2004-12-16 11:59:51

Vatikan: "Lass dich nicht vom Bösen besiegen!" - Papstbotschaft zum Weltfriedenstag 2005


"Lass dich nicht vom Bösen besiegen, sondern besiege das Böse durch das Gute!" Das fordert der Papst in einer Botschaft zum Weltfriedenstag. In dem Text, den der Vatikan heute veröffentlichte, spricht Johannes Paul von seiner "Bitterkeit" darüber, "dass das Drama im Irak leider weiterhin andauert und alle in eine ungewisse und unsichere Situation hineinführt". Er träumt von einer verantwortlichen "Weltbürgerschaft".

Hier sind die Kernsätze aus dem Papst-Text.

Das Böse besiegt man nicht durch das Böse: Schlägt man diesen Weg ein, dann läßt man sich, anstatt das Böse zu besiegen, in Wirklichkeit vom Bösen besiegen. Der Friede ist das Ergebnis eines langen und harten Kampfes, der gewonnen wird, wenn das Böse durch das Gute besiegt wird. Angesichts der dramatischen Schauplätze von Bruderkriegen, die in verschiedenen Teilen der Welt herrschen, angesichts der daraus erwachsenden Leiden und Ungerechtigkeiten besteht die einzig wahrhaft konstruktive Entscheidung darin, das Böse zu verabscheuen und am Guten festzuhalten. Der einzige Weg, um aus dem Teufelskreis des Bösen durch das Böse herauszukommen, liegt in der Annahme des Apostelwortes: »Laß dich nicht vom Bösen besiegen, sondern besiege das Böse durch das Gute!« (Röm 12, 21).
Das Böse ist keine anonyme Macht, die kraft unpersönlicher Mechanismen in der Welt am Werk ist. Das Böse nimmt seinen Lauf über die menschliche Freiheit. Genau diese Eigenschaft, die den Menschen von den anderen Lebewesen auf der Erde unterscheidet, steht im Mittelpunkt des Dramas des Bösen und geht ständig mit ihm einher. Das Böse hat immer ein Gesicht und einen Namen: das Gesicht und den Namen von Männern und Frauen, die es aus freien Stücken wählen. Die Logik der christlichen Liebe (dagegen) drängt, konsequent zu Ende gedacht, sogar zur Feindesliebe: »Wenn dein Feind Hunger hat, gib ihm zu essen, wenn er Durst hat, gib ihm zu trinken« (Röm 12, 20).
Wenn man den Blick auf die aktuelle Situation der Welt richtet, muß man eine erschreckende Ausweitung vielfältiger gesellschaftlicher und politischer Phänomene des Bösen feststellen: von der sozialen Unordnung bis zur Anarchie und zum Krieg, von der Ungerechtigkeit bis zur Gewalt gegen den anderen und zu seiner Unterdrückung. Um zwischen dem Aufruf zum Guten und den Lockungen des Bösen den eigenen Weg zu finden, muß die Menschheitsfamilie das gemeinsame Erbe sittlicher Werte dringend beherzigen.
Die gemeinsame Grammatik des Sittengesetzes verpflichtet dazu, sich stets verantwortungsvoll dafür einzusetzen, daß das Leben der Menschen und der Völker respektiert und gefördert wird. In ihrem Licht müssen die Übel sozialer und politischer Art, von denen die Welt geplagt wird, vor allem die von Gewaltausbrüchen verursachten, mit Nachdruck angeprangert werden. Wie sollte man in diesem Zusammenhang nicht an den geliebten afrikanischen Kontinent denken, auf dem Konflikte andauern, die bereits Millionen Opfer gefordert haben und weiterhin fordern? Wie könnten wir die gefährliche Lage in Palästina, dem Land Jesu, unerwähnt lassen, in dem es nicht gelingt, in Wahrheit und Gerechtigkeit die Fäden der gegenseitigen Verständigung fest zu knüpfen, die von einem Konflikt zerrissen wurden, der Tag für Tag durch Attentate und Racheakte auf besorgniserregende Weise angeheizt wird? Und was ist zum tragischen Phänomen terroristischer Gewalt zu sagen, welche die ganze Welt in eine Zukunft voll Angst und Schrekken zu treiben scheint? Muß man schließlich nicht voller Bitterkeit feststellen, daß das Drama im Irak leider weiterhin andauert und alle in eine ungewisse und unsichere Situation hineinführt?
