Papst Johannes Paul II. wird aller Voraussicht nach als einer der einflußreichsten
Päpste des 20.Jahrhunderts in die Geschichte eingehen. Mehrfach hatte er angedeutet,
dass er sich berufen fühle, die katholische Kirche ins 21.Jahrhundert zu führen. Mit
einem sehr persönlichen Stil hat er Akzente gesetzt, die sich viele Katholiken vorher
kaum hätten vorstellen können: die Pastoralreisen in alle Welt und die unzähligen
Pfarreibesuche in seiner Diözese Rom, der ungezwungene Umgang mit den Medien und seine
Suche nach der Nähe zu den Gläubigen, die Einladungen an seinen Mittagstisch und die
Gespräche mit Hunderten von Politikern sowie Dutzenden von Regierungschefs und Staatspräsidenten,
seine verhaltenen und doch unüberhörbaren Stellungnahmen zu politischen und gesellschaftlichen
Fragen und sein Einfluß auf den Sturz der kommunistischen Systeme, sowie schließlich
sein Festhalten an moralischen Grundsätzen, die während seiner Amtszeit von vielen
Menschen in aller Welt in Frage gestellt wurden. Auf dem Weg zum Petrusamt Karol
Woityla wurde als zweites Kind des Leutnants im Dienste Österreichs Karol Woityla
und seiner Ehefrau Emilia am 18. Mai 1920 in Wadowice - unweit von Krakau - geboren.
15 Jahre vor dem kleinen "Lolek", so der Spitzname des künftigen Papstes, war den
Eltern als erstes Kind Edmund geboren worden. Schon im Jahr 1929, als Lolek neun Jahre
alt war, starb seine Mutter und nur drei Jahre später verschied auch der ältere Bruder.
Und schon sieben Jahre später wird Karol Vollwaise, da auch sein Vater stribt. Die
frommen Eltern hatten Karol bald taufen lassen, lehrten ihn das Beten, nahmen ihn
regelmäßig zum Gottesdienst. Nach der Volksschule durfte der begabte Junge aufs Gymnasium
in Wadowice. Schon in der Schule kam er mit vielen Juden in Kontakt, da in seiner
näheren Heimat etwa ein Drittel aller Polen jüdischen Glaubens waren. Mit 18 Jahren
machte er Abitur und begann ein Studium der polnischen Literatur in Krakau. Dies mußte
er jedoch nach kurzer Zeit unterbrechen, da das deutsche Heer in Polen einmarschiert
war. Um nicht verschleppt zu werden, nahm er Arbeit in einer chemischen Fabrik auf,
versuchte jedoch nebenbei weiterzustudieren. Zudem pflegte er, mit anderen jungen
Leuten Theater zu spielen. Nach dem Ende der deutschen Besatzung begann er im Hause
des Erzbischofs von Krakau Theologie zu studieren. Dieser erkannte seine Begabung
und schickte ihn zur Fortsetzung des Studiums nach Rom, wo er im Jahr 1946 zum Priester
geweiht wurde. Nach der Promotion kehrte Woityla nach Polen zurück und begann die
Lehrtätigkeit als Professor für Moraltheologie an der katholischen Universität in
Lublin. Von dort wurde er zum Weihbischof in Krakau berufen, wurde 1958 zum Bischof
geweiht und nahm als solcher an allen vier Konzils-Sessionen in Rom teil. Hier wurde
er bereits vielen Bischöfen und Kardinälen im Vatikan bekannt, vor allem auch Papst
Paul VI., der große Stücke auf ihn hielt. 1964 wurde Woityla dann Erzbichof von Krakau
und 1967 zum Kardinal kreiert.
Die Wahl von Kardinal Woityla Als das
Kardinalskollegium nach kurzem Konklave dann den Erzbischof von Krakau, Kardinal Karol
Woityla auf den Stuhl Petri gewählt hatte, war der Ausersehene den allermeisten Katholiken
in der Welt ein Unbekannter. Als der berufene Kardinal den polnischen Namen etwas
mühsam über die Lippen brachte, blieb es auf dem Petersplatz eine Weile still, da
sich nur die wenigsten etwas unter dem Fremden vorstellen konnte. Vor allem für die
italienischen Katholiken muß es befremdlich gewesen sein, dass ihnen ein Name präsentiert
wurde, der nicht mal den Eingeweihten etwas bedeutete. Im Vatikan war es freilich
anders. Kardinal Woityla aus Krakau war nicht nur Papst Paul VI. wohlbekannt, sondern
auch vielen Würdenträgern, die zu näheren Beratern von Papst Montini gehörten und
auch den Teilnehmern des 2.Vatikanischen Konzils. Denn der Erzbischof von Krakau hatte
als einer jüngsten Oberhirten an allen vier Konzilssitzungen teilgenommen und dabei
keineswegs nur geschwiegen. Im Gegenteil: Wer aufmerksam hinschaute, konnte den aktiven
und sportlich wirkenden Bischof aus Polen und seinen Einfluß durchaus wahrnehmen.
