„Ein Fall ohne ein Vorbild in der Geschichte“ – schrieb die französische katholische
Tageszeitung „La Croix“ vor wenigen Tagen: „Das Wiederaufrollen eines Seligsprechungsprozesses
von Grund auf“. Sie meinte damit den Fall von Pater Leon Dehon, Gründer der Gemeinschaft
der Herz-Jesu-Priester, der eigentlich am 24. April selig gesprochen werden sollte,
dessen Seligsprechung jetzt aber erst einmal auf unbestimmte Zeit auf Eis liegt. Im
französischen Blätterwald rauscht es gewaltig: Schließlich wird Pater Dehon vorgeworfen,
Antisemit zu sein. Grund genug, einmal genauer hinzusehen… Was Sie hier lesen, ist
das Manuskript unserer Sendung „Kreuzfeuer – Kirche, wenn es kritisch wird“ am 16.
Juni 2005:
Pater Leon Dehon, französischer Priester, der von 1843 bis 1925
lebte, eine große Gestalt der sozialen Bewegung in der katholischen Kirche und Gründer
der Kongregation der Herz-Jesu-Priester, die nach ihm auch Dehonianer heißen, hätte
am 24. April selig gesprochen werden sollen. 2 226 Ordensmänner sind Mitglied seiner
Kongregation in 36 Ländern der Erde. Doch seine Seligsprechung ist erst einmal blockiert.
Man liest allerorten, der Papst habe eine Kommission eingesetzt, die den Fall noch
einmal prüfen soll. Was steckt dahinter? Ende Februar machte Jean-Dominique Durand,
Historiker und ehemaliger Leiter des französischen Kulturzentrums in Rom, die französischen
Bischöfe auf einige Schriften von Pater Dehon aufmerksam: Antisemitische, judenfeindliche
Passagen seien darin zu lesen, alarmierte der Geschichtsforscher die französischen
Oberhirten. Drei von ihnen, die Kardinäle Jean-Marie Lustiger und Philippe Barbarin
sowie der Vorsitzende der französischen Bischofskonferenz, Jean-Pierre Ricard, berichteten
diese Angelegenheit nach Rom. Zumindest nennt die französische katholische Zeitung
„La Croix“ diese Namen. Die Bischöfe wandten sich an die Glaubenskongregation und
deren damaligen Präfekten, den deutschen Kardinal Joseph Ratzinger. Der Kardinal,
der heutige Papst Benedikt, sei informiert worden und „geschockt gewesen“. So formulierte
es die Pressesprecherin der französischen Bischofskonferenz. Auch die französische
Regierung wollte angeblich wegen der entdeckten antisemitischen Texte der Seligsprechung
fern bleiben. Selbst die französische Bischofskonferenz, so schreibt es „La Croix“
habe überlegt, sich von der Seligsprechung zu distanzieren. Die Affäre, so heißt es
dort wörtlich „erschien ihr zu schwerwiegend“. Doch eigentlich war die Seligsprechung
nicht mehr aufzuhalten – schließlich hatte Papst Johannes Paul II. den heroischen
Tugendgrad von Leon Dehon schon anerkannt, und am 19. April 2004 hatte er das Dekret
zur Seligsprechung promulgiert. Rom prüfe die Sache jetzt noch einmal, führte die
französische Bischofssprecherin Marie-Caroline de Marliave am vergangenen Freitag
aus. Die Katholische Nachrichtenagentur KNA schreibt unter Berufung auf „Vatikankreise“,
die Kommission werde innerhalb der nächsten Woche eine Empfehlung abgeben. Der Papst
sei jedoch letztlich weder an den Rat der Kommission noch an die Vorgaben seines Vorgängers
gebunden, sondern könne in eigener Vollmacht entscheiden. Doch erst einmal langsam.
Die Seligsprechung Dehons war ursprünglich für den 24. April geplant – aber in der
Zwischenzeit war in Rom diese Seligsprechung kein Thema mehr: Papst Johannes Paul
II. war am 2. April gestorben, und am 19. April wählte das heilige Kardinalskollegium
Joseph Ratzinger zum neuen Papst. Die Seligsprechungen, die schon angekündigt waren,
wurden abgesagt. Nicht nur die von Leon Dehon, sondern auch beispielsweise die von
vielen erwartete von Charles de Foucauld. Nur eine Seligsprechung von zwei amerikanischen
Ordensfrauen fand statt – die Ordensgemeinschaften hatten schon lange Zeit vorher
mit den Planungen begonnen, die Feier abzusagen, wäre ihnen kaum mehr zuzumuten gewesen.
