Hier lesen Sie die Botschaft des Papstes zum kirchlichen Weltfriedenstag am 1.
Januar 2018 in der offiziellen deutschen Übersetzung. (rv)
Migranten und Flüchtlinge: Menschen auf der Suche nach Frieden
1. Friedenswunsch
Friede allen Menschen und allen Ländern der Erde! Der Friede, den die Engel den Hirten
in der Heiligen Nacht verkünden, ist eine tiefe Sehnsucht aller Menschen und Völker,
vor allem derer, die am stärksten darunter leiden, wenn er fehlt. Unter ihnen, die
ich in meinen Gedanken trage und in mein Gebet einschließe, möchte ich einmal mehr
an die über 250 Millionen Migranten in der Welt erinnern, von denen 22,5 Millionen
Flüchtlinge sind. Bei diesen handelt es sich, wie schon mein geschätzter Vorgänger
Benedikt XVI. sagte, um „Männer und Frauen, Kinder, junge und alte Menschen, die einen
Ort suchen, an dem sie in Frieden leben können”. Um ihn zu finden, sind viele von
ihnen bereit, auf einer meist langen und gefährlichen Reise ihr Leben zu riskieren,
Mühe und Leid zu ertragen, Zäune und Mauern zu überwinden, die errichtet wurden, um
sie von ihrem Ziel fernzuhalten.
Im Geist der Barmherzigkeit umarmen wir all diejenigen, die vor Krieg und Hunger fliehen
oder die aufgrund von Diskriminierung, Verfolgung, Armut und Umweltzerstörung gezwungen
sind, ihr Land zu verlassen.
Wir sind uns bewusst, dass es nicht genügt, unsere Herzen dem Leid anderer zu öffnen.
Es muss noch viel getan werden, bevor unsere Brüder und Schwestern wieder in Frieden
in einem sicheren Zuhause leben können. Die Aufnahme des Anderen erfordert konkretes
Engagement, eine Kette von Unterstützung und Wohlwollen, eine wache und verständnisvolle
Aufmerksamkeit. Ebenso verlangt sie einen verantwortlichen Umgang mit neuen komplexen
Situationen, die manchmal zu den zahlreichen bereits bestehenden Problemen hinzukommen,
und mit den Ressourcen, die stets begrenzt sind. Wenn die Regierenden mit Besonnenheit
vorgehen, sind sie imstande, praktische Maßnahmen zu ergreifen, um aufzunehmen, zu
fördern, zu schützen und zu integrieren, und auf diese Weise, “soweit es das wahre
Wohl ihrer Gemeinschaft zulässt, dem Vorhaben derer entgegenzukommen, die sich einer
neuen Gemeinschaft anschließen wollen” (Johannes XXIII., Enzyklika Pacem in Terris,
106). Sie haben eine klare Verantwortung gegenüber der Bevölkerung in ihren Ländern,
deren ordentliche Rechte und harmonische Entwicklung sie gewährleisten müssen, damit
sie nicht wie der törichte Bauherr erscheinen, der falsche Berechnungen angestellt
hat und nicht in der Lage war, den Turm fertigzustellen, dessen Bau er begonnen hatte.
2. Warum so viele Flüchtlinge und Migranten?
Im Hinblick auf die Feier des Großen Jubiläums der 2.000 Jahre, seit die Engel in
Bethlehem den Frieden verkündeten, erinnerte der heilige Johannes Paul II. an die
wachsende Zahl von Flüchtlingen als Konsequenz einer „endlosen und schrecklichen Folge
von Kriegen, Konflikten, Völkermorden und 'ethnischer Säuberungen'“, die das 20. Jahrhundert
gekennzeichnet haben. Das neue Jahrhundert hat bisher noch keine wirkliche Wende gebracht:
Die bewaffneten Konflikte und die anderen Formen organisierter Gewalt verursachen
weiterhin Bevölkerungswanderungen innerhalb der nationalen Grenzen und über sie hinaus.
