2005-05-20 14:08:16

Martin Walser: "Benedikt beeindruckt"


Der deutsche Schriftsteller Martin Walser ist beeindruckt von Papst Benedikt XVI.. Das sagte er einem Gespräch mit Radio Vatikan, in dem es auch um das Berliner Holocaust-Mahnmal, das Sterben von Johannes Paul II. und über Walsers katholischen Wurzeln ging. Hilde Regeniter hat Martin Walser zunächst gefragt, wie er vor dem Hintergrund seiner eigenen Erfahrung polemische Diskussionen über den neuen Papst und dessen Image als angeblicher "theologischer Hardliner" beurteilt:

"Das war also nicht nur das Öffentliche betreffend, andere betreffend, sondern mich betreffend, das war auch ein kleines Wunder. Weil ich natürlich von dem Kardinal Ratzinger auch nur solche verkürzten Nachrichten ohne persönliche Erscheinung gehört hatte, mitgekriegt hatte. Eben die Meinungsfrequenz der Person, die in der Öffentlichkeit so verkürzt wiedergegeben wird - das habe ich an mir selber zur Genüge erfahren. Und, da muss ich sagen, uns hat der Ratzinger unheimlich beeindruckt, dadaurch dass er eine solche Glaubwürdigkeit hat.
Natürlich ich habe dann auch das gehört und gesehen, dass da viele nicht zufrieden waren. Da sag ich, gut, sollen sie sich mit ihm auseinander setzen und er sich mit denen. Aber alles überwölbend ist die Persönlichkeit, diese Glaubwürdigkeit. Er ist nicht von seinem Vorgänger abhängig und geprägt, sondern hat eine ganz eigene Erscheinungsform gefunden. Und das war schon überraschend. Wissen Sie, das ist eben der Unterschied zwischen Meinung und Wesen:Mit Meinungen kann man Recht haben oder Unrecht haben. Das Wesen dagegen erscheint und ist dann glaubwürdig oder unglaubwürdig. Das ist was ganz anderes. Ich habe zum Beispiel so eine Diskussion gesehen, wo auch der Küng dabei war. Und da wurde der Küng wirklich ganz klein, weil er nichts hatte als seine Meinungsenttäuschung daüber, dass jetzt jemand Papst ist, der anderer Meinung ist als er."
- Was erwarten Sie von dem neuen Pontifkat?
"Na das dürfen Sie mich nicht fragen. Ich bin nicht gefragt. Verstehen Sie - ich habe da kene theologische oder pastorale Zuständigkeit, dass ich sage, der soll jetzt das und das denken. Da geh ich gleich wieder zurück und denke, der, den ich da jetzt erlebt habe, der wird diesem Hardliner-Ruf nicht Recht geben. Das kann ich mir nicht vorstellen. Sag ich ganz untheologisch. Auf jeden Fall brauchen wir unsere ganz naive Zustimmungsfreude nicht verbergen. Das ist doch prima, dass einer aus einem bayerischen Dorf kommt und Papst wird. Das ist doch eine gute Geschichte. Da muss man nichts Nationales reininterpretieren. Der ist ja vielmehr ein Bayer als ein Deutscher."

- Sie hatten in der Diskussion um das jetzt eingeweihte Holocaust-Mahnmal befürchtet, da könne im Herzen Berlin ein "fußballfeldgroßer Apltraum" entstehen. Was denken Sie heute von der Ausführung Peter Eisenmans?
"Ignatz Bubis hat gesagt ´Meinetwegen müssen die Deutschen kein Mahnmal bauen, ich brauch das nicht, ich habe Mahnung genug in mir.´ So etwas ähnliches hätte ich auch sagen können. Aber jetzt zu dem faktischen Unternehmen - da mitten in der Stadt. Ich war jetzt dort, habe mir das angeschaut. Ich hatte letztes Jahr auch schon den Peter Eisenman getroffen. Und ich muss sagen, die Berliner haben wirklich Glück gehabt, das ist ein Kunstwerk, das ist ein richtiges Kunstwerk. Und man muss nicht jetzt die Leute abfragen, wenn sie da drin und dran sind: ´ Was geht euch dabei durch den Kopf?´ Das finde ich falsch. Das ist so beeindruckend, dass jeder da schon mit sich selber zu tun haben kann. Was ich befürchtetet hatte - man muss sich vorstellen - das wäre misslungen, mitten in der Stadt. Das mag man sich jetzt nicht mehr vorstellen. Aber der Eisenman, der übrigens selber auf mich sehr kindlich gewirkt hat, der ist eben ein Genie und der hat das hingekriegt. Die Gefahr, dass da etwas Monströses stünde, ist vermieden."

