Deutschland: Nachfolger des Löwen von Münster erinnert sich
Jetzt ist es amtlich. Clemens August Graf von Galen wird selig gesprochen – am 9.
Oktober im Petersdom. Große Freude herrschte diese Woche in Münster, als aus dem Staatssekretariat
des Vatikans der Brief mit der lange erwarteten Nachricht eintraf. Immerhin dauerte
der Prozess zur Seligsprechung fast 50 Jahre. Seit 1956 arbeitet die Diözese Münster
daran, ihren ehemaligen Bischof und Kardinal zur Ehre der Altäre zu erheben. Bischof
Reinhard Lettmann, seit 25 Jahren Bischof von Münster, erzählte im Gespräch mit uns,
warum er sich so für die Seligsprechung eingesetzt hat: Es ist wichtig,
dass in unserer Zeit Personen herausgestellt werden, in denen Ideen lebendig werden.
Deshalb haben wir auch in den letzten Jahren jeweils eine Seligsprechung gehabt –
vor zwei Jahren war es Schwester Euthymia, sie Stand für die Sorge um Kriegsgefangene,
Sorge um die Kranken, im letzten Jahr hatten wir Anna Katharina Emmerik, sie stand
für eine innere Christusverbundenheit, und Bischof Clemens August steht für den Freimut,
so könnte man sagen, auch gegenüber Staat und Gesellschaft einzutreten für die Würde
des Menschen. Ist dieser Freimut denn bis heute im Bistum lebendig? Können
Sie als einer der Nachfolger Galens ihn noch spüren? Wir können spüren, wie
sehr er geachtet wird und wie viele sich auf ihn berufen, zum Beispiel in unserer
Sorge um die Würde des Menschen zu Beginn und am Ende, angesichts der Tendenzen in
ganz Europa im Hinblick auf die Euthanasie.
Das heißt, seine Predigten
sind nicht nur wichtig für die Zeit des Nationalsozialismus, in der er ja gelebt hat,
sondern auch für heute...
Es gibt von einem bekannten Professor der Psychiatrie
ein Buch, das heißt „Ideologie und Mord“. Der zeigt, dass die Ideologie schon zu Beginn
des vergangenen Jahrhunderts durch einen Juristen und Psychiater Binding vertreten
wurde: Menschen mit geistigen Behinderungen sind Ballastexistenzen und sind nur Menschenhülsen.
Das wird zum Mord, wenn der Machthaber kommt, der entsprechend dieser Ideologie handeln
kann. Und wir tragen heute Sorge, auch mit dem herausstellen des Bildes von Clemens
August, dass nicht wieder solche biologistischen Ideen vom Menschen ins Land kommen,
die nachher wieder zum Mord führen. Bedeutet Ihnen persönlich diese Seligsprechung
etwas? Ich habe den Bischof ja persönlich kennengelernt als kleiner
Junge von fünf Jahren. Er war in meiner Heimat zur Firmung. Wir wohnten an der Kirche,
er ging zur Kirche Nachmittags um zu beten, ich lief hin, wie Kinder das tun, hab
ihm die Hand gegeben. Er guckte von oben herunter, ich von unten herauf... Er wird
nicht geahnt haben, dass ich einmal sein Nachfolger würde, ich natürlich auch nicht.
Ich bin dann zu seiner Beerdigung als Messdiener in Münster gewesen. Das war ja 1946
und das war sehr schwer dorthin zu kommen. Wir hatten einen Lastwagen, der noch mit
Holzkohle lief und ich war bei seiner Beerdigung zu gegen. So dass mir seine Gestalt
eigentlich von Kindertagen an sehr lebendig ist. Gibt es ein Wort von ihm oder
eine Tat, die Sie in Ihrer Zeit als Bischof besonders begleitet?
Es sind
eigentlich zwei Punkte: Einmal seine tiefe, überzeugende, persönliche Frömmigkeit.
Das erste, was er als Bischof tat, war ja die Ewige Anbetung in der Salvazi-Kirche
zu begründen - interessant: seine Seligsprechung im Jahr der Eucharistie. Ewige Anbetung
– das hat mich immer sehr beeindruckt. Dann bin ich ihm in einer anderen Sache sehr
gerne nachgefolgt: Wir wissen, dass er häufig morgens ganz allein für sich, noch im
Dunkeln schon los ging, den Weg zu Fuß nach Telchte, um da am Gnadenbild der Gottesmutter
zu beten und die Messe zu feiern. Das hab’ ich ihm seit Jahren nachgemacht. Ich gehe
auch sehr gern zu Fuß oder jetzt schon mal mit dem Fahrrad nach Telchte um da zu beten. Er
wird der „Löwe von Münster“ genannt... Das hängt damit zusammen,
dass er so mutig wie ein Löwe damals gekämpft hat. Allerdings ist das manchmal gar
nicht mehr so bewusst. Vor einigen Jahren kamen Schüler aus England über den Domplatz,
ich kam da auch zufällig hin, die fragten: Wo ist denn hier der Löwe von Münster.
Die wollten nicht zum Zoo, sondern die wussten, dass der Kardinal so genannt wurde.
So konnte ich ihnen das Grab zeigen. (rv 17.07.05 bp)