2017-03-11 07:29:00

Hunger geht auch die Satten an: Eine Konferenz in Rom


Wir müssen den Hunger „entbürokratisieren“, das Elend „entnaturalisieren“: Dazu forderte Papst Franziskus bei seinem Besuch beim Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) in Rom am 13. Juni letzten Jahres auf. Den Hungernden und Leidenden der Welt ein Gesicht zu geben, diese hehre Absicht treibt auch den Autor und Historiker Martín Caparrós um. Der Argentinier hat nach ausgiebigen Recherchereisen ein Buch vorgelegt, in dem er Einzelschicksale von Hungernden aus aller Welt erzählt und analytisch unterlegt. Das Buch heißt „Der Hunger“, ist mittlerweile in 16 Sprachen übersetzt und packt durch seine unmittelbare Schilderung der Einzelschicksale den Leser direkt ans Herz – und an den in der Regel gut gefüllten Bauch. Auf Deutsch hat es der Inselverlag herausgebracht, es kostet etwa 30 Euro.

Botschafter Hinrich Thölken vertritt Deutschland bei den in Rom ansässigen internationalen Organisationen, die sich dem Kampf gegen den Welthunger verschrieben haben; auch ihn hat das Buch keineswegs kalt gelassen. Es hat in ihm den Wunsch geweckt, es als Aufhänger für eine interdisziplinäre Podiumsdiskussion in den Räumen der Welternährungsorganisation in Rom zu nehmen. Mitveranstalterin der hochkarätig besetzten Konferenz „Agenda 2030 - Fighting Hunger, Overcoming Poverty, Protecting our Climate - open up on new prospects“ an diesem Mittwoch war die Deutsche Botschaft am Heiligen Stuhl, vertreten durch Botschafterin Annette Schavan.

„Wie zum Teufel können wir weiterleben, obwohl wir wissen, dass diese Dinge geschehen?"

„Da gab es immer eine Konstante im Hintergrund, die sich wie ein roter Faden durch ganz verschiedene Situationen durchgezogen hat. Migrationen, Konflikte, Kriege, was auch immer. Und diese Konstante war, dass die meisten Menschen, zu denen ich gesprochen habe, nicht genug gegessen haben. An einem gewissen Punkt habe ich dann gedacht, dass ich diesen Hintergrund gerne in den Vordergrund rücken würde, um dieses Problem anzusprechen, das als Hauptproblem immer ein wenig untergegangen ist.“ 

So beschreibt der Autor des Buches, Martín Caparrós, bei der Konferenz die Erkenntnis, die jahrelange Recherchereisen in den Randgebieten der Welt, aber auch in Ländern wie den USA, in ihm haben reifen lassen. Doch diese Erkenntnis bedurfte noch eines Schlüsselerlebnisses, um sich dem Thema Hunger auch auf literarische Weise zuzuwenden.

„In einem kleinen Dorf in Niger habe ich eine Frau, Aysha, gefragt, was sie sich wünschen würde, wenn ein Zauberer ihr diesen Wunsch erfüllen könnte. Sie überlegte kurz und meinte dann: Eine Kuh. Und sie erklärte mir: Mit einer Kuh kann ich meinen Kindern Milch geben und vielleicht bleibt auch noch etwas übrig, so dass ich etwas auf dem Markt verkaufen kann. Und ich sagte ihr: Aber das ist ein mächtiger Zauberer, er kann dir jeden Wunsch erfüllen! Sie meinte: Wirklich jeden? Dann hätte ich gerne zwei Kühe.“

Dies, so Caparròs, sei der zündende Moment gewesen, in dem ihm klar wurde, wie sehr das Fehlen von Nahrungssicherheit auch die ureigene menschliche Fähigkeit der Vorstellung, des Wünschens unterminiert. Letztlich geht es dem Hungernden nur darum, eine tägliche Ration an lebenserhaltender Nahrung zu erhalten – von der „Varietät“ und „Ausgewogenheit“ der Ernährung, wie sie für die propagiert wird, die sich eine solche leisten können, ganz zu schweigen. Doch halt: Überhaupt „Hunger“ zu sagen, ist eigentlich schon der falsche Ansatz, meint Caparrós.

