Kirche und die heutige Kultur sollten wieder enger zusammenarbeiten. Diese Forderung
begründet der Präfekt der Glaubenskongregation, Kardinal Joseph Ratzinger, mit den
christlichen Wurzeln, aus denen das moderne Denken entstanden ist. Das Verhältnis
zwischen Europa und seinen Wurzeln ist Thema des Buches „Senza radici“ (Ohne Wurzeln),
das Ratzinger mit seinem Co-Autor, dem italienischen Senatspräsidenten Marcello Pera,
in Rom vorstellte.
Ein Europa, das seine christlichen Wurzeln verleugnet, droht für Ratzinger im Relativismus
zu versinken, den er sogar in den eigenen Reihen der katholischen Kirche ausmacht.
Wenn weder die Politik noch die Wissenschaft sich mehr an den moralischen Kategorien
des Glaubens orientieren, seien Dammbrüche wie Forschung mit embryonalen Stammzellen
und das menschliche Klonen vorprogrammiert: „So erscheint der Mensch nicht mehr als
Kreatur Gottes, sondern wie unser eigenes Produkt. Unsere technischen Möglichkeiten
sind gewachsen, unsere Fähigkeiten, Dinge herzustellen, aber unsere moralischen Fähigkeiten
sind währenddessen nicht größer geworden.“
Einen mangelnden Bezug auf die christlichen Wurzeln Europas sieht Ratzinger nicht
nur in der Forschung sondern auch in der Diskussion um eine Erweiterung der Europäischen
Union. Sie lasse das Kriterium der Zugehörigkeit zur christlichen Tradition außer
acht. Ohne die Türkei beim Namen zu nennen, sprach der oberste Glaubenshüter des Vatikans
sich damit gegen deren möglichen EU-Beitritt aus, denn die dortigen Werte beruhen
auf einer anderen Religion. So fragte Ratzinger bei der Vorstellung seines Buches:
„Braucht diese Kultur Wurzeln, kann der Baum nur mit den Wurzeln leben, um es mit
einem Bild zu sagen, oder sind die Wurzeln Vergangenheit? Ich bin überzeugt, dass
sie Wurzeln braucht. Eine Vernunft, die sich von diesen Wurzeln trennt, wird eine
rein funktionale und technische Vernunft. Sie hat keine Fähigkeit zur Moral mehr.“
Angesichts der wachsenden technischen Möglichkeiten, die Eingriffe in das Wesen des
Menschen ermöglichen, muss für Ratzinger gerade die Moral aber gestärkt werden. Deshalb
fordert er eine neue Allianz zwischen katholischer und säkularer Kultur: „Aufgrund
der gemeinsamen Wurzel ist eine neue vertiefte Zusammenarbeit der beiden Sphären nicht
nur möglich sondern auch nötig.“
(rv 14.12.04 bg)