Papst Benedikt XVI. hat heute in einer Audienz seine deutschen Landsleute getroffen.
Wir dokumentieren hier den Text seiner Ansprache: Liebe deutsche Landsleute! Zunächst
einmal muß ich vielmals um Entschuldigung bitten für meine Verspätung. Die Deutschen
sind berühmt für ihre Pünktlichkeit. Es scheint, daß ich schon sehr italianisiert
bin. Aber wir hatten eine große ökumenische Begegnung mit den Vertretern der Ökumene
aus aller Welt, aus allen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften, mit den Vertretern
der anderen Religionen. Das war sehr herzlich, so daß es länger gedauert hat. Jetzt
aber endlich: Herzlich willkommen! Von Herzen danke ich für die Glückwünsche, für
die Worte und Zeichen der Zuwendung und der Freundschaft, die ich aus allen Teilen
Deutschlands in überwältigender Weise empfangen habe. Am Beginn meines Weges in einem
Amt, an das ich nie gedacht hatte und für das ich mich nicht geschaffen glaubte, ist
mir dies alles eine ganz große Stärkung und Hilfe. Vergelt’s Gott! Als langsam der
Gang der Abstimmungen mich erkennen ließ, daß sozusagen das Fallbeil auf mich herabfallen
würde, war mir ganz schwindelig zumute. Ich hatte geglaubt, mein Lebenswerk getan
zu haben und nun auf einen ruhigen Ausklang meiner Tage hoffen zu dürfen. Ich habe
mit tiefer Überzeugung zum Herrn gesagt: Tu mir dies nicht an! Du hast Jüngere und
Bessere, die mit ganz anderem Elan und mit ganz anderer Kraft an diese große Aufgabe
herantreten können. Da hat mich ein kleiner Brief sehr berührt, den mir ein Mitbruder
aus dem Kardinalskollegium geschrieben hat. Er erinnerte mich daran, daß ich die Predigt
beim Gottesdienst für Johannes Paul II. vom Evangelium her unter das Wort gestellt
hatte, das der Herr am See von Genezareth zu Petrus gesagt hat: Folge mir nach! Ich
hatte dargestellt, wie Karol Wojtyła immer wieder vom Herrn diesen Anruf erhielt und
immer neu viel aufgeben und einfach sagen mußte: Ja, ich folge dir, auch wenn du mich
führst, wohin ich nicht wollte. Der Mitbruder schrieb mir: Wenn der Herr nun zu Dir
sagen sollte „Folge mir“, dann erinnere Dich, was Du gepredigt hast. Verweigere Dich
nicht! Sei gehorsam, wie Du es vom großen heimgegangenen Papst gesagt hast. Das fiel
mir ins Herz. Bequem sind die Wege des Herrn nicht, aber wir sind ja auch nicht für
die Bequemlichkeit, sondern für das Große, für das Gute geschaffen. So blieb mir
am Ende nichts als Ja zu sagen. Ich vertraue auf den Herrn, und ich vertraue auf Euch,
liebe Freunde. Ein Christ ist nie allein, habe ich gestern in der Predigt gesagt.