Von einer Notbremse von Seiten des Vatikans oder gar des Papstes zu reden, ist also
recht übertrieben. Aber wer war denn eigentlich dieser französische Priester,
um den nun dieser Konflikt entbrannt ist? Schauen wir uns doch erst einmal seine Biographie
an: 1843 wird Leon Dehon in La Capelle (Nordfrankreich) geboren. Der Vater: ein
angesehener Gutsbesitzer, der mit der Kirche wenig zu tun haben will. Die Mutter:
eine fromme Frau, die sich im Wohltätigkeitsverein der Pfarrgemeinde einsetzt. Leo
besucht die Dorfschule und ist in dieser Zeit ein schwieriger Junge; "eitel, jähzornig,
weichlich und faul", so sagt er selbst im Rückblick. Seine Teenager-Jahre verbringt
Leo Dehon in einem christlichen Internat. Zwei Exerzitienkurse bringen ihn zum Nachdenken
und auch mehr Klarheit in seine Lebensplanung. Dazu ein Weihnachtsfest, das ihn innerlich
packt: "Unser Herr muß mich damals wirklich an sein Herz genommen und mit Zärtlichkeit
erfüllt haben". Er beschließt, Priester zu werden. Aber da hat er die Rechnung
ohne den Wirt gemacht: Leons Vater besteht auf einem Jura-Studium. Der Sohn soll Richter
oder Rechtsanwalt werden. Er geht zum Studium nach Paris und gleicht sein Bedürfnis
nach einem religiösen Leben aus, indem er sich zwei Gemeinschaften anschließt: Die
eine übt sich im Einswerden mit Jesus, die andere diskutiert, ob es eine "christliche
Demokratie" geben kann. Grundzüge der katholischen Soziallehre werden in dieser Professoren-
und Studentenrunde entwickelt. Die Idee zum Priesteramt, so meint der Vater, könnte
er seinem Sohn am besten mit dessen Reiselust aus dem Kopf schlagen. So spendiert
er ihm eine Orientreise zum Studienabschluß. Diese Reise führt Leo unter anderem ins
Heilige Land - dadurch wird sein Entschluß, Priester zu werden, nur noch gefestigt.
Diese Entscheidung ist auch der Mutter zuviel des Guten. Gegen den Widerstand der
Eltern geht Leo Dehon nach Rom ins Priesterseminar. Dort holt sich der junge Mann
neben seinem Doktor in Jura, den er schon hat, noch Doktortitel in Philosophie, Theologie
und Kirchenrecht. Noch prägender als die fachliche Ausbildung sind aber wohl die mystischen
und spirituellen Erfahrungen, die er in diesen Jahren macht. Übrigens erlebt Leo Dehon
auch als Stenograf das Erste Vatikanische Konzil mit. Mit 25 Jahren wird Leo Dehon
zum Priester geweiht. Er denkt manchmal daran, in einen Orden einzutreten, findet
aber nicht das Richtige. Hinzu kommt der Deutsch-Französische Krieg 1870/71, der wenig
Spielraum läßt. Er betreut Soldaten. 1871 dann wird er als Kaplan nach St. Quentin
geschickt. "Das war absolut das Gegenteil von dem, was ich seit Jahren gewünscht hatte!"
Nichts mit einem Leben der Sammlung und des Studiums. Die Stadt St. Quentin konfrontiert
Leo Dehon mit der bitteren Realität der Arbeiter. Sie schinden sich unter anderem
in Baumwollwebereien. Unfall-, Kranken- und Rentenversicherung sind noch Fremdworte.
Dehon ist ein sensibler Beobachter, scharfer Analytiker und strategischer Planer.
Und gleichzeitig ist er einer, der mit ganzem Herzen Anteil nimmt. All das kommt ihm
zugute bei den vielen Projekten, die er nun in Angriff nimmt. Er gründet eine Tagesstätte
für Kinder und Jugendliche, von denen viele in dieser Umgebung verwahrlost herumhängen.
Hinzu kommt ein Haus der Arbeiterfamilien. Leo Dehon gründet eine Zeitung, schreibt
in vielen Blättern, redet auf sozialpolitischen Kongressen, leitet einen Kreis zum
Studium sozialer Probleme. Kurzum: Er stellt sich den Problemen der Industrialisierung,
die mit ihren schlimmsten Auswirkungen gerade voll in Gang ist.
