Vorgeburtliches „Aussortieren" von weiblichen Embryonen - ein Missstand, der von
China und Indien bekannt ist – „hat auch Europa längst erreicht": Auf diesen Trend
zum „Genderzid" durch neue, unkomplizierte genetische Pränatal-Tests hat die Geschäftsführerin
des Wiener Bioethikinstituts IMABE, Susanne Kummer, aufmerksam gemacht und mit Beispielen
aus vielen Ländern belegt. Geschlechterselektion sei „keine Lappalie, sondern eine
Menschenrechtsverletzung, die unter allen Umständen unterbunden werden muss", forderte
Kummer entsprechende gesetzliche Vorkehrungen. „Wer Abtreibung wegen des Geschlechts
toleriert, forciert eine diskriminierende Sicht auf Mädchen und Frauen."
Das Geschlecht kann heute laut der Bioethikerin per Bluttest bereits in der neunten
Schwangerschaftswoche bestimmt werden - also früher als bei einer Ultraschalluntersuchung
und noch innerhalb der gesetzlichen Frist von zehn oder zwölf Wochen, die in etlichen
Ländern für einen Schwangerschaftsabbruch gelten. Der Schweizer Bundesrat arbeite
bereits an einem Gesetz, wonach das Geschlecht des Ungeborenen erst nach der zwölften
Woche mitgeteilt werden darf. Denn auch in unserem Nachbarland mit seiner hochentwickelten
Demokratie kenne man das Problem: Kummer verwies auf einen Bericht der „Neuen Zürcher
Zeitung" vom September, wonach es in der Schweiz jährlich zu rund 100 Abtreibungen
aufgrund „falschen" Geschlechts kommt.
Auch innerhalb der Europäischen Union würden diskriminierende Abtreibungen von Mädchen
durchgeführt, so etwa in Schweden oder in Großbritannien. In den Balkanstaaten und
im Kaukasus sei die Abtreibung von Mädchen bereits ein einträgliches Geschäft, teilte
Kummer mit. Und es zeigten sich dort bereits gravierende Konsequenzen auf die demographische
Entwicklung: In Albanien, in Mazedonien und im Kosovo kommen auf 100 neugeborene Mädchen
mittlerweile 110 Buben, in Montenegro ist das Verhältnis gar 100 zu 113, ähnliches
gilt für Armenien und Aserbaidschan.
Wohin ein über viele Jahre geduldeter Genderzid führt, zeigen laut IMABE vorliegenden
Daten die bevölkerungsreichsten Länder der Welt, China und Indien, als „Vorreiter
der vorgeburtlichen Tötung von Mädchen". Laut UNO fehlen in Indiens Bevölkerung 50
Millionen Mädchen und Frauen, weil sie abgetrieben oder nach der Geburt getötet wurden.
In China würden demnächst mindestens 30 Millionen Männer im heiratsfähigen Alter keine
Frau finden können – „weil sie fehlen". Auch die Zwei-Kind-Politik, die in China 2016
die Ein-Kind-Politik nach 35 Jahren ablöste, könne diese Kluft nicht überbrücken.
Ein normales Geschlechterverhältnis liegt laut WHO bei 102 bis 106 Buben zu 100 Mädchen,
in China sind es 114.
Selektion grundsätzlich problematisch
Susanne Kummer fordert entschiedenes Gegensteuern durch die Legislative. Allerdings
zeige die Debatte um den Genderzid auch innere Widersprüche, so die Ethikerin: „Einerseits
sollen Ärzte bei Tötung eines weiblichen Babys nicht mitmachen, selbst wenn sich Eltern
dadurch kulturell stigmatisiert fühlen, zugleich aber sollen Ärzte Abtreibung von
Kindern mit Down-Syndrom durchführen." Die IMABE-Expertin sieht hier ein generelles
Problem: „Eine Gesellschaft, die bestimmten Personen Menschenwürde zu- oder abspricht,
begibt sich in eine illegitime Machtposition."
Es sei hoch an der Zeit, dass auch in Österreich dokumentiert werde, aus welchen Gründen
sich Frauen zu einer Abtreibung entschließen, forderte Kummer. Sie plädierte für die
von der „Aktion Leben" initiierte Bürgerinitiative „Fakten helfen" (www.fakten-helfen.at)
um dem Missstand zu begegnen, dass Österreich eines der letzten europäischen Länder
sei, in denen keine Datenerhebung über Abtreibung stattfindet.
Das „Institut für Medizinische Anthropologie und Bioethik" (IMABE) wurde 1988 als
unabhängige wissenschaftliche Einrichtung in Wien gegründet. Von seiner Gründungsidee
her arbeitet das Institut interdisziplinär und fördert den Dialog von Medizin und
Ethik in Forschung und Praxis auf Grundlage des christlich-humanistischen Menschenbildes.
Die Österreichische Bischofskonferenz übernahm 1990 die Patronanz.
(kap 10.10.2017 pr)
All the contents on this site are copyrighted ©. |