- Sie haben im Februar dieses Jahres gesagt, der schwerkranke Papst imponiere Ihnen wie nie zuvor....
"Es war eben das erste Mal, dass jemand sein Leiden und Sterben so öffentlich gelebt hat. Das wäre auch bei einem Nicht-Papst sozusagen sensationell gewesen, nicht war? Das wissen ja inzwischen alle, das hat nicht nur Fernsehgeschichte, sondern Öffentlichkeitsgeschichte gemacht, und daran kann keiner mehr vorbeikommen. Und das war für mich auch wie ein Lehrgang, das etwas erst Wirklichkeit wird, wenn es durch das Fernsehen vermittelt ist. Man hätte noch so oft lesen können, der Papst leidet oder die Ärzte haben das und das gesagt. Das bringt es alles nicht. Sondern man muss ihn sehen. Und deswegen hab ich auch gesagt, dass ich nicht der Meinung bin, er dürfe abgelöst werden. Und zwar deshalb nicht, weil das war eine Krankheit zum Tode war. Die musste er in dem Medium weiter gehen bis zum Ende. Das ist eben nicht mehr nur rational, das ist eine neue Zeit, der ich nicht so ganz und gar angehöre, aber die ganz sicher jetzt die neue Zeit sein wird: Dass wesentliche Vorgänge, die man vorher ins Private verbannt hätte, erst durch das Fernsehen Realität werden. Allerdings gehört dazu auch so ein Papst, das könnte natürlich auch nicht jeder, das ist ja klar. Das wurde ja auch vermittelt. Jeder von uns hat das jetzt im Kopf, in seiner Erinnerung. Das kann man auch nicht imitieren, das ist eben so. Das hat halt diesen Eindruck gemacht."
- Sind die Fragen des Alters, des Sterbens und des Todes auch Themen, die sie als Schriftsteller interessieren?
"Ja, ich meine, in Sprache sieht das ganz anders aus als im Fernsehen. Und da ist es mir nicht unbekannt. Ich habe das in dem Buch, das jetzt gerade in Italien erscheint - „Der Augenblick der Liebe“ - zum Thema machen müssen. Weil es liegt in der Figuration und im Thema dieses Romans, dass der Mann so und so alt ist - und dass er deswegen empfänglich ist für alles, was mit Alter zu tun hat. Und dass er sich gegenübersieht einer großen Kulturlüge über das Alter, dass alle nur Lügen über das Alter. Sie kennen sie selbst diese Floskeln, diese Vokabulare, die dem Alter das und das zubilligen, zuschreiben, und so weiter. Und genau das hat auch der Papst im Konkreten erlebt, in der Furchtbarkeit - dass das nicht mehr geht, das nicht mehr geht, daraus hab ich auch Prosa gemacht, kann ich sagen, ja."

- Wie deuten Sie die enorme Anteilnahme am Sterben Johannes Pauls, den riesigen Pilgerstrom nach Rom?
"Na deuten muss man da nchts. Ich habe sie wahrgenommen. Nachrichtensendungen sind die einzigen Sendungen des Fernsehens, die ich wirklich anschaue, und da konnte man ja nicht daran vorbei. Dass es dann diesen, dramaturgischen Höhepunkt ganz am Schluss noch gab - das ist Phänomen, das ist Erlebnis, das ist Erfahrun. Und es könnte sein, das weiß ich nicht, ich kann nicht in andere Leute hineinschlüpfen, dass der und jener dadurch eine andere Empfindung gegenüber dem Altsein und Hinfälligsein erlernt hat, nicht? Das ist, das halt ich für möglich."
- Sie waren ein Gegner des Irakkriegs. Wie haben Sie Johannes Pauls Einsatz gegen den Krieg wahr genommen?
"Das hab ich nicht im Überblick erlebt. Ich kann aber sagen: Wenn ein Papst gegen den Krieg ist, dann ist er unwillkürlich Vorbild. Wenn ich gegen den Krieg bin, dann bin ich gegen den Krieg, weil ich es nicht ertrage, für den Krieg zu sein. Und das muss sonst niemanden interessieren, ich sage es auch nur, wenn ich gefragt werde. Aber wenn der Papst gegen den Krieg ist, dann ist es eben zeichenhaft, nicht wahr, und es ist auch politisch viel wichtiger. Dass es Herrn Bush nicht besonders geprägt hat, ist eine andere Sache."

