2017-08-05 10:53:00

Venezuela: Bischof fordert Waffenembargo


Ungeachtet aller Proteste hat in Venezuela der Verfassungskonvent seine Arbeit aufgenommen. Er soll – so plant es das Regime von Nicolas Maduro – das Parlament entmachten, in dem die Opposition dominiert. Ungewöhnlich offen hatte am Freitag auch der Vatikan versucht, Maduro zuzureden. Eine Erklärung des Staatssekretariats hatte den sozialistischen Präsidenten aufgefordert, auf die Einberufung des Konvents zu verzichten. Der Vatikan hatte schon vor Monaten versucht, Verhandlungen zwischen Regierung und Opposition in Venezuela anzuschieben – vergeblich.

„Ich halte gerade die Stellungnahme des Heiligen Stuhls in Händen“, sagt uns Bischof Mario Moronta von San Cristóbal in einem Interview. „Ich sehe durch diese Stellungnahme die Haltung der Bischöfe bekräftigt: dass es nämlich einen Kurswechsel braucht und vor allem eine Absage des Verfassungskonvents. Wir hoffen, dass es noch eine Möglichkeit gibt, doch wieder einen Dialog zu beginnen.“

Seine Landsleute seien „zutiefst frustriert“ und litten ungemein unter der jetzt entstandenen Lage, berichtet Bischof Moronta. „Der Verfassungskonvent, den man jetzt durchdrücken will, ist letzten Sonntag noch nicht einmal von fünfzehn Prozent der Wahlberechtigten gewählt worden – das verschärft die Lage. Den Angaben des Nationalen Wahlrates zur Zahl der Wähler kann man nicht trauen, die Zahlen und Ergebnisse sind manipuliert worden.“

Moronta stößt damit ins selbe Horn wie der britische Hersteller der Wahlcomputer, die am letzten Sonntag bei der Volksabstimmung zum Einsatz kamen: dass nämlich die offiziellen Angaben, nach denen acht Millionen Venezolaner zu den Urnen gegangen seien, unmöglich stimmen können.

Erste Öffnung: Vielleicht gibt es noch dieses Jahr Regionalwahlen

„Diese Stellungnahme des Heiligen Vaters und des Heiligen Stuhls ist eine wichtige Unterstützung nicht nur für uns Bischöfe, sondern auch für viele Leiter anderer religiöser Gemeinschaften in Venezuela, die alle sehr besorgt sind über die Lage im Land. Der Papst ruft sehr deutlich und drängend dazu auf, jede Art von Gewalt einzustellen. Dieses Statement verbreitet sich jetzt im Land, und ich glaube, es wird bei den Menschen auf ein gutes Echo stoßen. Hoffentlich gilt dasselbe auch für die Regierung und die politischen Führer der Opposition!“

Sieht nicht so aus, als ob Morontas Wunsch in Erfüllung ginge. Maduro jedenfalls hat angekündigt, dass der Verfassungskonvent an diesem Samstag durcharbeiten werde. Unter anderem solle der Konvent eine „Wahrheitskommission“ einsetzen, um die Gewalt der letzten Wochen zu untersuchen – eine Gewalt, die Maduro einseitig der Opposition in die Schuhe schiebt. Bei den Unruhen und Straßenprotesten, die Anfang April eingesetzt haben, sind in Venezuela mindestens 121 Menschen gewaltsam ums Leben gekommen.

Bischof Moronta hat vor einer Woche – wie auch die Oppositionsparteien das tun – das Regime aufgefordert, die fälligen Wahlen auf regionaler und nationaler Ebene „so schnell wie möglich“ durchzuführen. Maduro hat diese Wahlen auf die lange Bank geschoben, weil er (wohl zu Recht) eine Schlappe an den Urnen befürchtet.

Wie hat denn das Regime auf seinen Appell reagiert, fragen wir den Bischof. Seine Antwort: „Bis jetzt gab es keine Antwort. Die Regierung investiert schon seit einiger Zeit alles in den Verfassungskonvent, das sei das geeignete Mittel, um den sozialen Frieden wieder herzustellen. Es gibt keinerlei Signale, dass sie von diesem Weg wieder abrücken könnte. Immerhin hat die Regierung jetzt aber doch von der Möglichkeit gesprochen, dass wenigstens die Regionalwahlen noch dieses Jahr stattfinden könnten; die Kandidaten dafür sollten sich andiesem Wochenende und in den ersten drei Tagen der nächsten Woche registrieren lassen. Das könnte eine erste Öffnung bedeuten – sie wäre aber glaubwürdiger, wenn man gleichzeitig den Verfassungskonvent wieder aufgeben würde.“

