Predigt von Bischof Renato Corti, Bischof von Novara, zum Ende der Exerzitien der
Römischen Kurie
Ich möchte vor allem meine lebhafteste Ehrfurcht vor dem Heiligen Vater zum Ausdruck
bringen. Ich danke ihm für die Gelegenheit, die mir angeboten wurde, während dieser
Woche eine besondere Nähe zu ihm zu leben und auch zu jenen, die im Leben der Weltkirche
große Verantwortung tragen für den Weg des Volkes Gottes und für die Verkündigung
des Evangeliums an die ganze Menschheit. Zusammen mit euch allen, die ihr ihn so liebt,
wünsche ich ihm, dass ihn die Gesundheit aufrichte, bei seiner Aufgabe, die große
und wunderbare Aufgabe voranzubringen, die ihm Gott anvertraut hat.
Für Euch und für alle eure Gemeinden bitte ich den Herrn, dass das „Jahr der Eucharistie“
die Gnaden bringe, die der Papst erwartete, als er es ausrief: Dass die Eucharistie
weiterhin in ihrem ganzen Glanz ausstrahle; dass man in diesen Monaten die Gelegenheit
zu schätzen wisse für ein erneuertes Bewusstsein des unvergleichlichen Schatzes, den
Christus seiner Kirche anvertraut hat; dass in allen unseren Pfarreien sich eine lebhafte
und gefühlsintensive Feier kultivierte, von der eine von der Liebe verwandelte christliche
Existenz ausgeht; dass wir alle in der Eucharistie die Wurzel und das Geheimnis des
geistlichen Lebens der Gläubigen erkennen, wie auch einer jeden Initiative der verschiedensten
Ortskirchen in der ganzen Welt.
Aus diesen Gründen ist es sehr richtig und schön, dass die Exerzitien, die der Meditation
des „neuen und ewigen Bundes“ gewidmet waren, heute mit der Eucharistiefeier schließen.
In diesem Sakrament feiern wir tatsächlich die Erfüllung der Geschichte des Bundes,
die sie in Jesus Christus gefunden hat. Er ist das Wort, das Fleisch geworden ist,
um eine unauslöschliche Beziehung zwischen Gott und der Menschheit zu stiften. Der
heilige Irenäus schreibt: „Das Wort Gottes wurde Menschensohn, damit der Mensch, mit
dem Wort verbunden und die Sohnschaft erhaltend, Sohn Gottes werde“.
Es ist genauso bedeutsam, dass genau heute, am ersten Samstag der Österlichen Bußzeit,
die Liturgie uns eine Stelle aus dem Buch Deuteronomium vorstellt. Dieses Buch der
Bibel ist besonders wertvoll, denn es zeigt in sehr intensiver Weise die Bedeutung
der Ereignisse des Exodus, des Sinai und der Annäherung des Volkes Gottes an das Verheißene
Land, indem es die religiöse Geschichte wieder aufnimmt.
Der erste Vers des Textes, den wir eben gehört haben, bringt überraschenderweise Gesetz
und Liebe zusammen. Er sagt: „Heute, an diesem Tag, verpflichtet dich der Herr, dein
Gott, diese Gesetze und Rechtsvorschriften zu halten. Du sollst auf sie achten und
sie halten mit ganzem Herzen und mit ganzer Seele“. Diese Annäherung zweier Realitäten,
die auf den ersten Blick sehr weit von einander entfernt zu sein scheinen, hilft uns
zu verstehen, dass der wahre Adressat der Gebote des Herrn das Herz des Menschen ist.
Zum Beweis genau dessen, nämlich dass das Herz und die Seele des Menschen der einzige
Adressat des Gesetzes des Herrn sind, dient hier der direkte Stil in dieser Bibelstelle:
Moses wendet sich an das Volk und verwendet das „Du“, und von Gott sagt er: „Der Herr,
dein Gott“.
Man muss anfügen, dass gut acht mal diese Beziehung im Buch Deuteronomium auftaucht.
Mir scheint, dass uns damit unter anderem drei Vorschläge gemacht werden.
Der erste macht uns aufmerksam auf das Verhalten, das im Gegensatz zum Lieben Gottes
mit ganzem Herzen und ganzer Seele steht. Das findet sich in einem Text in dem vorgeschlagen
wird, die Verführungen der Idolatrie zu besiegen. Die Gefahr war: Das jüdische Volk
konnte in einer seiner Städte von Menschen erreicht werden, die versuchten es zu verführen,
um es dazu zu bringen, anderen Göttern zu dienen. Dieser Hinweis gilt auch für uns:
Die Götzenbilder müssen aus unserem Leben ausgeschlossen werden. Es gab sie zur Zeit
des Mose und es gibt sie auch heute – zahlreich, und oft faszinierend.
Der zweite Hinweis geht den religiösen Menschen an, der eine rein formale Beziehung
mit Gott für ausreichend halten kann. Tatsächlich wird vom Volk gefordert: „Ihr sollt
die Vorhaut eures Herzens beschneiden und nicht länger halsstarrig sein“ (Dtn 10,
16). Eine starke Einladung, die später ein zweites Mal in analogen Begriffen wiederkommt.
Auch von uns wird gefordert, die Qualität unserer Religiosität zu überprüfen und dem
Herrn beredte Beispiele der Wahrhaftigkeit zu geben.
Der dritte Hinweis ist von Grund auf positiv. Er wird mit diesen wunderschönen Worten
ausgesprochen: Höre, Israel! Jahwe, unser Gott, Jahwe ist einzig. Darum sollst du
den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer
Kraft. Diese Worte, auf die ich dich heute verpflichte, sollen auf deinem Herzen geschrieben
stehen. Du sollst sie deinen Söhnen wiederholen. Du sollst von ihnen reden, wenn du
zu Hause sitzt und wenn du auf der Straße gehst, wenn du dich schlafen legst und wenn
du aufstehst. Du sollst sie als Zeichen um das Handgelenk binden. Sie sollen zum Schmuck
auf deiner Stirn werden. Du sollst sie auf die Türpfosten deines Hauses und in deine
Stadttore schreiben.“ (Dtn 6-9) Zu all diesem sind auch wir berufen: Wo auch immer
wir uns befinden, was für einer Aufgabe wir uns auch immer widmen, ob wir nun zu Hause
sind oder auf der Straße, ob wir allein sind oder zusammen mit anderen, immer soll
der Herr mit ganzem Herzen und ganzer Seele geliebt werden.
In die gleiche Richtung drängen uns die großen Propheten wie Amos und Hosea, und vor
allem Jeremia: Er ist der Prophet der Liebe Jahwes zu seinem Volk, der Prophet der
inneren Religion und der Beschneidung des Herzens und nicht nur jener des Fleisches.
Noch mehr werden wir aber von Jesus gedrängt. Wie wir im Johannesevangelium lesen,
sagte er während des Letzten Abendmahls: „Wenn ihr mich liebt, beachtet meine Gebote.
Wenn ihr meine Gebote haltet, werdet ihr in meiner Liebe bleiben, so wie ich die Gebote
meines Vaters gehalten habe und in seiner Liebe bleibe.“
Während wir die heilige Messe feiern im „Jahr der Eucharistie“ bitten wir um die Gnade,
dass das Gesetz des Alten Bundes und noch mehr jene des Neuen Bundes für uns zur „Freude
des Herzens“ werden, weil wir wissen, dass der Mensch selig ist, der auf den Wegen
des Herrn geht.