- Sie beschreiben in Ihrem autobiographischen Roman "Ein springender Brunnen" ausführlich die erste Beichte, die Erstkommunion und die Firmung Ihres Alter Egos Johann. Wie sehen Sie heute Ihre katholische Sozialisation?
"Sozialisation nenne ich das natürlich nicht. Ich finde, das ist ein grauenhaftes Wort für meine katholische Kindheit. Und die ist, die ist unverbrauchbar. Die hat dann keine Reife gefunden, keine Entwicklung in den Erwachsenen hinein. Der Erwachsene hat sich nicht so verhalten können wie das Kind. Ich bin allerdings abhängig von dieser Kindheit. Und zwar weil - ich sag das jetzt nicht so leicht hin - ich mit Sprache zu tun habe. Und dann hab ich auch mit der Wichtigkeit von Wörtern zu tun. Und dann muss ich natürlich, das gehört zu meinem Alltag, muss ich die Wörter sozusagen wiegen und wägen und empfinden, wie wichtig sie für mich sind. Und dann kommt dann bei mir vor, dass, sagen wir mal, das wichtigste Wort unserer Sprache ist vielleicht Gott. Ich stimme da nicht mit dem Vatikan überein, ich sage, Gott ist die größte Schöpfung der Menschheit. Die Menschheit hat sich ausgedrückt in Gott. Und das zeigt, was uns fehlt, alles was uns fehlt, drücken wir aus, in dem Namen, und in der Figur, und in der Geschichte und in dem Wesen Gott. Und damit hab ich natürlich zu tun, und das nehm´ ich an, hat auch mit meiner Kindheit etwas zu tun."

- Inwieweit hat Sie diese katholische Kindheit sprachlich geprägt?
"Meine erste Geschichten waren Bibelgeschichten. Die, ich sag jetzt mal ein bisschen großspurig, die Dimension der Fiktion, die Größe der Vorstellung, die Wichtigkeit von sprachlich Erlebbarem, das kam ja alles durch Joseph und seine Brüder und so weiter. Das entwickelt das Kind als Vorstellungswesen, als Seele, als Phantasie, als Gefühl.

- Sie betonen immer wieder "Der Mangel ist meine Muse"
"Ja, das ist das, was zu Gott führt. Wir sind nicht allwissend, wir sind nicht unsterblich. Und das drücken wir alles aus in unserem höchsten Wesen, in Gott. Den brauchen wir aus unserem Mangel, den brauchen wir, weil wir es nicht sind. Das ist ganz einfach. Und natürlich für den Schriftsteller kann man das runterdividieren, da ist es der alltägliche Mangel an allem was sein sollte und nicht ist, das führt dann zum Schreiben."

- Sie haben sich als Erwachsener von der Institution Kirceh entfernt - Ihr aber nie endgültig den Rücken zugewandt..
"Ich bin nicht ausgetreten, nein, um Gottes Willen, nein. Aber ich bleibe in der katholischen Kirche aus einem Grund, sag ich immer. Und zwar weil ich die Pfarrbibliothek und auch die Bibliothek eines Kaplans in meinem Heimatort die hatten Bücher, die ich sonst nicht gehabt hätte, der eine hatte nur Karl May, der andere hatte andere und so weiter. Und ich bezahle diese Bibliothekskosten als Kirchensteuer.
(rv 20.05.05 hr)







All the contents on this site are copyrighted ©.