2017-09-08 18:00:00

Papst wirbt in Kolumbien für Versöhnung - auch mit der Natur


Dass der Papst in Kolumbien nach einem jahrzehntelangen Bürgerkrieg zur Versöhnung aufruft, konnte man erwarten. Aber bei einer Messfeier in Villavicencio im Landesinnern hat Franziskus an diesem Freitag noch mehr getan: Er hat auch zur Beseitigung „struktureller Ungerechtigkeiten“ im Land aufgerufen, hat vor einer „Pseudogerechtigkeit“ gewarnt und zur Versöhnung der Kolumbianer auch mit der Natur aufgerufen – und er hat in einem Nebensatz „patriarchalische und chauvinistische Haltungen“ gegeißelt. Ganz schön viel für eine Predigt.

1740 hatten die Jesuiten hier, am Guatiquía-Fluss, eine Missionsstation gebaut und damit begonnen, die einheimischen Guayupe zu evangelisieren – bis fünfzig Jahre später die spanische Krone den Orden auswies. Jetzt kam der Jesuitenpapst nach Villavicencio, in diese Hauptstadt der Meta-Provinz, die etwa 80 km südlich der Hauptstadt Bogotá ziemlich genau in der geographischen Mitte Kolumbiens liegt. Es ist eine Agrarstadt mit feucht-heißem Klima, umgeben von den „llanos“, einer grünen, oft sumpfigen Ebene, die für den Norden Kolumbiens und Venezuelas charakteristisch ist und durch die sich der Orinoco windet.

Gegen „patriarchalische Haltungen“

Hier feierte Franziskus an seinem zweiten vollen Reisetag die Messe zum Fest Mariä Geburt. Seine Predigt auf dem Freigelände knapp vor der Stadt, das etwa eine Million Menschen fasst, begann dann auch mit einer Art Hymnus auf die Gottesmutter: Ihr Geburtsfest werfe sein Licht auf uns, „so wie das sanfte Morgenlicht die weite Ebene Kolumbiens, diese wunderbare Landschaft, deren Eintrittstor Villavicencio ist, durchflutet“. Maria sei „der erste Lichtschein, der das Ende der Nacht und vor allem den nahen Tag ankündigt“.

So poetisch sollte es nicht bleiben. Der Papst wies darauf hin, dass der Stammbaum Jesu, den die ersten Seiten des Matthäus-Evangeliums schildern und der in Maria gipfelt, explizit mehrere Frauen nennt – und keine von ihnen gehöre zur „Hierarchie der großen Frauengestalten des Alten Testaments“. „Die Erwähnung der Frauen erlaubt uns eine besondere Annäherung: Sie verkünden im Stammbaum, dass in den Adern Jesu auch heidnisches Blut fließt, und sie erinnern uns an Geschichten der Ausgrenzung und der Unterwerfung. In Gemeinschaften, in denen wir immer noch patriarchalische und chauvinistische Haltungen mit uns tragen, ist es gut zu sagen, dass das Evangelium mit der Hervorhebung von Frauen beginnt, die eine Richtung vorgegeben haben und Geschichte geschrieben haben.“

Ja zur ganzen Geschichte sagen

Das war eine deutliche Absage an die Macho-Kultur. Zurück zum Stammbaum Jesu: Er lehrt uns, dass auch wir nicht im luftleeren Raum leben, sondern Teil einer Geschichte sind, einer Geschichte mit hellen und dunklen Momenten.

„Dieses Volk Kolumbiens ist Gottes Volk; auch hier können wir Stammbäume mit ihren Geschichten erstellen; viele sind voll von Liebe und Licht; andere von Auseinandersetzungen, Beleidigungen und auch Tod … Wie viele von euch können von Erfahrungen der Verbannung und der Trostlosigkeit erzählen!“ Wie könne man aber aus solch düsteren Erfahrungen zum „Licht“ und zur „Versöhnung“ finden?, fragte der Papst. Und gab auch gleich die Antwort: „Wie Maria ,Ja' zur ganzen Geschichte sagen und nicht nur zu einem Teil.“ Es gehe darum, die Geschichte so anzunehmen, wie sie ist. Und dann in einem zweiten Schritt „unsere Geschichten der Sünde, der Gewalt, der Konflikte mit dem Licht des Evangeliums zu erfüllen“.

„Versöhnung ist nicht ein abstraktes Wort; wenn dem so wäre, würde sie nur Sterilität, ja Distanz bringen. Sich versöhnen heißt, allen und jedem Menschen, welche das Drama des Konflikts erlebt haben, eine Tür zu öffnen. Wenn die Opfer die verständliche Versuchung zur Rache überwinden, werden sie zu den glaubwürdigsten Vertretern der Prozesse zum Aufbau des Friedens. Es ist nötig, dass einige den Mut fassen, den ersten Schritt in diese Richtung zu tun, ohne darauf zu warten, dass die anderen es tun. Es genügt eine gute Person, damit es Hoffnung gibt! Und ein jeder von uns kann diese Person sein!“

„Frieden ohne ehrliche Versöhnung wird scheitern“

„Machen wir den ersten Schritt“ heißt das Motto dieser Papstreise, und um diesen Schritt warb Franziskus in Villavicencio. Allerdings: Versöhnung bedeute kein Verkleistern der Unterschiede und Konflikte. „Es bedeutet nicht, persönliche oder strukturelle Ungerechtigkeiten zu legitimieren. Der Rückgriff auf die Versöhnung darf nicht dazu dienen, sich Situationen der Ungerechtigkeit zu fügen.“ Mit „Pseudogerechtigkeit“ sei keinem gedient. Stattdessen laute die Hausaufgabe: In die Versöhnung alle, wirklich alle einbeziehen, sonst gebe es kein Entkommen aus dem „Morast der Gewalt und des Grolls“. „Jede Friedensbemühung ohne eine ehrliche Verpflichtung zur Versöhnung wird scheitern.“

Seligsprechung von zwei kolumbianischen Geistlichen

Franziskus sprach in Villavicencio auch feierlich zwei Opfer der Gewalt der letzten Jahrzehnte selig: den Bischof Jesús Emilio Jaramillo Monsalve, der 1989 im Bürgerkrieg von ELN-Rebellen ermordet wurde, und den Priester Pedro María Ramírez Ramos, der schon 1948 zu Beginn einer langen Phase der Gewalt im Land der Lynch-Justiz von anti-katholischen Aufständischen zum Opfer fiel. Aber in seiner Predigt ging der Papst gar nicht im Detail auf ihre Biografien ein, sondern beleuchtete das Thema Versöhnung noch einmal von einer anderen Seite.

„In dieser wunderbaren Umgebung liegt es an uns, „Ja“ zur Versöhnung zu sagen; und das „Ja“ möge auch unsere Natur einschließen. Es ist kein Zufall, dass wir unsere Besitzgier und unser Herrschaftsstreben auch an ihr ausgelassen haben… Die Gewalt des von der Sünde verwundeten menschlichen Herzens wird auch in den Krankheitssymptomen deutlich, die wir im Boden, im Wasser, in der Luft und in den Lebewesen bemerken.“ Franziskus, der vor zwei Jahren als erster Papst eine Enzyklika zum Thema Schöpfung verfasst hat, warb an diesem Freitag also auch um eine Versöhnung des Menschen mit der Umwelt.

(rv 08.09.2017 sk)








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