2005-05-11 14:13:44

Vatikan: Elektrosmog-Urteil - Hintergrund


Das jüngste Urteil in Sachen Elektrosmog gegen Radio Vatikan hat breites Echo in den Medien gefunden. Zwei Verantwortliche des Senders, Pater Pasquale Borgomeo und Kardinal Roberto Tucci, sind dabei zu je zehn Tagen Haft auf Bewährung verurteilt worden. Außerdem muss Radio Vatikan die Prozesskosten – etwa 25.000 Euro – tragen sowie Entschädigung an die betroffene Bevölkerung zahlen.
Worum geht es eigentlich in dem Prozess?
Zunächst: Es handelt sich nicht um einen, sondern um zwei Prozesse gegen Radio Vatikan im Zusammenhang mit dem Elektrosmog, den die Sendeanlage Santa Maria di Galeria im Norden Roms absondert. Bei Prozess Nummer eins geht es um die Beeinträchtigung von Lebensqualität, bei Prozess Nummer lautet die Anklage auf Mord.
Das Urteil vom Montag betrifft Prozess Nummer eins – und damit die Lebensqualität von Anrainern der Sendeanlage. Zum Beispiel: Fernsehprogramme können nicht einwandfrei empfangen werden, weil sie von Radio Vatikan überlagert werden. Aus dem Telefon ertönt Radio Vatikan statt der Stimme des Gesprächspartners. Oder: Beim Öffnen des Kühlschrankes dringt aus dem Gerät nicht nur Schinkenduft, sondern auch das Pausensignal des Papst-Senders.
„Schuldig“, lautete in diesem Prozess das Urteil vom Montag. Ins Gefängnis müssen die beiden Radio-Direktoren nicht, weil sie unbescholten sind. Und wie viel Entschädigung wird der Vatikan den Betroffenen zahlen? Hier wird es haarig, erklärt der Jurist von Radio Vatikan, Giacomo Ghisani.
„Zunächst muss Radio Vatikan eine Studie bezahlen, die untersuchen wird, wie viele Menschen wie sehr in ihrer Lebensqualität beeinträchtig sind - und wie viel Geld „beeinträchtigte Lebensqualität“ wert ist. Beim Prozess war von Forderungen in der Höhe von mehr als 250 Millionen Euro die Rede.“
250 Millionen Euro - existenzgefährdend für Radio Vatikan. Der Sender wird gegen das Urteil Berufung einlegen. Mit dem Argument, dass die Anlage in Santa Maria di Galeria die italienischen Grenzwerte für Elektrosmog – es sind die strengsten Europas - seit Jahren einhält. Davor lagen sie innerhalb der EU-Normen; Italien hat seine Grenzwerte erst 1999 zum ersten Mal festgelegt. Techniker des Senders sowie italienische Fachleute messen die Emissionen übrigens regelmäßig an mehreren hundert Punkten an den Grenzen des Sende-Areals.
Ernsteren Inhalts ist der zweite Elektrosmog-Prozess, der – so wie der erste – seit 2001 gegen Radio Vatikan läuft. Hier geht es um Kinder, die in den vergangenen Jahren im Umfeld der Sendeanlage an Leukämie erkrankten und zum Teil starben. Pater Federico Lombardi, der Programmchef von Radio Vatikan, zitiert eine Studie des Gesundheitsministeriums der Region Latium, die 13 derartige Fälle für das fragliche Areal rund um Santa Maria die Galeria nachweist. Damit liegt sie „nicht über dem Durchschnitt“, folgerte eine internationale Expertengruppe, die von der italienischen Regierung – also gleichsam der Klägerseite – in Auftrag gegeben worden war.
Im Gegensatz zu Prozess Nummer eins steht Prozess Nummer zwei noch am Anfang. Ghisani: „Im Moment warten wir auf eine richterliche Entscheidung, ob der Vatikan in einer Studie untersuchen soll – beziehungsweise muss -, ob die Leukämiefälle mit der Strahlenbelastung überhaupt zusammen hängen.“
Aus Sicht des Vatikans stecken hinter den Anschuldigungen massive politische und wirtschaftliche Interessen. Denn das fragliche Areal ist mit 400 Hektar sehr groß. Vor gut 50 Jahren, als der Vatikan das Sendezentrum baute, war das Gebiet rundherum unbewohnt. Doch in den vergangenen 30 Jahren wucherten die Siedlungen der Metropole Rom immer näher an die Sendemasten heran – übrigens ohne dass eine der italienischen Regierungen das unkontrollierte Wachstum verhindert hätte. „Man will uns aus Santa Maria di Galeria weghaben“, so Lombardi. Der Wert des Areals sei in 30 Jahren förmlich explodiert. Und ohne Sendemasten und Elektrosmog wäre Santa Maria di Galeria für Immobilien-Spekulanten das Geschäft ihres Lebens.
(rv 11.05.05 gs)







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