Der deutsche Schriftsteller Martin Walser ist beeindruckt von Papst Benedikt XVI..
Das sagte er einem Gespräch mit Radio Vatikan, in dem es auch um das Berliner Holocaust-Mahnmal,
das Sterben von Johannes Paul II. und über Walsers katholischen Wurzeln ging.
Hilde Regeniter hat Martin Walser zunächst gefragt, wie er vor dem Hintergrund seiner
eigenen Erfahrung polemische Diskussionen über den neuen Papst und dessen Image als
angeblicher "theologischer Hardliner" beurteilt:
"Das war also nicht nur
das Öffentliche betreffend, andere betreffend, sondern mich betreffend, das war auch
ein kleines Wunder. Weil ich natürlich von dem Kardinal Ratzinger auch nur solche
verkürzten Nachrichten ohne persönliche Erscheinung gehört hatte, mitgekriegt hatte.
Eben die Meinungsfrequenz der Person, die in der Öffentlichkeit so verkürzt wiedergegeben
wird - das habe ich an mir selber zur Genüge erfahren. Und, da muss ich sagen, uns
hat der Ratzinger unheimlich beeindruckt, dadaurch dass er eine solche Glaubwürdigkeit
hat. Natürlich ich habe dann auch das gehört und gesehen, dass da viele
nicht zufrieden waren. Da sag ich, gut, sollen sie sich mit ihm auseinander setzen
und er sich mit denen. Aber alles überwölbend ist die Persönlichkeit, diese Glaubwürdigkeit.
Er ist nicht von seinem Vorgänger abhängig und geprägt, sondern hat eine ganz eigene
Erscheinungsform gefunden. Und das war schon überraschend. Wissen Sie, das ist eben
der Unterschied zwischen Meinung und Wesen:Mit Meinungen kann man Recht haben oder
Unrecht haben. Das Wesen dagegen erscheint und ist dann glaubwürdig oder unglaubwürdig.
Das ist was ganz anderes. Ich habe zum Beispiel so eine Diskussion gesehen, wo auch
der Küng dabei war. Und da wurde der Küng wirklich ganz klein, weil er nichts hatte
als seine Meinungsenttäuschung daüber, dass jetzt jemand Papst ist, der anderer Meinung
ist als er." - Was erwarten Sie von dem neuen Pontifkat? "Na das dürfen
Sie mich nicht fragen. Ich bin nicht gefragt. Verstehen Sie - ich habe da kene theologische
oder pastorale Zuständigkeit, dass ich sage, der soll jetzt das und das denken. Da
geh ich gleich wieder zurück und denke, der, den ich da jetzt erlebt habe, der wird
diesem Hardliner-Ruf nicht Recht geben. Das kann ich mir nicht vorstellen. Sag ich
ganz untheologisch. Auf jeden Fall brauchen wir unsere ganz naive Zustimmungsfreude
nicht verbergen. Das ist doch prima, dass einer aus einem bayerischen Dorf kommt
und Papst wird. Das ist doch eine gute Geschichte. Da muss man nichts Nationales reininterpretieren.
Der ist ja vielmehr ein Bayer als ein Deutscher."
- Sie hatten in der
Diskussion um das jetzt eingeweihte Holocaust-Mahnmal befürchtet, da könne im Herzen
Berlin ein "fußballfeldgroßer Apltraum" entstehen. Was denken Sie heute von der Ausführung
Peter Eisenmans? "Ignatz Bubis hat gesagt ´Meinetwegen müssen die Deutschen
kein Mahnmal bauen, ich brauch das nicht, ich habe Mahnung genug in mir.´ So etwas
ähnliches hätte ich auch sagen können. Aber jetzt zu dem faktischen Unternehmen -
da mitten in der Stadt. Ich war jetzt dort, habe mir das angeschaut. Ich hatte letztes
Jahr auch schon den Peter Eisenman getroffen. Und ich muss sagen, die Berliner haben
wirklich Glück gehabt, das ist ein Kunstwerk, das ist ein richtiges Kunstwerk. Und
man muss nicht jetzt die Leute abfragen, wenn sie da drin und dran sind: ´ Was geht
euch dabei durch den Kopf?´ Das finde ich falsch. Das ist so beeindruckend, dass jeder
da schon mit sich selber zu tun haben kann. Was ich befürchtetet hatte - man muss
sich vorstellen - das wäre misslungen, mitten in der Stadt. Das mag man sich jetzt
nicht mehr vorstellen. Aber der Eisenman, der übrigens selber auf mich sehr kindlich
gewirkt hat, der ist eben ein Genie und der hat das hingekriegt. Die Gefahr, dass
da etwas Monströses stünde, ist vermieden."