Nicht Bürgerkrieg, sondern eher Hungeraufstände zu befürchten

Bischof Moronta ruft die Armee – bisher die wichtigste Stütze des Regimes – eindringlich dazu auf, nicht länger gegen Demonstranten vorzugehen und sich nicht länger in den Dienst „einer Partei, einer Ideologie“ zu stellen. „Die haben auf die Verfassung geschworen, dass sie das Volk und die Demokratie verteidigen würden; da können sie sich jetzt nicht für eine diktatorische Demokratie – ich weiß nicht, ob man das so nennen kann – hergeben.“

Einige Militärs hätten auf seinen Appell reagiert, indem sie gesagt hätten, darüber müssten sie nachdenken. „Aber andere haben sich komplett auf den Gehorsam dem Präsidenten gegenüber festgelegt. Die Nationalgarde, die am stärksten gegen Demonstranten und das Volk vorgegangen ist, sollte die Botschaft hören. Wir fordern die Sicherheitskräfte dazu auf, umzukehren und sich auf die Seite der Menschenrechte zu stellen! Die Armee sollte an Gott denken und mit Gottesfurcht handeln – das ist es, worum wir bitten.“

Dass dem nicht nur von einer politischen, sondern auch von einer wirtschaftlichen Krise heftig gebeutelten Venezuela ein Bürgerkrieg droht, glaubt Bischof Moronta allerdings nicht. Eher sieht er „die Gefahr von Zusammenstößen zwischen einzelnen Gruppen“, oder dass sich „einige Gruppen bewaffnen“ könnten.

„Aus meiner Sicht besteht das Gefährlichste im Moment in der Erschöpfung der Menschen, des Volkes, das unter Hunger leidet. Viele Menschen hungern, sie haben keine Nahrungsmittel, auch keine Medikamente, auch keine Sicherheit. Darum kann der Moment kommen, in dem eine soziale Explosion stattfindet und danach dann eine chaotische Lage. Leider verlassen viele Menschen das Land; hier an der Grenze sehen wir jeden Tag viele Familien, die nach Kolumbien aufbrechen. Nicht so sehr der Bürgerkrieg scheint mir die Gefahr, eher Zusammenstöße oder eine Art von Volksaufständen. Nicht nur, um das politische Regime zurückzuweisen, sondern vor allem als Reaktion auf diese Lage der Vernachlässigung, die die Menschen im Moment erleben.“

Vor allem unter jungen Menschen, die „in dieser Revolutionsphase, wenn wir sie so nennen wollen“, aufgewachsen sind, ist die Stimmung nach Angaben von Bischof Moronta explosiv. „Die einen verlassen das Land, die anderen wollen kämpfen, wieder andere rufen zur Gewalt auf – es ist die Trostlosigkeit ihrer Lage und der Mangel an Zukunftsperspektiven, der voll auf die Jugendlichen durchschlägt.“

Der Bischof von San Cristóbal dankt den Nachbarn in Kolumbien dafür, dass sie die Migranten aus Venezuela gut aufnehmen. Er sei praktisch jeden Tag in Kontakt mit dem Bischof des kolumbianischen Bistums auf der anderen Seite der Grenze, und er sehe, dass da alles getan werde für die anlangenden Flüchtlinge.

Bitte keine Waffen mehr nach Venezuela verkaufen

Die internationale Gemeinschaft bittet Moronta, Venezuela jetzt nicht im Stich zu lassen. „Möge die Solidarität nicht abnehmen! Ich appelliere vor allem an die europäischen Länder und an die USA, die jetzt über Sanktionen nachdenken – ich glaube, eine der ersten Sanktionen, die sie verhängen sollten, müsste darin bestehen, dass keine Waffen mehr verkauft werden. Weder an die Regierung noch an gewalttätige Gruppen welcher Richtung auch immer, wie es sie nicht nur in Venezuela gibt, sondern in ganz Lateinamerika. Die Solidarität und Sorge der europäischen und anderer Länder sollten mehr den Menschen in Venezuela gelten und nicht so sehr von wirtschaftlichen Interessen bestimmt sein.“

Genau da liegt der Hase im Pfeffer: Venezuela ist ein wichtiger Öllieferant. Das bremst im Moment zum Beispiel deutlich den Eifer der US-Regierung von Donald Trump, wirklich einschneidende Maßnahmen gegen Maduros Regime zu ergreifen.

Der Bischof mahnt aber explizit auch Europa: „Ich weiß genau, dass es viele europäische Länder gibt, die sich nicht um die Menschen scheren und nicht um die politische Lage in Venezuela, sondern nur um die wirtschaftlichen und politischen Interessen, die sie hier haben. Mein Appell an sie ist: Verkaufen Sie keine Waffen. Weder an die Regierung noch an die bewaffneten Gruppen. Weder in Venezuela noch sonstwo in der Welt!“

(rv 05.08.2017 sk)








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