85 Jahre ist er Anfang Juni geworden - Deutschlands Literaturpapst Marcel Reich-Ranicki.
Er ist der oberste Chef der deutschsprachigen Literaturkritik, nicht selten entscheidet
sein Wort bis heute über Erfolg oder Misserfolg eines jungen Autors. Wir haben ihn
um die Kritik zum Hauptwerk der Christenheit gebeten. Über das Hauptgebot der Nächstenliebe
im Neuen Testament urteilt Reich-Ranicki gewohnt schonungslos und ehrlich: „Ich
glaube nicht, dass man den Nächsten, seinen Nächsten, lieben könne wie sich selbst.
Ich halte das für vollkommen falsch. Es wäre besser, wenn es hieße: Liebe deinen Nächsten,
denn er ist wie du. Das gefällt mir besser, d.h. es überzeugt mich besser.“ "Das
literarische Quartett" machte Reich-Ranicki berühmt und die deutsche Fernsehlandschaft
kultur hochwertiger. Hier fielen Urteile über Bücher und Menschen. Und was sagt Reich-Ranicki
über den Buchautor Joseph Ratzinger und jetzigen Papst Benedikt? „Was soll ich
dazu sagen? Es wäre schön, wenn er die Kirche fortschrittlicher machen könnte. Wie
und in welchem Maße, kann ich gar nicht sagen.“ Reich-Ranicki stammt aus Polen,
wuchs in Berlin auf und wurde 1938 deportiert. Er überlebte das Warschauer Ghetto,
seine Eltern und sein Bruder wurden ermordet. Die Sprache der Mörder war deutsch.
Reich-Ranicki liebt sie dennoch: Es ist schließlich auch die Sprache Goethes und Schillers.
- Mehr von Marcel Reich-Ranicki hören Sie heute Abend in einer Sendung von Aldo Parmeggiani. (rv
05.06.05 bp)