- Sie haben im Februar dieses
Jahres gesagt, der schwerkranke Papst imponiere Ihnen wie nie zuvor.... "Es
war eben das erste Mal, dass jemand sein Leiden und Sterben so öffentlich gelebt hat.
Das wäre auch bei einem Nicht-Papst sozusagen sensationell gewesen, nicht war? Das
wissen ja inzwischen alle, das hat nicht nur Fernsehgeschichte, sondern Öffentlichkeitsgeschichte
gemacht, und daran kann keiner mehr vorbeikommen. Und das war für mich auch wie ein
Lehrgang, das etwas erst Wirklichkeit wird, wenn es durch das Fernsehen vermittelt
ist. Man hätte noch so oft lesen können, der Papst leidet oder die Ärzte haben das
und das gesagt. Das bringt es alles nicht. Sondern man muss ihn sehen. Und deswegen
hab ich auch gesagt, dass ich nicht der Meinung bin, er dürfe abgelöst werden. Und
zwar deshalb nicht, weil das war eine Krankheit zum Tode war. Die musste er in dem
Medium weiter gehen bis zum Ende. Das ist eben nicht mehr nur rational, das ist eine
neue Zeit, der ich nicht so ganz und gar angehöre, aber die ganz sicher jetzt die
neue Zeit sein wird: Dass wesentliche Vorgänge, die man vorher ins Private verbannt
hätte, erst durch das Fernsehen Realität werden. Allerdings gehört dazu auch so ein
Papst, das könnte natürlich auch nicht jeder, das ist ja klar. Das wurde ja auch
vermittelt. Jeder von uns hat das jetzt im Kopf, in seiner Erinnerung. Das kann man
auch nicht imitieren, das ist eben so. Das hat halt diesen Eindruck gemacht." - Sind die Fragen des Alters, des Sterbens und des Todes auch Themen, die sie
als Schriftsteller interessieren? "Ja, ich meine, in Sprache sieht das ganz
anders aus als im Fernsehen. Und da ist es mir nicht unbekannt. Ich habe das in dem
Buch, das jetzt gerade in Italien erscheint - „Der Augenblick der Liebe“ - zum Thema
machen müssen. Weil es liegt in der Figuration und im Thema dieses Romans, dass der
Mann so und so alt ist - und dass er deswegen empfänglich ist für alles, was mit
Alter zu tun hat. Und dass er sich gegenübersieht einer großen Kulturlüge über das
Alter, dass alle nur Lügen über das Alter. Sie kennen sie selbst diese Floskeln,
diese Vokabulare, die dem Alter das und das zubilligen, zuschreiben, und so weiter.
Und genau das hat auch der Papst im Konkreten erlebt, in der Furchtbarkeit - dass
das nicht mehr geht, das nicht mehr geht, daraus hab ich auch Prosa gemacht, kann
ich sagen, ja."
- Wie deuten Sie die enorme Anteilnahme am Sterben Johannes
Pauls, den riesigen Pilgerstrom nach Rom? "Na deuten muss man da nchts. Ich
habe sie wahrgenommen. Nachrichtensendungen sind die einzigen Sendungen des Fernsehens,
die ich wirklich anschaue, und da konnte man ja nicht daran vorbei. Dass es dann diesen,
dramaturgischen Höhepunkt ganz am Schluss noch gab - das ist Phänomen, das ist Erlebnis,
das ist Erfahrun. Und es könnte sein, das weiß ich nicht, ich kann nicht in andere
Leute hineinschlüpfen, dass der und jener dadurch eine andere Empfindung gegenüber
dem Altsein und Hinfälligsein erlernt hat, nicht? Das ist, das halt ich für möglich." -
Sie waren ein Gegner des Irakkriegs. Wie haben Sie Johannes Pauls Einsatz gegen den
Krieg wahr genommen? "Das hab ich nicht im Überblick erlebt. Ich kann aber
sagen: Wenn ein Papst gegen den Krieg ist, dann ist er unwillkürlich Vorbild. Wenn
ich gegen den Krieg bin, dann bin ich gegen den Krieg, weil ich es nicht ertrage,
für den Krieg zu sein. Und das muss sonst niemanden interessieren, ich sage es auch
nur, wenn ich gefragt werde. Aber wenn der Papst gegen den Krieg ist, dann ist es
eben zeichenhaft, nicht wahr, und es ist auch politisch viel wichtiger. Dass es Herrn
Bush nicht besonders geprägt hat, ist eine andere Sache."
