Vatikan: "Lass dich nicht vom Bösen besiegen!" - Papstbotschaft zum Weltfriedenstag
2005
"Lass dich nicht vom Bösen besiegen, sondern besiege das Böse durch das Gute!" Das
fordert der Papst in einer Botschaft zum Weltfriedenstag. In dem Text, den der Vatikan
heute veröffentlichte, spricht Johannes Paul von seiner "Bitterkeit" darüber, "dass
das Drama im Irak leider weiterhin andauert und alle in eine ungewisse und unsichere
Situation hineinführt". Er träumt von einer verantwortlichen "Weltbürgerschaft".
Hier
sind die Kernsätze aus dem Papst-Text.
Das Böse besiegt man nicht durch das
Böse: Schlägt man diesen Weg ein, dann läßt man sich, anstatt das Böse zu besiegen,
in Wirklichkeit vom Bösen besiegen. Der Friede ist das Ergebnis eines langen und harten
Kampfes, der gewonnen wird, wenn das Böse durch das Gute besiegt wird. Angesichts
der dramatischen Schauplätze von Bruderkriegen, die in verschiedenen Teilen der Welt
herrschen, angesichts der daraus erwachsenden Leiden und Ungerechtigkeiten besteht
die einzig wahrhaft konstruktive Entscheidung darin, das Böse zu verabscheuen und
am Guten festzuhalten. Der einzige Weg, um aus dem Teufelskreis des Bösen durch das
Böse herauszukommen, liegt in der Annahme des Apostelwortes: »Laß dich nicht vom Bösen
besiegen, sondern besiege das Böse durch das Gute!« (Röm 12, 21). Das Böse ist
keine anonyme Macht, die kraft unpersönlicher Mechanismen in der Welt am Werk ist.
Das Böse nimmt seinen Lauf über die menschliche Freiheit. Genau diese Eigenschaft,
die den Menschen von den anderen Lebewesen auf der Erde unterscheidet, steht im Mittelpunkt
des Dramas des Bösen und geht ständig mit ihm einher. Das Böse hat immer ein Gesicht
und einen Namen: das Gesicht und den Namen von Männern und Frauen, die es aus freien
Stücken wählen. Die Logik der christlichen Liebe (dagegen) drängt, konsequent zu
Ende gedacht, sogar zur Feindesliebe: »Wenn dein Feind Hunger hat, gib ihm zu essen,
wenn er Durst hat, gib ihm zu trinken« (Röm 12, 20). Wenn man den Blick auf die
aktuelle Situation der Welt richtet, muß man eine erschreckende Ausweitung vielfältiger
gesellschaftlicher und politischer Phänomene des Bösen feststellen: von der sozialen
Unordnung bis zur Anarchie und zum Krieg, von der Ungerechtigkeit bis zur Gewalt gegen
den anderen und zu seiner Unterdrückung. Um zwischen dem Aufruf zum Guten und den
Lockungen des Bösen den eigenen Weg zu finden, muß die Menschheitsfamilie das gemeinsame
Erbe sittlicher Werte dringend beherzigen. Die gemeinsame Grammatik des Sittengesetzes
verpflichtet dazu, sich stets verantwortungsvoll dafür einzusetzen, daß das Leben
der Menschen und der Völker respektiert und gefördert wird. In ihrem Licht müssen
die Übel sozialer und politischer Art, von denen die Welt geplagt wird, vor allem
die von Gewaltausbrüchen verursachten, mit Nachdruck angeprangert werden. Wie sollte
man in diesem Zusammenhang nicht an den geliebten afrikanischen Kontinent denken,
auf dem Konflikte andauern, die bereits Millionen Opfer gefordert haben und weiterhin
fordern? Wie könnten wir die gefährliche Lage in Palästina, dem Land Jesu, unerwähnt
lassen, in dem es nicht gelingt, in Wahrheit und Gerechtigkeit die Fäden der gegenseitigen
Verständigung fest zu knüpfen, die von einem Konflikt zerrissen wurden, der Tag für
Tag durch Attentate und Racheakte auf besorgniserregende Weise angeheizt wird? Und
was ist zum tragischen Phänomen terroristischer Gewalt zu sagen, welche die ganze