Kaplan Leo
Dehon lädt sich mit all dem fast zuviel auf. Er merkt, daß die religiöse Besinnung
und das eigene Weiterbilden zu kurz kommen. Immer stärker wird sein Wunsch, als Ordensmann
zu leben. Andererseits will er seine Arbeiter nicht im Stich lassen. Schließlich kommt
ihm die Idee, beide Ziele zu verbinden und einen Orden mit sozialem Auftrag zu gründen.
Die Pläne kommen ihm zunächst selbst als "eine verrückte Tollkühnheit" vor.
Leo
Dehon zieht sich 1877 zurück und schreibt eine Ordensregel. Ein Jahr später legt er
Gelübde ab. Sein Vorhaben ist von Rom genehmigt. Am Anfang gelingt es nicht wirklich,
eine Gemeinschaft ins Leben zu rufen. Zu allem Überfluss macht Leo Dehon noch einen
Fehlgriff mit einem seelisch kranken Pater, den er in seine Ordensgemeinschaft aufnimmt.
Dessen "Offenbarungen" und dazu noch eigenartige "Eingebungen" mancher Ordensschwestern,
die Leo Dehon nahestehen, schüren in Rom die Skepsis: 1883 erfolgt das Aus. Sein Orden
wird verboten. Für Leo Dehon bricht erst einmal alles zusammen.
Doch dann die
Erlaubnis: Er darf seine Gemeinschaft neu gründen und nennt sie „Herz Jesu Priester“. Für
den Rest seines Lebens muß Pater Leo Dehon ständig um sein Werk kämpfen. Kritik wird
ihm von allen Seiten um die Ohren gehauen. Trotzdem wächst die Gemeinschaft, entstehen
Projekte im Sinne Dehons und bekommt die Ordensgemeinschaft der Herz-Jesu-Priester
schließlich eine weitere Dimension: Ende der 1880er Jahre kann Pater Leo Dehon die
ersten Missionare aussenden. Sie gehen in den Kongo, nach Brasilien, nach Ecuador,
nach Finnland, Südafrika und Kamerun. 1925, im Alter von 82 Jahren, stirbt Leo Dehon.
Sein Geist und sein Wahlspruch "Dein Reich komme" prägen die Ordensgemeinschaft bis
heute. Das ist das Leben von Leon Dehon… Und, seien wir ehrlich, das ist wirklich
das Leben eines Heiligen. Aber nun tauchten eben jene Zitate auf, die mit antisemitischen
Klischees aus dem Frankreich des 19. Jahrhunderts gespickt sind. Es geht, um genau
zu sein, um sieben Texte. Einige machen zur Zeit in der Presse die Runde. So heißt
es da zum Beispiel: „Das Streben nach Reichtum ist bei ihnen ein Rasseninstinkt.“
Er konstatiert bei den Juden einen „Durst nach Gold“; und die Juden, so
schreibt er, seien „vereint im Hass gegen Christus“; daher seien sie die Feinde
par excellence der Kirche und der Christen. Der Talmud? „Der ist das Handbuch des
perfekten Israeliten, das Handbuch des Räubers, des Korrupten, des sozialen Zerstörers.“
Und weiter kann man in einer dieser Schriften lesen: „Freigelassen zeigen die
Juden ein unglaubliches Talent für die Spekulation, sie besetzen unsere Finanzen und
versuchen, uns zu versklaven. Sie haben einflussreiche Rollen und besetzen die Presse
und tragen daher dazu bei, die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Sie füllen unsere
öffentlichen Schulen und gelangen an den Lebensnerv unserer Magistrate und der öffentlichen
Verwaltung. Es ist eine schon begonnene Besetzung, die sich in fortgeschrittenem Stadium
befindet.“ Und so empfiehlt Dehon die Isolierung: „Den Juden, durch eine besondere
Kleidung gekennzeichnet, von der Lehre, der Verwaltung und Grundbesitz ausgeschlossen
und in seine Ghettos verwiesen mit der eingeschränkten Möglichkeit, nur bestimmte
Gewerbe auszuführen“. Dehon schlägt außerdem vor, als Modell die zu der Zeit
bekannte Haltung des österreichischen Antisemiten und durch den Kaiser verhinderten
Wiener Bürgermeisters Karl Lueger zu übernehmen – des Mannes, den Adolf Hitler in
„Mein Kampf“ als einen seiner Ideengeber bezeichnen wird. Allerdings: Deshalb irgendwie
eine Verbindung zwischen Dehon und Hitler herzustellen, das ist mehr als abwegig. Eine
wirklich alles anders als christliche Einstellung, Meinungen, die alles andere als
christlich sind. Natürlich: Man muss sie im Zusammenhang jener Zeit lesen, die von
einem deutlichen Antisemitismus gekennzeichnet ist, nicht zuletzt in Frankreich. Trotzdem:
Antisemitismus und Christentum passen einfach nicht zusammen. Das hat auch Papst Benedikt
