2005-08-20 10:00:45

WJT: Benedikt, mehr Dialog, aber Geduld


Etwa dreißig Repräsentanten christlicher Kirchen Deutschlands hat der Papst am Freitag Abend im Erzbischöflichen Haus von Köln empfangen. Die erste ökumenische Grundsatz-Rede von Benedikt XVI. war ein klares Bekenntnis zu den unter Johannes Paul II. erreichten Annäherungen, allen voran die "Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre". Es sei "ein Gebot der Stunde", den Dialog auf allen Ebenen des kirchlichen Lebens weiter zu führen. Gemeinsam mit vielen Christen erwarte er sich weitere konkrete Schritte der Annäherung. Die Spaltungen stünden "im Kontrast zum Willen Jesu und machen uns vor den Menschen unglaubwürdig". Benedikt mahnte aber auch zur Geduld im Dialog. Nach Überzeugung der katholischen Kirche bestehe die Einheit eben "unverlierbar in der katholischen Kirche". Das bedeute jedoch weder Uniformität noch "Rückkehr-Ökumenismus", sondern "Einheit in der Vielfalt und Vielfalt in der Einheit". Benedikt wich immer wieder vom Redemanuskript ab, sprach von eine Trialog mit der Orthodoxie und wehrte sich gegen eine Verkürzung der strittigen Frage auf einen "Streit um Institutionen". Vielmehr ginge es um die Frage nach der Einheit von Schrift, Zeugnis und Lehre, wie die alte Kirche es begründet hat. Der Papst erinnerte an den ermordeten Frère Roger Schütz. Er sei ein "Wegbereiter der Einheit" gewesen.


Hier die Ansprache des Papstes im Wortlaut (unterstrichen die Passagen abweichend vom Redemanuskript).

Liebe Schwestern und Brüder,

Sie gestatten mir nach einem anstrengenen Tag sitzen zu bleiben - das bedeutet nicht, dass ich "ex cathedra" reden will - und ich muss auch um Entschuldigung bitten für meine Verspätung. Die Vesper hat leider länger gedauert als gedacht und der Verkehr läuft auch langsamer als man sich vorstellt.

 Umso mehr möchte ich jetzt meine Freude ausdrücken, dass ich bei meinem Besuch in Deutschland Ihnen, den Vertretern der anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften begegnen darf und Sie sehr herzlich begrüßen.
Da ich selbst aus diesem Land komme, weiß ich um die Tragik, welche die Glaubensspaltung über viele Menschen und über viele Familien gebracht hat. Auch deshalb habe ich gleich nach meiner Wahl zum Bischof von Rom als Nachfolger des Apostels Petrus den festen Vorsatz geäußert, die Wiedererlangung der vollen und sichtbaren Einheit der Christen zu einer Priorität meines Pontifikats zu erheben. Ich wollte damit ganz bewusst in die Fußstapfen meiner zwei letzten großen Vorgänger treten: Papst Pauls VI., der vor nunmehr über vierzig Jahren das Konzilsdekret über den Ökumenismus, Unitatis redintegratio, unterzeichnet hat, und Johannes’ Pauls II., der dann dieses Dokument zur Richtschnur seines Handelns machte.
Deutschland kommt ganz ohne Zweifel im ökumenischen Dialog eine besondere Bedeutung zu. Wir sind das Ursprungsland der Reformation; Deutschland ist auch eines der Länder, von denen die ökumenische Bewegung des 20. Jahrhunderts ausging. Infolge der Wanderungsbewegungen des vergangenen Jahrhunderts haben auch orthodoxe und altorientalische Christen in diesem Land eine neue Heimat gefunden. Das hat zweifellos die Gegenüberstellung und den Austausch gefördert, dass wir gleichsam nun im Trialog miteinander stehen. Gemeinsam freuen wir uns festzustellen, dass der Dialog im Laufe der Zeit zu einer Wiederentdeckung unserer Geschwisterlichkeit geführt und unter den Christen der verschiedenen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften ein offeneres und vertrauensvolleres Klima geschaffen hat. Mein verehrter Vorgänger hat in seiner Enzyklika Ut unum sint (1995) gerade das als ein besonders bedeutendes Ergebnis des Dialogs bezeichnet (vgl. 41f; 64), und ich finde das gar nicht so selbstverständlich, dass wir uns wirklich als Geschwister sehen, dass wir uns mögen sozusagen, dass wir wissen, dass wir miteiander Zeugen Jesu Christi sind. Einfach diese Geschwisterlichkeit, die der Dialog als solcher geschaffen hat ist in sich, wie ich glaube, ein ganz wichtiges Ergebnis, dessen wir froh sein sollen und das wir immer weiter pflegen und verwirklichen sollten.

