2017-09-09 18:05:00

Papstmesse in Medellín: Jüngerschaft mit Urteilsvermögen


Mehr Kühnheit bei der Ausbildung von missionarischen Jüngern, die sich nicht an Gesetzen festklammern und mit Mut nach dem wahren Willen Gottes forschen: dies wünscht sich Papst Franziskus von der Kirche in Kolumbien. Zu Beginn des dritten Reisetages feierte er eine Messe am Flughafen von Medellín, der nach Johannes Paul II. benannt ist. Mehr als eine Million Gläubige waren gekommen, um Papst Franziskus im Rahmen seiner Kolumbienreise zu erleben, unter ihnen war auch der frühere Staatspräsident Kolumbiens Alvaro Uribe.

Die Atmosphäre erinnerte an Fußball: Mit munteren Sprechchören, Liedern und Pfeifkonzerten erwarteten die Gläubigen, die trotz Regens dicht an dicht auf dem Flughafengelände standen, den Papst, der seinerseits die Messbesucher mit einer ausgedehnten Rundfahrt im Papamobil belohnte. In seiner Predigt knüpfte Franziskus an seine Messe in Bogotá am Donnerstag an; darin hatte er über die Berufung der ersten Jünger gesprochen. Diese hätten sich in der Nachfolge Jesu von zahlreichen Vorschriften freimachen müssen, deren Erfüllung ihnen zwar das Gefühl gegeben habe, Gott zu gefallen. Doch Jesus, betonte Franziskus, hatte anderes im Sinn: sein Weg und somit der seiner Jünger führte zu den Ausgeschlossenen in der Gesellschaft.

Lernen, von starren Regeln abzuweichen

„Diese Wirklichkeit,“ so der Papst, „erforderte von ihnen sehr viel mehr als eine Anweisung, eine festgelegte Norm. Sie lernten, dass das Hinter-Jesus-Hergehen andere Prioritäten beinhaltet, andere Überlegungen, um Gott zu dienen.“ Denn das „Festklammern“ an einem bestimmten Stil und bestimmten Verhaltensweisen nähere uns mehr der Lebensweise mancher Pharisäer von damals als der von Jesus an, fuhr der Papst fort.

Jesus bleibt nicht bei einer scheinbar ,korrekten´ Einhaltung des Gesetzes stehen. Er bringt das Gesetz zu seiner Fülle und will uns daher in diese Richtung ziehen, zu jenem Stil der Nachfolge, der beinhaltet, zum Wesentlichen zu gehen, sich zu erneuern und Anteil nehmen.“

Zum Wesentlichen gehen

Diese drei Verhaltensweisen buchstabierte der Papst anschließend aus. Zum „Wesentlichen zu gehen“ heiße nicht, „mit allem zu brechen“, was einem nicht passe, betonte er. Vielmehr bedeute es, „in die Tiefe zu gehen, zu dem, was zählt und für das Leben Wert hat.“ Schließlich sei es nicht der Taufschein oder die Gewohnheit, die unsere Jüngerschaft ausmache, sondern eine „lebendige Erfahrung Gottes und seiner Liebe“. „Die Jüngerschaft ist nicht etwas Statisches, sondern eine ständige Bewegung auf Christus zu. Sie ist eine andauernde Lehrzeit mittels des Hörens seines Wortes. Und dieses Wort drängt sich uns in den konkreten Bedürfnissen unserer Brüder und Schwestern auf.“

Das zweite Wort: Sich erneuern

Erneuerung und das Abschütteln von Bequemlichkeit und Anhänglichkeiten, so führte Franziskus seine Überlegungen zum „sich Erneuern“ ein, dürften der Kirche keine Angst machen. „Die Erneuerung verlangt Opfer und Mut, nicht um sich für besser oder untadelig zu halten, sondern um dem Ruf des Herrn besser zu entsprechen. Der Herr des Sabbats, der Grund aller unserer Gebote und Vorschriften, lädt uns ein, die Normen abzuwägen, wenn es um seine Nachfolge geht; wenn seine offenen Wunden, sein Schrei vor Hunger und sein Durst nach Gerechtigkeit uns anfragen und neue Antworten abverlangen.“

In Kolumbien, so nahm der Papst Bezug auf sein Gastgeberland, gebe es viele Situationen, die von den Jüngern den Lebensstil Jesu fordern: „Besonders die Liebe, die sich in Taten der Gewaltlosigkeit, der Versöhnung und des Friedens äußert,“ betonte er in seiner Botschaft an die leidgeprüften Kolumbianer.

