Etwa dreißig Repräsentanten christlicher Kirchen Deutschlands hat der Papst am Freitag
Abend im Erzbischöflichen Haus von Köln empfangen. Die erste ökumenische Grundsatz-Rede
von Benedikt XVI. war ein klares Bekenntnis zu den unter Johannes Paul II. erreichten
Annäherungen, allen voran die "Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre". Es
sei "ein Gebot der Stunde", den Dialog auf allen Ebenen des kirchlichen Lebens weiter
zu führen. Gemeinsam mit vielen Christen erwarte er sich weitere konkrete Schritte
der Annäherung. Die Spaltungen stünden "im Kontrast zum Willen Jesu und machen uns
vor den Menschen unglaubwürdig". Benedikt mahnte aber auch zur Geduld im Dialog. Nach
Überzeugung der katholischen Kirche bestehe die Einheit eben "unverlierbar in der
katholischen Kirche". Das bedeute jedoch weder Uniformität noch "Rückkehr-Ökumenismus",
sondern "Einheit in der Vielfalt und Vielfalt in der Einheit". Benedikt wich immer
wieder vom Redemanuskript ab, sprach von eine Trialog mit der Orthodoxie und wehrte
sich gegen eine Verkürzung der strittigen Frage auf einen "Streit um Institutionen".
Vielmehr ginge es um die Frage nach der Einheit von Schrift, Zeugnis und Lehre, wie
die alte Kirche es begründet hat. Der Papst erinnerte an den ermordeten Frère Roger
Schütz. Er sei ein "Wegbereiter der Einheit" gewesen.
Hier die Ansprache
des Papstes im Wortlaut (unterstrichen die Passagen abweichend vom Redemanuskript).
Liebe Schwestern und Brüder,
Sie gestatten mir nach einem anstrengenen
Tag sitzen zu bleiben - das bedeutet nicht, dass ich "ex cathedra" reden will - und
ich muss auch um Entschuldigung bitten für meine Verspätung. Die Vesper hat leider
länger gedauert als gedacht und der Verkehr läuft auch langsamer als man sich vorstellt. Umso
mehr möchte ich jetzt meine Freude ausdrücken, dass ich bei meinem Besuch in Deutschland
Ihnen, den Vertretern der anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften begegnen
darf und Sie sehr herzlich begrüßen. Da ich selbst aus diesem Land komme, weiß
ich um die Tragik, welche die Glaubensspaltung über viele Menschen und über viele
Familien gebracht hat. Auch deshalb habe ich gleich nach meiner Wahl zum Bischof von
Rom als Nachfolger des Apostels Petrus den festen Vorsatz geäußert, die Wiedererlangung
der vollen und sichtbaren Einheit der Christen zu einer Priorität meines Pontifikats
zu erheben. Ich wollte damit ganz bewusst in die Fußstapfen meiner zwei letzten großen
Vorgänger treten: Papst Pauls VI., der vor nunmehr über vierzig Jahren das Konzilsdekret
über den Ökumenismus, Unitatis redintegratio, unterzeichnet hat, und Johannes’
Pauls II., der dann dieses Dokument zur Richtschnur seines Handelns machte. Deutschland
kommt ganz ohne Zweifel im ökumenischen Dialog eine besondere Bedeutung zu. Wir sind
das Ursprungsland der Reformation; Deutschland ist auch eines der Länder, von denen
die ökumenische Bewegung des 20. Jahrhunderts ausging. Infolge der Wanderungsbewegungen
des vergangenen Jahrhunderts haben auch orthodoxe und altorientalische Christen in
diesem Land eine neue Heimat gefunden. Das hat zweifellos die Gegenüberstellung und
den Austausch gefördert, dass wir gleichsam nun im Trialog miteinander stehen.
Gemeinsam freuen wir uns festzustellen, dass der Dialog im Laufe der Zeit zu einer
Wiederentdeckung unserer Geschwisterlichkeit geführt und unter den Christen
der verschiedenen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften ein offeneres und vertrauensvolleres
Klima geschaffen hat. Mein verehrter Vorgänger hat in seiner Enzyklika Ut unum
sint (1995) gerade das als ein besonders bedeutendes Ergebnis des Dialogs bezeichnet
(vgl. 41f; 64), und ich finde das gar nicht so selbstverständlich, dass wir uns
wirklich als Geschwister sehen, dass wir uns mögen sozusagen, dass wir wissen, dass
wir miteiander Zeugen Jesu Christi sind. Einfach diese Geschwisterlichkeit, die der
Dialog als solcher geschaffen hat ist in sich, wie ich glaube, ein ganz wichtiges
Ergebnis, dessen wir froh sein sollen und das wir immer weiter pflegen und verwirklichen
sollten.