Die Geschwisterlichkeit unter den Christen ist nicht einfach ein vages Gefühl, und ebensowenig entspringt sie aus einer Art Gleichgültigkeit gegenüber der Wahrheit. Sie ist in der übernatürlichen Wirklichkeit der einen Taufe begründet, die uns alle in den einen Leib Christi einfügt (vgl. 1Kor 12,13; Gal 3,28; Kol 2,12). Gemeinsam bekennen wir Jesus Christus als Gott und Herrn; gemeinsam erkennen wir ihn als einzigen Mittler zwischen Gott und den Menschen an (vgl. 1 Tim 2,5) und unterstreichen unser aller Zugehörigkeit zu ihm (vgl. Unitatis redintegratio, 22; Ut unum sint, 42). Auf dieser wesentlichen Grundlage der Taufe, die eine Realität von ihm her ist, eine Realität im Sein und dann im Bekennen, im Glauben und im Tun, auf dieser entscheidenden Grundlage hat der Dialog seine Früchte gebracht und wird er sie bringen. Ich erinnere nur, wie schon geschehen ist an die Untersuchungen der beiderseitigen Verwerfungennennen, die von Johannes Paul II. bei seinem ersten Deutschlandbesuch im Jahr 1980 angestoßen worden sind, und ein wenig nostalgisch denke ich an diesen ersten Besuch zurück. Ich durfte dabei sein, wie wir in Mainz in einer relativ kleinen, wirklich brüderlichen Runde beisammen saßen und dann auch Fragen gestellt wurden und der Papst eine große theologische Vision entwickelt hat, in der das Miteinander seinen Raum hatte, der Dialog seinen Raum hatte. Und aus diesem Gespräch ist ja dann die Kommission hervorgegangen, auf bischöflicher also auf kirchlicher Ebene und unter kirchlicher Verantwortung, die mit Hilfe der Theologen doch schließlich zu diesem ganz wichtigen Ergebnis der "Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre" (1999) eine Einigung in einer Grundfrage brachte, die im Kern des Streites, der im 16. Jahrhundert entstanden war, steht. Dankbar anzuerkennen sind auch die Ergebnisse, die in einer Reihe von gemeinsamen Stellungnahmen zu wichtigen Themen wie den Grundfragen zum Schutz des Lebens und zur Förderung von Gerechtigkeit und Frieden bestehen.
Ich weiß sehr wohl, dass viele Christen in Deutschland - und nicht nur hier – sich weitere konkrete Schritte der Annäherung erwarten. Auch ich erwarte sie. In der Tat, es ist das Gebot des Herrn, aber auch ein Gebot der gegenwärtigen Stunde, den Dialog auf allen Ebenen des kirchlichen Lebens entschieden weiterzuführen. Das muss - darüber sind wir uns ja einig - in Wahrhaftigkeit und Realismus geschehen, mit Geduld und Ausdauer in Treue zur Stimme des eigenen Gewissens, im Wissen, dass es der Herr ist, der dann die Einheit gibt; dass wir sie nicht machen, er gibt sie, aber dass wir ihm entgegen gehen müssen.
Ich möchte hier kein Programm für die nun anstehenden Themen des Dialogs entwickeln – das müssen die Theologen in Verbindung mit den Bischöfen tun: die Theologen aus ihrer Kenntnis des Problemstandes, die Bischöfe aus ihrer Kenntnis der konkreten Situation der Kirche in unserem Land, der Kirchen in unserem Land und der Welt. Ich erlaube mir trotzdem eine kleine Anmerkung: Man sagt wir sind jetzt, nachdem die Rechtfertigungslehre geklärt ist, dabei angelangt, die ekklesiologischen Fragen, die Amtsfrage, als das noch bleibende Haupthindernis zu bearbeiten. Und das ist natürlich im Letzten war, aber ich muss auch sagen, dass ich diese Terminologie und im gewissen Sinne diese Einengung des Problems nicht liebe, denn es sieht so aus, als wenn wir nun um die Institutionen streiten müssten und nicht mehr eigentlich um das Wort Gottes; als ob wir nun unsere gebauten Institutionen beleuchten müssten; also ein Streit um Institutionen. Und ich denke, damit ist das ekklesiologische Problem wie das Problem des kirchlichen Ministerium nicht ganz richtig benannt. Die eigentliche Frage ist doch die der Weise der Gegenwart des Wortes in der Welt. Die alte Kirche hat, etwa im 2. Jahrhundert, diesen dreifachen Entscheid gefällt, den Kanon zu bilden und damit die Souveränität des Wortes herauszustellen, klar zu stellen, dass nicht nur das Alte Testament "die Schrift" (griech.) ist, sondern dass das neue Testament mit ihm die eine Schrift bildet und so als unser wahrer Souverän für uns steht, aber gleichzeitig die apostolische Sukzession, das Bischofsamt, formuliert, in dem Wissen darüber, dass Wort und Zeuge zueinander gehören, dass das Wort nur durch den Zeugen lebendig gegenwärtig ist und auch sozusagen seine Auslegung empfängt, aber dass der Zeuge nur Zeuge ist, wenn er Zeuge für das Wort ist und schließlich als Drittes die "regola fide" dem hinzugefügt als Auslegungsschlüssel. Ich glaube dieses Ineinander ist zwischen uns - sosehr wir vielleicht über Grundlegendes einig sind - strittig, und wenn wir also von Ekklesiologie und Amt sprechen, sollten wir lieber über diese Verflechtung von Wort und Zeuge und Glaubensregel sprechen und sie als die ekklesiologische und damit zugleich als die Frage des Gotteswortes, seiner Souveränität und seiner Demut ansehen, durch die der Herr es eben auch den Zeugen anvertraut und Auslegung gewährt, die sich freilich immer an der regola fide und an dem Ernst des Wortes selbst zu messen hat.
Entschuldigen Sie, wenn ich da ein bischen eine private Idee ausdrücke, aber mir schien, es sei doch recht, das zu tun.