Aber die Menschen wandern auch aus anderen Gründen aus. Dazu gehört zunächst einmal
der „Wunsch nach einem besseren Leben, oft auch vereint mit dem Versuch, die 'Verzweiflung'
darüber hinter sich zu lassen, dass es ihnen verwehrt ist, sich eine Zukunft aufzubauen”
(Benedikt XVI., Botschaft zum Weltmigrantentag 2013). Man bricht auf, um sich wieder
mit seiner Familie zu vereinen, um Arbeits- und Ausbildungsmöglichkeiten zu finden.
Wer diese Rechte nicht besitzt, lebt nicht in Frieden. „Tragisch ist” darüber hinaus,
wie ich bereits in der Enzyklika Laudato si' betont habe, „die Zunahme der Migranten,
die vor dem Elend flüchten, das durch die Umweltzerstörung immer schlimmer wird”.
Die Mehrheit wandert auf regulärem Weg aus, während manche andere Wege verfolgen,
vor allem aus Verzweiflung, wenn das Heimatland ihnen weder Sicherheit noch Zukunftsaussichten
bietet und jeder legale Weg unbegehbar, versperrt oder zu langsam erscheint.
In vielen Zielländern hat sich eine Rhetorik weit verbreitet, die mit Nachdruck die
Risiken für die nationale Sicherheit oder die Belastung durch die Aufnahme der neu
Ankommenden betont. Dabei wird jedoch die menschliche Würde missachtet, die jedem
zuerkannt werden muss, weil alle Menschen Kinder Gottes sind. Alle, die - vielleicht
zu politischen Zwecken - Angst gegenüber Migranten schüren, säen Gewalt, Rassismus
und Fremdenfeindlichkeit, anstatt den Frieden aufzubauen. Dies gibt allen, denen der
Schutz eines jeden Menschen am Herzen liegt, Anlass zu großer Sorge.
Alle Erkenntnisse, über die die internationale Gemeinschaft verfügt, weisen darauf
hin, dass die globalen Migrationsbewegungen weiterhin unsere Zukunft bestimmen werden.
Einige sehen sie als Bedrohung an. Ich jedoch bitte Sie, auf sie mit einem Blick des
Vertrauens zu schauen, als eine Gelegenheit, eine friedvolle Zukunft aufzubauen.
3. Mit einem betrachtenden Blick
Die Weisheit des Glaubens schärft diesen Blick, der in der Lage ist wahrzunehmen,
dass wir alle “zu einer einzigen Familie [gehören], Migranten und die sie aufnehmenden
Gastvölker, und alle dasselbe Recht [haben], die Güter der Erde zu nutzen, deren Bestimmung
allgemein ist, wie die Soziallehre der Kirche lehrt. Solidarität und Teilen haben
hier ihre Grundlage.” (Benedikt XVI., Botschaft zum Weltmigrantentag 2010) Diese Worte
rufen uns das Bild des neuen Jerusalems wieder ins Gedächtnis. Das Buch des Propheten
Jesaja (Kap. 60) und dann das der Offenbarung des Johannes (Kap. 21) beschreiben es
als eine Stadt, deren Tore stets geöffnet sind, um Menschen aller Völker eintreten
zu lassen; sie bewundern die Stadt und füllen sie mit ihren Reichtümern. Der Friede
ist der Herrscher, der sie leitet, und die Gerechtigkeit der Grundsatz, der das Zusammenleben
in ihrem Inneren bestimmt.
Auch auf die Stadt, in der wir leben, müssen wir mit einem solchen betrachtenden Blick
schauen, “das heißt mit einem Blick des Glaubens [...], der jenen Gott entdeckt, der
in ihren Häusern, auf ihren Straßen und auf ihren Plätzen wohnt [...] [und] die Solidarität,
die Brüderlichkeit und das Verlangen nach dem Guten, nach Wahrheit und Gerechtigkeit
[fördert]” (Apostolisches Schreiben Evangelii Gaudium,71), mit anderen Worten: der
die Verheißung des Friedens verwirklicht.
Wenn wir auf die Migranten und Flüchtlinge schauen, vermag ein solcher Blick zu entdecken,
dass sie nicht mit leeren Händen kommen: Neben der wertvollen Prägung durch ihre Heimatkulturen
bringen sie ein hohes Maß an Mut und Tatkraft, an Fähigkeiten und Erwartungen mit.
