Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann, hat den neuen
Papst als "begnadeten Theologen" und "Garanten der Festigkeit des Glaubens" gewürdigt.
In einer Erklärung vor der Presse wies Lehmann gestern darauf hin, dass 60 Jahre nach
dem Ende des Zweiten Weltkriegs ein deutscher Kardinal den Stuhl Petri besteige. Hier
ist die Erklärung von Kardinal Lehmann in vollem Wortlaut:
"Die deutschen Bischöfe und mit ihnen vor allem die katholischen Christen gratulieren
dem Heiligen Vater, Papst Benedikt XVI., zur Wahl als Bischof von Rom und 265. Nachfolger
des heiligen Petrus, Oberhaupt der katholischen Kirche und Patriarch des Abendlandes.
Wir wünschen ihm die Fülle der Gaben des Heiligen Geistes zur Leitung der Kirche inmitten
der heutigen Welt.
Die 115 Mitglieder des Konklave, aus allen Kontinenten kommend, haben in ihrem Dekan
des Kardinalskollegiums, Joseph Cardinal Ratzinger, einen Mann der Kirche gewählt,
der für sie ein lebendiges Symbol des kontinuierlichen Zeugnisses der Kirche ist,
gestützt auf die Heilige Schrift und die kirchliche Überlieferung aller Jahrhunderte,
ein unerschrockener Garant der Festigkeit des Glaubens in allen Wandlungen, ein seit
Jahrzehnten weltweit bekannter, begnadeter Theologe und einer der engsten Mitarbeiter
von Papst Johannes Paul II., der ihm wenige Tage vor seinem Tod bei dem offensichtlich
letzten Gespräch zwischen beiden für seinen wertvollen Beitrag dankte. Er hat in den
fast 24 Jahren seit der Übernahme seiner großen, schwierigen Aufgabe als Präfekt der
Kongregation für die Glaubenslehre nicht nur die Fragen und Probleme überall auf der
Welt, sondern unmittelbar auch die Situation vor Ort kennen gelernt. Seine zahlreichen
Bücher sind in alle Kultursprachen übersetzt.
Kardinal Ratzinger hat gewiss in der Weltkirche mit und unter dem Papst eine der sensibelsten
Aufgaben erfüllt, nämlich mitten in allen geistigen, gesellschaftlichen und theologischen
Wandlungen die Substanz des katholischen Glaubens unversehrt zu erhalten und dies
in vielen Auseinandersetzungen auch zu bewähren. Es ist fast selbstverständlich, dass
ihm bei dem gegenwärtigen Pluralismus der Meinungen – auch in der eigenen Kirche –
nicht alle folgen konnten und wollten. Aber er hat überall - auch im Widerspruch -
Respekt vor seiner theologischen Leistung und die Annerkennung seines nonkonformistischen
Mutes im Dialog und in der Auseinandersetzung mit den zeitgenössischen Kräften erhalten.
Dies gilt gerade auch für die Begegnung mit der Welt des Geistes und der Politik.
Ich denke dabei stellvertretend an das Gespräch mit Jürgen Habermas, an die Aufnahme
in die berühmte Academie francaise und an den kürzlichen Disput im Senat Italiens
über den Wert des Lebens und die damit zusammenhängenden bioethischen Probleme.
Der neue Papst ist einer der ganz wenigen namhaften Konzilstheologen, die noch unter
uns leben. Er hat für die Erneuerung der Kirche beim Zweiten Vatikanischen Konzil
eine große Rolle gespielt, als Berater von Joseph Kardinal Frings, aber auch in der
Theologischen Kommission und einigen Gremien des Konzils. Auch seine vielfältigen
Veröffentlichen belegen dies. Es ist wohl mehr als ein zufälliges Gerücht, dass Papst
Paul VI. den Regensburger Professor Joseph Ratzinger im Frühjahr 1977 nicht zuletzt
auch deshalb zum Erzbischof von München und Freising ernannt und ein Vierteljahr später
in das Kardinalskollegium berufen habe, weil er in ihm einen besonders verlässlichen
Gewährsmann für die treue Verwirklichung und Fortführung der Intentionen des Zweiten
Vatikanischen Konzils sah. Er kennt und deutet freilich das Konzil vor dem Hintergrund
einer umfassenden theologischen und spirituellen Tradition der Kirche sehr genau und
war von Anfang an in der nachkonziliaren Zeit um die Unterscheidung der Geister bemüht.
