Vatikan: Kardinal Kasper warnt vor ökumenischem Rückschritt
Der Präsident des vatikanischen Einheitsrates, Kardinal Walter Kasper, kritisiert
ein Papier der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD). In
dem Papier geht es um "Allgemeines Priestertum, Ordination und Beauftragung nach evangelischem
Verständnis". Hier die Stellungnahme von Kardinal Kasper im Wortlaut.
"Die
VELKD hat ein Papier über "Allgemeines Priestertum, Ordination und Beauftragung nach
evangelischem Verständnis" veröffentlicht, das mit einer Empfehlung der Lutherischen
Bischofskonferenz versehen allen Gliedkirchen der VELKD und darüber hinaus der EKD
als Ausgangsbasis für ein gemeinsames Ordinationsverständnis zur Stellungnahme bis
zum 1. März zugesandt wurde.
Das Papier geht aus von konkreten Fragen, die
sich in ähnlicher Weise auch in der katholischen Kirche Deutschlands stellen. Es fragt,
wie es angesichts großer gesellschaftlicher und kirchlicher Veränderungen mit dem
kirchlichen Amt konkret weitergehen soll. Statt jedoch aufgrund der gemeinsamen Herausforderung
gemeinsame Lösungen wenigstens anzustreben, geht dieses Paier hinter wichtige Annäherungen
zurück, die in den letzten vierzig Jahren im ökumenischen Gespräch zwischen Lutheranern
und Katholiken auf Weltebene erreicht worden sind.
Ich nenne den Malta-Bericht
von 1972, das Dokument über das geistliche Amt von 1981, Kirchengemeinschaft in Wort
und Sakrament von 1984, Lehrverurteilungen kirchentrennend? von 1986, Kirche und Rechtfertigung
von 1994. Bedeutsame Dokumente aus dem katholisch-lutherischen Dialog in den Vereinigten
Staaten könnten hinzugefügt werden. Es ist richtig, alle diese Dokumente brachten
keinen Konsens; aber sie brachten wichtige Annäherungen; sie bauten Brücken, die nun
wieder niedergerissen werden.
Während die grundlegende lutherische Bekenntnisschrift,
das Augsburger Bekenntnis (1530), die Kontinuität mit der katholischen Tradition zu
wahren versuchte, versteht das vorliegende Papier die reformatorische Position als
einen Neuanfang gegenüber der gesamtchristlichen Tradition, in der nicht nur die katholische
Kirche, sondern auch die orthodoxen Kirchen und die anglikanische Gemeinschaft stehen.
Ich
beschränke mich auf zwei Punkte, die mir besonders aufgefallen sind:
1. In
dem Papier ist - abweichend vom Zeugnis der Hl. Schrift - mit keinem Wort vom einmaligen
Apostelamt als Fundament der Kirche und von der bleibenden apostolischen Struktur
und apostolischen Autorität in der Kirche die Rede. So bestreitet das Papier ausdrücklich,
was in allen genannten Dokumenten als eine Art Grundkonsens formuliert wurde, dass
das Amt sowohl in der Gemeinde steht wie der Gemeinde auch "vollmächtig" gegenüber
steht. Nach diesem Papier handelt das ordinierte Amt im Namen der Gemeinde, nicht
aber im Namen Jesu Christi.
2. In dem Papier ist - ebenfalls abweichend von
der Hl. Schrift wie von den genannten ökumenischen Dokumenten - nicht davon die Rede,
dass die Ordination unter Handauflegung und Gebet Zuspruch des Hl. Geistes ist. Diese
gemeinsame ökumenische Aussage war eine Absage an ein rein funktionales Amtsverständnis
und eine Annäherung an das sakramentale Verständnis der Ordination. Dies scheint in
diesem Papier aufgegeben zu sein, und darin ist begründet, daß der Unterschied zwischen
Ordination und Beauftragung zu Diensten wie Kantor, Küster, Lektor, Religionslehrer
- vorsichtig ausgedrückt, relativiert, in den praktischen Konsequenzen aufgegeben
ist.
Man fragt sich, wie man eucharistische Gastfreundschaft fordern kann,
wenn man gleichzeitig alte Gräben neu aufreißt, gegen alle neueren Einsichten die
katholische Messopferlehre - wie es in dem Papier ebenfalls geschieht - verzeichnet
und eine ökumenisch unehrliche Praxis der Abendmahlsfeier durch Nicht-ordinierte theologisch
zu legitimieren versucht.
Ich hoffe, daß das Sondervotum der Vorsitzenden des
Theologischen Ausschusses der VELKD noch zu denken gibt. Denn dieses Votum deckt überzeugend
die innere Widersprüchlichkeit des Papiers auf, das die gesamtchristliche Tradition
aufgibt, das auch innerhalb der evangelischen Theologie umstritten ist, das sich im
Weltluthertum isoliert und das keineswegs das Ordinationsverständnis aller lutherischen
Pfarrer wiedergibt. Das Papier spaltet nicht nur Katholiken und Lutheraner, Lutheraner
und Anglikaner; es spaltet auch die lutherische Kirchengemeinschaft selbst. Es führt
keinen Schritt weiter. Es stimmt einfach traurig.
Kardinal Walter Kasper, Rom"
Gegenüber
Radio Vatikan hat Kardinal Kasper seine Stellungnahme am Dienstag kurz erläutert.
Dabei sagte er wörtlich: "Ich nehme an, dass Reaktionen darauf kommen - das wollen
wir ja auch. Aber wir wollen eben, dass man im Dialog die bisherigen Dialog-Ergebnisse
aufgreift; das ist das Entscheidende. Im übrigen haben wir zu dieser Frage gegenwärtig
auf der internationalen Ebene einen Dialog, nämlich über die Apostolizität der Kirche.
Wir hoffen, dass dieses Papier noch in diesem Jahr abgeschlossen werden kann, und
soweit ich bisher sehen kann, werden da doch einige Akzente anders gesetzt als in
dem vorliegenden Papier."