Woityla war im Vatikan kein unbeschriebenes Blatt. Dennoch war es ein kirchengeschichtlicher
Durchbruch, als die Purpurträger nach 450 Jahren erstmals keinen Italiener auf den
Stuhl Petri wählten, sondern den Mann, der „aus dem Osten“ kam. Die Wahl war in mehrfacher
Hinsicht in Durchbruch oder ein Periodenwechsel: Der polnische Oberhirte wagte im
Vatikan viele Dinge, die sich vor allem römische Prälaten vorher kaum hätten vorstellen
können: das Bad in der Menge, die privaten Ausflüge in die Berge, selbst Skilaufen
und Schwimmen, die Ferien in den Alpen, die Interviews mit Journalisten während seiner
Überseereisen. Freilich würde Papst Johannes Paul II. mit Nachdruck darauf hinweisen,
dass er in allen wesentlichen Fragen des Glaubens und der Lehre, der Kirchendisziplin
und der Pastoral keinen Finger breit von der überkommenen Lehre der katholischen Kirche
abgewichen ist. Er fühlte sich nicht als Veränderer, sondern als Weiterführer. Weitreichende
Ernennungen Bald setzte er Akzente in seiner Personalpolitik: Den Mann der vatikanischen
Ostpolitik, Kardinal Agostino Casaroli holte er an seine Seite, um den zweitwichtigsten
Posten im Vatikan zu übernehmen. Viele Kritiker der Ostpolitik Papst Paul VI. hätten
Casaroli lieber entmachtet. Einen der weltberühmtesten Theologen, den Münchner Erzbischof
Kardinal Joseph Ratzinger holte er an die Spitze der Glaubenskongregation. Die nächsten
24 Jahre war bemerkbar, dass im Vatikan Kardinal Ratzinger niemand theologisch das
Wasser reichen konnte. Drei Besetzungen von herausragenden Bischofsstühlen in Europa
ließen aufhorchen: Die Berufung des weltbekannten Bibelwissenschaflters und Jesuiten
Carlo Maria Martini zur Leitung der größten italienischen Diözese Mailand. Die Bestellung
des jüdischen Konvertiten Jean-Marie Lustiger auf den Bischofsstuhl von Paris und
die Besetzung des einflußreichen Stuhles von Köln durch Kardinal Joachim Meisner,
die freilich äußersten Widerspruch erregte, weil das Domkapitel von Köln in seiner
Mehrheit sich lange Zeit dagegen sperrte. In diesen und anderen Berufungen zeigte
sich die persönliche geistliche Vorliebe des neuen Kirchenoberhauptes. Auch wenn der
Papst sich keineswegs um die Berufung aller Bischöfe persönlich kümmern konnte, so
spürte man doch dann und wann seine Handschrift bei einigen herausragenden Berufungen.
Apostolische Schreiben und Enzykliken Das gleiche gilt für die Lehrschreiben
und Enzykliken, die er veröffentlichte. Eine Programmschrift war die erste Enzyklika
„Redemptor hominis“ über den Erlöser der Menschen, Jesus Christus. Ihr folgten die
beiden Schreiben über Gott-Vater und den Heiligen Geist. Weitere Akzente setzte er
mit den Lehrschreiben über die katholischen Kirchen des Ostens, über die Soziallehre
der Kirche, über die katholische Moral, über Buße und Beichte, über die Einheit der
Christen, über das Glauben und Vernunft. Manche Theologen meinten, der Papst vertraue
zu sehr auf den Einfluß des geschriebenen Wortes. Denn neben den Enzykliken und apostolischen
Schreiben erschienen Briefe an die Familien, die Jugend, die Kinder, die Priester,
die Ordensleute – und regelmäßig zum jedem Jahresbeginn eine Botschaft zum Weltfriedenstag. Die
Reisetätigkeit als missionarischer Dienst Aber der Papst setzte noch viel eher
auf die Nähe zu den Menschen. Daher sein Reisen. Ausdrücklich sagte er einmal, er
fühle sich nicht nur als Nachfolger des Apostels Petrus, sondern auch der des Missionars
Paulus. Als Petrus wolle er seine Brüder im Glauben stärken, als Paulus den Glauben
weltweit verkünden. Seine erste Reise führte ihn nach Lateinamerika: in Mexiko wollte
er an der Sitzung des lateinamerikanischen Bischofsrates teilnehmen, dahinter mag
auch die Befürchtung gestanden haben, dass die dort die Befreiungstheologie auf falsche
Spuren führen könnte. Die zweite Reise ging in die Türkei, vorzüglich zum Ehrenoberhaupt
aller orthodoxen Kirchen, dem ökumenischen Patriarchen. Die dritte Reise ging in seine
polnische Heimat: eine Provokation für die kommunistische Regierung, die sich mit
der Herausforderung auseinandersetzen mußte. Bis zu seinem Tod waren es insgesamt
103 Reisen. Die besondere Begabung von Papst Woityla bestand darin, durch Wort
und persönliches Auftreten Kirche und Glauben präsent zu machen und gesellschaftlich
ins Gespräch zu bringen. Er wußte, dass er durch die Medien und vor allem durch das
Fernsehen nahezu alle Menschen erreichen konnte, und er nutzte die Chance. Dabei kamen
ihm seine Sprachenkenntnis, sein Humor, seine gute Gesundheit zu Hilfe. Das Attentat
gegen den Papst Einen Schlag bedeutete natürlich das Attentat am 13. Mai 1981 auf
dem Petersplatz, wobei der Türke Ali Agca aus nächster Nähe auf ihn schoß, und der
Papst nur durch allerschnellsten Einsatz vor dem Verbluten gerettet werden konnte.
