2017-08-07 11:30:00

Zehntausende auf der Flucht aus Maduros Venezuela


Die verheerende Lage in Venezuela sorgt für einen immensen Flüchtlingsstrom nach Kolumbien. „Eine Diaspora ohnegleichen“ nennen das die Migrationsverantwortlichen des lateinamerikanischen Bischofsrates Celam. Genaue Zahlen hat niemand in der Hand; klar ist aber, dass die Zustände in Maduros Venezuela, das gerade in die Diktatur abgleitet, nicht dazu angetan sind, den Exodus zu stoppen.

Sie fliehen vor dem Hunger, vor den Unruhen, vor der Gewalt – das sagt Pater Francesco Bortignon über die Migranten aus Venezuela im Interview mit Radio Vatikan. Der Italiener lebt seit 21 Jahren in Kolumbien, nahe an der Grenze im Nordwesten des Landes. Dort ist er als Pfarrer von Cúcuta und Leiter des lokalen Flüchtlingszentrums Casa de Paso tätig. „Die Lage an der Grenze ist wirklich schwierig und kompliziert; heute ist die Lage so, morgen wieder anders. Vor allem seit der Wahl des Verfassungskonvents in Venezuela hat sich die Lage verschärft.“

Wobei an dieser Grenze immer schon ein ziemliches Hin und Her geherrscht hat, sagt Pater Bortignon. „Die Lage ist vor zwei Jahren eskaliert, da wurden zwischen vier und fünf Millionen Kolumbianer, die in Venezuela lebten und arbeiteten, richtiggehend deportiert. Venezuela hat auch Leute verjagt, die schon seit zehn, zwanzig, dreißig Jahren im Land lebten. Man hat ihnen die Papiere weggenommen und sie deportiert.“

Ironie des Schicksals: Jetzt, zwei Jahre nach dem Rauswurf der Kolumbianer, kommen viele Venezolaner selbst schutzsuchend nach Kolumbien. „Sie flüchten auch vor der extremen Gewalt durch bewaffnete Gruppen; das sind in der Regel Paramilitärs, die vom venezolanischen Staat unterstützt werden. In unserem Zentrum für Migranten sind im Lauf des letzten Jahres etwa 2.500 Menschen angekommen, aber für dieses Jahr, also für die letzten sechs Monate, hat niemand exakte Zahlen. Vor kurzem hat man hier in der Nähe die San-Antonio-Brücke wieder geöffnet: Da zogen dann täglich zwischen 25- und 30.000 Menschen drüber!“

Nicht alle Flüchtenden wollen in Kolumbien bleiben. „Es sieht jetzt so aus, als blieben höchstens fünf Prozent der Venezolaner hier in der Grenzregion. Die anderen wollen weiter ins Landesinnere oder in andere Länder wie Ecuador, Chile und Peru.“

Bortignon hört sich immer neue Geschichten an, die die Flüchtlinge aus Venezuela mitbringen. Geschichten von Hunger und von Unsicherheit. „Zum Beispiel dieser junge Mann, 24 oder 25 Jahre alt. Der erzählte mir, dass er zur Armee gehörte; er war in der Anti-Drogen-Abteilung, es war seine erste Erfahrung. Sein Team hatte einen großen Drogenhändler ausfindig gemacht; sie hatten ihn schon in ihre Gewalt gebracht, da kam auf einmal Befehl von oben, ihn wieder freizulassen. Ein paar Tage später habe man ihm dann angeboten, bei einer Flugreise als Aufpasser mitzufliegen. Er sagte Nein, weil er verstanden hatte, dass da Drogen transportiert wurden. In derselben Nacht rief ihn ein Freund an und sagte ihm: Hau ab, nimm die Beine in die Hand, du stehst schon auf der schwarzen Liste, die sind hinter dir her.“

Vor kurzem haben kirchliche Helfer einer Frau mit sechs Kindern zu einer Unterkunft verholfen, erzählt Pater Bortignon. „Kurz darauf musste die älteste Tochter zu einer Beerdigung eines Verwandten nach Venezuela – von da kam sie mit fünf Kindern einer anderen Schwester zurück. Und eine Woche später kam dann eine weitere Schwester, ebenfalls mit fünf Kindern.“ Familien-Nachzug auf Lateinamerikanisch.

„Wir helfen den Migranten auf zweierlei Weise. Im Migrantenzentrum bieten wir ein Dach über dem Kopf und warme Mahlzeiten; ein paar unserer Leute sorgen für psychologische und legale Hilfe. Dann gibt es eine andere Art von Hilfe, die unsere Pfarrei leistet, die schon seit dreißig Jahren ein Programm für Menschen in Schwierigkeiten hat. Wir haben zum Beispiel ein Schulprogramm, das sich um etwa 4.500 Kinder kümmert, und ein Büro, das dafür sorgt, dass jemand Zugang zu Gesundheitsleistungen und zum Schulwesen bekommt.“

(rv 07.08.2017 sk)








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