Bei der Gedenkmesse für die Opfer des Seebebenunglücks hat Kardinalstaatssekretär
Angelo Sodano Papst Johannes Paul vertreten. Vor Hunderten von Gläubigen, Priestern
und Ordensleuten hielt der Kardinal am Montag abend seine Predigt, bei der er sich
mit der Frage nach Leid und Schmerz auseinandersetzte. Wir dokumentieren sie hier
im Wortlaut.
Das Licht des Glaubens über dem Geheimnis des Schmerzes
Ein
Monat ist seit jenem Morgen des 26. Dezember vergangen, als uns – wie ein Blitz aus
heiterem Himmel – die schlimme Nachricht des tragischen Bildes erreichte, das sich
auf verschiedene Länder Südostasiens gelegt hatte und mehr als 200 000 Menschen in
den Tod riss.
Die verschiedenen Fernsehsender haben in die Wohnzimmer der ganzen
Welt die Bilder der bedrohlichen Wellen gebracht, die durch das Seebeben in den Tiefen
des Indischen Ozeans hervorgerufen worden war. Zur selben Zeit haben wir die hoffnungslose
Zerstörung gesehen, die die Wellen an den Küsten jener Staaten angerichtet haben,
von Indonesien bis Sri Lanka, von Indien auf die Malediven, von Bangladesh bis Myanmar,
von Thailand bis Malaisia – spürbar war es bis an die Küsten Afrikas.
Der japanische
Begriff „Tsunami“ wird mit einem Mal universal.
Wieder einmal hat sich der Mensch
als eine sehr kleine Sache gefühlt angesichts der Komplexität des Planeten, auf dem
wir leben.
Spontan ist in uns der innere Auftrieb aufgekommen, zum Himmel zu blicken
und dort eine Antwort auf all die Fragen zu bekommen, die aus diesem tragischen Verlust
entstehen.
Manch einer hat sich auch gefragt, wieso der Mensch, der zum Mond fliegen
konnte, der eine Sonde auf den Jupitermond schicken konnte – über eine Milliarde Kilometer
von der Erde entfernt, warum der Mensch so machtlos ist gegenüber solchen Katastrophen.
Viele
haben sich schließlich gefragt, ob die christliche Religion eine klärende Antwort
habe angesichts dieses Enigmas des Schmerzes. Und die Antwort des Gläubigen ist sofort
gegeben: Ja! Gott liebt die Menschen immer und ist ihnen mit der Liebe eines Vaters
nahe.
1. Das Licht des Glaubens
Meine Schwestern und Brüder, das Wort Gottes,
das in dieser Messfeier verkündet wurde, schallt in der Welt mit einer Stimme wider,
die lauter ist als die des „Tsunami“: Gott ist uns immer nahe! Er wurde Mensch, um
unsere Existenz zu teilen – in glücklichen wie traurigen Momenten des Lebens.
Besonders
eindrücklich ist hier die Antwort, die ein bekannter Schriftsteller Christus in den
Mund legte, an den sich ein armer Wanderer gewandt hatte, nachdem er in den Schlamm
gefallen war. „Wo bist du, mein Gott?“, rief der Pilger, als er im Schlamm versank.
Aber sofort hörte er eine geheimnisvolle Stimme, die ihm von der Höhe aus zurief:
„Ich bin mit dir im Schlamm!“
Genau das ist es, was uns der Glaube lehren will:
Gott begleitet den Menschen in jedem Augenblick seines Lebens!
2. Die Botschaft
Ijobs
Das ist auch die Aussage Ijobs, die wir in der ersten Lesung gehört haben.
