"Absurdes Theater" - so nannte der Grünen-Abgeordnete Schulz, ein früherer DDR-Bürgerrechtler,
heute das inzenierte Mißtrauensvotum gegen Bundeskanzler Gerhard Schröder. Der Leiter
des Katholischen Büros Berlin, Prälat Karl Jüsten, hält zumindest Schröders Anliegen,
Neuwahlen herbeizuführen, für berechtigt. In Radio Vatikan meinte Jüsten: "Der Bundeskanzler
hat ja auch eine sehr beeindruckende Rede gehalten, in der er deutlich machte, dass
er nicht mehr das Vertrauen in seiner eigenen Fraktion sieht - das ist natürlich in
solchen Fragen immer auch ein Abwägungsprozeß. Man kann das nie so genau beurteilen,
ob das Vertrauen jetzt da ist oder nicht." Ob der von Schröder gewählte Weg also der
richtige ist - darüber wird letztlich Bundespräsident Horst Köhler zu entscheiden
haben. Jüsten meint aber: "Ich glaube selber, dass in Deutschland eine Stimmung da
ist für Neuwahlen. Ich glaube, dass damit der Bundeskanzler sehr genau die Stimmung
getroffen hat. Deshalb glaube ich nicht, dass es jetzt zu einem Vertrauensverlust
in die Politik kommt - und auch nicht zu einem Vertrauensverlust in die Institutionen."
Der Prälat und Politikwissenschaftler bereitet sich jetzt also auf Neuwahlen vor:
"Da werden wir als Kirche sagen, worauf es uns ankommt und welche Fragen uns wichtig
sind - und sehr genau hinhören, was die Parteien dazu zu sagen haben." Kein Blick
zurück im Zorn also auf das Prozedere Schröders, keine Warnungen der Kirche vor noch
größerer Erosion des Vertrauens in die Politik. "Der Kirchenmann Jüsten denkt, dass
wir als Kirche die Entscheidung des Bundestags zu respektieren haben und dass wir
uns jetzt auf Neuwahlen einzustellen haben... Es schlagen da auch zwei Herzen in meiner
Brust. Es sind ja viele Parlamentarier, die jetzt den Bundestag verlassen werden,
mit denen wir über alle Fraktionsgrenzen hinweg sehr gut zusammengearbeitet haben.
Auch mit der jetzigen Bundesregierung haben wir in Sachfragen sehr gut und sehr vertrauensvoll
zusammenarbeiten können. Wir waren natürlich nicht immer einer Meinung, aber wir haben
doch in sehr vielen Dingen die Sache der Kirche bei der jetzigen Regierung sehr gut
anbringen können... und von daher ist da auch immer ein Schuß Wehmut mit dabei, wenn
da auf einmal die vertrauten Wege nicht mehr da sind." Ob das Katholische Büro,
das Prälat Jüsten leitet, mit einer Bundeskanzlerin Merkel besser auskommen wird?
"Da sag ich einfach: Schaun mer mal. Es gibt schon Fragen, in denen wir eine größere
Nähe zur Union haben: Das ist der Bereich der Familienpolitik, des Lebensschutzes...
aber gerade in dem Bereich wird es natürlich auch zur Nagelprobe kommen. Wird die
Union da das, was sie in der Opposition gefordert hat, zum Beispiel im Bereich der
Spätabtreibungen, jetzt in der Regierungsverantwortung auch beherzt angehen? Wir als
Kirche haben uns in den letzten Jahren - das fing schon unter Kohl an - angewöhnt,
unsere eigenen politischen Positionen zu entwickeln, die vorzutragen und dann in die
Politik einzubringen und dafür zu werben, dass sie umgesetzt werden. Damit sind wir
in der vergangenen Regierung gut gefahren, und ich denke, das wird auch unter einer
künftigen Regierung so sein." Die künftige Regierung - sie wird wohl von einer
geschiedenen und wiederverheirateten Kanzlerin geführt werden. Kein Problem für uns,
soll Kardinal Lehmann signalisiert haben. Und Jüsten? "Frau Merkel hat sich inhaltlich
in der Familienpolitik sehr nahe auf die Position der katholischen Kirche zubewegt
und vertritt da eigentlich sehr stark unsere Position. Von daher hätte ich aufgrund
der politischen Auswirkungen ihrer persönlichen Lebensweise keine Bedenken. Die Frage
der wiederverheirateten Geschiedenen und des Geschieden-Seins von Frau Merkel ist
natürlich ihre persönliche Sache. Ich glaube, wir tun uns als Kirche natürlich schwer,
über Menschen zu richten, die selber für sich eine solche Entscheidung getroffen haben
- wenngleich wir als Kirche natürlich am Ideal der Unauflöslichkeit der Ehe festhalten
und natürlich für jeden Menschen froh sind, wo dieses Ideal gelingt und wo Menschen
dies auch leben." Die Kardinäle von Berlin und Köln, Sterzinsky und Meisner, greifen
immer wieder das "C" im Parteinamen der CDU/CSU an; Kardinal Lehmann von Mainz dagegen
soll es kürzlich vor Abgeordneten als wertvolle Errungenschaft verteidigt haben. Jüsten
hat kürzlich in Brüssel Kardinal Meisner bei einer Debatte genau zugehört - und seitdem
den Eindruck, dass Meisner und Lehmann eigentlich nicht weit auseinanderliegen. "Dort
hat er eigentlich inhaltlich sehr ähnlich wie Kardinal Lehmann gesagt: Das C ist eine
Herausforderung. Und die Union muß sich gefallen lassen, dass wir als Kirchen immer
wieder genau nachfragen, wie sie es mit dem C hält, wie das C inhaltlich zu füllen
ist. Wir als Kirche wollen schon darauf achten, dass dort, wo "christlich" draufsteht,
auch "christlich" drin ist." (rv 01.07.05 sk)