Welt in eine Zukunft voll Angst und Schrekken zu treiben scheint? Muß man schließlich
nicht voller Bitterkeit feststellen, daß das Drama im Irak leider weiterhin andauert
und alle in eine ungewisse und unsichere Situation hineinführt? Um das Gut des
Friedens zu erlangen, muß festgehalten werden, daß Gewalt ein inakzeptables Übel ist
und niemals Probleme löst. Gewalt ist eine Lüge, denn sie verstößt gegen die Wahrheit
unseres Glaubens, gegen die Wahrheit unserer Menschlichkeit. Gewalt zerstört das,
was sie zu verteidigen vorgibt: die Würde, das Leben, die Freiheit der Menschen. Das
Wohl der ganzen Menschheit, gerade auch ihrer künftigen Generationen, erfordert eine
echte internationale Zusammenarbeit, zu der jedes Land seinen Beitrag leisten muß. Ausgesprochen
verkürzende Sichtweisen der menschlichen Wirklichkeit wandeln jedoch das Gemeinwohl
in einen bloßen sozioökonomischen Wohlstand um und höhlen damit den Existenzgrund
des Gemeinwohls zutiefst aus. Das Gemeinwohl hingegen besitzt auch eine transzendente
Dimension. Da das Gut des Friedens eng mit der Entwicklung aller Völker verknüpft
ist, bleibt es unerläßlich, den ethischen Auflagen der Nutzung der Güter der Erde
Rechnung zu tragen. Die Zugehörigkeit zur Menschheitsfamilie verleiht jedem Menschen
eine Art Weltbürgerschaft, die ihn zum Träger von Rechten und Pflichten macht, da
die Menschen durch eine gemeinsame Herkunft und eine gemeinsame letzte Bestimmung
verbunden sind. Die Verurteilung des Rassismus, der Schutz von Minderheiten, die Hilfe
für Flüchtlinge und Asylanten, das Mobilisieren der internationalen Solidarität gegenüber
allen Notleidenden sind nur konsequente Anwendungen des Prinzips der Weltbürgerschaft. Das
Gut des Friedens muß heute in engem Bezug zu den neuen Gütern gesehen werden, die
aus der wissenschaftlichen Erkenntnis und dem technologischen Fortschritt entstanden
sind. Auch sie müssen in den Dienst der vordringlichen Bedürfnisse des Menschen gestellt
werden. Das wird möglich, wenn die Barrieren und Monopole durchbrochen werden, welche
so viele Völker am Rande der Entwicklung belassen. Das Gut des Friedens wird einen
besseren Schutz genießen, wenn sich die Völkergemeinschaft mit größerem Verantwortungsbewußtsein
jener Güter annimmt, die gemeinhin als öffentliche Güter gelten. In der heutigen Welt,
die gänzlich vom Phänomen der Globalisierung überrollt wird, gibt es in immer größerer
Zahl öffentliche Güter, die globalen Charakter annehmen. Man denke nur an den Kampf
gegen die Armut, an die Suche nach Frieden und Sicherheit, an die Besorgnis aufgrund
des Klimawandels, an die Kontrolle der Ausbreitung von Krankheiten. Diesen Interessen
muß die internationale Gemeinschaft mit einem immer umfangreicheren geeigneten Netz
rechtlicher Vereinbarungen zur Regelung der Nutznießung der öffentlichen Güter entsprechen. Das
Prinzip, demzufolge die Güter für alle bestimmt sind, erlaubt es zudem, sich in richtiger
Weise der Herausforderung der Armut zu stellen. Dabei muß vor allem den Situationen
des Elends Rechnung getragen werden, in denen noch immer über eine Milliarde Menschen
lebt. Die internationale Gemeinschaft hat sich zu Beginn des neuen Jahrtausends als
vorrangiges Ziel die Halbierung der Zahl dieser Menschen bis zum Jahr 2015 gesetzt.
Die Kirche unterstützt und ermutigt dieses Engagement. Das Drama der Armut erscheint
noch immer eng verknüpft mit dem Problem der Auslandsverschuldung der armen Länder.
