2017-07-19 10:51:00

Brasilien: Arbeitsmarktreform stellt Profit ins Zentrum


Eine Arbeitsmarktreform, die nicht den Menschen, sondern den Profit in den Mittelpunkt stellt: Dieses vernichtende Urteil zur Reform des Arbeitsmarktes in Brasilien kommt vom Lateinamerika-Hilfswerk der deutschen Bischöfe Adveniat. Die Reform hatte der Senat des Landes am vergangenen Dienstag durchgewinkt; Präsident Temer will damit der schwächelnden Wirtschaft des Landes wieder auf die Beine helfen. Im Gespräch mit Radio Vatikan ordnet der Brasilienreferent von Adveniat, Norbert Bolte, den Schritt ein.

„Das brasilianische Parlament, das aus zwei Kammern besteht, hat diese Reform nun im Großen und Ganzen abgesegnet. Es gab noch kleinere Stellschrauben, die verändert wurden, aber die Verfechter der Reform sprechen nun davon, dass der Arbeitsmarkt wieder belebt werden soll – Brasilien durchlebt ja eine wirtschaftliche Krise, und man spricht von der Flexibilisierung der Arbeit, der Liberalisierung Das sind aber eigentlich zwei irreführende Begriffe, denn sie sind ja sprachlich eher positiv besetzt. Tatsächlich bedeutet es aber, dass man versucht, das Geld und den Gewinn in den Mittelpunkt zu stellen und den Menschen aus dem Fokus zu nehmen.“

Rechte der Arbeitnehmer werden ausgehöhlt

Im Einzelnen bedeute dies, dass über Jahrzehnte hart erkämpfte Rechte der Arbeiternehmer in dem Land beschnitten werden. So müssten die Menschen nicht nur insgesamt länger arbeiten, sondern die angestrebte Arbeitszeit gehe bisweilen sogar über die Lebenserwartung in bestimmten Regionen und Situationen hinaus, betont Bolte. Dazu komme „ein geringerer Schutz für erkrankte Menschen oder Menschen, die Unfälle erlitten haben, auch Schwangere genießen weniger Schutz durch diese Veränderungen.“ Auch die wöchentliche Arbeitszeit werde erhöht, während Leiharbeit ausgeweitet werde. Der Effekt: Mehr Arbeit für weniger Lohn und Sicherheiten. Doch das gelte noch lange nicht für alle:

„Gleichzeitig werden bestimmte Berufs- oder Gehaltsgruppen ausgespart: Gut verdienende Richter, hohe Beamte, Parlamentarier, Militärs sind von diesen so genannten Flexibilisierungen ausgenommen und genießen weiterhin die gleichen Privilegien wie bisher.“

Bestechung und Gefälligkeiten für die Elite des Landes

Ein „Kuschelkurs“ für die Mächtigen des Landes also, den Präsident Temer sehr bewusst fährt, ist sich der Brasilienfachmann sicher. Denn es gehe dem Politiker, der durch den „parlamentarischen Staatsstreich“ an die Macht kam, mit dem seine Vorgängerin Rousseff aus dem Amt gefegt wurde, keineswegs darum, wiedergewählt zu werden:

„Er selbst ist kein charismatischer Mensch, er hätte bei einer Wahl wohl kaum Chancen – er darf rein rechtlich auch gar nicht zur Wahl antreten, weil bereits Verfahren gegen ihn anhängig sind. Das gehört mit zu den Paradoxen in Brasilien. Ich denke, das Kalkül besteht darin, die wirtschaftlich und finanziell Mächtigen weiter zu stärken in der ihm verbleibenden Zeit, und ich sehe die Gefahr, dass er sein Amt verliert, als nicht sonderlich groß.“ Zur Erinnerung: Gegen Präsident Temer laufen derzeit selbst Ermittlungen wegen Korruption, es existieren auch Tonbandaufnahmen, die belegen sollen, dass er von systematischen Bestechungen von Regierungsmitgliedern gewusst habe. Voraussichtlich am 2. August soll das Parlament darüber entscheiden, ob die Ermittlungen gegen Temer weiter geführt werden sollen. Doch die Regierung wehre sich mit allen Mitteln, erklärt Bolte:

„Sicherlich wird auch wieder sehr viel Bestechungsgeld fließen, das weiß man aus der Vergangenheit, dass das in solchen Momenten ein oft genutztes Mittel war, und ich vermute einmal, dass Temer sich im Amt wird halten können, so wie die Mehrheits- oder besser: Interessensverhältnisse im Parlament sich derzeit darstellen."

Katholische Kirche: „Wir dürfen nicht schweigen“

Klare Worte kommen auch von der katholischen Kirche im Land, „die diesen Rechtsverlust öffentlich anprangert“, betont Bolte. Wiederholt hatten die Bischöfe auch zu Streiks aufgerufen, um gegen die Aushöhlung der Arbeitnehmerrechte zu protestieren. In diesem Zusammenhang sei ihm eine Stimme besonders in Erinnerung geblieben, erzählt der Brasilienreferent: „Nämlich diejenige der Präsidentin der Konferenz der Ordensleute Brasiliens (CRB), Schwester Maria Ines [Ribeiro, Anm.], die uns Christen dazu aufgerufen hat, nicht zu schweigen. Sie hat gesagt, als Christen und Ordensleute müssen wir unser kritisches Bewusstsein schärfen, um nicht durch Schweigen Positionen zu legitimieren, die gegen das Evangelium und die Rechte der Armen verstoßen. Das heißt, hier positionieren sich die katholische Kirche und mit ihr auch die traditionellen christlichen Kirchen in Brasilien ganz klar auf der Seite derjenigen, deren Rechte bedroht sind - in erster Linie natürlich auf Seiten der Armen.“

Hintergrund

Adveniat hat es sich in diesem Jahr besonders zum Ziel gesetzt, auf die prekäre Situation von Arbeitern in ganz Lateinamerika - und angesichts der aktuellen Entwicklungen mit einem Fokus auf Brasilien - hinzuweisen. Die Weihnachtsaktion des katholischen Hilfswerkes steht unter dem Motto „Faire Arbeit. Würde. Helfen“ und soll in der deutschen Öffentlichkeit ein Bewusstsein dafür fördern, was faire Arbeit bedeutet. Außerdem sollen Initiativen, die der Schutzlosigkeit von Arbeitenden und der Notlage von Arbeitsuchenden entgegensteuern, gezielt gefördert werden. Mit Unterstützung durch Adveniat kämpfen die Projektpartner in zahlreichen Ländern des Kontinents unter anderem für die Befreiung aus der Sklaverei in Brasilien, für Bildungschancen von jugendlichen Lastenträgern in Venezuela, neue Perspektiven für obdachlose und ausgebeutete Frauen sowie eine solidarische Landwirtschaft in Mexiko. Mehr Informationen dazu gibt es auf der Homepage von Adveniat.

(adveniat/rv 18.07.2017 pr)








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