Auf diese Weise bereichern sie das Leben der Nationen, die sie aufnehmen. Ein solcher
Blick kann auch die Kreativität, die Ausdauer und die Opferbereitschaft unzähliger
Menschen, Familien und Gemeinschaften wahrnehmen, die in allen Teilen der Welt den
Migranten und Flüchtlingen ihre Türen und Herzen öffnen, auch dort, wo die Ressourcen
knapp sind.
Dieser betrachtende Blick kann schließlich auch die Verantwortungsträger des öffentlichen
Lebens in ihrem Urteil leiten, so dass die Aufnahmepolitik auf ein Höchstmaß ausgeweitet
wird, „soweit es das wahre Wohl ihrer Gemeinschaft zulässt” (Pacem in Terris, 106),
d.h. die Bedürfnisse aller Mitglieder der einen Menschheitsfamilie und das Wohl jedes
Einzelnen von ihnen berücksichtigt werden.
Wer von diesem Blick beseelt ist, wird die ersten Ansätze des Friedens erkennen, die
bereits aufkeimen, und wird für ihr Wachstum Sorge tragen. So wird er unsere Städte,
die oft wegen Konflikten um die Präsenz von Migranten und Flüchtlingen gespalten und
polarisiert sind, in Orte des Aufbaus des Friedens verwandeln.
4. Vier Eckpfeiler für unser Handeln
Um Asylsuchenden, Flüchtlingen, Migranten und Opfern von Menschenhandel eine Möglichkeit
geben zu können, den Frieden, den sie suchen, zu finden, braucht es eine Strategie,
die vier Handlungen miteinander verbindet: aufnehmen, schützen, fördern und integrieren.
„Aufnehmen” ruft die Notwendigkeit ins Gedächtnis, die Möglichkeiten zur legalen Einreise
auszuweiten, Flüchtlinge und Migranten nicht an Orte zurückzuweisen, wo ihnen Verfolgung
und Gewalt drohen, und die Sorge um die nationale Sicherheit mit der Wahrung der grundlegenden
Menschenrechte ins Gleichgewicht zu bringen. Die Heilige Schrift erinnert uns: „Vergesst
die Gastfreundschaft nicht; denn durch sie haben einige, ohne es zu ahnen, Engel beherbergt!”
(Hebr 13,2)
„Schützen” erinnert an die Pflicht, die unantastbare Würde all jener, die vor einer
realen Gefahr fliehen und Asyl und Sicherheit suchen, anzuerkennen und zu wahren und
ihre Ausbeutung zu verhindern. Ich denke dabei besonders an die Frauen und Kinder,
die sich in Situationen befinden, in denen sie Gefahren und Missbrauch bis hin zur
Sklaverei ausgesetzt sind. Gott diskriminiert nicht: „Der Herr beschützt die Fremden,
er hilft auf den Waisen und Witwen” (Ps 146,9).
„Fördern” verweist auf die Unterstützung bei der ganzheitlichen menschlichen Entwicklung
von Migranten und Flüchtlingen. Unter den vielen Mitteln, die dabei helfen können,
möchte ich hervorheben, wie wichtig es ist, Kindern und Jugendlichen den Zugang zu
allen Stufen der Bildung zu garantieren. Auf diese Weise können sie nicht nur ihre
eigenen Fähigkeiten weiterentwickeln und entfalten, sondern sind auch eher in der
Lage, auf die anderen im Geist des Dialogs - nicht der Abschottung und Konfrontation
- zuzugehen. Die Heilige Schrift lehrt: Gott “liebt die Fremden und gibt ihnen Nahrung
und Kleidung”. Deshalb mahnt sie: “Auch ihr sollt die Fremden lieben, denn ihr seid
Fremde in Ägypten gewesen” (Dtn 10,18-19).