Jener Knecht Gottes, der reich und glücklich lebte, wurde von den schmerzhaftesten
Prüfungen getroffen, an seinen Gütern, seinen Kindern, seiner Frau, seinen Verwandten
und seinen Freunden. Vom Schmerz ermattet, bat er Gott um eine Antwort auf seine Marter
– und wir sehen sofort, dass er hier töricht gesprochen hat. Sich vor Gott auf den
Boden werfend schenkte er uns dann aber ein tiefes Glaubensbekenntnis: „Der Herr hat
gegeben. Der Herr hat genommen. Gelobt sei der Name des Herrn.“
Und der inspirierte
Verfasser des Buches Hiob schließt mit einem lapidaren Hinweis: „Bei alldem sündigte
Ijob nicht und äußerte nichts Ungehöriges gegen Gott.“ (Ij 1,20-22)
Wie Ijob stellen
sich Menschen aller Zeiten die Frage nach dem Sinn des Leids. Der heilige Augustinus
sagt in seinen Confessiones: „Quaerebam unde malum et non erat exitus.“ „Ich forschte
nach dem Urgrunde des Übels und fand noch keinen Ausgang.“ (Conf 7,7,11)
Später
wird er eine Antwort finden, in dem er auf Christus schaut, der in die Welt gekommen
ist, um dem Menschen zu sagen, dass er immer von Gott geliebt ist, in jedem Moment
seines Lebens, in der Freude wie im Leid. Sicher, viele Dinge kann der Mensch mit
seinem Verstand nicht begreifen, aber das Auge des Glaubens zeigt dem Gläubigen, dass
Gott uns immer nahe ist, ja, mehr noch, dass er die Liebe ist.
Tief sind in diesem
Zusammenhang die Worte der Botschaft, die das Zweite Vatikanische Konzil den Armen
und Kranken der ganzen Welt geschickt hat: „Christus hat das Leid nicht unterdrückt,
er hat sein Geheimnis nicht einmal enthüllen wollen: Er hat das alles auf sich genommen
– und das ist groß genug, dass wir den ganzen Wert dieser Handlung verstehen.“
3.
Die Botschaft Christi
Meine Schwestern und Brüder, das Evangelium von heute wirft
einen mächtigen Lichtstrahl auf den Sinn der menschlichen Existenz. Für alle ist das
Leben ein Durchgang. Für alle ist es eine Pilgerschaft in Richtung der Ewigkeit. Der
Tod ist das gemeinsame Erbe, aber wie es die Liturgie für das Totengedenken gut ausdrückt,
„bedrückt uns auch das Los des sicheren Todes, so tröstet uns doch die Verheißung
der künftigen Unsterblichkeit“ (Präfation für Verstorbene 1).
Die Worte, die Jesus
Marta sagt, sind in das Gewissen eines jeden Gläubigen eingemeißelt: „Ich bin die
Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt“ (Joh
11, 25).
Diese innere Sicherheit unterstützt uns auf unserem Lebensweg auf dieser
Erde, wir wissen sehr gut, dass das Leben nichts anderes ist als ein Durchgang zur
Ewigkeit. Mehr noch: In der christlichen Spiritualität sieht sich der Mensch als ein
Exilant, der auf die Rückkehr in das Vaterhaus wartet.
4. Die Nähe des Heiligen
Vaters
Schwestern und Brüder im Herrn, in dieser Stunde des Gebetes, ist der Papst
mit uns und befiehlt die Seelen aller bei diesem schrecklichen Seebeben in Südasien
Umgekommenen in die Hände des barmherzigen Gottes. Gleich nachdem er die Botschaft
von diesem tragischen Ereignis erhalten hatte, zeigte er schon beim Angelus am 26.
Dezember seine Teilnahme am Schmerz dieser unserer Brüder. Er hat dann alle zu konkreten
Werken der Nächstenliebe eingeladen; er selbst hat alle Initiativen, die der Heilige
Stuhl und die Ortskirchen in der ganzen Welt haben, persönlich verfolgt. Im Lauf seines
ruhmreichen Pontifikats hat Johannes Paul diese Länder besuchen können, wobei er immer
sein großes Interesse für den materiellen und spirituellen Fortschritt dieser Völker
gezeigt hat. Heute vereint sich der Papst mit uns im Gebet für diejenigen, die uns
verlassen haben. Und er bittet um göttlichen Trost für all jene, die im Schmerz zurück
geblieben sind. Uns allen gegenüber aber erneuert der Stellvertreter Christi seine
Einladung zur Solidarität gegenüber unseren Schwestern und Brüdern. Er ruft uns dafür
die Worte eines bekannten Heiligen wieder ins Gedächtnis: „Am Abend des Lebens werden
wir nach unserer Liebe gerichtet werden“ (Johannes von Kreuz, Worte des Lichts und
der Liebe, Nr. 57).
(Übersetzung von Ludwig Waldmüller)