Darum besteht auch kein prinzipieller Zweifel an seiner Einstellung zu den ökumenischen
Bemühungen und Gesprächen mit den reformatorischen Kirchen und den Kirchen des Ostens.
Viele Veröffentlichungen über fünf Jahrzehnte legen davon Zeugnis ab.
Der neue Papst hat sofort nach der Wahl und ihrer Annahme den Name Benedikt XVI. angenommen.
Dies ist eine echte Überraschung. Er knüpft dabei an Papst Benedikt XV. an (geb. 1854
in Genua). Er regierte vom 03.09.1914 bis zu seinem Tod 22.01.1922. Benedikt XV. litt
unter dem 1. Weltkrieg und reagierte mit strikter politischer Neutralität, beharrlichen
Bemühungen um Begrenzung, Verkürzung und Milderung des Konflikts sowie mit umfangreichen
Hilfsaktionen. Auch wenn er seine konkreten Friedensziele nicht verwirklichen konnte,
so hat er doch in hohem Maß als Papst der Verständigung und Versöhnung gewirkt. Er
hat so das Ansehen des Heiligen Stuhles in schwieriger Zeit erheblich gefördert. Er
vertiefte die katholische Soziallehre und erreichte eine Klimaverbesserung gegenüber
Italien. "Benedikt hat die Wiederannäherung von katholischer Kirche und moderner Welt
umsichtig gefördert." (R. Lill) Es ist kein Zweifel, dass der neue Papst diese Anknüpfung
sehr bewusst gewählt hat. Sie wird noch manchen Aufschluss bieten. "Manche sehen in
Benedikt XV. den bedeutendsten Papst des zwanzigsten Jahrhundert, der das Unglück
hatte, seine großen Fähigkeiten und Absichten in der Ungunst seiner Zeit nicht genügend
verwirklichen zu können." (G. Schwaiger)
In der deutschsprachigen katholischen Kirche wird heute, am Tag der Wahl von Benedikt
XVI., das Fest des heiligen Papstes Leo IX. gefeiert, ursprünglich Bruno Graf von
Egisheim (Elsaß), der von 1002-1054 lebte und von 1049-1054 regierte. Er gilt weithin
als ein außerordentlich segensreicher, ja – wie manche meinen – als der erfolgreichste
Papst deutscher Herkunft. "Der bedeutendste der fünf deutschen Päpste der Jahre 1046-1058
machte das Papsttum zum Zentrum der Kirchenreform." (J. Dahlhaus) Er knüpfte dabei
an die Reformbewegung von Cluny an. Er gilt auch als ein Reformer des Kardinalskollegiums
in Richtung eines Kollegs der Gesamtkirche. Er starb am 19. April 1054, wenige Wochen
vor der erfolgten Kirchenspaltung zwischen Rom und Konstantinopel. Er ist in St. Peter
begraben und wurde sogleich als Heiliger verehrt. Es lohnt sich, an dieses denkwürdige
Zusammentreffens seines heutigen Todestages mit der Wahl von Benedikt XVI. zu erinnern.
Ich habe nach der Wahl dem neuen Papst Benedikt XVI. von Herzen gratuliert, unser
Gebet um Gottes Segen für ihn und alle Hilfe aus seiner deutschen Heimat versprochen.
Zugleich habe ich, ebenso wie Herr Kardinal Meisner, der Hoffnung Ausdruck gegeben,
dass er im August zum XX. Weltjugendtag nach Köln kommen wird.
Es trifft sich auch gut, dass fast 60 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges
– wir denken besonders am Tag der deutschen Kapitulation (08. Mai) daran – ein deutscher
Kardinal nach so langer Zeit in dieses höchste Amt der Kirche gewählt werden konnte.
Viele haben nicht daran geglaubt, dass so etwas nach den immer noch spürbaren, grausamen
Ereignissen, die im zwanzigsten Jahrhundert von Deutschland ihren Ausgang nahmen,
möglich sei. Es ist darum auch ein wichtiges Zeichen der endgültigen Rückkehr Deutschlands
in die weltweite Völkergemeinschaft, die auch in der katholischen Kirche ihre Spiegelung
erhält. Darum wollen wir den wählenden Kardinälen auch für dieses wichtige Zeichen
einen herzlichen Dank sagen. Dies kann unser Land in vieler Hinsicht ermutigen.
Vatikan, 19.04.2005
Karl Kardinal Lehmann