XVI. erst wieder deutlich unterstrichen. Aber wie ist das nun mit Leon Dehon?
Wie hat man diese sieben Artikel zu verstehen, die solch einen Schatten über sein
sonstiges Leben legen? Darüber habe ich mit Pater Stefan Tertünte gesprochen. Er ist
selbst Mitglied der Gemeinschaft der Herz Jesu Priester: „Die Artikel sind alle
erst in der letzten Woche vor allem Frankreich, dann aber auch in Italien erschienen.
Das, was uns als Herz-Jesu-Priester daran weh tut, ist ein Zweifaches: Einmal ist
darin ja auch der Vorwurf an unsere Ordensgemeinschaft enthalten, wir hätten da Dokumente
verborgen, die erst jetzt vor kurzem gefunden worden wären, was absolut falsch ist.
Die Dokumente, um die es geht, standen der Heiligsprechungskongregation wie auch der
breiten Öffentlichkeit seit Jahrzehnten zur Verfügung. Das zweite, was uns natürlich
sehr trifft, ist die Reduzierung auf die antjüdischen Aussagen, die es in seinen Schriften
tatsächlich gibt. Das sind Aussagen, die wir auch bedauern, die uns wehtun, die wir
ganz klar verurteilen. Das sind aber auch Aussagen, zu denen er kommt, wenn er auf
die Gesellschaft seiner Zeit schaut und sich vor allem für die Arbeiterschaft gerade
in den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts einsetzt und sich fragt, woher kommt es, dass
diese Gesellschaft so ungerecht und auch so ungerecht geworden ist. Dann fängt er
– wie viele Sozialkatholiken – eine Analyse an und gelangt zu der Auffassung, dass
es viel mit dem erstarkenden Bankenwesen und dem Großkapital zu tun hat. Und wie viele
andere im Sozialkatholizismus kommt er dann auch zu dieser Einsicht: Ja, ein Problem
besteht auch darin, dass zum Beispiel viele jüdische Familien das Sagen haben und
diese quasi – so seine Meinung – mobilisiert haben.“ Also muss man sagen, dass
er tatsächlich antisemitische Äußerungen getroffen hat? „Er hat für diesen Bereich
antijüdische Ressentiments vertreten, das kann man nicht bezweifeln. Aber wenn Sie
zum Beispiel sehen, wie er reagiert hat, als er seine großen Fahrten in den Orient,
nach Jerusalem und so gemacht hat, da werden Sie keinen Deut finden von Äußerungen,
die sich gegen das Judentum richten, gegen die jüdischen Bewohner von Jerusalem und
Palästina.“ Diese Reise waren aber doch vor seiner Zeit, in der er diese Sachen
geschrieben hat. Die waren doch noch vor seinem Theologiestudium, oder? „Ja,
die war noch vor seinem Theologiestudium, noch als junger Mann, das stimmt. Aber die
antijüdischen Äußerungen sind dann auch nicht welche, die dann sein ganzes Leben durchziehen.