Das dritte Wort: Anteil nehmen

Keine Angst davor zu haben, mit alt hergebrachten Regeln zu brechen und sich „zu beflecken“: das gehört für Papst Franziskus zum „Anteil nehmen“. Im Evangelium essen die Jünger verbotenerweise am Sabbat von den Ähren in einem Weizenfeld, weil sie Hunger haben. Jesus aber verteidigt ihr Tun. In Anlehnung daran, so betonte der Papst, „wird heute von uns verlangt, in der Kühnheit und in einem evangelischen Mut zu wachsen. Dieser entspringt aus dem Wissen, dass es viele gibt, die Hunger haben, Hunger nach Gott: wie viele Menschen haben Hunger nach Gott, Hunger nach Würde, weil sie entblößt worden sind. Und ich frage mich, ob dieser Hunger nach Gott in vielen Menschen nicht deshalb entsteht, weil wir sie mit unserem Verhalten entblößt haben.“

Brüder und Schwestern, die Kirche ist keine Zollstation. Sie will offene Türen

Als Christen seien wir aufgerufen, diesen Menschen bei ihrer Begegnung mit Gott zu helfen, betonte der Papst. „Wir wollen ihnen diese Begegnung nicht erschweren, wie es geschieht, oder vereiteln. Brüder und Schwestern, die Kirche ist keine Zollstation. Sie will offene Türen, weil das Herz ihres Gottes nicht nur offen ist, sondern von der Liebe durchbohrt ist, die sich zum Schmerz gemacht hat. Wir können nicht Christen sein, die ständig das Schild „Durchgang verboten“ hochheben. Wir können auch nicht in Betracht ziehen, dass dieser Raum mein Eigentum ist, indem ich von etwas Besitz ergreife, das absolut nicht mir gehört. Die Kirche gehört nicht uns, Brüder und Schwestern, sondern Gott. Für alle gibt es Platz, Gesunde und Kranke, Gute und Böse.“

Mehr Kühnheit bei der Ausbildung missionarischer Jünger

Direkt an die Kirche in Kolumbien gewandt, forderte er mehr Engagement und Kühnheit bei der Ausbildung missionarischer Jünger mit Urteilsvermögen:

„Darauf haben wir Bischöfe hingewiesen, als wir 2007 in Aparecida versammelt waren. Jünger, die zu sehen, zu beurteilen und zu handeln vermögen, wie es das lateinamerikanische Dokument vorgeschlagen hat, das hier an diesem Ort entstanden ist (vgl. Medellín 1968). Missionarische Jünger, die sehen können ohne ererbte Kurzsichtigkeit; die die Realität mit den Augen und dem Herzen Jesu prüfen und sie von dort her beurteilen. Solche, die etwas wagen, die handeln und die sich einsetzen.“

Ein neuer Kreuzstab für den Papst - aus Kaffeebaumholz

Zum Einzug bei der Messe nutzte Franziskus einen „Kreuzstab der Kaffeebauern“, der aus dem Holz von Kaffeebäumen gefertigt war. Der Stab verweist auf die Bedeutung der Kaffeeindustrie für Medellin. Er ist einer von drei derartigen liturgischen Stäben, die der Papst während seines noch bis Sonntag dauernden Kolumbienbesuchs geschenkt bekommt. Franziskus nutzt gerne unterschiedliche, je thematisch passende Kreuzstäbe für seine Liturgien.

Am Ende der Messe traf sich Franziskus mit einigen Jungen und Mädchen aus Schulen, die mit der von ihm gegründeten Bildungsstiftung „Scholas Occorentes" zusammenarbeiten. Sie berichteten dem Papst von den teilweise massiven Problemen in ihrem Schulalltag wie etwa Korruption, Gewalt und Diskriminierung.

Ex-Präsident Uribe unter Gläubigen

Kolumbiens Ex-Präsident Alvaro Uribe mengte sich laut kolumbianischen Medienberichten am Samstag als einfacher Pilger unter die Hunderttausenden Besucher des Papst-Gottesdienstes in Medellin. Der rechtskonservative Politiker, der in seiner doppelten Amtszeit einen extrem harten Kurs gegen Rebellen fuhr, erklärte am Freitag seine Bedenken gegen den Friedensprozess mit Respekt vor demselben: „Ich bin bisher sehr vorsichtig gewesen und werde es auch bleiben." Das Verhältnis zwischen Uribe und seinem ehemaligen Weggefährten und Nachfolger Juan Manuel Santos gilt als äußerst angespannt, da Uribe den Annäherungskurs von Santos an die FARC ebenso kritisiert wie die Inhalte des Friedensvertrages mit der Guerilla.

Eine Vermittlung des Papstes vor gut einem Jahr zwischen den beiden Politikern, die von 2002 bis 2010 noch in einer Regierung zusammenarbeiteten, scheiterte. Bei den Veranstaltungen mit Franziskus gehen Santos und Uribe einander aus dem Weg. Santos wohnte der Messe am Samstag nicht bei.

(rv 09.09.2017 cs)








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