Doch auch diesen Zwischenfall nutzte das Kirchenoberhaupt, um christliche Werte und
Gedanken weltweit zu vermitteln. Schon vom Krankenbett aus sandte er übers Fernsehen
die Botschaft in alle Welt, er habe dem Attentäter verziehen und bete für ihn. Er
wolle sein Leiden annehmen und mit all jenen aufopfern, die ebenfalls litten. Später
besuchte er den Attentäter im Gefängnis, und das Bild des Papstes im Gespräch mit
Ali Agca ging um die Welt. Zum Sturz der kommunistischen Regime Es begann das
Ringen zwischen dem polnischen Papst und Moskau. Niemals rief der Papst zum gewaltsamen
Umsturz des Systems auf, aber unermüdlich machte er deutlich, dass jeder Staat die
Menschenrechte und vor allem die Religionsfreiheit zu schützen habe, dass Demokratie
die erstrebenswerte Staatsform sei. Konkret wurde die Konfrontation, als die polnischen
Arbeiter auf die Straße gingen, sich gewerkschaftliche organisierten und der Papst
offensichtlich auf ihrer Seite stand. Als die Regime des Warschauer Paktes aufgrund
des Drucks ihrer Bevölkerungen und der Einsicht von Präsident Gorbatschew in sich
zusammenbrachen, bestand kein Zweifel, dass neben der Überlegenheit des Westens an
Waffen und im Handel der Papst in Rom ohne Divisionen einen großen Beitrag dazu geleistet
hatte. Ökumene und Interreligiöser Dialog Der Papst setzte auch wesentliche
Akzente im Verhältnis der katholischen Kirche zu den anderen christlichen Kirchen
und zu den nicht-christlichen Religionen. Auch wenn diese nicht zu dem erwünschten
Ziel der vollen Kircheneinheit und zur Harmonie mit den anderen Religionen geführt
haben, so wird man doch weltweit und durch viele Jahrhunderte wenige theologische
Führer finden, die so viele mutige Schritte gewagt haben. Ich erinnere an die Besuche
in der römischen Synagoge, in der evangelischen Kirche Roms, in Moscheen, sowie an
unzählige Gespräche mit Religionsführern in Indien, Indonesien, Thailand und anderen
Ländern. Selig- und Heiligsprechungen Der Papst setzte auch Akzente durch seine
unzähligen Selig- und Heiligsprechungen. Trotz mancher Kritik sogar innerhalb der
katholischen Kirche fuhr er fort, herausragende Christen zur Ehre der Altäre zu erheben.
Er wollte dabei Vorbilder zeigen und wußte, dass die Menschen das brauchen. Bei Persönlichkeiten,
die ihm besondere Signale zu sein schienen, ging es ihm auch um Schnelligkeit. Zu
denken ist z.B. an die zeitgenössischen Martyrer: Edith Stein und Maximilian Kolbe.
Während seiner Amtszeit wurden mehr Männer und Frauen selig- oder heiliggesprochen
als zu allen Zeiten vorher. Das Heilige Jahr 2000 Ein Höhepunkt im 26-jährigen
Pontifikat von Johannes Paul II. war das Heilige Jahr 2000. Er hatte seit Amtsantritt
darauf hingewiesen,d ass er sich berufen fühle, die Kirche ins neue Jahrtausend zu
führen. Es ging ihm dabei um Rückblick auf 2000 Jahre seit Christi Geburt, auf ein
Jahrhundert mit Zehntausdenen von Martyrern, auf Fehler und Versagen von Christen,
die die Kirche belasten und ihr Zeugnis infrage stellen. Es ging ihm aber auch um
einen mutigen und hoffnungsvollen Blick nach vorne. Der Schritt von einem Jahrtausend
zum nächsten sollte von den Christen bewußt vollzogen werden. Dazu fanden unzählige
Jubiläumsveranstaltungen in Rom statt, die der Papst mit unglaublichem Durchstehvermögen
meisterte. Einen außerordentlichen Höhepunkt bildete seine lang ersehnte Reise ins
Heilige Land, die dort allergrößten Eindruck hinterließ. Profetischer Visionär Papst
Johannes Paul II. war ein profetischer Visionär auf dem Stuhl Petri. Er unterschied
sich wesentlich von einem seiner unmittelbaren Vorgänger Papst Paul VI. Dieser war
ein ausgesprochen wissenschaftlicher Analytiker, der angesichts von unterschiedlichsten
Meinungen und Verhältnissen sich sehr schwer tat, zu einer Entscheidung zu kommen.