Um das Gut des Friedens zu erlangen, muß festgehalten werden, daß Gewalt ein inakzeptables Übel ist und niemals Probleme löst. Gewalt ist eine Lüge, denn sie verstößt gegen die Wahrheit unseres Glaubens, gegen die Wahrheit unserer Menschlichkeit. Gewalt zerstört das, was sie zu verteidigen vorgibt: die Würde, das Leben, die Freiheit der Menschen.
Das Wohl der ganzen Menschheit, gerade auch ihrer künftigen Generationen, erfordert eine echte internationale Zusammenarbeit, zu der jedes Land seinen Beitrag leisten muß.
Ausgesprochen verkürzende Sichtweisen der menschlichen Wirklichkeit wandeln jedoch das Gemeinwohl in einen bloßen sozioökonomischen Wohlstand um und höhlen damit den Existenzgrund des Gemeinwohls zutiefst aus. Das Gemeinwohl hingegen besitzt auch eine transzendente Dimension.
Da das Gut des Friedens eng mit der Entwicklung aller Völker verknüpft ist, bleibt es unerläßlich, den ethischen Auflagen der Nutzung der Güter der Erde Rechnung zu tragen. Die Zugehörigkeit zur Menschheitsfamilie verleiht jedem Menschen eine Art Weltbürgerschaft, die ihn zum Träger von Rechten und Pflichten macht, da die Menschen durch eine gemeinsame Herkunft und eine gemeinsame letzte Bestimmung verbunden sind. Die Verurteilung des Rassismus, der Schutz von Minderheiten, die Hilfe für Flüchtlinge und Asylanten, das Mobilisieren der internationalen Solidarität gegenüber allen Notleidenden sind nur konsequente Anwendungen des Prinzips der Weltbürgerschaft.
Das Gut des Friedens muß heute in engem Bezug zu den neuen Gütern gesehen werden, die aus der wissenschaftlichen Erkenntnis und dem technologischen Fortschritt entstanden sind. Auch sie müssen in den Dienst der vordringlichen Bedürfnisse des Menschen gestellt werden. Das wird möglich, wenn die Barrieren und Monopole durchbrochen werden, welche so viele Völker am Rande der Entwicklung belassen.
Das Gut des Friedens wird einen besseren Schutz genießen, wenn sich die Völkergemeinschaft mit größerem Verantwortungsbewußtsein jener Güter annimmt, die gemeinhin als öffentliche Güter gelten. In der heutigen Welt, die gänzlich vom Phänomen der Globalisierung überrollt wird, gibt es in immer größerer Zahl öffentliche Güter, die globalen Charakter annehmen. Man denke nur an den Kampf gegen die Armut, an die Suche nach Frieden und Sicherheit, an die Besorgnis aufgrund des Klimawandels, an die Kontrolle der Ausbreitung von Krankheiten. Diesen Interessen muß die internationale Gemeinschaft mit einem immer umfangreicheren geeigneten Netz rechtlicher Vereinbarungen zur Regelung der Nutznießung der öffentlichen Güter entsprechen.
Das Prinzip, demzufolge die Güter für alle bestimmt sind, erlaubt es zudem, sich in richtiger Weise der Herausforderung der Armut zu stellen. Dabei muß vor allem den Situationen des Elends Rechnung getragen werden, in denen noch immer über eine Milliarde Menschen lebt. Die internationale Gemeinschaft hat sich zu Beginn des neuen Jahrtausends als vorrangiges Ziel die Halbierung der Zahl dieser Menschen bis zum Jahr 2015 gesetzt. Die Kirche unterstützt und ermutigt dieses Engagement.
Das Drama der Armut erscheint noch immer eng verknüpft mit dem Problem der Auslandsverschuldung der armen Länder. Trotz der bisher erreichten bedeutenden Fortschritte hat dieses Problem noch keine angemessene Lösung gefunden. Fünfzehn Jahre sind vergangen, seitdem ich die Aufmerksamkeit der öffentlichen Meinung auf die Tatsache gelenkt habe, daß die Auslandsverschuldung der armen Länder »eng mit einer Reihe anderer Probleme zusammenhängt, wie den Auslandsinvestitionen, dem richtigen Funktionieren der größeren internationalen Organisationen, den Rohstoffpreisen usw.« Die in jüngster Zeit für den Schuldenerlaß angelaufenen Mechanismen, die sich hauptsächlich auf die Bedürfnisse der Armen konzentrieren, haben die Qualität des Wirtschaftswachstums zweifellos verbessert. Quantitativ erweist sich dieses Wachstum besonders im Hinblick auf die Erreichung der zu Beginn des Jahrtausends gesetzten Ziele allerdings als noch unzureichend. Die armen Länder bleiben in einem Teufelskreis gefangen: Die niedrigen Einkünfte und das langsame Wachstum schränken die Vermögensbildung ein, ihrerseits sind wiederum die schwachen Investitionen und die unwirksame Verwendung des Ersparten dem Wachstum nicht förderlich.