Die Geschwisterlichkeit unter den Christen ist nicht einfach
ein vages Gefühl, und ebensowenig entspringt sie aus einer Art Gleichgültigkeit gegenüber
der Wahrheit. Sie ist in der übernatürlichen Wirklichkeit der einen Taufe begründet,
die uns alle in den einen Leib Christi einfügt (vgl. 1Kor 12,13; Gal
3,28; Kol 2,12). Gemeinsam bekennen wir Jesus Christus als Gott und Herrn;
gemeinsam erkennen wir ihn als einzigen Mittler zwischen Gott und den Menschen an
(vgl. 1 Tim 2,5) und unterstreichen unser aller Zugehörigkeit zu ihm (vgl.
Unitatis redintegratio, 22; Ut unum sint, 42). Auf dieser wesentlichen
Grundlage der Taufe, die eine Realität von ihm her ist, eine Realität im Sein
und dann im Bekennen, im Glauben und im Tun, auf dieser entscheidenden Grundlage
hat der Dialog seine Früchte gebracht und wird er sie bringen. Ich erinnere
nur, wie schon geschehen ist an die Untersuchungen der beiderseitigen Verwerfungennennen,
die von Johannes Paul II. bei seinem ersten Deutschlandbesuch im Jahr 1980 angestoßen
worden sind, und ein wenig nostalgisch denke ich an diesen ersten Besuch zurück.
Ich durfte dabei sein, wie wir in Mainz in einer relativ kleinen, wirklich brüderlichen
Runde beisammen saßen und dann auch Fragen gestellt wurden und der Papst eine große
theologische Vision entwickelt hat, in der das Miteinander seinen Raum hatte, der
Dialog seinen Raum hatte. Und aus diesem Gespräch ist ja dann die Kommission hervorgegangen,
auf bischöflicher also auf kirchlicher Ebene und unter kirchlicher Verantwortung,
die mit Hilfe der Theologen doch schließlich zu diesem ganz wichtigen Ergebnis der
"Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre" (1999) eine Einigung in einer Grundfrage
brachte, die im Kern des Streites, der im 16. Jahrhundert entstanden war, steht.
Dankbar anzuerkennen sind auch die Ergebnisse, die in einer Reihe von gemeinsamen
Stellungnahmen zu wichtigen Themen wie den Grundfragen zum Schutz des Lebens und zur
Förderung von Gerechtigkeit und Frieden bestehen. Ich weiß sehr wohl, dass viele
Christen in Deutschland - und nicht nur hier – sich weitere konkrete Schritte der
Annäherung erwarten. Auch ich erwarte sie. In der Tat, es ist das Gebot des Herrn,
aber auch ein Gebot der gegenwärtigen Stunde, den Dialog auf allen Ebenen des kirchlichen
Lebens entschieden weiterzuführen. Das muss - darüber sind wir uns ja einig - in
Wahrhaftigkeit und Realismus geschehen, mit Geduld und Ausdauer in Treue zur Stimme
des eigenen Gewissens, im Wissen, dass es der Herr ist, der dann die Einheit gibt;
dass wir sie nicht machen, er gibt sie, aber dass wir ihm entgegen gehen müssen. Ich
möchte hier kein Programm für die nun anstehenden Themen des Dialogs entwickeln –
das müssen die Theologen in Verbindung mit den Bischöfen tun: die Theologen aus
ihrer Kenntnis des Problemstandes, die Bischöfe aus ihrer Kenntnis der konkreten Situation
der Kirche in unserem Land, der Kirchen in unserem Land und der Welt. Ich erlaube
mir trotzdem eine kleine Anmerkung: Man sagt wir sind jetzt, nachdem die Rechtfertigungslehre
geklärt ist, dabei angelangt, die ekklesiologischen Fragen, die Amtsfrage, als das
noch bleibende Haupthindernis zu bearbeiten. Und das ist natürlich im Letzten war,
aber ich muss auch sagen, dass ich diese Terminologie und im gewissen Sinne diese
Einengung des Problems nicht liebe, denn es sieht so aus, als wenn wir nun um die
Institutionen streiten müssten und nicht mehr eigentlich um das Wort Gottes; als ob
wir nun unsere gebauten Institutionen beleuchten müssten; also ein Streit um Institutionen.