Er war der Hamlet, dem man ansah wie er unter dem Druck litt, Entscheidungen fällen
und führen zu müssen. Ganz anders Johannes Paul II. Er wirkte sicher, entschieden,
vom Glauben getragen, er wußte Antworten, noch bevor Fachleute sich mit einzelnen
Fragen herumgeschlagen hatten. Das half seiner Ausstrahlung und Führungskraft. Gerade
für Nicht-Christen war das überzeugend und mitreißend. Viele von ihnen fanden: Bei
diesem Papst weiß man wenigstens wo man dran ist, er sagt schlicht und einfach, ohne
viel Unterscheidungen, wie Menschen leben sollen und er hängt sein Fähnchen nicht
nach dem Wind. Er wagt Widerspruch, bleibt bei seiner Meinung und reißt mit. Das
zeigte sich besonders eindeutig bei den Weltjugendtreffen, die er eingeführt hatte.
Jugendliche liebten offensichtlich das Kompromisslose, Eindeutige, Mutige. Was
hinterläßt Johannes Paul II.? Der Papst hinterläßt Ansprüche, vor allem an seinen
Nachfolger. Dazu gehört der Anspruch, es mit den Medien zu können, denn er hinterläßt
das Bild eines Medienpapstes, eines Kirchenmannes, dem die Medien - gerade auch als
er alt und gebrechlich war - große Aufmerksamkeit geschenkt haben. Er hinterläßt
den Anspruch, dass ein Papst eine gute Gesundheit haben muß, um seinem Amt gerecht
werden zu können. Er hinterläßt den Anspruch, dass ein Papst auch seelsorglich
sehr viel tun sollte. Man denke nur an die Besuche in römischen Pfarreien. Er
hinterläßt den Anspruch, das es gut ist, wenn ein Papst sich in mehreren Sprachen
leicht ausdrücken kann. Dass er die Fähigkeit haben sollte, auch mit Staatsoberhäuptern,
Regierungschefs, Politikern, Künstlern, Managern und Medienschaffenden leicht umgehen
zu können. Der Papst hinterläßt auch offene Fragen: Er hinterläßt die Frage,
wie die katholische Kirche mit ihrer weltweiten Ausbreitung sich in Zukunft organisieren
soll. Die Kommunikationsmittel machen es möglich, die Kirche in aller Welt sehr vom
Zentrum her zu führen. Theologen und Kirchenführer vor Ort suchen einen Ausgleich
zwischen Orts-Autonomie und Zentralität. Die Weltkirche darf nicht auseinanderfallen,
sie darf aber die legitime Unterschiedlichkeit nicht unterdrücken. Der Papst hinterläßt
die Frage, wie das Papstamt in Zukunft so ausgeübt werden kann, dass es auch für die
nicht-katholischen Kirchen des Ostens und des Westens annehmbar ist. Er hat die Frage
selbst aufgeworfen und um Antwort von den Theologen aller Kirchen gebeten. Der
Papst hinterläßt die Frage, wie es mit den Bischofssynoden weitergeht. Sie sollen
ein wirkungsvolles Instrument sein, damit die Ortsbischöfe dem Papst bei der Leitung
der Gesamtkirche beistehen. Viele Bischöfe meinen, die Synoden sollten effizienter
arbeiten und bräuchten mehr Kompetenz. Der Papst hinterläßt die Frage, wie das
Verhältnis unter den monotheistischen Religionen, den Juden, Christen und Muslimen,
weiterhin verbessert werden kann. Sein Wunsch ist die Zusammenarbeit, da die an einen
Gott Glaubenden der Welt unendlich viel zu geben haben. Der Papst hinterläßt schließlich
die Frage, wie Glaube in einer Welt der Naturwissenschaft, der Technik, der Kommunikation
und der Unterhaltung weiterleben kann. Doch diese Frage hinterläßt der Papst eigentlich
nicht, denn sie stellt sich jedem Christen in der ganzen Welt. (P. Eberhard v.
Gemmingen SJ)