„Es gibt keine Sache wie Hunger, sondern Menschen, die nicht genug essen. Nur über Hunger zu sprechen, macht es so abstrakt, dass es uns erlaubt, eine gewisse Distanz zu wahren. Aber wo Hunger herrscht, gibt es viele, viele Menschen, die nicht genug essen! Also, was ich wollte, war, deren Geschichten zu erzählen und ihnen ein Gesicht zu geben.“ 

Hunger personalisieren

Dies umso mehr, als die mittlerweile weltweit produzierte Nahrung für alle Menschen auf dem Erdball reichen würde: Das beweisen unter anderem Erhebungen der Welternährungsorganisation. Eines der Probleme dabei: Oftmals wird Nahrung aus Ländern, in denen Menschen an Hunger leiden, exportiert, um teurer als auf dem örtlichen Markt verkauft werden zu können. Ein Beispiel hierfür: Die Heimat des Autors, Argentinien. Doch auch das Phänomen des „Landgrabbing“, das Riesenflächen an fruchtbarer Erde dem lokalen Produktionszyklus entzieht und internationalen Konsortien zur Verfügung stellt, trägt zu einer Verschärfung des Problems bei. Immer im Hintergrund: Die Korruption lokaler Regierungen und Beamten, die das Wohl der Allgemeinheit dem eigenen Vorteil opfern.

Diese und andere systemischen Ursachen für Hunger beleuchtet der Autor in seinem Buch, das der persönlichen Ebene auch eine analytische Betrachtung entgegenstellt. Denn: „Die Gefahr besteht, dass man ein paar traurige Geschichten liest und sich danach besser fühlt, weil man noch in der Lage ist, ein wenig Mitleid zu empfinden. Um das zu vermeiden, habe ich mich dazu entschlossen, diese Geschichten mit Daten und Analysen zu unterlegen. Damit versuche ich, zu verstehen, warum diese Dinge geschehen. Außerdem will ich die Mechanismen dahinter aufzeigen und analysieren." 

„Keinen Atheisten unter den Hungernden gefunden"

Er sei überrascht und sogar schockiert gewesen, als er feststellte, dass Hungernde immer in irgendeiner Weise Gott ins Feld führten. Entweder sei es der strafende Gott, der ein Fehlverhalten in einem anderen Leben ahnde, oder der barmherzige Gott, der einem schon einen Weg aus der Hungerkrise weisen werde:

„Ich weiß nicht, ob ich an der richtigen Stelle bin, um das zu sagen, aber ich habe mit Hunderten und Tausenden von hungernden Menschen gesprochen, aber unter ihnen habe ich niemals einen Atheisten gefunden. In jeder Unterhaltung mit diesen Menschen taucht an irgendeiner Stelle Gott auf. Das muss sicherlich diskutiert werden, aber immer tauchte er als Erklärungsmodell auf. Manchmal sagen sie, 'Wenn ich dieses schreckliche Leben lebe, dann deshalb, weil Gott mich dazu verdammt hat, auch wenn ich nicht weiß, warum'. Oder wenn ich gefragt habe: 'Wie willst du denn aus dieser Situation herauskommen?' Dann war die Antwort: 'Ach ja, Gott wird mir irgendwie helfen...' Irgendwie war Gott immer präsent.”

Religion als Beruhigungsmittel für die Hungernden?

Religion verhindert also die Rebellion der Hungernden, treibt sie in die Resignation? Die Religion als Opium des Volkes, wie schon Karl Marx formulierte? Das will die Mitorganisatorin der Konferenz Annette Schavan nicht unwidersprochen lassen. Natürlich wisse man um die Versuchung der Vertröstung, die Menschen in ihrer Hoffnung auf Gott dazu bringe, nicht mehr selbst tätig zu werden: „Das ist eine alte Geschichte. Andererseits, wenn wir dann weiter diskutieren, dann ist auch klar, ohne den großen spirituellen Impuls der Religionen, vor allem des Christentums, und der damit verbundenen Organisationen wäre die Welt woanders, als sie heute ist. In viel größeren Nöten, und mit viel weniger Impulsen, gerade auch der Zivilgesellschaft, die die Staaten oft zum Handeln gebracht haben“, so bricht Schavan die Lanze für die Religion.