Und ich denke, damit ist das ekklesiologische Problem wie das Problem des kirchlichen
Ministerium nicht ganz richtig benannt. Die eigentliche Frage ist doch die der Weise
der Gegenwart des Wortes in der Welt. Die alte Kirche hat, etwa im 2. Jahrhundert,
diesen dreifachen Entscheid gefällt, den Kanon zu bilden und damit die Souveränität
des Wortes herauszustellen, klar zu stellen, dass nicht nur das Alte Testament "die
Schrift" (griech.) ist, sondern dass das neue Testament mit ihm die eine Schrift bildet
und so als unser wahrer Souverän für uns steht, aber gleichzeitig die apostolische
Sukzession, das Bischofsamt, formuliert, in dem Wissen darüber, dass Wort und Zeuge
zueinander gehören, dass das Wort nur durch den Zeugen lebendig gegenwärtig ist und
auch sozusagen seine Auslegung empfängt, aber dass der Zeuge nur Zeuge ist, wenn er
Zeuge für das Wort ist und schließlich als Drittes die "regola fide" dem hinzugefügt
als Auslegungsschlüssel. Ich glaube dieses Ineinander ist zwischen uns - sosehr wir
vielleicht über Grundlegendes einig sind - strittig, und wenn wir also von Ekklesiologie
und Amt sprechen, sollten wir lieber über diese Verflechtung von Wort und Zeuge und
Glaubensregel sprechen und sie als die ekklesiologische und damit zugleich als die
Frage des Gotteswortes, seiner Souveränität und seiner Demut ansehen, durch die der
Herr es eben auch den Zeugen anvertraut und Auslegung gewährt, die sich freilich immer
an der regola fide und an dem Ernst des Wortes selbst zu messen hat. Entschuldigen
Sie, wenn ich da ein bischen eine private Idee ausdrücke, aber mir schien, es sei
doch recht, das zu tun.
Eine dringende Priorität im ökumenischen Dialog
bilden die großen ethischen Fragen, die unsere Zeit stellt; hier erwarten die fragenden
Menschen von heute mit Recht eine gemeinsame Antwort der Christen. Gottlob gelingt
sie auch in vielen Fällen - es gibt so viele gemeinsame Erklärungen der Deutschen
Bischofskonferenz und der Evangelischen Kirche in Deutschland, dass man da nur dankbar
sein kann. - aber - Gott seis geklagt - nicht immer. Durch Widersprüche
in diesem Bereich verlieren das Zeugnis für das Evangelium und die ethische Orientierung,
die wir den Menschen und der Gesellschaft geben müssten, an Kraft und nehmen oft vage
Formen an, so dass wir unserer Zeit das nötige Zeugnis schuldig bleiben. Unsere Spaltungen
stehen im Kontrast zum Willen Jesu und machen uns vor den Menschen unglaubwürdig.
Ich denke, dass wir uns da mit ganz neuer Energie und Anstrengung mühen sollten,
in diesen großen ethischen Herausforderungen unserer Zeit gemeinsam Zeugnis zu geben.
Nun
die Frage, worum geht es bei der Wiederherstellung der Einheit aller Christen? Wir
alle wissen, es gibt viele Modelle von Einheit. Sie wissen auch, dass die katholische
Kirche das Erreichen der vollen sichtbaren Einheit der Jünger Jesu Christi will, wie
sie das Zweite Vatikanische Konzil in verschiedenen Dokumenten definiert hat (vgl.
Lumen gentium, 8; 13; Unitatis redintegratio 2; 4 u. a.). Diese Einheit
besteht zum Einen nach unserer Überzeugung unverlierbar in der katholischen
Kirche (vgl. Unitatis redintegratio, 4). Kirche ist nicht überhaupt verschwunden
aus der Welt. Aber diese Einheit bedeutet dann doch nicht, sozusagen was man Rückkehr-Ökumenismus
nennt, die eigene Glaubensgeschichte leugnen und ablegen müssen. Keineswegs. Sie bedeutet
nicht Uniformität in allen Ausdrucksformen der Theologie und der Spiritualität,
in den liturgischen Formen und in der Disziplin. Einheit in der Vielfalt und Vielfalt
in der Einheit: In der Predigt am Hochfest der heiligen Petrus und Paulus am vergangenen
29. Juni habe ich hervorgehoben, dass volle Einheit und wahre Katholizität im ursprünglichsten
Sinn des Wortes zusammengehen. Die notwendige Bedingung, damit dieses Miteinander
sich verwirklichen kann, ist, dass der Einsatz für die Einheit ständig geläutert und
erneuert wird, dass er beständig wächst und reift. Und dazu ist Dialog da.
