2017-11-09 16:37:00

Rom: 200 Jahre deutschsprachiger evangelischer Gottesdienst


Der erste deutschsprachige evangelische Gottesdienst auf römischem Boden wurde vor genau 200 Jahren gefeiert: Anlässlich des damals 300-jährigen Reformationsgedenkens ergriffen evangelische Christen in Rom die Initiative. Da es keinen Geistlichen für die kleine Gemeinde gab, luden sie am 9. November 1817 in die Privatwohnung des Gesandten der Preußischen Botschaft beim Heiligen Stuhl. Ein für die damalige Zeit mutiger und bemerkenswerter Akt, meint im Gespräch mit Radio Vatikan Pfarrer Jens-Martin Kruse, der heute die deutsche evangelisch-lutherische Gemeinde Roms betreut.

RV: Vor 200 Jahren gab es den ersten lutherischen Gottesdienst in Rom – da war aber gar kein Geistlicher anwesend. Da fragt man sich als Katholik, wie kann das denn sein?

Kruse: Damals im Jahr 1817 gab es im Königreich Italien noch keine Religions- und Kultusfreiheit, deshalb durften alle anderen, die keine römisch-katholischen Christen waren, ihren Glauben nicht offiziell ausleben, feiern und gestalten. Von daher gab es keinen Geistlichen und es ist gut biblisch, dass evangelische Christenleute sich im Frühherbst  1817 zusammenfanden und  aus Anlass des 300-jährigen Reformationsgedenkens beschlossen haben, dass man auch in Rom in eigener Tradition Gottesdienst feiern wollte. Ich fand das einen ganz mutigen und couragierten Akt, dass sie gesagt haben, auch wenn wir gegenwärtig keinen Geistlichen, keinen Pfarrer haben, wollen wir doch Gottesdienst feiern. Man hat sich dann in der Privatwohnung des damaligen Gesandten in der preußischen Botschaft beim Heiligen Stuhl versammelt und am 9. November in Rom den ersten evangelisch-lutherischen Gottesdienst in deutscher Sprache gefeiert.

RV: Wie sah das denn da aus, strenge Gesandte mit gezwirbelten Bärten, deutsche Hausmädchen, Bäcker – wer kam da? Und was weiß man über den Ort des ersten Gottesdienstes?

Kruse: „Ich denke, man kann sich die kleine evangelische Gemeinde als eine ganz bunte Schar vorstellen, ganz unterschiedliche Berufe, ganz unterschiedliche Gesellschaftsschichten, die zusammen waren. Das hat natürlich was mit den Gründen zu tun, aus denen Deutsche in Rom lebten. Die preußischen Gesandten waren natürlicherweise evangelischen Glaubens, aber auch eine ganze Reihe von Künstlern oder Handwerker wie Hausmädchen, die aushalfen bei adligen Familien, oder Bäcker und Bierbrauer– es gab in Rom schon lange Zeit evangelische Christen. Nur hatten sie nie eine Gemeinde gehabt. Das ändert sich mit diesem Gottesdienst, das ist sozusagen der Anfang der kleinen evangelischen Gemeinde in Rom. Diese ist zunächst nicht geduldet und gewollt, deshalb der Rückzug in die Privaträume des damaligen Sekretärs der Gesandtschaft Karl Christian Josias von Bunsen. Der wurde wenige Jahre später 1821 der Gesandte der Botschaft Preußens beim Heiligen Stuhl mit Residenz im damaligen Palazzo Caffarelli auf dem Kapitol – das ist der heutige rechte Flügel der Kapitolinischen Museen. Bunsen ist also so etwas wie der Gründungsvater der Gemeinde, er richtete in seiner Residenz eine Gesandtschaftskapelle ein. Es gibt schöne Beschreibungen von Künstlern, die Teil der Gemeinde waren, dass die Kapelle mehr den Charakter des Stalls von Bethlehem hatte, also eher eine bescheidene, nicht herrschaftliche oder prächtige Ausstattung. Das entsprach ganz dem Selbstbewusstsein der Gemeinde, nach dem Motto: Wir wollen zurück zu den Anfängen.“

RV: Da schreibt also ein preußischer Gesandter eine eigene Liturgie. Das müsste doch irgendjemandem – da denke ich vatikanisch – vorgelegt werden zur Approbation.

Kruse: „Das ist richtig. So war das damals auch. Das Interessante ist, dass Bunsen selbst von Haus aus Historiker, Diplomat und Archäologe war und ein großes liturgisches und liturgiehistorisches Interesse hatte.“

RV: Sie haben diese Liturgie vor kurzem selbst mit ihrer Gemeinde in der Christuskirche gefeiert. Wie ist das, als Pfarrer so eine alte Liturgie wieder aus dem „Giftschrank“ zu nehmen?

Kruse: „Es war eine ganz spannende und wirklich bereichernde Erfahrung, am vergangenen Sonntag, aus Anlass des Gedenkens an diesen ersten evangelischen Gottesdienst in Rom tatsächlich wieder und seit langer, langer Zeit – ich kenne kein anderes Beispiel – wieder die Kapitolinische Liturgie mit der Gemeinde zu feiern. Das habe ich vorbereitet, indem ich die alten liturgischen Bücher gelesen habe und die Texte transkribiert habe und das liefert eine ganze Reihe interessanter Erfahrungen und Beobachtungen. Am wichtigsten fand ich aber die Feststellung, dass die Liturgie sich gut feiern lässt.“

(rv 09.11.2017 sk)








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