D: "Kirchen-Aufruf zum Wahlboykott wäre auch bei uns möglich"
Viel Schelte hat die italienische Kirche einstecken müssen für ihre Rolle im Referendum
zur künstlichen Befruchtung. Wie berichtet, ist das Referendum gescheitert, weil nicht
genug Wähler von ihrem Wahlrecht Gebrauch gemacht haben. Die Bischofskonferenz hatte
- in Gestalt ihres Vorsitzenden Kardinal Camillo Ruini - wiederholt zum Boykott des
Referendums aufgerufen. Ist der Aufruf zum Boykott eines demokratischen Instrumentes
grundsätzlich mit dem Demokratieverständnis der Kirche vereinbar? Selbstverständlich,
sagt der Augsburger Weihbischof Anton Losinger, frischgebackenes Mitglied im nationalen
Ethikrat und innerhalb der Bischofskonferenz für soziale und gesellschaftliche Fragen
zuständig. "Grundsätzlich leben wir in der freiheitlich-demokratischen Rechtsordnung
in einer Zuordnung von Kirche und Staat, die eine gegenseitige Unabhängigkeit garantiert.
Allerdings ist es immer so gewesen, dass die Kirche dort, wo Fragen der Würde der
menschlichen Person und der Freiheitsrechte auf dem Spiel standen, sich die Freiheit
genommen hat, ihren Gläubigen zu raten. An diesem Punkt - würde ich sagen - bewegt
sich unser Papst Benedikt XVI. komplett auf dem Boden des II. Vatikanischen Konzils."
In Deutschland hat die Kirche zwar niemals dezidiert zu einem Wahlboykott aufgerufen
- doch Empfehlungen hat wie wiederholt abgegeben. "In Deutschland haben die Bischölfe
von Zeit zu Zeit in Form von Wahl-Hirtenbriefen Stellung bezogen. Zum Beispiel in
der Frage der Staatsverschuldung. Ich könnte mir vorstellen, dass auch in Deutschland
so ein Hirtenbrief möglich ist. So ein Hirtenbrief wendet sich an freie Bürger, die
gleichzeitig Christen sind, und diese freien Bürger haben das freie Recht der Abstimmung.
Insofern darf man der Kirche keine direkte Einflussnahme auf den Staat vorwerfen.
Sondern es sind die Christen, die gleichzeitig Staatsbürger sind, die sich gegen ein
Gesetz wenden, das der Würde der menschlichen Person widerspricht." (rv 15.06.05
gs)