Er ist mehr als ein Gedankenaustausch, ein akademisches Unterfangen: er ist
ein Austausch von Gaben (vgl. Ut unum sint, 28), in dem die Kirchen und kirchlichen
Gemeinschaften die ihnen eigenen Reichtümer einbringen können (vgl. Lumen gentium,
8; 15; Unitatis redintegratio, 3; 14f; Ut unum sint 10-14). Dank diesem
Einsatz kann der Weg Schritt für Schritt fortgesetzt werden bis zu dem Augenblick,
wenn schließlich "wir alle zur Einheit im Glauben und in der Erkenntnis des Sohnes
Gottes gelangen, damit wir zum vollkommenen Menschen werden und Christus in seiner
vollendeten Gestalt darstellen" (Eph 4,13). Es ist ganz offenkundig, dass ein
solcher Dialog sich im Grunde nur in einer Atmosphäre wahrhaftiger und angemessener
Spiritualität entfalten kann. Allein mit unseren eigenen Kräften können wir die Einheit
nicht "machen". Wir können sie nur empfangen als Geschenk des Heiligen Geistes. Darum
bildet der geistliche Ökumenismus, das heißt das Gebet, die Umkehr und die Heiligung
des Lebens das Herz der ökumenischen Begegnung und Bewegung (vgl. Unitatis
redintegratio, 8; Ut unum sint, 15f; 21 u. a.). Man könnte auch sagen:
Die beste Form des Ökumenismus besteht darin, nach dem Evangelium zu leben. Ich
möchte an dieser Stelle auch meinerseits des großen Wegbereiters der Einheit, Frère
Roger Schütz, gedenken, der auf so tragische Weise aus dem Leben gerissen wurde. Ich
habe ihn seit langer Zeit persönlich in herzlicher Freundschaft gekannt. Er hat mich
oft besucht. Und wie ich schon in Rom sagen konnte: Am Tag seiner Ermordung habe ich
einen Brief erhalten, der mir zu Herzen gegangen ist, weil er seine Weggemeinschaft
mit mir betont und mir ankündigt, dass er bald zum Besuch zu mir kommen will. Nun
besucht er uns von ober her und redet uns zu. Ich denke wir sollte ihm, seinem geistlich
gelebten Ökumenismus, von innen her zuhören, uns jetzt erst recht von diesem Zuspruch
zu einem wahrhaft verinnerlichten und vergeistigten Ökumenismus führen lassen.
Einen
tröstlichen Grund zu Optimismus sehe ich in der Tatsache, daß sich gegenwärtig eine
Art geistliches "Netzwerk" bildet zwischen Katholiken und Christen der verschiedenen
Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften: Jeder Einzelne setzt sich ein durch Gebet,
Überprüfung des eigenen Lebens, Reinigung des Gedächtnisses und Öffnung in der Nächstenliebe.
Der Vater des geistlichen Ökumenismus, Paul Couturier, hat in diesem Zusammenhang
von einem "unsichtbaren Kloster" gesprochen, das in seinen Mauern diese für Christus
und seine Kirche begeisterten Menschen versammelt. Ich bin überzeugt: Wenn sich eine
wachsende Anzahl von Menschen dem Gebet des Herrn, "dass alle eins seien" (Joh
17,21), anschließt, dann wird ein solches Gebet in Jesu Namen nicht ins Leere gehen
(vgl. Joh 14,13; 15,7.16 u. a.), kann nicht ins Leere gehen. Mit der
Hilfe von Oben werden wir in den verschiedenen noch offenen Fragen durchführbare Lösungen
finden, und die Sehnsucht nach Einheit wird sc hließlich ihre Erfüllung finden, wann
und wie Er will. Jetzt gehen wir gemeinsam diesen Weg und wissen, dass gerade das
auf dem Weg sein, eine Weise der Einheit ist. Wir danken dem Herrn dafür und wir bitten
ihn, dass er uns alle weiter führen möge. (rv 20.08.05 bp)