Ein Gastkommentar von Kardinal Christoph Schönborn in der "New York Times" zur Haltung
der katholischen Kirche zur Evolutionstheorie hat eine internationale Debatte ausgelöst.
Der Gastkommentar in der "New York Times" erschien unter dem Titel "Finding design
in nature" am 7. Juli; am selben Tag wurde der Gastkommentar auch in der "International
Herald Tribune" publiziert. Und weil es darüber heftige Dikussionen gibt, hier einige
Kernsätze des Kommentars:
"Seit Papst Johannes Paul II. 1996 erklärt hat,
dass die Evolution "mehr" sei als nur eine "Hypothese", haben die Verteidiger des
neo-darwinistischen Dogmas eine angebliche Akzeptanz oder Zustimmung der römisch-katholischen
Kirche ins Treffen geführt, wenn sie ihre Theorie als mit dem christlichen Glauben
in gewisser vereinbar darstellen. Aber das stimmt nicht. Die katholische Kirche überlässt
der Wissenschaft viele Details über die Geschichte des Lebens auf der Erde, aber sie
verkündet zugleich, dass der menschliche Verstand im Licht der Vernunft leicht und
klar Ziel und Plan in der natürlichen Welt, einschließlich der Welt des Lebendigen,
erkennen kann. Die Evolution im Sinn einer gemeinsamen Abstammung aller Lebewesen
kann wahr sein, aber die Evolution im neodarwinistischen Sinn - ein zielloser, ungeplanter
Vorgang zufälliger Veränderung und natürlicher Selektion - ist es nicht. Jedes Denksystem,
das die überwältigende Evidenz für einen Plan in der Biologie leugnet oder wegzuerklären
versucht, ist Ideologie, nicht Wissenschaft. Während die eher unbestimmte und weniger
bedeutende Botschaft von 1996 Johannes Pauls über die Evolution immer und überall
zitiert wird, gibt es fast niemand, der seine Feststellungen bei einer Generalaudienz
1985 diskutiert, die seine kraftvolle Lehre über die Natur repräsentieren: "Alle Beobachtungen
über die Entwicklung des Lebens führen zu einer ähnlichen Konklusion. Die Evolution
des Lebendigen, dessen Entwicklungsstufen die Wissenschaft zu bestimmen und dessen
Mechanismen sie zu erkennen sucht, hat ein inneres Ziel, das Bewunderung hervorruft.
Dieses Ziel, das die Lebewesen in eine Richtung führt, für die sie nicht Verantwortung
tragen, zwingt, einen Geist vorauszusetzen, der Schöpfer dieses Ziels ist". In einer
unglückseligen neuen Wendung dieser alten Kontroverse haben Neo-Darwinisten kürzlich
versucht, Papst Benedikt XVI. als zufriedenen Evolutionisten darzustellen. Sie zitierten
einen Satz über gemeinsame Abstammung aus einem 2004 veröffentlichten Dokument der
Internationalen Theologenkommission, verweisen darauf, dass Benedikt zu diesem Zeitpunkt
Vorsitzender der Kommission war und schlussfolgern, dass die katholische Kirche mit
dem Begriff der "Evolution" wie ihn viele Biologen verwenden - also gleich bedeutend
mit Neo-Darwinismus - kein Problem hat. Das Dokument der Kommission unterstreicht
jedoch die ständige Lehre der katholischen Kirche über die Wirklichkeit eines Plans
in der Natur. Die Geschichte hindurch hat die Kirche die von Jesus Christus geoffenbarten
Wahrheiten des Glaubens verteidigt. Aber in der Moderne ist die katholische Kirche
in der seltsamen Position, dass sie auch die Vernunft verteidigen muss. Wissenschaftliche
Theorien, die den Versuch machen, das Aufscheinen des Plans als ein Ergebnis von "Zufall
und Notwendigkeit" wegzuerklären, sind nicht wissenschaftlich, sondern - wie Johannes
Paul II. festgestellt hat - eine Abdankung der menschlichen Vernunft." (kap 11.
7. 05 lw)