- Sie beschreiben
in Ihrem autobiographischen Roman "Ein springender Brunnen" ausführlich die erste
Beichte, die Erstkommunion und die Firmung Ihres Alter Egos Johann. Wie sehen Sie
heute Ihre katholische Sozialisation? "Sozialisation nenne ich das natürlich
nicht. Ich finde, das ist ein grauenhaftes Wort für meine katholische Kindheit. Und
die ist, die ist unverbrauchbar. Die hat dann keine Reife gefunden, keine Entwicklung
in den Erwachsenen hinein. Der Erwachsene hat sich nicht so verhalten können wie das
Kind. Ich bin allerdings abhängig von dieser Kindheit. Und zwar weil - ich sag das
jetzt nicht so leicht hin - ich mit Sprache zu tun habe. Und dann hab ich auch mit
der Wichtigkeit von Wörtern zu tun. Und dann muss ich natürlich, das gehört zu meinem
Alltag, muss ich die Wörter sozusagen wiegen und wägen und empfinden, wie wichtig
sie für mich sind. Und dann kommt dann bei mir vor, dass, sagen wir mal, das wichtigste
Wort unserer Sprache ist vielleicht Gott. Ich stimme da nicht mit dem Vatikan überein,
ich sage, Gott ist die größte Schöpfung der Menschheit. Die Menschheit hat sich ausgedrückt
in Gott. Und das zeigt, was uns fehlt, alles was uns fehlt, drücken wir aus, in dem
Namen, und in der Figur, und in der Geschichte und in dem Wesen Gott. Und damit hab
ich natürlich zu tun, und das nehm´ ich an, hat auch mit meiner Kindheit etwas zu
tun."
- Inwieweit hat Sie diese katholische Kindheit sprachlich geprägt? "Meine
erste Geschichten waren Bibelgeschichten. Die, ich sag jetzt mal ein bisschen großspurig,
die Dimension der Fiktion, die Größe der Vorstellung, die Wichtigkeit von sprachlich
Erlebbarem, das kam ja alles durch Joseph und seine Brüder und so weiter. Das entwickelt
das Kind als Vorstellungswesen, als Seele, als Phantasie, als Gefühl.
-
Sie betonen immer wieder "Der Mangel ist meine Muse" "Ja, das ist das, was
zu Gott führt. Wir sind nicht allwissend, wir sind nicht unsterblich. Und das drücken
wir alles aus in unserem höchsten Wesen, in Gott. Den brauchen wir aus unserem Mangel,
den brauchen wir, weil wir es nicht sind. Das ist ganz einfach. Und natürlich für
den Schriftsteller kann man das runterdividieren, da ist es der alltägliche Mangel
an allem was sein sollte und nicht ist, das führt dann zum Schreiben."
-
Sie haben sich als Erwachsener von der Institution Kirceh entfernt - Ihr aber nie
endgültig den Rücken zugewandt.. "Ich bin nicht ausgetreten, nein, um Gottes Willen,
nein. Aber ich bleibe in der katholischen Kirche aus einem Grund, sag ich immer. Und
zwar weil ich die Pfarrbibliothek und auch die Bibliothek eines Kaplans in meinem
Heimatort die hatten Bücher, die ich sonst nicht gehabt hätte, der eine hatte nur
Karl May, der andere hatte andere und so weiter. Und ich bezahle diese Bibliothekskosten
als Kirchensteuer. (rv 20.05.05 hr)