Vatikan: Ökumenisches Gespräch mit Lutheranern an kritischem Punkt
"Der ökumenische Weg zieht sich für einige überraschend in die Länge". Das hat der
Verantwortliche für den Dialog mit den lutherischen Kirchen im Päpstlichen Einheitsrat,
Matthias Türk, unterstrichen. Im Gespräch mit den evangelischen Christen seien beachtliche
Erfolge erziellt worden, aber momentan gebe es Längen. Um das Thema der Einheit der
Kirche beziehungsweise der Interkommunion zwischen beiden Konfessionen ist man sich
nicht einig. Deshalb stehen hier gerade die Fragen Ekklesiologie, also Lehre von der
Kirche, und die Frage nach dem geweihten Amt im Mittelpunkt. Mehrere Dokumente von
evangelischer Seite in den letzten Jahren hätten gezeigt, so Matthias Türk, dass bei
den Landeskirchen im Moment das Thema der konfessionellen Identität in den Vordergrund
getreten sei, was natürlich an sich zu begrüßen sei. Eines dieser Schriftstücke ist
neben "Kirchengemeinschaft nach evangelischem Verständnis" und "Ökumene nach evangelischem
Verständnis" vor allem das Dokument der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche
in Deutschland zum Thema "Allgemeines Priestertum, Ordination und Beauftragung nach
evangelischem Verständnis", das kurz vor der Woche der Einheit der Christen für Verstimmung
gesorgt hatte. Matthias Türk:
"Mit einem solchen funktionalen, anstelle eines sakramental-gnadenhaften Amtsverständnisses
sind solche Texte dazu geeignet, bisher erreichte Gemeinsamkeiten ökumenischer Konsenstexte
erneut in Frage zu stellen. Konfessionelle Selbstvergewisserung ist durchaus zu verstehen
und auch zu begrüßen, weil Begegnung und Dialog die je eigene Identität voraussetzen
und Reichtum und Herausforderung bedeuten. Schwierig wird es freilich dort, wo an
die Stelle der - in den vergangenen Jahren stets gewachsenen Überzeugung, dass das,
was uns schon eint, viel größer ist als das, was uns noch trennt, ein Vorgehen tritt,
bei dem eher das Unterscheidende betont wird, und das hinter bereits Erreichtem zurückbleibt."
Aber nicht nur theologische, auch Fragen des täglichen Lebens offenbarten einen Unterschied
in den Auffassungen, sagt der katholische Priester:
"Des weiteren sind in der letzten Zeit unübersehbare Unterschiede in ethischen
Fragen, wie Familie und Sexualität, zusammen mit bioethischen und sozialethischen
Herausforderungen nicht nur zwischen Katholiken und Lutheranern sondern auch innerhalb
des internationalen Luthertums selbst entstanden. EIn zusätzliches Problem stellt
die Rede von einem weitgehenden Gegensatz zwischen der kirchengemeindlichen Ökumene
und derjenigen von Theologie und Kirchenleitung dar, die sogenannte Spaltung in eine
Ökumene "von oben" und "von unten". Der gesellschaftliche Kontext von heute trägt
das seine dazu bei. Aufgrund der vorherrschanden Mentalität einer individualistischen
und pluralistischen Beliebigkeit schwindet das Verständnis für das ökumenische Grundanliegen
der Suche nach sichtbarer EInheit der Kirche Jesu Christi."
(rv 22. 1. 05 lw)