„Integrieren” bedeutet schließlich, es den Flüchtlingen und Migranten zu ermöglichen,
voll und ganz am Leben der Gesellschaft, die sie aufnimmt, teilzunehmen - in einer
Dynamik gegenseitiger Bereicherung und fruchtbarer Zusammenarbeit bei der Förderung
der ganzheitlichen Entwicklung des Menschen in den lokalen Gemeinschaften. So schreibt
der heilige Paulus: „Ihr seid also jetzt nicht mehr Fremde und ohne Bürgerrecht, sondern
Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes” (Eph 2,19).
5. Ein Vorschlag im Hinblick auf zwei internationale Pakte
Ich wünsche mir von Herzen, dass dieser Geist den Prozess bestimmt, der im Laufe des
Jahres 2018 dazu führen wird, dass die Vereinten Nationen zwei globale Pakte definieren
und verabschieden - einen für sichere, geordnete und reguläre Migration, den anderen
für Flüchtlinge. Als Vereinbarungen auf globaler Ebene stellen diese Pakte einen wichtigen
Bezugsrahmen für politische Vorschläge und praktische Maßnahmen dar. Deshalb ist es
wichtig, dass sie von Mitgefühl, Weitsicht und Mut inspiriert sind, so dass jede Gelegenheit
genutzt wird, den Aufbau des Friedens voranzubringen. Nur so ist es möglich, dass
der notwendige Realismus der internationalen Politik nicht dem Zynismus und der Globalisierung
der Gleichgültigkeit zum Opfer fällt.
Dialog und Koordinierung stellen tatsächlich eine Notwendigkeit und ureigene Pflicht
der internationalen Gemeinschaft dar. Jenseits nationaler Grenzen ist es möglich,
dass auch weniger reiche Länder eine größere Anzahl von Flüchtlingen aufnehmen oder
besser aufnehmen können, wenn durch internationale Zusammenarbeit die Bereitstellung
der notwendigen Mittel gewährleistet ist.
Die Abteilung für Migranten und Flüchtlinge des Dikasteriums für den Dienst zugunsten
der ganzheitlichen Entwicklung des Menschen hat 20 Handlungsschwerpunkte vorgeschlagen,
die dazu dienen, dass die vier genannten Verben auf politischer Ebene umgesetzt werden,
ebenso wie in der Einstellung und im Handeln der christlichen Gemeinschaften. Diese
und andere Beiträge möchten das Interesse der katholischen Kirche an dem Prozess,
der zur Anwendung der beiden globalen Pakte der Vereinten Nationen führt, zum Ausdruck
bringen. Dieses Interesse spiegelt eine allgemeinere pastorale Fürsorge wider, die
mit der Kirche entstanden ist und die sich durch zahlreiche Werke bis in unsere Tage
fortsetzt.
6. Für unser gemeinsames Haus
Die Worte des heiligen Johannes Paul II. inspirieren uns: „Wenn viele den „Traum”
von einer Welt des Friedens teilen und der wertvolle Beitrag von Migranten und Flüchtlingen
geschätzt wird, dann kann die Menschheit mehr und mehr zur Familie aller und unsere
Welt zum wahren „gemeinsamen Haus” werden.” (Botschaft zum Weltmigrantentag 2004)
Viele in der Geschichte haben an diesen „Traum” geglaubt und wie viele haben Zeugnis
dafür abgelegt, dass es sich dabei nicht um eine unrealisierbare Utopie handelt.
Zu ihnen muss die heilige Franziska Xaviera Cabrini gezählt werden, die 2017 ihren
hundertsten Todestag hat. Heute, am 13. November, wird von vielen kirchlichen Gemeinschaften
ihr Gedenktag gefeiert. Diese kleine großartige Frau, die ihr Leben dem Dienst der
Migranten widmete und dann ihre Patronin im Himmel wurde, hat uns gelehrt, wie wir
diese unsere Brüder und Schwestern aufnehmen, beschützen, fördern und integrieren
können. Auf ihre Fürsprache möge der Herr uns allen gewähren, diese Erfahrung zu machen:
„Die Frucht der Gerechtigkeit wird in Frieden für die gesät, die Frieden schaffen.”
(rv 24.11.2017 mg)
All the contents on this site are copyrighted ©. |