Vatikan: Papst fordert "Integration zwischen den Kulturen"
Der Papst trifft für eine richtig verstandene "Integration zwischen den Kulturen"
ein. Seine Botschaft zum kommenden Welttag der Migranten und Flüchtlinge am 16. Januar
wurde am Donnerstag vom Vatikan veröffentlicht. Dabei warnt Johannes Paul, Integration
dürfe nicht bedeuten, aus Fremden "eine Kopie von sich selber" machen zu wollen. Er
ruft nach einer "Atmosphäre der »bürgerlichen Vernunft«, die ein freundschaftliches
und ausgewogenes Zusammenleben erlaubt".
Hier der ganze Text der Papstbotschaft
mit dem Titel "Integration der Kulturen": Liebe Brüder und Schwestern! 1. Es
nähert sich der Tag der Migranten und Flüchtlinge. In der jährlichen Botschaft, die
ich Euch, wie gewohnt, aus diesem Anlaß sende, möchte ich diesmal das Migrationsphänomen
vom Blickwinkel der Integration aus betrachten. Dieses Wort wird von vielen verwendet,
um auf die Notwendigkeit hinzuweisen, daß sich die Zuwanderer wirklich in die Aufnahmeländer
eingliedern. Der Begriffsinhalt und seine Praxis sind jedoch nicht leicht zu bestimmen.
Aus gegebenem Anlaß erkläre ich ihn gerne, indem ich auf die jüngste Instruktion Erga
migrantes caritas Christi verweise (vgl. N. 2, 42, 43, 62, 80 und 89). Darin wird
die Integration nicht als eine Angleichung dargestellt, die dazu beiträgt, die eigene
kulturelle Identität zu unterdrücken oder zu vergessen. Der Kontakt mit dem andern
führt vielmehr dazu, sein »Geheimnis« zu entdecken, sich ihm zu öffnen, um seine wertvollen
Seiten anzunehmen und so eine bessere gegenseitige Kenntnis zu erlangen. Das ist ein
langer Prozeß, der darauf abzielt, die Gesellschaft und die Kulturen zu formen, so
daß sie immer mehr der Widerschein der vielfältigen Gaben werden, die Gott den Menschen
geschenkt hat. In diesem Prozeß bemüht sich der Zuwanderer, die notwendigen Schritte
zur gesellschaftlichen Integration zu tun, wie das Erlernen der Landessprache und
die eigene Anpassung an die Gesetze und Erfordernisse der Arbeit, um eine übertriebene
Unterschiedlichkeit zu vermeiden. Ich will nicht näher auf die verschiedenen Aspekte
der Integration eingehen, sondern möchte mit Euch bei dieser Gelegenheit nur einige
Implikationen des interkulturellen Aspektes vertiefen. 2. Niemandem entgeht der
Identitätskonflikt, der bei der Begegnung zwischen Personen verschiedener Kulturen
entsteht. Dabei fehlt es nicht an positiven Elementen. Wenn er sich in ein neues Umfeld
eingliedert, wird sich der Zuwanderer häufig tiefer dessen bewußt, wer er ist, besonders
wenn ihm die Personen und Werte fehlen, die für ihn wichtig sind. In unseren Gesellschaften,
die vom globalen Migrationsprozeß betroffen sind, ist es notwendig, das rechte Gleichgewicht
zwischen der Achtung der eigenen Identität und der Anerkennung der Identität der anderen
herzustellen. Denn es ist notwendig, die berechtigte Pluralität der in einem Land
vertretenen Kulturen anzuerkennen, soweit sie mit dem Schutz der Ordnung vereinbar
ist, von der sozialer Frieden und Freiheit der Bürger abhängen. In der Tat sind
sowohl die Modelle der Anpassung auszuschließen, die aus dem anderen eine Kopie von
sich selbst machen wollen, als auch die Modelle der Ausgrenzung der Zuwanderer durch
Haltungen, die bis zur Wahl der »Apartheid« führen können. Der beste Weg ist der Weg
der echten Integration (vgl. Ecclesia in Europa, 102–103) in einer offenen Sicht,
die es ablehnt, nur die Unterschiede zwischen Zuwanderern und Einheimischen zu sehen
(vgl. Botschaft zum,Welttag des Friedens 2001, 12). 3. So erwächst die Notwendigkeit
des Dialogs zwischen den Menschen unterschiedlicher Kulturen in einem Kontext des
Pluralismus, der die bloße Toleranz übersteigt und zu Sympathie wird. Eine einfache
Gegenüberstellung der Gruppen der Zuwanderer und der Einheimischen führt unter ihnen
zum gegenseitigen Verschließen der Kulturen oder zum Entstehen von auf reinen Äußerlichkeiten
oder auf reiner Toleranz gründenden Beziehungen. Man sollte jedoch eine gegenseitige
Befruchtung der Kulturen fördern. Das setzt die gegenseitige Kenntnis und Öffnung
der Kulturen zwischen ihnen voraus im Kontext der wahren Verständigung und des Wohlwollens. Die
Christen ihrerseits sind sich des transzendenten Wirkens des Heiligen Geistes bewußt
und deshalb imstande, in den verschiedenen Kulturen »wertvolle religiöse und menschliche
Elemente« zu erkennen (vgl. Gaudium et spes, 92), die feste Perspektiven für die gegenseitige
Verständigung anbieten können. Natürlich ist es notwendig, das Prinzip des Respekts
vor den kulturellen Unterschieden mit dem des Schutzes der gemeinsamen unverzichtbaren
Werte zu verbinden, die auf den universalen Menschenrechten gründen. Daraus entsteht
dann jene Atmosphäre der »bürgerlichen Vernunft«, die ein freundschaftliches und ausgewogenes
Zusammenleben erlaubt. Wenn sie konsequent bleiben, können die Christen nicht darauf
verzichten, »allen Geschöpfen das Evangelium Christi zu verkünden« (vgl. Mk 16,15).
Sie sollen es natürlich unter Achtung des Gewissens des andern tun, indem sie immer
die Methode der Liebe anwenden, wie es schon Paulus den ersten Christen empfohlen
hat (vgl. Eph 4,15). 4. Die Gestalt des Propheten Jesaja, die ich bei den Treffen
mit den Jugendlichen aus aller Welt mehrmals erwähnt habe (vgl. Jes 21,11–12), könnte
auch hier Anwendung finden, um alle Gläubigen einzuladen, »Wächter des Morgens« zu
sein. Als Wächter sollen die Christen vor allem den Hilferuf hören, der von den vielen
Migranten und Flüchtlingen kommt, aber sie sollen dann durch aktiven Einsatz Perspektiven
der Hoffnung fördern, die die Morgenröte einer offeneren und solidarischeren Gesellschaft
andeuten. Ihnen steht es als erste zu, Gottes Gegenwart in der Geschichte zu erkennen,
auch wenn alles noch in Dunkel gehüllt scheint. Mit diesem Wunsch, den ich als
Gebet an Gott richte, der die Völker aller Sprachen zusammenrufen will (vgl. Jes 66,18),
sende ich jedem von Herzen meinen Segen. Aus dem Vatikan, am 24. November 2004 IOANNES
PAULUS PP. II