2017-05-29 13:58:00

Indonesien: Diskussion über Religionsfreiheit weiter führen


Die Entscheidung des indonesischen Politikers Ahok, auf eine Berufung gegen sein Gefängnisurteil zu verzichten, ist zwiespältig zu bewerten. Das meint Ulrich Delius, Asienexperte der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) mit Sitz in Göttingen, im Gespräch mit Radio Vatikan. Vor einigen Tagen hatte die Frau des weithin bekannten christlichen Politikers bekannt gegeben, dass ihr Mann die angekündigte Berufung in dem Blasphemieprozess, der seine politische Karriere zu einem abrupten Ende gebracht hat, zurückziehen werde. Das Gericht ging bei seinem Urteil mit zwei Jahren Haft noch über die Forderungen der Staatsanwaltschaft hinaus, die während des Prozesses eine schwache Beweislage eingeräumt und ein Bewährungsurteil vorgeschlagen hatte. Wir haben den GfbV-Experten Delius gefragt, wie der Schritt von Basuki Tjahaja Purnama, genannt Ahok, zu bewerten sei.

Delius: Es war natürlich eine sehr großmütige Geste dieses führenden indonesischen Politikers, zu akzeptieren, dass er ins Gefängnis gehen muss auf der Basis eines Unrechtsurteils. Das hat aber tiefgreifende Folgen für die indonesische Gesellschaft, weil viele Menschen sich fragen, ist das der richtige Weg, sollte man nicht eher die öffentliche Diskussion über dieses Unrechtsurteil und die Blasphemievorschriften insgesamt fortführen? Und dafür ist eben letztlich auch diese Verurteilung maßgeblich gewesen.

Hochachtung für diesen Schritt „wohlfeil“

RV: Er hat ja auch aus muslimischen Kreisen sehr große Hochachtung dafür bekommen, dass er jetzt diesen Schritt geht. Wie schätzen Sie die Chancen einer eventuellen Amnestie in diesem Fall ein, oder ist mit diesem Schritt der Gefängnisaufenthalt tatsächlich sicher?

Delius: Das kann natürlich sein. Es gibt internationale Appelle von UN-Menschenrechtsexperten und von diversen Menschenrechtsorganisationen. Alle haben eigentlich mit vollkommener Verwunderung und Befremdung dieses Urteil wahrgenommen, und es ist sicher keine Werbung für Indonesien und seine Demokratie. Insofern gehen wir schon davon aus, dass er nicht diese ganze Strafe wird verbüßen müssen.

Aber trotzdem, auch wenn es zu einer Amnestie kommt, ist das für ihn und seine Familie zwar eine Erleichterung. Aber er ist politisch in seiner Karriere vollkommen gescheitert, er wird kaum eine Möglichkeit haben, wieder ins öffentliche Leben zurück zu kehren. Da ist es natürlich auch wohlfeil, als muslimischer Politiker seinen Mut zu loben – der Mann ist einfach durch ein Unrechtsverfahren vollkommen nicht nur aus seiner Lebensmitte, sondern auch aus seinem Lebensweg geworfen worden - und das ist schon wirklich sehr gravierend.

Ein Stellvertreterprozess

RV: Es wurde ja auch teilweise dem Präsidenten von Indonesien vorgeworfen, dass er den Gouverneur zu sehr geschützt habe, während des Prozesses und der ganzen Kampagnen gegen Ahok. Was ist an diesen Vorwürfen dran?

Delius: Indonesiens Präsident war natürlich in einer äußerlich misslichen Lage. Man wollte eigentlich den Präsidenten treffen und damit sozusagen auch schon eine Vorentscheidung für die Wahl im nächsten Jahr in Bewegung bringen. Insofern musste sich Widodo sehr zurückhalten, um nicht in den Verruf zu kommen, Indonesiens Justiz irgendwie behindern zu wollen, die Gewaltenteilung zu missachten und undemokratisch zu sein.

Man hat ihm auch so schon vorgeworfen, er habe relativ deutlich klar gemacht, dass er diesem Verfahren sehr kritisch gegenüber steht. Für unsere Verhältnisse hingegen war das zu wenig deutlich, wie er sich davon distanziert hat, weil einfach dieses ganze Vorgehen - da gehören ja die Blasphemie-Vorschriften insgesamt dazu - der indonesischen Demokratie nicht gut ansteht und kein gutes Licht auf den Respekt vor Religionsfreiheit und Menschenrechten und auf das Land insgesamt wirft.

Politische Kräfte schrecken vor radikalisierenden Tendenzen zurück

RV: Mehrere Anläufe, das Blasphemie-Gesetz abzuschaffen oder wenigstens dahingehend abzuändern, dass es nicht mehr zu solchen Kampagnen missbraucht werden kann, sind gescheitert. Wie schätzen Sie mit diesem eklatanten Fall die Lage ein? Könnte das Parlament jetzt das Gesetz ändern?

Delius: Ich fürchte leider nicht, weil die gesamte Grundstimmung, die wir im Land beobachten, getragen wird von radikal-islamischen Kräften. Die mobilisieren sehr stark. Und auch die gemäßigten muslimischen Politiker beginnen Angst davor zu haben, dass der entstehende Populismus auch sie in Bedrängnis bringen könnte. Wir haben das ja auch während des Verfahrens gegen Ahok gesehen, wie sich der indonesische Staat immer mehr auf die Demonstranten zubewegt hat, um eine Eskalation zu verhindern.

Genau das ist die sehr bedrohliche Mischung, die den religiösen Minderheiten in Indonesien gegenüber steht. Alle politischen Kräfte versuchen jetzt, irgendwie eine Eskalation zu verhindern, und sie werden absolut zurückhaltend sein bei dieser Problematik, erneut an die Blasphemie-Vorschriften ranzugehen. Sie wissen nämlich, dass sie dann den Ärger der radikal-islamischen Kräfte auf sich ziehen und das will momentan keiner, weil man sonst fürchtet, vom Volk bei den nächsten Wahlen abgestraft zu werden.

Persönliche und öffentliche Ebene muss bedacht werden

RV: Wie würden sie letztlich Ahoks Entscheidung, auf die Berufung zu verzichten, bewerten? Hat er der indonesischen Gesellschaft damit einen Gefallen getan?

Delius: Ich denke, man muss da zwischen verschiedenen Ebenen unterscheiden. Da gibt es einmal die persönliche: da muss man ihm großen Respekt für diese mutige Entscheidung zollen. Man muss sagen, kurzfristig war das vielleicht ein guter Weg, weil eine kleine Beruhigung eintreten wird. Mittel- oder Langfristig halten wir es aber nicht für den richtigen Weg, weil das Land eine öffentliche Diskussion dieser problematischen Vorschriften und über den Umgang mit religiösen Minderheiten braucht, wenn wir einer schleichenden Radikalisierung entgegentreten wollen. Es besteht große Sorge, dass momentan der Spielraum für religiöse und auch ethnische Minderheiten sehr stark beengt wird - zumindest empfinden das die Angehörigen der Minderheiten so. Dem müsste man eigentlich entgegenwirken, und das kann man nur in einer öffentlichen Diskussion. Das geht nicht, indem man versucht, alles unter den Teppich zu kehren und zu sagen, dass alles wieder gut werde. Es wird nicht gut, wenn man es nicht öffentlich erörtert. 

(rv 29.05.2017 cs)








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