2017-10-23 13:00:00

Tagung zu Europa: „Einen Weg zurück gibt es nicht“


Europa muss sich weiter entwickeln, auch und gerade wegen der Krisen in der Vergangenheit. Einen Weg zurück gebe es nicht, sagt Kardinal Reinhard Marx, Präsident der EU-Bischöfe. Die Bischöfe – vereint in der COMECE – veranstalten dazu in dieser Woche im Vatikan einen Kongress, „(Re)thinking Europe“, Europa neu denken. „Wir wollen einen Raum schaffen, in dem Mut gemacht wird“ bringt der Vorsitzende der Comece, Kardinal Reinhard Marx, das Anliegen auf den Punkt.

Und Mut braucht es, sieht Europa doch nicht mehr so sonnig aus wie noch vor einigen Jahren. Es gibt weniger Optimismus, was den Willen zu mehr Gemeinsamkeit angeht. Stattdessen scheinen die Zeichen eher auf Trennung zu stehen. „Es ist ein Suchprozess, eine Orientierungsphase, in der wir uns nun entscheiden müssen, was wir in den nächsten 20 bis 50 Jahren mit Europa anfangen? Was ist das Zielbild?“, so Kardinal Marx. Krisen habe es immer gegeben, auch wenn die jüngsten „heftig“ gewesen seien, der Kardinal spricht von der Eurokrise. Die Kirche wolle beim Mutmachen helfen, aber man wolle nicht einfach nur sagen, was zu tun sei, sondern zu Dialog und Austausch einladen.

Ein Projekt, dass man nicht aufgeben kann

„Europa ist ein Projekt. Das kann man nicht aufgeben. Das ist eine einmalige Erfahrung in der Menschheitsgeschichte, dass Völker und Nationen sich frei entscheiden, einen Teil ihrer Souveränität abzugeben, zusammenzuarbeiten und nie wieder gegeneinander Krieg zu führen, sondern zu einem gemeinsamen Nutzen, zur Wohlfahrt ihrer Völker zusammenzuwirken“: diese Vision möchte die Kirche im Dialog mit der Politik hier im Vatikan betonen, sagt Kardinal Marx. „In Respekt vor den Menschenrechten, mit Demokratie, mit Verfassung, mit Rechtsstaatlichkeit. Das ist etwas Großartiges. Ab und zu muss man daran erinnern, die Vergesslichkeit ist so groß.“

Einen zweiten Punkt nennt er: eine stärkere Solidarität und Subsidiarität in Europa, die beiden zusammenhängenden Begriffe der Soziallehre. Eigentlich liege das Thema ja offen da, seit Jahren werde darüber gesprochen und debattiert. „Deswegen bin ich erstaunt und auch etwas traurig darüber, dass das Thema Europa im Bundestagswahlkampf überhaupt keine Rolle gespielt hat“, kommentiert Kardinal Marx. „Vielleicht haben einige geahnt, dass es eben auch bedeuten wird, dass Deutschland sich noch stärker engagieren muss.“ Deutschland sei zwar nicht einfach nur der Zahlmeister, aber genauso wenig könne Deutschland erwarten, dass alle anderen Länder „genauso werden wie wir“. „Deswegen ist eine größere soziale Komponente, eine größere Solidarität erforderlich.“

Mehr Solidarität

Ein dritter Punkt auf der Dialog-Liste der Kirche: Für was steht Europa in der Welt? Dazu Kardinal Marx: „Auf welchem Wertefundament steht Europa? Das ist etwas, das wir auch in der Welt bezeugen sollen. Und wer soll für die Großentwicklung der Menschheit sprechen, gerade in der jetzigen Zeit, in der die Stimme der Vereinigten Staaten etwas schwierig geworden ist? Denken wir an die Frage des Klimas, an die große Formulierung des Papstes:  ,Das Haus der einen Schöpfung', dass wir für alle da sind, dass die Armen im Blick bleiben und die kommende Generation. Da hat Europa eine riesige Verantwortung und das wird der Papst wahrscheinlich auch beim Kongress sagen. Da hat Europa eine Rolle zu spielen. Es ist die Stunde Europas, und das sollten wir uns als Kirche auch zumuten.“

Zur Krise Europas gehört aber auch, dass es sich scheinbar auseinander entwickelt, die Vision von Papst Johannes Paul II. von einem „Europa der zwei Lungenflügel“, Ost und West, erscheint entfernter denn je. „Wir müssen respektieren, dass die Länder in Mittel- und Osteuropa auch eine eigene Geschichte haben, die sie zum Teil erst nach einigen Jahren wiederentdeckt haben.“ Kardinal Marx spricht vom Schaden, den die Ideologien und Kriege des letzten Jahrhunderts angerichtet hätten, auch sei die Übernahme der westlichen, kapitalistischen Lebensweise oft zu schnell gegangen. „Wie wir es hinbekommen, in der Vielfalt Europas zu einem ,Common Sense' über die wesentlichen Grundlagen zu kommen, ist schwieriger geworden. Das habe ich vor zehn Jahren noch nicht gedacht. Es gibt keinen Weg zurück in die nationalistische Variante der staatlichen Entwicklung, und wer Mitglied der Europäischen Union ist, muss sich auf diese Grundlagen beziehen. Und da hoffe ich, dass es sich nach einige Turbulenzen weiter entwickelt. Aber das macht mir ein wenig Sorge. Eine Entwicklung, die die eigene Nation erhöht gegenüber andern, ist nicht das, was wir als Christen befördern sollten.“

Das sollte das Christentum nicht befördern

Einen Weg zurück sieht der Kardinal aber nicht, das sei ein „Irrweg“. „Es gibt keinen Weg zurück, nie gibt es einen Weg zurück, sondern immer nur nach vorne.“

Ein Bischof, der zu den Teilnehmern sprechen wird, ist der Bischof von Rom, Papst Franziskus. Er habe dazu ermutigt, dass der Kongress gemeinsam von COMECE und Vatikan veranstaltet werde und erneut gezeigt, dass ihm Europa nicht gleichgültig ist, auch wenn er „vom Ende der Welt“ gekommen sei, wie er selbst sagt. Angeeckt an diesem Ende der Welt ist aber ein Ausdruck, den er in einer seiner Europareden gebracht hatte, das Wort von der „unfruchtbaren Großmutter“. Das saß. „Die Sorge des Papstes, die dahinter steht, ist: Hat Europa noch Lust auf Zukunft und auf Leben?“, erklärt Kardinal Marx. „Das drückt sich auch aus in der Frage, ob ich bereit bin, Familie zu gründen, Kinder in die Welt zu setzen. Das wäre ein wichtiger Impuls: Europa, du bist Teil der Zukunft. Zieh dich nicht zurück auf deine geschlossene Welt. Verteidige deinen Wohlstand nicht so, dass es wie eine Mauer aussieht. Das eingemauerte Europa und was drum herum passiert, interessiert nicht. Das ist unfruchtbar. Johannes Paul II. hat immer sehr schön gesagt: Europa heißt Öffnung. – Das war für mich immer ein Leitmotiv meiner Arbeit für Europa.“

 

Das Gespräch mit Kardinal Marx fand am Rande des Katholischen Journalistenkongresses in Bonn statt, geführt wurde es gemeinsam von Radio Vatikan und der Katholischen Nachrichtenagentur.

(rv 20.19.2017 ord)








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