werden von extremen rechten oder linken Kreisen, so dass auch die Gefahr besteht, dass es jetzt bei der kommenden Bundestagswahl eine Menge Leute gibt, die einfach aus Frust heraus diese extremen Parteien wählen, um sozusagen der Mitte etwas auszuwischen."

Fühlen sich die Menschen im Osten denn von der derzeit betriebenen Politik ernst genommen? Es war immer wieder zu hören "Wir führen keinen Ostwahlkampf" - braucht es den in Ihren Augen?
 
"Ich würde meinen, den braucht es nicht, denn dieser Ostwahlkampf differenziert zu sehr. Wir müssen uns auch so viele Jahre nach der Wende immer wieder sagen, 'Wir gehören zum Ganzen'. Unsere Interessen sind nicht nur Sonderinteressen, sondern wir müssen sie in das Ganze mit einbringen. Also ziehen wir am Strick aller und wollen hier keinen Sonderwahlkampf führen. Wenn man sagt, dass manchmal noch die Mauer in den Köpfen der Leute ist, dann lässt sie sich nur dadurch überwinden, dass wir gesamtdeutsch denken und unsere Verantwortung da hinein geben."

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(rv 04.09.05 bp)







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