2017-11-13 14:23:00

Irak: Erdbeben verschärft bereits schwierige Situation


Das Erdbeben, das den Iran und Irak getroffen hat, verschärft insbesondere im Norden des Irak eine bereits vorher prekäre Situation: Das sagte uns im Gespräch an diesem Montag Astrid Meyer, sie ist Referentin für den Nahen Osten des katholischen Hilfswerks Misereor und gerade erst von einer Reise in die Region zurückgekehrt. Wir haben sie nach den Auswirkungen des Erdbebens in den krisengeschüttelten Gebieten gefragt.

Meyer: „Im Moment haben wir auch noch nicht viel mehr an Informationen als die, die in den Medien zu finden sind. Was ich gesichert sagen kann, ist, dass die Schäden weitaus dramatischer sind auf iranischer Seite. Es hat bislang keine Nachbeben gegeben, aber was man sich einfach vergegenwärtigen muss, diese Situation kommt zu einer ohnehin immer schwierigeren Situation dazu.“

RV: Misereor hatte ja angesichts dieser schwierigen Situation schon 100.000 Euro an Soforthilfe für Flüchtlinge in der nun auch durch das Erdbeben getroffenen Region des Nordirak bereitgestellt, wird die Summe denn nochmals aufgestockt?

Meyer: „Das ist wahrscheinlich. Ich bin mit verschiedenen Partnerorganisationen sehr eng im Dialog. Das Problem bzw. die Aufgabe, die sich jetzt stellt, ist die, eine bessere Einschätzung zu dem akuten Bedarf machen zu können. Denn selbst, wenn wir mehr Gelder zur Verfügung stellen können, stellt sich jetzt die Problematik, dass insgesamt nicht nur die laufenden Projekte blockiert sind, sondern auch, wenn man an die Soforthilfen denkt, diese unter erschwerten Bedingungen stattfinden, weil der internationale Flugverkehr noch geschlossen ist, so dass es auch schwierig ist, Güter und Personal ins Land zu bekommen.“

Situation im Norden Iraks wird immer schwieriger

RV: Sie hatten es angesprochen, dieses Erdbeben kommt zu einer sowieso schon schwierigen Situation hinzu. Sie sind erst vor Kurzem von einer Reise in die Region zurück gekehrt. Was für Informationen über die Lage im Nordirak vor dem Erdbeben haben sie da erhalten?

Meyer: Dass die Situation sehr viel schwieriger geworden ist durch das Referendum. Schon im Vorfeld kündigte sich Unsicherheit an, und durch den sehr großen Zuspruch, den das Referendum hatte, hat sich nun der Konflikt zwischen der Zentralregierung in Bagdad und Erbil sehr zugespitzt. In diesem Zusammenhang hatten sich auch die von Ihnen erwähnten zwei Soforthilfen ergeben, weil die Zentralregierung in Bagdad irakisches Militär mit Unterstützung schiitischer Milizen in die Gebiete geschickt hat, vor allem um die so genannten umstrittenen Gebiete wieder zurück zu erobern, was mittlerweile auch gelungen ist. Das Problem ist nun, dass diese Gebiete zurück erobert sind, es ist Militär da, es sind Sicherheitskräfte da, aber was die Zentralregierung in Bagdad versäumt, ist es, auf den unmittelbaren Bedarf der Menschen, die ohnehin schon seit Jahren unter schwierigen Bedingungen leben, einzugehen.

RV: Sind denn jetzt auch Repressalien gegenüber den Bewohnern der Gebiete, in denen das Unabhängigkeitsreferendum ausgerufen wurde, zu beobachten?

Meyer: Ja, leider kommen uns da sehr besorgniserregende Nachrichten zu Ohren. Ein Grund dafür ist, dass sowohl die irakische Armee sich mehrheitlich schiitisch zusammen setzt, als auch die Miliz, die die zentralirakische Armee dort unterstützt. Denen eilt ein sehr schwieriger Ruf voraus, sie sollen sehr gewaltbereit sein. Man spricht von Brandschatzung, Plünderungen, die sich gegen die Kurden und all diejenigen richtet, die nicht schiitisch sind. Es ist eine problematische Schwarz-Weiß-Situation, die sich hier zuspitzt.

Unsicherheit der Christen steigt weiter

RV: Patriarch Sako hat ja im Vorfeld des Referendums immer wieder darauf hingewiesen, dass die Christen ganz besonders zwischen die Fronten geraten können, hat sich das jetzt bestätigt? Wie ist die Situation der Christen vor Ort?

Meyer: „Es hat sich insofern bestätigt, als dass es das Unsicherheitsgefühl der Christen nochmals verstärkt hat. Die Christen sind ohnehin eine Minderheit. Man hoffte ja auf eine Rückkehr, und diese Hoffnung ist nun entkräftet, weil durch die erneuten Kämpfe das Misstrauen gegenüber den ehemaligen Nachbarn noch vertieft worden ist. Gleichzeitig möchte ich auch betonen, und dafür steht auch Misereor in seiner Arbeit, dass ebenso die Jesiden weiter eine der verletzlichsten Gruppen in der gesamten Konflikt- und Gemengelage bleiben.“

RV: Wie wird es angesichts der internationalen Interessen, die sich in diesem Gebiet konzentrieren und mit dem Erdbeben, das jetzt nochmals alles zum Stillstand bringt, weiter gehen? Was für eine Situation müssen wir uns für die kommenden Wochen erwarten?

Meyer: „Wir stellen uns darauf ein, dass es weiter Bedarf geben wird an unmittelbarer Erstversorgung. Die Situation ist absolut unklar, weder Bagdad hat konkrete Bestrebungen und Planungen, was den Wiederaufbau anbelangt, Gesundheitsleistungen, Infrastruktur oder Bildungseinrichtungen wiederherzustellen, und die Kurdenregierung in Erbil ist ja schon seit vielen Jahren in einer absoluten Finanzkrise. Und wenn jetzt hier wiederum zusätzliche Ressourcen und Kapazitäten in Militär und Sicherheitswahrung gehen, mindert das natürlich die Kapazitäten für die Versorgung der intern Vertriebenen und auch der lokalen Bevölkerung.

Kirche kann wichtige Rolle bei der Vermittlung einnehmen

RV: Was für eine Rolle spielen hier Misereor und seine Partner?

Meyer: „Wir müssen uns einstellen auf diese Unsicherheit, auf diese innermuslimisch verschärfte Konfliktlinie, also sunnitisch gegen schiitisch. Wir müssen versuchen, da im Dialog zu bleiben, um dem etwas entgegenzusetzen. Was christliche Partner ja auch auszeichnet ist das, dass sie für ein Miteinander jenseits dieser Konfliktlinien einstehen können und das könnte eben auch eine wichtige Rolle sein, die die Kirche und kirchennahe Organisationen dort einnehmen können.“

RV: Kann denn die internationale Gemeinschaft in diesem Zusammenhang etwas tun – oder muss sie etwas tun?

Meyer: „Der Blick der internationalen Gemeinschaft ist ja weiter sehr der Sicherheitsheits- und Militärlogik verpflichtet. Es ist aber auch wichtig, auf Dialog zu setzen und wirklich die Bevölkerung im Blick zu haben. Die politischen Machtinteressen stehen ja an erster Stelle und das geht wieder zu Lasten der Bevölkerung, also wirklich aller Bevölkerungsteile.“ 

(rv 13.11.2017 cs)








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