Da geht es um eine Zeitspanne innerhalb der 90er Jahre des 19. Jahrhunderts, wo er
sehr stark im Sozialkatholizismus engagiert war. In den 25 Jahren, die er danach noch
lebt, gibt es diese Äußerungen ja auch nicht mehr.“ Man hört immer wieder,
dass es schon einmal einen Seligsprechungsprozess gegeben habe in den 50er Jahren;
dieser sei abgebrochen worden und dann sei ein zweiter geführt worden. Ist das richtig? „Soweit
ich das gesehen habe, kann man nicht von zwei Prozessen sprechen. Es gibt einen Prozess,
der in den 50er Jahren angestrengt wurde, der hatte dann viele unterschiedliche Etappen;
unter anderem einen Diözesanprozess und einen Prozess auf Ebene der Weltkirche. Da
war dieses Thema nie von Bedeutung.“ Wieso kam es dann damals nicht zur Seligsprechung? „Die
Frage ist so falsch gestellt, weil das Gutachten, von dem ich jetzt rede, das ist,
glaube ich, in den 60er/70er Jahren gemacht worden. Danach ist der Prozess dann seinen
ganz normalen Weg gegangen. Wenn Sie darauf anspielen, warum das so lange gedauert
hat; das hatte einen anderen Grund: Es gab ein Problem von Anschuldigungen gegen Dehon,
die aus seiner Zeit stammten, als er selbst Leiter der Johannesschule, die von ihm
gegründet wurde, gewesen ist. Da gab es aus den 90er Jahren es 19. Jahrhunderts Anschuldigungen,
er habe sich an Schülern vergangen. Da war es uns gleich zu Beginn des Prozesses daran
gelegen, dass diese Frage – weil klar war, dass die auch noch einmal zum Thema würde
– dass die sehr sorgfältig angegangen wird. Und da haben wir in den 50er Jahren zuerst
einen falschen Mann damit beauftragt von unserer Seite, ein Mitbruder, der sich da
derart darauf konzentriert hat, dass die Zweifel da eher noch größer wurden... Dann
haben wir, also unsere Kongregation, den Vatikan noch einmal gebeten, eine zusätzliche
Untersuchung zu starten, damit klar ist, wenn der Prozess in die entscheidende Phase
eintritt, dass das Anschuldigungen sind, die nichtig sind.“
Der Leiter
des Dehon-Archivs in Bonn, Pater Clemens Otten, sagt in einer Stellungnahme: Die antisemitischen
Aussagen von Pater Dehon können nicht geleugnet werden. Allerdings – und das unterstreicht
der Archivar – gehörten diese Äußerungen in die Zeit von 1897 und 1898 – aus den letzten
20 Jahren von Dehons Leben gebe es keinerlei solche Gedanken. Ja, so schreibt Pater
Otten, die Äußerungen hätten Dehon sogar Leid getan. Er erinnert daran, dass Dehon
sich durch die Briefe des Juden Liebermann ein geistliches Programm aufgebaut habe.
Und schließlich: Man müsse Pater Dehon auch als Kind seiner Zeit sehen und könne man
nicht von einem Mann des 19. Jahrhunderts verlangen, schon die Positionen von Nostra
Aetate zu vertreten.
Wie konnten der Heiligsprechungskongregation, die doch
sonst so gründlich arbeitet, diese antisemitischen Äußerungen entgehen? Papst Leo
XIII. selbst habe einen Segenswunsch für einen christdemokratischen Kongress Dehons
verweigert, um den dieser gebeten hatte – schließlich sollte dieser Kongress ausdrücklich
„sozial, national und antisemitisch sein“, das zumindest schreibt die Zeitung „Le
Monde“. Man kann gespannt sein, wie Papst Benedikt in diesem Fall entscheiden wird.
Kann es sich die Kirche leisten, einen Mann ins Buch der Seligen einzuschreiben, der
ohne Zweifel ein großer Mystiker war, ein begabter Sozialethiker und großer Erzieher,
der aber vom Judenhass geprägt war? Im Manuskript für den Besuch im Großrabbinat
von Jerusalem während der Reise von Papst Johannes Paul II. ins Heilige Land, steht
deutlich geschrieben: Wir hoffen, daß das jüdische Volk anerkennen wird, daß
die Kirche den Antisemitismus und jede Form von Rassismus radikal verurteilt, da sie
den Grundsätzen des Christentums vollkommen entgegenstehen. Wir müssen zusammenarbeiten,
um eine Zukunft aufzubauen, in der es keinen Antijudaismus unter den Christen und
kein antichristliches Empfinden unter den Juden mehr geben wird.
Versöhnung
und Dialog zwischen Christen und Juden – wie kann da eine Seligsprechung aufgefasst
werden von einem, der – wenn auch sicher nicht als einziger in seiner Zeit und seinem
Umfeld – antisemitische Gedanken verbreitete? Papst Johannes Paul II. sagte am
28. April 1999 bei der Generalaudienz auf dem Petersplatz: Bekanntlich war die
Beziehung zwischen der Kirche und den jüdischen Gläubigen von Anfang an schwierig.
Die Erinnerung an traurige und tragische Ereignisse in der Vergangenheit kann durch
die Gnade Gottes den Weg zu einer neuen Geschwisterlichkeit eröffnen. Möge der Same
von Antisemitismus und Judenhaß nie wieder Wurzeln im Herzen der Menschen schlagen.
Vielleicht
ist es am besten, zum Abschluss einmal Leon Dehon mit einem seiner geistlichen Texte
zu Wort kommen zu lassen: "Gott kann mit unserem Wissen und unserem Wirken
nichts anfangen, wenn er unser Herz nicht hat."