Eine dringende Priorität im ökumenischen Dialog bilden die großen ethischen Fragen, die unsere Zeit stellt; hier erwarten die fragenden Menschen von heute mit Recht eine gemeinsame Antwort der Christen. Gottlob gelingt sie auch in vielen Fällen - es gibt so viele gemeinsame Erklärungen der Deutschen Bischofskonferenz und der Evangelischen Kirche in Deutschland, dass man da nur dankbar sein kann. - aber - Gott seis geklagt - nicht immer. Durch Widersprüche in diesem Bereich verlieren das Zeugnis für das Evangelium und die ethische Orientierung, die wir den Menschen und der Gesellschaft geben müssten, an Kraft und nehmen oft vage Formen an, so dass wir unserer Zeit das nötige Zeugnis schuldig bleiben. Unsere Spaltungen stehen im Kontrast zum Willen Jesu und machen uns vor den Menschen unglaubwürdig. Ich denke, dass wir uns da mit ganz neuer Energie und Anstrengung mühen sollten, in diesen großen ethischen Herausforderungen unserer Zeit gemeinsam Zeugnis zu geben.

Nun die Frage, worum geht es bei der Wiederherstellung der Einheit aller Christen? Wir alle wissen, es gibt viele Modelle von Einheit. Sie wissen auch, dass die katholische Kirche das Erreichen der vollen sichtbaren Einheit der Jünger Jesu Christi will, wie sie das Zweite Vatikanische Konzil in verschiedenen Dokumenten definiert hat (vgl. Lumen gentium, 8; 13; Unitatis redintegratio 2; 4 u. a.). Diese Einheit besteht zum Einen nach unserer Überzeugung unverlierbar in der katholischen Kirche (vgl. Unitatis redintegratio, 4). Kirche ist nicht überhaupt verschwunden aus der Welt. Aber diese Einheit bedeutet dann doch nicht, sozusagen was man Rückkehr-Ökumenismus nennt, die eigene Glaubensgeschichte leugnen und ablegen müssen. Keineswegs. Sie bedeutet nicht Uniformität in allen Ausdrucksformen der Theologie und der Spiritualität, in den liturgischen Formen und in der Disziplin. Einheit in der Vielfalt und Vielfalt in der Einheit: In der Predigt am Hochfest der heiligen Petrus und Paulus am vergangenen 29. Juni habe ich hervorgehoben, dass volle Einheit und wahre Katholizität im ursprünglichsten Sinn des Wortes zusammengehen. Die notwendige Bedingung, damit dieses Miteinander sich verwirklichen kann, ist, dass der Einsatz für die Einheit ständig geläutert und erneuert wird, dass er beständig wächst und reift. Und dazu ist Dialog da. Er ist mehr als ein Gedankenaustausch, ein akademisches Unterfangen: er ist ein Austausch von Gaben (vgl. Ut unum sint, 28), in dem die Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften die ihnen eigenen Reichtümer einbringen können (vgl. Lumen gentium, 8; 15; Unitatis redintegratio, 3; 14f; Ut unum sint 10-14). Dank diesem Einsatz kann der Weg Schritt für Schritt fortgesetzt werden bis zu dem Augenblick, wenn schließlich "wir alle zur Einheit im Glauben und in der Erkenntnis