Der Mainzer Bischof, Kardinal Karl Lehmann, warnt davor, "das Bild" des neuen Papstes
zu "verzerren". In einem Brief an sein Bistum betont der Vorsitzende der deutschen
Bischofskonferenz: "Wer ihn, seine Äußerungen und Veröffentlichungen seit über 50
Jahren kennt, weiß, wie viel die Theologie des 20 Jahrhunderts, das II. Vatikanische
Konzil und auch der Weg der Ökumene ihm verdanken." Lehmann würdigt auch das "Glaubenszeugnis"
des neuen Papstes. Wörtlich schreibt er: "Es wäre ungerecht und undankbar, sein ganzes
Wirken mit einigen schwierigen Konfliktsituationen gleichzusetzen, wo es um die Auseinandersetzung
von Christentum und Kirche mit der Moderne geht und in der Kardinal Ratzinger auch
von seinem Amt her ein unerschrockener Anwalt war und ist."
Hier ist der Brief von Kardinal Lehmann in vollem Wortlaut:
Liebe Mitbrüder im bischöflichen und priesterlichen Amt,
liebe Brüder und Schwestern,
so groß in der ganzen Welt Trauer und Schmerz über das Sterben und den Tod von Papst
Johannes Paul II. war – die neun Tage der Trauer haben es nochmals gezeigt - , so
begeistert war die Aufnahme seines Nachfolgers Benedikt XVI. In 24 Stunden, in denen
vier Wahlgänge stattfanden, haben die 115 Kardinäle zügig und entschieden den deutschen
Kurienkardinal Joseph Ratzinger zum neuen Papst gewählt. Ich habe ihm unmittelbar
nach der Wahl die Glück- und Segenswünsche unserer Bischofskonferenz und vor allem
der katholischen Mitchristen übermittelt. Er hat mehrfach um unsere Unterstützung
aus seiner Heimat gebeten.
Am Fest eines heiligen deutschen Papstes aus dem 11. Jahrhundert, nämlich Leo IX.
aus Egisheim im Elsaß, wurde am 19. April nach über 480 Jahren ein deutscher Kardinal
zum Oberhaupt der katholischen Kirche gewählt. Dies war und bleibt eine Überraschung,
die wir wie viele Menschen auf der Welt dankbar entgegengenommen haben. Die zur Wahl
versammelten Kardinäle aus allen Kontinenten haben nach gründlicher Prüfung und intensivem
Gebet vor Gott und der Kirche die Überzeugung gewonnen, dass Joseph Kardinal Ratzinger
am meisten geeignet ist, den Petrusdienst „Du aber stärke deine Brüder (und Schwestern)“
kraftvoll und überzeugend weiterzuführen. Er war ein enger Mitarbeiter des verstorbenen
Papstes, der ihn hoch schätzte; er galt vielen als eine Gewähr für die Festigkeit
und Zuverlässigkeit des Glaubens in schwieriger Zeit; er war in der ganzen Welt bekannt
als einer der führenden Theologen unserer Zeit, vor allem auch durch seine Veröffentlichungen;
auf Grund seiner Bildung, seiner Humanität und seines Weitblicks hatte er sich in
der Welt des Geistes großen Respekt und hohe Anerkennung verschafft. Aus fast 24jähriger
verantwortlicher Tätigkeit in Rom kannte er nicht nur viele Länder der Erde, sondern
auch die Leitung und Führung der Weltkirche. Nicht zuletzt darum haben die Kardinäle
dem Dekan ihres Kollegiums die Übernahme dieses so wichtigen Dienstes zugetraut und
zugemutet.
Der neue Papst hat sich den Namen Benedikt gegeben. Er knüpft damit zunächst an den
Friedenspapst Benedikt XV. an, der sich während des Ersten Weltkrieges unermüdlich
um Frieden und Versöhnung bemühte. Ganz bewusst knüpft er aber auch an den Mönchsvater
Benedikt von Nursia an, der zu den wichtigsten Schöpfern der abendländischen Kultur
zählt und Patron des heutigen Europa ist. Dieser Name gibt noch viel zu denken.
In den letzten Jahren und Jahrzehnten ist das Bild Kardinal Ratzingers bei uns oft
verzerrt worden. Wer ihn, seine Äußerungen und Veröffentlichungen seit über 50 Jahren
kennt, weiß, wie viel die Theologie des 20 Jahrhunderts, das II. Vatikanische Konzil
und auch der Weg der Ökumene ihm verdanken. Auch das Leben der Christen hat immer
wieder durch sein Glaubenszeugnis Stärkung und Ermutigung erfahren. Es wäre ungerecht
und undankbar, sein ganzes Wirken mit einigen schwierigen Konfliktsituationen gleichzusetzen,
wo es um die Auseinandersetzung von Christentum und Kirche mit der Moderne geht und
in der Kardinal Ratzinger auch von seinem Amt her ein unerschrockener Anwalt war und
ist.
Er hat inzwischen mutig und ermutigend, frisch und sympathisch seinen Dienst angetreten.
Ich bitte alle Schwestern und Brüder im Bistum Mainz, mit dem der neue Papst immer
eng verbunden war, um Vertrauen in Papst Benedikt XVI. und um das inständige Gebet,
dass Gott ihm die Gaben des Geistes überreich für seinen Auftrag schenke.