Es bedarf dringend einer moralischen und wirtschaftlichen Mobilisierung, die bereit ist, jene Vereinbarungen zu revidieren, die sich in der Praxis als zu große Belastung für gewisse Länder herausgestellt haben. Aus dieser Sicht erscheint es wünschenswert und notwendig, neuen Schwung in die Entwicklungshilfe der öffentlichen Hand zu bringen und ungeachtet der Schwierigkeiten, die dieser Weg bereiten kann, die Vorschläge neuer Finanzierungsformen für die Entwicklung zu untersuchen.
Wir brauchen eine "neue Phantasie der Liebe", um das Evangelium der Hoffnung in der Welt zu verbreiten. Das wird besonders offenkundig, wenn man an die vielen und heiklen Probleme herangeht, die der Entwicklung des afrikanischen Kontinents im Wege stehen. Das sind dramatische Wirklichkeiten, die auf einen radikal neuen Weg für Afrika hindrängen: Es müssen neue Formen der Solidarität auf bilateraler und multilateraler Ebene entstehen durch einen entschlosseneren Einsatz aller und im vollen Bewußtsein, daß das Wohl der afrikanischen Völker eine unverzichtbare Voraussetzung für die Erreichung des universalen Gemeinwohls darstellt.
Mögen die afrikanischen Völker ihr Schicksal und ihre kulturelle, zivile, soziale und wirtschaftliche Entwicklung als Protagonisten selbst in die Hand nehmen können! Möge Afrika nicht länger bloß Objekt für Hilfeleistungen sein! Um diese Ziele zu erreichen, bedarf es einer neuen politischen Kultur besonders im Bereich der internationalen Zusammenarbeit. Die unterbliebene Erfüllung wiederholter Versprechungen staatlicher Entwicklungshilfe und das noch immer offene Problem der drückenden internationalen Verschuldung der afrikanischen Länder stellen große Hindernisse für den Frieden dar und müssen daher dringend angegangen und überwunden werden. Das Bewußtsein der Interdependenz zwischen den reichen und den armen Ländern, nach der »die Entwicklung entweder allen Teilen der Welt gemeinsam zugute kommt oder einen Prozeß der Rezession auch in jenen Gegenden erleidet, die bisher einen ständigen Fortschritt zu verzeichnen hatten«,erweist sich heute.
Angesichts der vielen Dramen, die die Welt heimsuchen, bekennen die Christen mit demütigem Vertrauen, daß allein Gott dem Menschen und den Völkern die Überwindung des Bösen ermöglicht, um das Gute zu erlangen. Gestützt auf die Gewißheit, daß das Böse nicht siegen wird, hegt der Christ eine ungebrochene Hoffnung, die ihn in der Förderung der Gerechtigkeit und des Friedens bestärkt. Auch wenn die »geheime Macht der Gesetzwidrigkeiten« (2 Thess 2, 7) in der Welt gegenwärtig und am Werk ist, darf nicht vergessen werden, daß der erlöste Mensch genügend Kräfte besitzt, um ihr entgegenzuwirken.
Kein Mann, keine Frau guten Willens kann sich der Verpflichtung entziehen, für die Besiegung des Bösen durch das Gute zu kämpfen. Es ist ein Kampf, den man nur mit den Waffen der Liebe wirksam kämpft.
Kraft des neuen Lebens, mit dem Christus uns beschenkt hat, können wir uns jenseits aller Unterschiede in Sprache, Nationalität und Kultur als Brüder erkennen. Wir dürfen uns als »Familie Gottes« begreifen und zugleich einen besonderen Beitrag zum Aufbau einer Welt leisten, die auf die Werte der Gerechtigkeit, der Freiheit und des Friedens gegründet ist.
Aus dem Vatikan -Johannes Paul II.








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