des Sohnes Gottes gelangen, damit wir zum vollkommenen Menschen werden und Christus in seiner vollendeten Gestalt darstellen" (Eph 4,13). Es ist ganz offenkundig, dass ein solcher Dialog sich im Grunde nur in einer Atmosphäre wahrhaftiger und angemessener Spiritualität entfalten kann. Allein mit unseren eigenen Kräften können wir die Einheit nicht "machen". Wir können sie nur empfangen als Geschenk des Heiligen Geistes. Darum bildet der geistliche Ökumenismus, das heißt das Gebet, die Umkehr und die Heiligung des Lebens das Herz der ökumenischen Begegnung und Bewegung (vgl. Unitatis redintegratio, 8; Ut unum sint, 15f; 21 u. a.). Man könnte auch sagen: Die beste Form des Ökumenismus besteht darin, nach dem Evangelium zu leben. Ich möchte an dieser Stelle auch meinerseits des großen Wegbereiters der Einheit, Frère Roger Schütz, gedenken, der auf so tragische Weise aus dem Leben gerissen wurde. Ich habe ihn seit langer Zeit persönlich in herzlicher Freundschaft gekannt. Er hat mich oft besucht. Und wie ich schon in Rom sagen konnte: Am Tag seiner Ermordung habe ich einen Brief erhalten, der mir zu Herzen gegangen ist, weil er seine Weggemeinschaft mit mir betont und mir ankündigt, dass er bald zum Besuch zu mir kommen will. Nun besucht er uns von ober her und redet uns zu. Ich denke wir sollte ihm, seinem geistlich gelebten Ökumenismus, von innen her zuhören, uns jetzt erst recht von diesem Zuspruch zu einem wahrhaft verinnerlichten und vergeistigten Ökumenismus führen lassen.

Einen tröstlichen Grund zu Optimismus sehe ich in der Tatsache, daß sich gegenwärtig eine Art geistliches "Netzwerk" bildet zwischen Katholiken und Christen der verschiedenen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften: Jeder Einzelne setzt sich ein durch Gebet, Überprüfung des eigenen Lebens, Reinigung des Gedächtnisses und Öffnung in der Nächstenliebe. Der Vater des geistlichen Ökumenismus, Paul Couturier, hat in diesem Zusammenhang von einem "unsichtbaren Kloster" gesprochen, das in seinen Mauern diese für Christus und seine Kirche begeisterten Menschen versammelt. Ich bin überzeugt: Wenn sich eine wachsende Anzahl von Menschen dem Gebet des Herrn, "dass alle eins seien" (Joh 17,21), anschließt, dann wird ein solches Gebet in Jesu Namen nicht ins Leere gehen (vgl. Joh 14,13; 15,7.16 u. a.), kann nicht ins Leere gehen. Mit der Hilfe von Oben werden wir in den verschiedenen noch offenen Fragen durchführbare Lösungen finden, und die Sehnsucht nach Einheit wird sc hließlich ihre Erfüllung finden, wann und wie Er will. Jetzt gehen wir gemeinsam diesen Weg und wissen, dass gerade das auf dem Weg sein, eine Weise der Einheit ist. Wir danken dem Herrn dafür und wir bitten ihn, dass er uns alle weiter führen möge.
(rv 20.08.05 bp)







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