Gerade Papst Franziskus sei es gelungen, für die Problematik der Ausgrenzung weltweit zu sensibilisieren und durchaus nicht nur Katholiken darin zu bestärken, sich für das Gemeinwohl und den Kampf gegen Hunger auf der Welt einzusetzen.

„Dieser gleiche Papst scheut sich ja auch nicht, die Fehler der Kirche und der Christen, wozu eben auch die Vertröstung zählen kann, anzusprechen. Ich bin davon überzeugt, dass seine Beliebtheit und die Tatsache, dass er eine so hohe moralische Ausstrahlung weit über die katholische Welt hinaus hat, damit zu tun hat, dass die Menschen sagen, der sagt die Wahrheit, der redet nicht darum herum, er blendet unangenehme Themen nicht aus und idealisiert seine eigene Kirche nicht, sondern er nimmt sie in einer sehr konsequenten Weise in die Verantwortung.“

Kirche nur eine der Institutionen in der Pflicht

Doch die Kirche ist nur eine der Institutionen, die gegen den Hunger auf der Welt angehen können und müssen. Unerlässlich ist ein Zusammenwirken von staatlichen wie privaten Akteuren aus Wirtschaft und Gesellschaft, getragen von einer breiten Welle von Zustimmung und tätiger Mitwirkung durch den einzelnen Bürger und Konsumenten.  Immer wieder genannt, doch auch immer wieder wahr: Kleidungsdiscounter, die mit billig gefertigten Waren unseren Modegeschmack treffen und unseren Geldbeutel schonen. Kaum einer macht sich im Moment des Kaufs jedoch klar, dass der billige Preis auf dem Rücken der unterbezahlten Näherinnen in armen Ländern erzielt worden ist. Dies ist nur eine der zahlreichen systemischen Erkenntnisse, die der Autor Caparrós mit den Lesern teilt, ohne mit erhobenem Zeigefinger Lösungsvorschläge zu unterbreiten. Diese, und das ist auch eine wichtige Erkenntnis des Symposiums von diesem Mittwoch, müssen gemeinsam von den verschiedenen Akteuren gefunden werden.

Es müssen gemeinsam Lösungsansätze gefunden werden

Es war ein interdisziplinäres Gremium, das in den Räumen der FAO zusammen gekommen war. Neben der Vatikanvertreterin Flaminia Giovanelli vom neuen Dikasterium für die ganzheitliche Entwicklung des Menschen waren auch die Botschafterin Sudans bei den internationalen Programmen in Rom und Vorsitzende des weltweiten Komitees für Ernährungssicherheit, Amira Gornass, sowie Hartmut van Lengerich, Leiter der Bayer CropScience-Sparte Cereals and Fungicides, auf dem Podium. Man sei in den Diskussionen durchaus einen Schritt weiter gekommen, zeigt sich Botschafter Thölken im Anschluss an die Veranstaltung überzeugt. „Wir haben herausgearbeitet, dass es wichtig ist, sowohl neue Erkenntnisse als auch Forschung tatsächlich auszurollen und zum Kleinstfarmer in scheinbar entlegenen Regionen zu bringen, aber genauso auch Politikempfehlungen, die hier in Rom erarbeitet werden, weiter bekannt zu machen, sie den gleichen Leuten nahe zu bringen und sie auch umzusetzen. Das ist ein wichtiger Punkt.“

Ein weiterer Punkt: Es gab auch einen konkreten Vorschlag aus den Reihen der Industrie. Hartmut van Lengerich brachte die Idee ein, von dem Umsatz, der durch den Verkauf von gewinnträchtigen Saatgutarten erzielt werden könne, einen kleinen Teil in eine gemeinsame Stiftung von privaten Unternehmen und der internationalen Gemeinschaft einzubringen. Mit diesen Geldern könnte dann die Forschung an seltenen und profitärmeren Saatgutarten gefördert werden. Was besticht, ist die Konkretheit der Idee. Vielleicht nur ein kleiner Schritt, aber sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung.

(rv 10.03.2017 cs)

 








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