Deutschland: Östlichster Bischof gegen Ostwahlkampf
Deutschland steckt im Wahlkampffieber. Die vorgezogenen Bundestagswahlen stehen unmittelbar
bevor, heute Abend liefern sich Bundeskanzler Gerhard Schröder und Oppositionsführerin
Angela Merkel das Fernseh-Duell. Der Osten der Republik war und ist immer wieder Wahlkampfthema.
Über die anstehenden Probleme haben wir daher mit dem Görlitzer Bischof Rudolf Müller
gesprochen, Oberhirte im östlichsten Bistum der Bundesrepublik. „Freude und Hoffnung,
Trauer und Angst der Menschen von heute..." so beginnt der Wahlaufruf der deutschen
Bischöfe. Bei den Freuden muss Müller ein wenig nachdenken, aber es gibt sie, sagt
er...:
"...dass wir in einem relativen Wohlstand - auch hier im Osten -
leben, dass wir - und das ist es ganz besonders - jetzt in einer offenen Welt leben,
die keine unüberwindbaren Grenzen hat, dass wir die Welt kennenlernen, nicht nur durch
Reisen, sondern auch durch die Medien, und natürlich, dass wir in einem freiheitlichen
Rechtsstaat leben. Bei den Ängsten möchte ich sagen: Wir teilen sie natürlich mit
allen anderen Gebieten in Deutschland, wobei gerade bei uns im Osten die Arbeitslosigkeit
immens hoch ist, mehr als 20, 25 Prozent, manchmal noch darüber. Das mach wirklich
die Hauptsorge aus, vor allem weil für morgen und übermorgen noch kaum Hoffnung besteht,
dass sich das einmal ändern könnte. Deswegen empfinde ich es auch immer als belastend,
wenn ich als Bischof jungen Leuten bei der Firmung die Hände auflege und die mir dann
sagen, in ein paar Monaten muss ich von hier weg, denn ich finde sonst keine Ausbildungsstätte."
Polen
hat gerade das Solidarnosc-Jubiläum gefeiert. Wie groß ist dagegen die Enttäuschung
von oder nach der Wende? Können Sie Unterschiede zu Ihren polnischen Nachbarn erkennen? "Die
Polen schütteln immer wieder den Kopf, weil sie sagen, 'Leute, ihr habt doch viel
günstigere Bedingungen, dadurch dass ihr zum westlichen Deutschland gekommen seid
und damit alle Hilfen von dort bekommt, die wir erst mühsam erbitten müssen'. Ich
möchte so sagen: Natürlich gibt es unter der Bevölkerung hier Enttäuschung und Unzufriedenheiten,
die aber - und das wird immer deutlich - gelenkt werden und forciert werden von extremen
rechten oder linken Kreisen, so dass auch die Gefahr besteht, dass es jetzt bei der
kommenden Bundestagswahl eine Menge Leute gibt, die einfach aus Frust heraus diese
extremen Parteien wählen, um sozusagen der Mitte etwas auszuwischen."
Fühlen
sich die Menschen im Osten denn von der derzeit betriebenen Politik ernst genommen?
Es war immer wieder zu hören "Wir führen keinen Ostwahlkampf" - braucht es den in
Ihren Augen? "Ich würde meinen, den braucht es nicht, denn dieser
Ostwahlkampf differenziert zu sehr. Wir müssen uns auch so viele Jahre nach der Wende
immer wieder sagen, 'Wir gehören zum Ganzen'. Unsere Interessen sind nicht nur Sonderinteressen,
sondern wir müssen sie in das Ganze mit einbringen. Also ziehen wir am Strick aller
und wollen hier keinen Sonderwahlkampf führen. Wenn man sagt, dass manchmal noch die
Mauer in den Köpfen der Leute ist, dann lässt sie sich nur dadurch überwinden, dass
wir gesamtdeutsch denken und unsere Verantwortung da hinein geben."