Trotz der bisher erreichten bedeutenden Fortschritte hat dieses Problem noch keine
angemessene Lösung gefunden. Fünfzehn Jahre sind vergangen, seitdem ich die Aufmerksamkeit
der öffentlichen Meinung auf die Tatsache gelenkt habe, daß die Auslandsverschuldung
der armen Länder »eng mit einer Reihe anderer Probleme zusammenhängt, wie den Auslandsinvestitionen,
dem richtigen Funktionieren der größeren internationalen Organisationen, den Rohstoffpreisen
usw.« Die in jüngster Zeit für den Schuldenerlaß angelaufenen Mechanismen, die sich
hauptsächlich auf die Bedürfnisse der Armen konzentrieren, haben die Qualität des
Wirtschaftswachstums zweifellos verbessert. Quantitativ erweist sich dieses Wachstum
besonders im Hinblick auf die Erreichung der zu Beginn des Jahrtausends gesetzten
Ziele allerdings als noch unzureichend. Die armen Länder bleiben in einem Teufelskreis
gefangen: Die niedrigen Einkünfte und das langsame Wachstum schränken die Vermögensbildung
ein, ihrerseits sind wiederum die schwachen Investitionen und die unwirksame Verwendung
des Ersparten dem Wachstum nicht förderlich. Es bedarf dringend einer moralischen
und wirtschaftlichen Mobilisierung, die bereit ist, jene Vereinbarungen zu revidieren,
die sich in der Praxis als zu große Belastung für gewisse Länder herausgestellt haben.
Aus dieser Sicht erscheint es wünschenswert und notwendig, neuen Schwung in die Entwicklungshilfe
der öffentlichen Hand zu bringen und ungeachtet der Schwierigkeiten, die dieser Weg
bereiten kann, die Vorschläge neuer Finanzierungsformen für die Entwicklung zu untersuchen. Wir
brauchen eine "neue Phantasie der Liebe", um das Evangelium der Hoffnung in der Welt
zu verbreiten. Das wird besonders offenkundig, wenn man an die vielen und heiklen
Probleme herangeht, die der Entwicklung des afrikanischen Kontinents im Wege stehen.
Das sind dramatische Wirklichkeiten, die auf einen radikal neuen Weg für Afrika hindrängen:
Es müssen neue Formen der Solidarität auf bilateraler und multilateraler Ebene entstehen
durch einen entschlosseneren Einsatz aller und im vollen Bewußtsein, daß das Wohl
der afrikanischen Völker eine unverzichtbare Voraussetzung für die Erreichung des
universalen Gemeinwohls darstellt. Mögen die afrikanischen Völker ihr Schicksal
und ihre kulturelle, zivile, soziale und wirtschaftliche Entwicklung als Protagonisten
selbst in die Hand nehmen können! Möge Afrika nicht länger bloß Objekt für Hilfeleistungen
sein! Um diese Ziele zu erreichen, bedarf es einer neuen politischen Kultur besonders
im Bereich der internationalen Zusammenarbeit. Die unterbliebene Erfüllung wiederholter
Versprechungen staatlicher Entwicklungshilfe und das noch immer offene Problem der
drückenden internationalen Verschuldung der afrikanischen Länder stellen große Hindernisse
für den Frieden dar und müssen daher dringend angegangen und überwunden werden. Das
Bewußtsein der Interdependenz zwischen den reichen und den armen Ländern, nach der
»die Entwicklung entweder allen Teilen der Welt gemeinsam zugute kommt oder einen
Prozeß der Rezession auch in jenen Gegenden erleidet, die bisher einen ständigen Fortschritt
zu verzeichnen hatten«,erweist sich heute. Angesichts der vielen Dramen, die die
Welt heimsuchen, bekennen die Christen mit demütigem Vertrauen, daß allein Gott dem
Menschen und den Völkern die Überwindung des Bösen ermöglicht, um das Gute zu erlangen.
Gestützt auf die Gewißheit, daß das Böse nicht siegen wird, hegt der Christ eine ungebrochene
Hoffnung, die ihn in der Förderung der Gerechtigkeit und des Friedens bestärkt. Auch
wenn die »geheime Macht der Gesetzwidrigkeiten« (2 Thess 2, 7) in der Welt gegenwärtig
und am Werk ist, darf nicht vergessen werden, daß der erlöste Mensch genügend Kräfte
besitzt, um ihr entgegenzuwirken. Kein Mann, keine Frau guten Willens kann sich
der Verpflichtung entziehen, für die Besiegung des Bösen durch das Gute zu kämpfen.
Es ist ein Kampf, den man nur mit den Waffen der Liebe wirksam kämpft. Kraft des
neuen Lebens, mit dem Christus uns beschenkt hat, können wir uns jenseits aller Unterschiede
in Sprache, Nationalität und Kultur als Brüder erkennen. Wir dürfen uns als »Familie
Gottes« begreifen und zugleich einen besonderen Beitrag zum Aufbau einer Welt leisten,
die auf die Werte der Gerechtigkeit, der Freiheit und des Friedens gegründet ist. Aus
dem Vatikan -Johannes Paul II.