Dossier: Ökumene-Kardinal Walter Kasper im Interview
- 40 Jahre Ökumene-Dekret des Konzils - was hat sich seitdem in der Ökumene verändert?
"Seit
dem Konzilsdokument hat sich vor allem das Klima, die Atmosphäre zwischen den Kirchen
doch grundlegend verändert. Natürlich nicht eine neue Kirche, eine neue Ekklesiologie,
aber das Verhältnis zueinander. Was früher völlig undenkbar war: Man betet miteinander,
man arbeitet zusammen, man betrachtet sich als Brüder und Schwestern und nicht mehr
als Feinde oder Konkurrenten, und ich denke das ist sehr wichtig. Wir haben seither
auch mit praktisch allen traditionellen Kirchen den Dialog aufgenommen, die das Anliegen
von „Unitatis Redintegratio“ wesentlich vertiefen und weitergeführt und bestätigt
haben, und ich denke, das ist sehr viel geworden. Vor allem Jüngere, die damals noch
nicht auf der Welt waren, können sich das heute gar nicht vorstellen, was sich seither
alles geändert hat, zum Guten, wie ich meine, und ich hoffe, dass wir auf diesem Weg
weitergehen können."
- Konzilsdokumente haben ja alle eine Geschichte.
Was hat sich durch Unitatis Redintegratio“ geändert?
"Seit dem Dokument
hat sich nicht geändert, dass wir eine neue Kirche, einen neuen Glauben haben - das
ist derselbe. Aber derselbe Glaube, den die Kirche schon immer hatte, ist wesentlich
vertieft worden aus dem Geist der Heiligen Schrift, aus dem Geist der Kirchenväter,
und aus dem Geist der spirituellen Erfahrung - nicht zuletzt der gemeinsamen Erfahrung
in den Konzentrationslagern im Krieg. Man hat gemerkt: Was uns verbindet, ist mehr,
als was uns trennt, und so ist eine gute Zusammenarbeit entstanden in praktisch allen
Gemeinden, die wir vorher nicht hatten. Ich finde das ist gut, denn wie sollen Christen
anders für den Frieden und für die Versöhnung in der Welt eintreten, wenn sie nicht
untereinander im Frieden und in versöhnter Weise zusammenleben."
- Was
ist Ihr größter ökumenischer Traum, und ist er realisierbar?
"Mein größter
ökumenischer Traum ist die volle Kirchengemeinschaft aller Christen – das wird sicher
ein weiter und schwieriger Weg sein, ich denke dass wir in absehbarer Zeit mit dem
orthodoxen Christen, die uns sehr nahe sind, erhebliche Schritte weiterkommen werden,
auch mit einzelnen Gruppen evangelischer Christen. Aber bis zu einer vollen Einheit
aller Christen, wenn es überhaupt verwirklichbar ist, ist es ein langer und weiter
Weg, aber wir wissen, der Heilige Geist hat diesen Prozess der Ökumene angestoßen,
deshalb haben wir die Hoffnung trotz aller Schwierigkeit auf unserer Seite."
-
Würde Ökumene unter einem anderen Papst anders laufen? Wie wichtig ist seine Persönlichkeit
im Dialog der Kirchen?
"Die Bedeutung des gegenwärtigen Papstes ist kaum
zu überschätzen. Johannes Paul II. hat sehr viel getan in seinem langen Pontifikat,
und er unterstützt den ökumenischen Prozess in jeder nur erdenklichen Weise. Ich denke,
dass er einmal als ein großer ökumenisch denkender Papst in die Geschichte eingehen
wird. Und er hat Pflöcke eingeschlagen, hinter die ein künftiger Papst nach meiner
Ansicht nicht zurückgehen kann - er wird auf der Grundlage, die jetzt erreicht worden
ist, so denken und hoffen und beten wie auch weiter arbeiten. Viele haben es einem
polnischen Papst am Anfang nicht zugetraut, dass er in der Ökumene so viel erreicht,
wie dieser Papst getan hat, und wir sind ihm gerade in diesen Tagen zu sehr großem
Dank verpflichtet. "
Kasper ist Präsident des päpstlichen Rates zur Förderung
der Einheit der Christen. Das Interview entstand am Rand eines Kongresses in Rocca
di Papa bei Rom. (rv 14.11.04)