2017-08-15 11:39:00

Referendum zu Unabhängigkeit Kurdistans: Christen unter Druck


Das Referendum, mit dem am kommenden 25. September über die Unabhängigkeit der autonomen Region Kurdistan vom irakischen Staat entschieden werden soll, bereitet den Christen in der Region großes Kopfzerbrechen: denn wie auch immer sie sich positionieren, sie werden sich Feinde machen. Das betont im Interview mit Radio Vatikan Karin Maria Fenbert; die Geschäftsführerin von Kirche in Not Deutschland ist gerade von einer Reise durch den Nordirak und ins syrische Aleppo zurück gekommen.

„Ich habe bei meiner Fahrt durch die Ninive-Ebene auch ein entsprechendes Plakat gesehen, da hieß es: ,Ja zum Referendum!´ Dieses soll am 25. September stattfinden, deshalb gibt es durchaus einige Spannungen im Nordirak zu beobachten, weil die Leute natürlich nicht wissen, was das für deren Zukunft bedeutet", berichtet Fenbert von ihren Eindrücken. „Die Christen wollten sich dazu aus verständlichen Gründen nicht äußern… Als Außenstehender denke ich mir dazu nur, wenn sie mit ,Ja´ stimmen und es zu einer Abspaltung kommt, gibt es nicht nur Ärger mit der Regierung in Bagdad, sondern auch mit der Türkei, die nicht dabei zusehen wird, dass ein unabhängiges Kurdengebiet entsteht. Wenn hingegen mit ,Nein´ gestimmt wird, droht den Christen Ärger von kurdischer Seite, auf deren Territorium sie aber weitestgehend wohnen.“

Zwischen Kurden und der Türkei

In den vergangenen Wochen mehren sich tatsächlich die Anzeichen dafür, dass die kurdischen Autoritäten die Christen bei ihren Plänen für ein unabhängiges Kurdistan verstärkt einspannen wollen. So hatte erst kürzlich der Bürochef des kurdischen Präsidenten der autonomen Region christliche Vertreter zum Gespräch über das Referendum geladen; Präsident Barzani hatte den Christen für den Fall eines erfolgreichen Referendums sogar mehr Rechte für ihre Minderheit in Aussicht gestellt. Doch die Spannungen steigen spürbar an, so wurde Kirche in Not und ihren Projektpartnern in diesem Zusammenhang wohl auch der Zugang zur Stadt Mossul verweigert.

Stattdessen war das Team unter anderem in Karakosh, der „heimlichen Hauptstadt der Christen“, bei deren Betreten die Besucher durch ein „überdimensionales Kreuz“ begrüßt wurden, zeigte sich Fenbert von diesem offenen Glaubenszeugnis beeindruckt. Der Wiederaufbau schreite voran: „Was auffällt, ist der entsetzliche Zustand der Straßen, aber es werden schon viele Häuser wieder aufgebaut beziehungsweise sind schon fertig", berichtet Fenbert. „Mit den derzeit von Kirche in Not zur Verfügung gestellten Mitteln für Karakosh werden zur Zeit etwa 300 Häuser wieder aufgebaut, 244 davon sind schon fertig und die anderen sollen in den nächsten zehn Tagen fertig werden.“

Fünf Familien pro Tag kehren zurück

Im Schnitt kehrten fünf christliche Familien am Tag in die Stadt zurück, berichtet Fenbert unter Berufung auf ihre Projektpartner, die aufgrund der Anfragen nach Hilfen für den Wiederaufbau und einer erstmals unternommenen systematischen Katalogisierung der Besitzstände sehr genaue Informationen zur Verfügung haben. Etwa 1.000 Familien seien den Angaben nach aktuell wieder zurück gekommen. Besonders weit fortgeschritten sei der Wiederaufbau des nahen Dorfes Tel Eskof, das mittlerweile schon ein zögerliches Wiederaufleben des normalen bürgerlichen Lebens erkennen lasse: „In Tel Eskof sah man, obwohl 50 Grad Hitze herrschten, Straßenbauarbeiten, man sah Bagger, man sah große Betonmischer, Leute, die mit der Schubkarre und Geräten draußen arbeiteten, um die Straße wieder herzustellen und so etwas wie einen Bürgersteig zu schaffen. Man sah auch Leute, die versuchten, ihre Läden wieder zu streichen, aufzumauern, zu spachteln… Wir waren in einer Metzgerei, die vor Kurzem wieder eröffnet hat, wir waren an Obstständen, wir waren an anderen Läden, auch die Kirche Sankt Georg wurde von fünf Arbeitern von innen wieder aufgebaut…“

Kirche, Häuser, Bürgersteige

Besonders das ehrenamtliche Engagement vieler junger Menschen, die mit Entschiedenheit und unentgeltlich für den Wiederaufbau ihrer Stadt kämpften, habe ihr Hoffnung für die Zukunft der Gegend gegeben, meint Fenbert. Die Arbeit dieser Gruppe sei enorm wichtig für einen gelungen Neustart, erzählt sie uns: von der Katalogisierung der Besitzstände und Schäden, über einen Plan für den benötigten Wiederaufbau, bis zu Bauarbeiten in glühender Hitze erstreckten sich die Tätigkeiten, denen die jungen Menschen bis zu zwölf Stunden am Tag nachgingen.

