2017-09-10 10:19:00

Kolumbien: Warum der Papst nach Cartagena musste


Cartagena, die Perle der Karibik Kolumbiens: Letzte Etappe der Reise von Papst Franziskus in das so schöne wie schwierige Land im Norden Südamerikas. Cartagena ist eine hinreißend schöne Stadt mit manch dunkler Seite. Neben Fremdenverkehr steht Sextourismus, neben unvorstellbarem Luxus, den die Metropole hervorbringt und wenigen Auserwählten gewährt, wuchern Armut und Gewalt, und Millionen-Dollar-Yachten liegen unweit der Slums, in denen die afro-kolumbianische Bevölkerung ihr Leben fristet. Gudrun Sailer sprach in Cartagena mit dem Priester Rafael Castillo Torres, der selbst der schwarzen Bevölkerung angehört und als Caritas-Vikar des Erzbistums Cartagena wirkt. Er glaubt, Franziskus hat drei Gründe, nach Cartagena zu kommen.

„Ich glaube es gibt drei Gründe, warum der Papst nach Cartagena kommt. Erstens, weil das Evangelium damals über das Meer nach Kolumbien kam. Cartagena war die Stadt, über die alle Missionare hier landeten. Zweitens, wir haben hier ein Modell der Heiligkeit wie San Pedro Claver, dem großen Jesuiten, der sich der Sklaven annahm, und in Cartagena haben wir sehr viele Nachfahren afrikanischer Sklaven, die Afrokolumbianer zählen zu den ärmsten Schichten hier. Und dann glaube ich, dass Papst Franziskus von Cartagena aus zur Welt sprechen muss.”

RV: Was wird der Papst Ihrer Einschätzung nach ansprechen?

„Es gibt drei Schanden hier: zum einen der Sex-Tourismus, ein entsetzlicher Angriff auf die menschliche Würde. Das Erzbistum Cartagena macht mit Adveniat ein Projekt namens Thalita Qum, Mädchen, steh auf. Eine bevorzugte Option für Mädchen, die Opfer der sexuellen Ausbeutung sind. Der Papst wird sie treffen, und ihre Familien, und dort wird er auch die Armen von der Straße treffen. Das zweite: der Papst wird jene treffen, die am meisten leiden, die Ausgeschlossenen und an den Rand Gedrängten. Er wird ihnen sagen, dass die Benachteiligten im Herzen Gottes einen besonderen Platz haben, und dass sie Hoffnung haben können. Und drittens, der Papst wird hier die Schwarzen der Karibikregion und des Pazifik treffen, mit den Schwarzen Kolumbiens. Und wir werden diese Stimme hören, die uns Sicherheit und Hoffnung gibt.“

RV: Sie sprachen die Frage der Afro-Kolumbianer an. Wie kommt es, dass 200 Jahre nach der Unabhängigkeit dieses Landes in einer reichen Stadt wie Cartagena noch so viel Ungleichheit zwischen schwarz und weiß da ist?

„Leider ist das eine Stadt, die auf Aristokratie und Abstammung errichtet wurde – in diskriminierender Art. Eine Stadt, in der Familiennamen viel zählen. In der weiß zu sein bedeutet, Privilegien zu haben. Zwar haben wir Gesetze und Normen, die das verhindern sollen. Aber die haben es uns noch nicht erlaubt, die Würde zurückzugewinnen, sodass wir als Gleiche behandelt werden im Rahmen des Rechts. Sie können sich in Cartagena beispielsweise ansehen, wer die Straßenhändler sind. Wer die Hausangestellten sind. Wer Arbeiten am Existenzminimum verrichtet. Das sind die Schwarzen. Wer lebt in die ärmsten, randständigsten Viertel Cartagenas? Die Schwarzen. Wem ist es hier in Cartagena verboten, bestimmte Orte zu betreten? Den Schwarzen. Wenn ich im Priesteranzug an bestimmte intellektuelle Orte in Cartagena gehe, wird man sagen, ach, Sie sind Pater Castillo von der Caritas, kommen Sie rein, wir freuen uns! Aber wenn ich im T-Shirt komme, wird die Antwort anders ausfallen. Ich kann nicht umhin zu sehen, dass in einer Stadt wie Cartagena die Schwarzen die sind, die mehr Leid erfahren und mehr Ausschluss. Das sagt etwas aus über unsere mangelnde menschliche Güte. Wie arm sind wir menschlich!”

RV: Was konkret tut die Kirche?

„Wir arbeiten an einer Kirche mit solidarischem Antlitz, wir arbeiten daran, dass jedes ihrer Kinder das nötige Minimum hat, um die menschliche Größe zu realisieren, die ihm als Kind Gottes zukommt – in einem Umfeld wie Cartagena, das dazu leider im Gegensatz steht. Wir fördern Initiativen produktiver Art, damit die Leute Arbeit haben, damit sie Autonomie haben, damit sie die Zügel ihres Lebens in die Hand nehmen können, damit sie aufhören Opfer zu sein und abhängig. Denn wenn ein Mensch ein Guthaben an Bürgersinn hat, wenn einer es schafft, jeden Tag zu Hause Brot auf seinen Tisch zu legen, das er im Schweiß seines Angesichts erarbeitet hat, dann ist das ein Mensch, der unbestechlich ist gegenüber dem politischen Klientelismus, der in Kolumbien und vielen anderen Ländern Lateinamerikas so viel Schaden angerichtet hat.“

RV: Franziskus ist ein politischer Papst, zu politisch für viele in Kolumbien: er fordert tierra, techo, trabajo - Boden, Haus, Arbeit. Stört das viele in Kolumbien?

„Franziskus ist ein begrüßenswert unbequemer Papst. Und ein angemessen lästiger Papst. Ich bin nicht sicher, ob er ein politischer Papst ist, jedenfalls einer, der auf das Gemeinwohl achtet, das würdige Leben, und die Bewahrung der menschlichen und der Ökosysteme. Tierra, techo, trabajo – das ist die Forderung der lateinamerikanischen Volksbewegungen, und es ist das Minimum, das die kleinen Leute brauchen, um ein anständiges Leben zu führen. Und wenn der Papst das sagt, dann deshalb, weil die Kirche und das Evangelium ihn als Hirten darum bitten.“

In Cartagena besucht der Papst das Heiligtum des Peter Claver, der heilige Jesuit hatte sich zu seiner Zeit der Sklaven angenommen, die über den großen Hafen der Stadt aus Afrika eintrafen. Franziskus trifft im Claver-Heiligtum auch seine kolumbianischen Jesuiten-Mitbrüder. Davor segnet er zwei Grundsteine für eine Obdachloseneinrichtung und für ein Mädchenheim der Organisation Talita Qum. Eine Messe rundet das Besuchsprogramm ab, danach geht es für den Papst zurück nach Rom.

(rv 10.09.2017 gs)








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