Damit habe ich die wunderbare Erfahrung ausgedrückt, die wir alle in diesen außergewöhnlichen
vier Wochen machen durften, die hinter uns liegen. Beim Tod des Papstes ist in aller
Trauer die lebendige Kirche erschienen. Und es ist sichtbar geworden, daß die Kirche
eine Kraft der Einheit, ein Zeichen für die Menschheit ist. Wenn die großen Nachrichten-Stationen
24 Stunden auf 24 Stunden über den Heimgang des Papstes, über die Trauer der Menschen,
über das Wirken des großen Heimgegangenen berichteten, antworteten sie auf eine Teilnahme,
die jede Erwartung überstieg. Im Papst war ihnen ein Vater sichtbar geworden, der
Vertrauen und Zuversicht schenkte. Der alle irgendwie untereinander verband. Es wurde
sichtbar, daß die Kirche nicht in sich verschlossen und nur für sich selber da ist,
sondern daß sie ein Lichtpunkt für die Menschen ist. Es wurde sichtbar: Die Kirche
ist gar nicht alt und unbeweglich. Nein, sie ist jung. Und wenn wir auf diese Jugend
schauen, die sich um den verstorbenen Papst und letztlich um Christus scharte, für
den er eingestanden war, dann wurde etwas nicht minder Tröstliches sichtbar: Es ist
gar nicht wahr, daß die Jugend vor allem an Konsum und an Genuß denkt. Es ist nicht
wahr, daß sie materialistisch und egoistisch ist. Das Gegenteil ist wahr: Die Jugend
will das Große. Sie will, daß dem Unrecht Einhalt geboten ist. Sie will, daß die Ungleichheit
überwunden und allen ihr Anteil an den Gütern der Welt wird. Sie will, daß die Unterdrückten
ihre Freiheit erhalten. Sie will das Große. Sie will das Gute. Und deswegen ist die
Jugend – seid Ihr – auch wieder ganz offen für Christus. Christus hat uns nicht das
bequeme Leben versprochen. Wer Bequemlichkeit will, der ist bei ihm allerdings an
der falschen Adresse. Aber er zeigt uns den Weg zum Großen, zum Guten, zum richtigen
Menschenleben. Wenn er vom Kreuz spricht, das wir auf uns nehmen sollen, ist es nicht
Lust an der Quälerei oder kleinlicher Moralismus. Es ist der Impuls der Liebe, die
aufbricht aus sich selbst heraus, die nicht umschaut nach sich selber, sondern den
Menschen öffnet für den Dienst an der Wahrheit, an der Gerechtigkeit, am Guten. Christus
zeigt uns Gott und damit die wahre Größe des Menschen. Mit dankbarer Freude sehe
ich die Delegationen und Pilger aus meiner bayerischen Heimat. Schon bei anderen Gelegenheiten
durfte ich Euch sagen, wie viel mir eure treue Verbundenheit bedeutet, die seit jenen
Tagen anhält, in denen ich meine geliebte Erzdiözese München und Freising in Richtung
Vatikan verlassen habe, um dem Ruf meines verehrten Vorgängers Papst Johannes Pauls
II. Folge zu leisten, der mich vor mehr als 23 Jahren zum Präfekten der Kongregation
für die Glaubenslehre bestellt hatte. In all den Jahren, die seither vergangen sind,
war mir stets bewußt, daß Bayern und Rom nicht nur in geographischer Hinsicht nicht
weit auseinander liegen: Bayern und Rom, das waren von je her zwei Pole, die in fruchtbarer
Beziehung zu einander standen. Von Rom kam das Evangelium mit Kaufleuten, Beamten
und Soldaten bis an die Donau und an den Lech. Ich überspringe jetzt viele Dinge.
Im 16. und im 17. Jahrhundert gab dann Bayern eines der schönsten Zeugnisse der Treue
zur katholischen Kirche. Dies belegt der sehr fruchtbare Austausch von Kultur und
Frömmigkeit zwischen dem barocken Bayern und dem Sitz des Nachfolgers Petri. In der
Neuzeit war es Bayern, das der Gesamtkirche einen so liebenswerten Heiligen wie den
Kapuzinerpförtner Bruder Konrad von Parzam geschenkt hat. Liebe Freunde, lassen
wir uns nicht abbringen von diesem Großmut, von dieser Wanderschaft zu Christus. Ich
freue mich auf Köln, wo sich die Jugend der Welt treffen wird oder besser: wo die
Jugend der Welt ihre Begegnung mit Christus hält. Gehen wir miteinander, halten wir
zusammen. Ich vertraue auf Eure Hilfe. Ich bitte Euch um Nachsicht, wenn ich Fehler
mache wie jeder Mensch oder wenn manches unverständlich bleibt, was der Papst von
seinem Gewissen und vom Gewissen der Kirche her sagen und tun muß. Ich bitte Euch
um Euer Vertrauen. Halten wir zusammen, dann finden wir den rechten Weg. Und bitten
wir Maria, die Mutter des Herrn, daß sie uns ihre frauliche und mütterliche Güte spüren
läßt, in der uns erst die ganze Tiefe des Geheimnisses Christi aufgehen kann. Der
Herr segne Euch alle!(rv 25. 4. 05 lw)