Doch da die Arbeiten in Tel Eskof mittlerweile an einem guten Punkt seien, hätte sich die Gruppe das nächste Dorf, Batnaya, vorgenommen – diese Gemeinschaft gilt als in der Ninive-Ebene als mit am schwersten zerstört. Auf Kirche in Not und ihre Projektpartner warteten jedoch noch zahlreiche Aufgaben, meint Fenbert: „Zunächst wird noch eine Weile die Hilfe für die Vertriebenen in Ankawa (ein Quartier bei Erbil, das besonders viele christliche Flüchtlinge aufgenommen hat, Anm.d.Red.) nötig sein, und gleichzeitig wollen wir den Leuten helfen, wieder in ihre Orte ziehen zu können. Das heißt also Materialkosten zu übernehmen, damit die Häuser renoviert werden können. Auf die Dauer soll die Hilfe für die Vertriebenen aber gedrosselt werden, weil wir das Projekt nicht auf ewig betreiben können und es auch für die Menschen besser ist, wenn sie ihr Leben aktiv wieder in die Hand nehmen, also wenn sie dort, wo sie herkommen, ihr Leben wieder aufbauen, wenn die Sicherheitslage es auf die Dauer erlaubt.“

Prekäre Sicherheitslage

Die Sicherheitslage ist in der Tat nach wie vor prekär, viele Menschen stehen nach den Plünderungen und mutwilligen Zerstörungen ihrer Behausungen vor dem Nichts. Wer etwas hatte, kehrt als armer Mensch zurück und ist zunächst auf Hilfe zum Überleben angewiesen. Doch vor allem der Schock, zu Opfern einer derartigen Welle von Gewalt und Hass zu werden, sitzt tief in der christlichen Bevölkerung der Niniveh-Ebene. „Unisono wurde uns in allen Ortschaften erzählt, dass die Häuser geplündert wurden, dass auch Türen und Fenster entwendet wurden, viele Häuser wurden in Brand gesetzt, und zwar nicht unbedingt nur, um zu zerstören, sondern auch, um Flugzeuge davon abzuhalten, gegen den IS vorgehen zu können. Viele Häuser, auch die Innenwände, wurden beschmiert mit islamischen Sprüchen. Natürlich gibt es auch Einschüchterungsversuche, dass man auf die Häuser geschrieben hat: ,Wir kommen wieder.´“

Verständlich sei vor diesem Hintergund, dass auch das Misstrauen gegenüber den muslimischen Anrainern gestiegen sei. Zwar sei das Zusammenleben von Christen und Muslimen in der Region noch bis vor wenigen Jahren weitgehend friedlich verlaufen, doch das zerstörerische und radikale Gedankengut, das den IS erst möglich gemacht hat, ist noch lange nicht aus den Köpfen der Menschen vertrieben. „Natürlich ist die Lage jetzt sehr viel schwieriger als vor dem IS, als nicht nur der IS christliche Dörfer zerstört hat, sondern auch darum herum lebende Muslime die Häuser der Christen mit geplündert haben. Das hat sicherlich ein neues Kapitel aufgeschlagen und das macht es den Christen schon sehr schwer, mit dieser Geschichte fertig zu werden. Das wird sicher einige Zeit dauern, wenn überhaupt, dass das wieder heilt.“

Niniveh Reconstruction Committee

Das katholische Hilfswerk Kirche in Not hat federführend die Kampagne „Niniveh Reconstruction Committee“ (NRC) ins Leben gerufen. Damit folgt Kirche in Not dem Aufruf von Papst Franziskus und lokalen Kirchenführern, sich dafür einzusetzen, dass das Christentum im Nahen Osten weiterhin bestehen bleiben kann. In der derzeitigen Notlage liegt der Fokus von Kirche in Not und ihren Projektpartnern nicht nur auf den seelsorglichen Aspekten, sondern vor allem auf der materiellen Hilfe für den Wiederaufbau der zerstörten christlichen Wohnhäuser und Kirchen. Der finanzielle Aufwand ist enorm: einer ersten Schätzung nach werden allein für den Wiederaufbau der Wohnhäuser über 250 Millionen Dollar nötig sein.

(rv 15.08.2017 cs)








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